Säuberung unter den Polen

Aus der politischen Abteilung kam über unsere Kanäle die Nachricht, dass alle polnischen Häftlinge irgendwo hingebracht werden sollten, da man befürchtete, dass es im Lager zu einem Vorfall kommen könnte. Die Machthaber erkannten, dass so eine große Ansammlung von Polen eine Gefahr ist: Allein ihr Überleben rief schon Entschlossenheit hervor und machte sie zu einer Einheit, die zu allem bereit war und die sich auf polnischem Gebiet mit Unterstützung aus der Umgebung konzentrierte. Irgendwelche abgesetzten Fallschirmspringer, abgeworfene Waffen… Das lag nicht in den Plänen der Unseren, der Alliierten, und ihnen fiel das nicht aus. Also bemerkte es der Feind.

Vorläufig wurde aus den Kommandos ein Teil der Polen abgezogen und die Kommandos daran gewöhnt, ohne sie zu arbeiteten. Ein Pole war immer und in allen Kommandos der beste Arbeiter. Die Deutschen sagten, genauso gut wie ein Deutscher, aber das war nicht die Wahrheit. Sie schämten sich dafür, dass er besser war als sie. Aus den Handwerkkommandos wurden vorübergehend jene Polen abgezogen, die sich durch ihr Vorgehen verraten hatten, dass sie erst im Lager zu Fachmännern in ihrem Handwerk geworden waren. Aus den fünf Hundertschaften in der „Bekleidungswerkstätte“ entließ man um die 150 aus der Arbeit. Da ich wie ein Gebildeter aussah, befand ich mich ebenfalls in dieser Gruppe. Das war am 2. Februar 1943.

Das Paketkommando

Irgendwie machte mir das überhaupt keine Sorgen. Ich glaubte, dass meine Entlassung an jenem Tag mir nicht schadete. Am folgenden Tag arbeitete ich schon im Korbflechter-kommando, wo ich durch meine Freunde aufgenommen wurde. Allgemein galt im Lager, das man eine alte Nummer in alle Kommandos aufnahm – er war schon ein Altgedienter in der Häftlingswelt. Dort arbeitete ich nur einen Tag, aber nicht zum Vorteil des Lagers, da ich lernte, aus Stroh Schuhe zu machen.

Am nächsten Tag hatte ich schon eine hervorragende Arbeit im neu gebildeten Kommando „
Paketstelle“. Aufgrund der Erlaubnis, den Häftlingen Lebensmittelpakete zu schicken, wurden immer mehr Pakete mit Autos in das Lager gefahren. Die Lagerführer bekamen allmählich Probleme damit. Man konnte ein Paket wöchentlich von bis zu fünf Kilogramm erhalten. Da man der Meinung war, dass man die Anzahl der Pakete nicht senken könne, verbot man große Pakete zu schicken – aber man erlaubte, kleine Pakete bis 250 Gramm ohne Mengenbeschränkung zu senden. Es zeigte sich aber, dass die Lagerleitung sich getäuscht hatte. Täglich wurden unzählige kleine Päckchen herbeigefahren. Die Familien waren erfreut, dass sie den ihnen nahe stehenden Häftlingen helfen konnten und beeilten sich, anstatt des einen wöchentlichen größeren Pakets, jeden Tag kleine Päckchen zu schicken. Die Folge dieser Bestimmung war für die Machthaber genau das Gegenteil. Die Arbeitsflut erforderte einen ganzen Apparat, ein ganzes Kommando (in das ich gerade eintrat), um die ungeheure Anzahl von Sendungen zu registrieren und sie an die Häftlinge zu verteilen.

Im dritten Block wurden uns drei kleine Säle zur Verfügung gestellt. Ein Saal war ganz mit Paketen gefüllt. Alle Kommandos im Lager arbeiteten effektiv, daher musste auch hier eine Anstrengung unternommen werden, einen Rückstand möglichst schnell aufzuholen, was ebenfalls zum Vorteil der Häftlinge war, da ihnen die Päckchen schnell zugestellt würden. Hier arbeitete das Kommando in zwei Schichten, 20 Häftlinge in jedem. Die Packstation war 24 Stunden am Tag tätig. Ich ging eher zur Nachtschicht.

Da die Päckchen rund um die Uhr sortiert wurden, musste parallel zu uns auch die Hauptschreibstube Tag und Nacht arbeiten. Für jedes Päckchen wurde ein Zettel ausgestellt, und jede halbe Stunde wurden einige hundert Zettel in die Schreibstube geschickt, wo auf ihnen vermerkt wurde, in welchem Block sich gegenwärtig die betreffende Nummer (der Häftling) befand, eventuell machte man ein Kreuz, wenn er nicht mehr lebte. Nachdem die Zettel zurückgekommen waren, wurden die Päckchen sortiert und für jeden Block auf separat eingerichtete Regale geworfen – die Päckchen, die zu den Kärtchen mit einem Kreuz gehörten, wurden auf die andere Seite des Saals auf einen großen Haufen geworfen. Es waren sehr viele Päckchen, die gestorbenen Kameraden gehörten. Außer jenen, die den Häftlingen aus den jüdischen, französischen, tschechischen Transporten geschickt wurden und die schon meistens alle tot waren, schickten auch viele polnische Familien Päckchen und wussten nicht, dass der Häftling schon tot war, da (wie ich schon erwähnt habe) nicht immer eine Benachrichtigung über seinen Tod geschickt wurde oder die politische Abteilung das Abschicken einige Monate hinauszögerte.

Die besseren Päckchen gestorbener Häftlinge, vor allem jener aus Frankreich und aus Böhmen und Mähren, die Wein und Obst enthielten, fuhren die SS-Männer körbeweise in ihr Kasino. Die schlechteren Pakete kamen vor allem in unsere Häftlingsküche, in die man auch verschiedene Nahrungsmittel (durch die SS-Männer vorsortiert) aus „Kanada“ brachte. Alles wurde in die Kessel geworfen.

In dieser Zeit aßen wir süße Suppen, die wie nach Parfüm rochen und fanden in ihnen Reste von Kuchen und Torten. In unserem Saal entdeckten wir einmal in der Suppe ein nicht ganz aufgelöstes Stück einer Toilettenseife. Manchmal fanden die Köche am Kesselgrund einen Gegenstand aus Gold oder einfach nur Münzen, die ihr bereits nicht mehr lebender Besitzer in einem Stück Brot, einem Brötchen oder einem Kuchen heimlich versteckt hatte.

In der Paketstelle aßen die Arbeiter mit gutem Gewissen die Lebensmittel der bereits gestorbenen Kameraden und gaben meistens das Brot und die Suppe, die sie im Block bekamen, den hungrigeren Kameraden. Man musste jedoch aufpassen, wenn man Lebensmittel aus den Päckchen der Gestorbenen aß. Nur die „Übermenschen“ durften sie essen, den Häftlingen war das bei Todesstrafe verboten. Einmal wurden die von der Arbeit Kommenden kontrolliert, und in den Taschen von sieben Häftlingen fand man aus den Päckchen Gestorbener herausgenommenes Weißbrot, Butter und Zucker. Alle wurden noch am gleichen Tag erschossen.

Der Chef der Paketstelle war ein SS-Mann, ein Österreicher – dafür, dass er ein SS-Mann war, konnte man es mit ihm aushalten.

Nachdem man wieder zu den anfänglichen 5kg-Paketnorm einmal in der Woche zurückgekehrt war, kamen Pakete in unterschiedlicher Form, manchmal ganze Koffer. Der Chef der Paketstelle stellte das nicht in Frage, er gab sie alle ihren Besitzern. Kontrollen führte er nur oberflächlich durch, aus Zeitmangel schnitt er manchmal nur die Schnüre durch. Aber als der Blockälteste, ein deutscher Schuft, der die Pakete in den Blocks verteilte, aus einem Paket eines lebenden Häftlings eine Handvoll Bonbons herausnahm, machte der Chef der Paketstelle eine Meldung, und der Blockälteste wurde noch am gleichen Tag erschossen, obwohl er Deutscher war. In dieser Hinsicht herrschte Gerechtigkeit…

Ich fand einen anderen Weg, um meinen Kameraden zusätzliches Essen zu verschaffen. Ich arbeitete nachts in der Paketstelle. Vor mir neben dem heißen Ofen saß der wachhabende SS-Mann, der immer gegen zwei Uhr nachts einschlief. Hinter mir lag ein großer Haufen Pakete gestorbener Kameraden. Ein Stapel der besseren Pakete lag abgetrennt für einen eventuellen Transport in das Kasino der SS-Männer bereit. Ich trug die Pakete, registrierte sie und schichtete sie um und nahm dabei unbemerkt ein Paket von dem abgetrennten Stapel, und in der Zeit während der SS-Mann genüsslich schnarchte, wickelte ich das Papier ab, riss die Adresse weg, drehte das Papier auf die andere Seite, wickelte da Paket wieder ein, schnürte es zu und schrieb die Adresse einer der Freunde im Lager darauf. Ich hatte offiziell das Recht, schlecht eingepackte Pakete neu zu verpacken. Die Verpackung einiger Pakete war vollkommen zerstört, umso besser eigneten sie sich. Einige packte ich wegen der Stempel nicht neu ein, sondern klebte eine neue Adresse darauf, die ich auf ein anderes Stück Papier schrieb. So ein Paket ging dann seinen normalen Weg weiter und gelangte auf das zugehörige Regal.

Der SS-Mann hatte eine angenehme Arbeit: In der Nacht schlief er, tagsüber hatte er frei und fuhr mit dem Fahrrad zu seiner Frau, die irgendwo 20 Kilometer von hier entfernt wohnte. So waren alle mit der Situation zufrieden. In einer Nacht versuchte ich, acht Pakete „abzuschicken“, jeweils zwei in jedes Bataillon, manchmal schaffte ich weniger, manchmal sogar mehr.

Am Morgen tauchte ich bei den Freunden auf, an die ich die „gestorbenen“ Pakete adressiert hatte und sagte ihnen, dass sie keine überraschte Miene machen sollten, wenn sie ein fremdes Paket bekämen.

Da sich mein Kommando geändert hatte, verlegte man mich in Block 6. Im Block und bei der Arbeit lernte ich einige Kameraden kennen, die ich in unsere Organisation mit hineinzog: Unterleutnant 164 [Edmund Zabawski], Unterleutnant 165 [Henryk Szklarz] und Zugführer 166 [nicht bekannt].

Olek - Aleksandr Bugajski

Noch Ende 1942 hatten sie zusammen mit einem ganzen Transport aus Krakau Olek, Unterleutnant 167 [Aleksandr Bugajski] angeliefert. Man informierte mich damals, dass er der Held aus Montelupich sei: Es sei ihm einmal gelungen, dem Tod dank einer Flucht aus dem Gefängnis zu entkommen, habe er nun zwei Todesstrafen, aber weil er schlau sei und irgendwie mit den SS-Männern zurecht komme, indem er vorgebe, Arzt zu sein und sie anscheinend sogar kuriere – habe er es also irgendwie geschafft, am Leben zu bleiben. Aber jetzt hatten sie ihn nach Oświęcim gebracht, wo sie ihn sicher töten werden. Ich lernte ihn kennen, und mir gefiel sein Humor. Ich schlug ihm einen Weg vor, aus dem Lager zu kommen, den ich selber für mich vorbereitet hatte. Das waren die Abwasserkanäle.

Der Plan der Abwasserkanäle, der mir von den Kameraden aus dem Baubüro gebracht wurde, zeigte genau die Orte, an denen man am Besten in die Kanäle kommen konnte. Gewöhnlich war es so, dass die deutschen Machthaber erst dann klug wurden, wenn ein Häftling die Gelegenheit auf irgendeine Art herauszukommen nutzte, aber danach war eine Wiederholung auf dem desselben Fluchtweg fast unmöglich. Das Sprichwort „Mądry Polak po szkodzie“ [Ein Pole wird durch Schaden klug] kann man wohl auch auf andere Nationalitäten ausweiten.

Als ich meinen Fluchtweg Olek 167 preisgab, gab ich ihn für mich auf, aber ich war jetzt immer noch nicht bereit zu fliehen, und sein Fall war schwerwiegend. Ich konnte durch ihn auch einen Bericht schicken – ich zählte darauf, dass sich für mich auch später glückliche Umstände ergeben würden.

In dieser Zeit meldete sich Oberleutnant 168 [Witold Wierusz] mit dem Plan bei mir, aus dem Kommando zu flüchten, in dem er arbeitete. Er war dort Kapo-Stellvertreter. Der Kapo war krank geworden, und daher hatte er größere Handlungsfreiheit. Mit seinem eigenen Kommando ging er für Vermessungen einige Kilometer aus dem Lager heraus.

Ich machte ihn mit Unterleutnant 167 bekannt. Der Plan von Oberleutnant 168 passte ihm besser – also fing 167 an, sich vorzubereiten, um auf diese Weise das Lager zu verlassen. Er ließ sich aber etwas zu plötzlich von der Paketstelle in das Vermessungs-Kommando verlegen, in dem 168 arbeitete.

Flucht und Maßnahmen gegen Fluchtversuche

In einer Januarnacht im Jahr 1943 flohen sieben Kameraden durch die SS-Küche in die Freiheit. Man erkannte, dass das Hängen der bei der Flucht Gefassten die Häftlinge nicht von Vorhaben in diese Richtung abhielt, so kamen die Machthaber auf eine neue Idee. Man verkündete in allen Blöcken, dass für die Flucht eines Häftlings seine Familie ins Lager gebracht würde. Das traf uns an einer empfindlichen Stelle. Niemand wollte seine Familie gefährden.

Einmal erblickten wir bei unserer Rückkehr ins Lager zwei Frauen – eine ältere, sympathische Frau und eine hübsche, junge. Sie standen bei einem Pfosten mit einer Tafel, auf der die Aufschrift war: „Das verantwortungslose Vorgehen eures Kameraden hat diese zwei Frauen dem Lager ausgeliefert.“ Das sollte eine Vergeltungsmaßnahme für die Flucht eines der Kameraden sein. Was die Frauen angeht, waren wir empfindlich. Anfänglich verfluchte das Lager den Schuft, der seine Mutter und Verlobte preisgegeben hatte, um selbst sein Leben zu retten, aber später zeigte sich, dass sie Nummern um die 30.000 hatten, während die laufenden Nummern im Frauenlager über 50.000 gingen. Man stellte fest, dass es zwei Frauen aus dem Lager Rajsko waren, die man bei uns für ein paar Stunden zu dem Pfosten gestellt hatte. Am Pfosten stand ein SS-Mann und verunmöglichte jedes Gespräch. Auf jeden Fall gab es keine Sicherheit, dass sie die Familien nicht ins Lager bringen würden, also entschlossen sich keine weiteren Kameraden zur Flucht.

Der Fluchtplan

Der Fluchtplan von Aleksander Bugajski und Witold Wierusz
Die Kameraden 167 und 168 planten ihre Flucht. Kontakt mit Krakau wurde über die Zivilbevölkerung aufgenommen. In ein paar Monaten sollten Kleidung und Verbindungsleute bereitstehen. 167 schlug mir auch vor, mit ihm zusammen zu fliehen. Als ich mit 168 ihre Fluchtart genauer besprach, kam ich zum Schluss, dass der Plan in den Einzelheiten nicht ausgefeilt war. Die sie zum Vermessen begleitenden beiden SS-Männer gingen mit ihnen (trotz dem Verbot der Lagerleitung) von Zeit zu Zeit ins Wirtshaus, um gemeinsam Wodka zu trinken. Die Häftlinge mussten sie betrunken machen und zusammenbinden. Man plante auch eine Bluttat, wenn sie sich nicht betrinken sollten. Im Namen der Organisation protestierte ich kategorisch dagegen. So einem Fluchtplan konnte die Organisation nicht zustimmen, weil er die verbleibenden Häftlinge großen Vergeltungsmaßnahmen aussetzen konnte. Die Kunst war so zu fliehen, dass es im Lager zu keinen großen Konsequenzen kam. Also trafen sie Vorbereitungen, die SS-Männer mit Luminal zu betäuben. In Pulverform aus dem HKB besorgt und probeweise in Wodka geschüttet hatte es nicht das gewünschte Resultat, da es sich nicht im Wodka auflöste und auf dem Grund der Gläser als Bodensatz zurückblieb. So sollte das Luminal in Bonbons verabreicht werden.

Zigeuner

Unterdessen waren nach Birkenau einige tausend Zigeuner transportiert worden, und sie wurden in einem separat eingezäunten Lager untergebracht, eine Zeitlang in ganzen Familien. Danach wurden die Männer abgetrennt und darauf auf „Auschwitzer Art“ umgebracht.

Eine weitere Flucht

Eine weitere Flucht: das Fass des Diogenes
Eines Tages arrangierten die Kollegen aus Rajsko eine clevere Flucht, die wir „das Fass des Diogenes“ nannten. In einer dunklen, windigen und regnerischen Nacht passierten ein gutes Dutzend Häftlinge die an diesem Ort nur einfache Umzäunung: Sie schoben die Drähte mit Stöcken zur Seite, platzierten zwischen diesen ein gewöhnliches Holzfass ohne Boden, in dem sie einmal Essen transportiert hatten und das jetzt zur Stromisolation diente, und krochen durch wie Katzen durch ein Loch. Die Machthaber regten sich erneut schrecklich auf und tobten vor Wut. So viele unbequeme Zeugen der Geschehnisse in Birkenau waren in Freiheit. Sie waren entschlossen, alles zu tun, um die Flüchtenden zu ergreifen. Sie setzten eine ganze Armee für die Suche ein, die drei Tage lang dauerte. Das Lager wurde geschlossen, da es keine „Posten“ gab. Die Lagerleitung nutzte die Zeit für eine Entlausung des Lagers, die innerhalb von drei Tagen vollzogen war.

Aleksandr Bugajski

Der Zufall wollte es, dass 167 und 168 am Tag nach „dem Fass des Diogenes“, die mit der Organisation draußen abgesprochene Flucht hatten durchführen sollen. Es gab keinerlei Möglichkeiten, das Lager zu verlassen, und diese Flucht wurde dadurch verhindert. Aber das ist noch nicht alles. In den Kommandos fürchteten sich die Chefs und die Kapos vor der wütenden Lagerleitung und führten eine Kontrolle der Häftlinge durch. Sie prüften die eigentliche Arbeit, den allgemeinen Bestand, suchten nach Dingen, an dem andere etwas aussetzen konnten. In der Packstelle fragten der Chef und der Kapo also, was mit Olek 167 sei, der doch hier gearbeitet habe, und jetzt sei er nicht da? Ob er krank sei? Sie rannten in die Schreibstube und stellten fest, dass Olek schon in einem anderen Block war und in einem anderen Kommando arbeitete. Und weil er eine andere Arbeit aufgenommen hatte – im Feld, ohne Benachrichtigung und Zettel vom „Arbeitsdienst“, und das als schwerwiegender Fall in der politischen Abteilung – stuften sie das als Vorbereitung zur Flucht ein und versetzten Olek zur Strafe in die SK.

Der Abwasserkanal

Den Fluchtweg durch die Abwasserkanäle hatte ich schon für alle Fälle lange im Voraus vorbereitet. Jedoch war das kein leichter Weg. Das Kanalnetz, das der Plan des Abwassersystems zeigte, lief in verschiedene Richtungen, bestand aber hauptsächlich aus Röhren mit einem Querschnitt von 40–60cm. Bei Block 12, dem für mich bequemsten Einstieg, gingen Abzweigungen des Abwasserkanals in nur drei Richtungen ab: Senkrecht hinab mit einem Durchmesser von 60 cm, und 90cm in die beiden anderen Richtungen. Ich versuchte sogar einmal hineinzugehen und das Gitter des Kanallochs zu öffnen, das den Eingang in den Kanal versperrte. Aber ich war nicht der einzige, der sich dafür interessierte. Diesen Weg kannten auch andere unserer Kameraden. Ich einigte mich mit ihnen. Das waren 110 [Andrzej Makowski-Gąsienica] und 118 [nicht bekannt]. Es gab noch ein paar andere, die ein Auge auf diese Kanäle geworfen hatten. Es ging nur darum, wer sich dazu entschloss und sie für sich zunutze machte.

Vor dem letzten Weihnachtsfest sollte so ein Grüppchen des „Arbeitsdienstes“ flüchten, aber 61 [Konstanty Piekarski] war ebenfalls heiß darauf. Ich zeigte ihm den Weg, und eventuell hätten sich ein paar Häftlinge in dieser Heiligen Nacht auf den Weg gemacht, da wie üblich zu diesem Zeitpunkt die Wachsamkeit der Wache geringer war. Aber gerade an Heiligabend stellte man uns einen zweiten Weihnachtsbaum genau neben den Ort, wo man hätte herauskommen müssen, man beleuchtete ihn festlich und diesen Ort ebenfalls.

Als ich später schon im Nachtkommando in der Packstelle arbeitete, war mir der Eingang in das Kanalloch ganz nahe. Also kroch ich in der Nacht, nachdem ich im Block 3 einen Arbeitsanzug angezogen hatte, zwei Mal in die stinkenden Kanäle. In dem Kanalloch war das an Angeln hängende Gitter einmal mit Holzklötzen verschlossen gewesen – jetzt waren sie herausgebrochen und versanken im Schlamm, von oben sahen sie wie verschlossen aus. Von diesem Ort ging der Weg in drei Richtungen durch die breiteren Kanäle ab.

Ein Kanal ging zwischen den Blöcken 12 und 13, 22 und 23 hindurch, bog dann nach links ab, verlief an der Küche vorbei, weiter, und hinter dem letzten Wachturm am Block 21 machte er eine kleine Biegung nach rechts – der Ausgang war erst hinter den Bahngleisen. Dieser Kanal war sehr lang, er betrug um die 80 Meter. Er hatte den großen Vorteil eines sicheren Ausgangs, aber auch einen Nachteil: Er war schrecklich verschlammt. Ich schaffte gerade einmal 60 Meter durch diesen Kanal (um die Möglichkeit zu prüfen, wie man sich in ihm bewegen konnte) und kroch total erschöpft wieder heraus. Es war eine ideale, dunkle Nacht. Ich war völlig verdreckt, wusch mich und wechselte meine Unterwäsche im Block 3. Ich muss gestehen, dass ich für einige Zeit die Lust darauf verlor.

In die andere Richtung war der Kanal trockener, und sich dort zu bewegen war viel einfacher, aber er war auch viel kürzer. Er verlief zwischen den Blöcken 4 und 15, 5 und 16, weiter geradeaus bis zu 10 und 21, dann weiter geradeaus. Er stieg an, und immer weniger aus den Blöcken gespülter Unrat und Wasser waren in ihm. Aber sein Ausgang war zwei Meter hinter dem Wachturm des „Postens“. Die Platte, die den Ausgang nach draußen hinter dem Zaun verschloss, hätte man in der Nacht nur schwer ohne Geräusch unter dem direkt darüber stehenden Soldaten auf dem Wachturm anheben können, selbst wenn sie tagsüber die Freunde außerhalb des Lagers bei der Kiesgrube vorbereitet hätten.

Übrig blieb die dritte Richtung – der kürzeste Kanal mit etwa 40 Metern war eine Verlängerung des vorherigen Kanals. Hier war am meisten Wasser. Der Kanal ging zwischen den Blöcken 1 und 12 hindurch, hinter den Stacheldraht und verlief zwischen der Kommandantur und einem neu erbauten Gebäude. Der Ausgang war auf der Landstraße, ziemlich sichtbar, besonders aus der beleuchteten Hauptwache. Hier stellten sie uns gerade den Weihnachtsbaum auf. Aber jetzt stellen sie keinen mehr auf.

Es gab unter der Erde noch ein sogenanntes „Unterseeboot“ mit einer ständigen Besetzung, aber ich konnte sie für meine Pläne nicht berücksichtigen. Notfalls konnte ich schon eine Flucht riskieren, aber ich fand immer noch, dass ein Verlassen des Lagers für mich immer noch nicht aktuell sei.

Spionage und Gegenspionage

Eines Abends kamen wir zum Schluss, dass gegen uns einen regelrechter Krieg geführt wurde. Normalerweise bekamen wir die Neuigkeiten aus der politischen Abteilung, aus der Kommandantur, aus dem Krankenhaus: Sie wurden uns von SS-Männern überbracht, die ein doppeltes Spiel spielten, und die sie den bei uns arbeitenden „Volksdeutschen“ oder „Reichsdeutschen“ übermittelten. Einige der SS-Männer waren einmal Unteroffiziere der polnischen Armee gewesen und gaben uns ausdrücklich zu verstehen, dass sie mit uns gehen würden, wenn etwas sein sollte und uns sogar die Schlüssel zum Waffenmagazin geben würden. Wir brauchten aber keinerlei Schlüssel von ihnen, da schon alle von unseren Kameraden in der Schlosserei nachgemacht worden waren. Aber solche heuchlerischen und unangenehmen Menschentypen waren uns mehrmals von Nutzen und warnten uns oft vor den nächsten Schachzügen der Machthaber (die Information überprüften wir immer).

Selektion von Polen

Offensichtlich traute Grabner seiner eigenen Umgebung nicht mehr und bemühte sich, absolute Diskretion zu wahren – bis zum letzten Moment hielt er die Entscheidung und die Liste der Kandidaten für den Transport geheim. Er teilte sie nur Palitzsch mit.

Am 7. März 1943 wurde eine Blocksperre angeordnet. Man schickte Listen in die Blöcke und schloss die Türen ab. In den Blöcken fing man an, die Nummern von Häftlingen auszurufen – ausschließlich Polen – und befahl ihnen, sich für einen Transport bereitzumachen. Es wurden nur die Nummern jener aufgerufen, deren Untersuchung abgeschlossen war und denen die politische Abteilung nichts mehr vorwarf. Die Transporte sollten in andere Lager gehen, doch in viel bessere als Oświęcim. Im Vertrauen erfuhren wir, dass die ersten Transporte in bessere Lager gingen und dann in immer schlechtere.

In den Sälen herrschte sehr unterschiedliche Stimmung. Die einen waren froh, dass sie in bessere Lager fuhren und man sie hier nicht erschoss. Andere sorgten sich, dass sie nicht fahren würden, also ihre Untersuchung noch nicht abgeschlossen war und man sie erschießen könnte. Wieder andere waren sehr unzufrieden mit ihrem Abtransport, da sie hier nach schweren Jahren der Arbeit endlich einen guten Posten ergattert hatten. Dort werde man erneut ein Zugang sein und erneut eine harte Selektion erleben, und es sei nicht sicher, ob man es noch einmal schaffe. Aber die überwiegende Meinung war, dass es wert sei zu fahren, da ganz bestimmt nirgendwo so eine Hölle wie hier sei. Davon abgesehen, wurde man nicht nach seiner Meinung gefragt. Wenn es am Tag und bei offenen Blöcken gewesen wäre, dann hätte man etwas aushecken können. Wer bleiben wollte, hätte vielleicht krank werden können. Aber in der Nacht konnte man nichts unternehmen.

Ich wurde sofort in der ersten Nacht vom 7. auf den 8. März aufgerufen. Man befahl uns, unsere Sachen mitzunehmen und in den Block 12 umzuziehen, der für diesen Zweck vollständig geleert worden war. Also zogen wir mit den Sachen dorthin. Block 19 wurde ebenfalls besetzt, da man die Nummern an drei Abenden aufrief (7., 8. und 9. März) – wir waren zusammen etwa 6.000. In den Blöcken 12 und 19 wurden wir ebenfalls eingeschlossen, und man konnte sich nur durch die Fenster verständigen.

Die Gesundheitskommission

Dr. 2 kam ins Treppenhaus und gab mir hinter dem Tür Glas Zeichen: Falls ich mich entscheiden sollte, zu bleiben, dann müsse ich krank werden. Wenn ich meine konspirative Tätigkeit und die Position in der Arbeitswelt der Häftlinge berücksichtigte, dann war das eine Überlegung wert. Am 10. März holten sie uns schon um sechs Uhr morgens in Fünfergruppen, in Kolonnen auf die rote kleine Allee heraus. Hier fand eine Gesundheitskontrolle der Häftlinge statt, die die politische Abteilung für den Transport bestimmt hatte – durch eine Kommission bestehend aus deutschen Armeeärzten.

Ich stand in der Nähe von Oberst 11 [Tadeusz Reklewski] und Kazio 39 [Kazimierz Radwański]. Mein Gehirn arbeitete fieberhaft und machte eine Aufstellung derer, die fuhren und jener, die blieben. Unsere eingespielte Truppe Kameraden, die miteinander gearbeitet hatte, fuhr weg. Ich war dazu geneigt, mit ihnen zu fahren.

Die Gesundheitskommission bewunderte den Gesundheitszustand, die fast vorzügliche körperliche Verfassung und die allgemein gut genährten polnischen Häftlinge (mit Ausnahme der neu angekommenen Zugänge). Sie schüttelten den Kopf und sagten: Wie sie sich hier so erhalten konnten… Abgesehen von den Päckchen und „Kanada“ war das zu einem gewissen Grad der Verdienst der Organisation – hier konnte man die Resultate sehen.

Meine Aufgabe jedoch war die Kontinuität der Arbeit hier. Aber mit wem würde ich bleiben? Ich begann, mit einigen diese Sache zu besprechen. Oberst 11 und Kazio 39 freuten sich, zu fahren. Sie waren für Buchenwald vorgesehen, anscheinend eines der besseren Lager. Mein Freund Oberst 11 war der Meinung, dass es meine Pflicht sei, trotz allem weiter in dieser Hölle zu bleiben. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Die Untersuchung ging sehr schleppend voran. Wir standen den ganzen Tag und einen Teil der Nacht. Ich, Oberst 11 und Unterleutnant 61 [Konstanty Piekarski] kamen gegen zwei Uhr nachts an die Reihe. Schon erheblich früher hatte ich mich entschieden, zu versuchen in Oświęcim zu bleiben. Über Kamerad 169 [Stanisław Barański] – der die Möglichkeit hatte, sich zu bewegen – bekam ich aus dem HKB einen Verband für einen Bruch, den ich überhaupt nicht hatte. Um zwei Uhr nachts war die Kommission schon müde. Oberst 11, der ein gutes Dutzend Jahre älter war als ich und im Vergleich zu mir ein Klappergestell, wurde dennoch von der Kommission als arbeitsfähig eingestuft und in den Transport eingereiht. Aber als ich mit dem angelegten Verband für den fiktiven Bruch nackt vor der Kommission stand, winken die Ärzte mit den Händen und sagten: „Weg! Solche brauchen wir nicht!“ – und nahmen mich nicht in den Transport auf.

Ich marschierte ab zum Block 12 und kehrte, nachdem ich mich dort mit einem Zettel meldete, der mich vom Transport befreite, gleich in den Block 6 auf mein eigenes Bett zurück und ging am nächsten Tag ganz normal zur Arbeit in die Packstelle.

Abtransport der Polen

Nachdem die nicht Arbeitsfähigen oder die sich als arbeitsunfähig Präsentierenden ausgesondert worden waren, fuhren die gesunden Polen am 11. März weg – etwas mehr als 5.000 Leute.

Weil sie uns von der Hauptschreibstube eine genaue Liste mit den Nummern der weggebrachten Häftlinge schickten, um die ihnen gehörenden Lebensmittelpakete nachzusenden, fanden wir heraus, dass diese 5.000 polnischen Kameraden in fünf verschiedene Richtungen gefahren waren, mehr oder weniger jeweils tausend in die angegebenen Lager: Buchenwald, Neuengamme, Flossenbürg, Gross-Rosen, Sachsenhausen.

Der harte Kern der höchsten Organisationsebene hatte es geschafft, aus dem Transport herauszukommen – also arbeiteten wir weiter.

Weitere Selektionen von Polen

Eine Woche später am Sonntag wurden wir erneut überrascht. Um einen großen Arbeitsanfall bei dem schnellen Vorgehen vor dem eigentlichen Wegschicken der Transporte zu vermeiden, hatte man im Vorfeld in Ruhe Vorbereitungen getroffen. An diesem Sonntag mussten die noch in allen Blöcken im ganzen Lager übriggebliebenen Polen vor einer Gesundheitskommission antreten. Sie setzte den Buchstaben „A“ [arbeitsfähig] oder „U“ [unfähig] vor die Nummer des betreffenden Häftlings: Er bedeutete die Kategorie seines Gesundheitszustands, d.h. ob er in der Lage war zu arbeiten oder nicht. Die Überraschung war, dass sie alle bisherigen Möglichkeiten zu lavieren, ausschloss.

Ich überlegte, was ich mit mir machen sollte. Ein „A“ zu bekommen, bedeute gleich mit dem nächsten Transport abzufahren und das in schlechtere Lager, da ich nicht in die besseren gefahren war. Die Kategorie „U“ zu bekommen, bedeutete, dass man mit so einem Buchstaben – wie ich die damaligen Machthaber kannte – durchs Gas und den Kamin gehen konnte (obwohl man sagte, dass man die Kranken nach Dachau schicke, wo sie bessere Bedingungen in den Krankenhäusern hätten). Ich musste irgendeinen Ausweg finden. Jedenfalls entschied ich, den Verband nicht anzulegen. Die Ärztekommission, vor der ich stand, fertigte mich ohne besondere Beachtung ab und setzte im Register den Buchstaben „A“ neben meine Nummer.

Ich sah gut aus. Die deutschen Militärärzte betrachteten die ausgezeichnet entwickelten Körper der Polen und wunderten sich dieses Mal und sagten dabei laut: „Was für ein Regiment könnte man aus ihnen aufstellen“. Jetzt war ich Transportmaterial und musste etwas unternehmen, um nicht in „schlechtere Lager“ abzufahren. Die SS-Männer, die als Kommandochefs für irgendeine Arbeitsabteilung verantwortlich waren, reklamierten sehr gerne die polnischen Fachmänner. Sie zogen es immer vor, mit Polen zu arbeiten, die die besten Arbeiter waren. Im Hinblick auf die Anordnungen der Lagerführer in diesem Zeitraum konnten sie das jedoch nicht in einem größeren Ausmaß machen. Es war ebenfalls schwierig, ein Fachmann in der Packstelle zu sein. Aber irgendwie gelang es dank Dr. 2 und Kamerad 149 [nicht bekannt] als unabdingbare Arbeitskraft vom Chef der Packstelle (von insgesamt fünf Reklamierten) zurückbeordert zu werden. Ich wurde nicht in den neuen Transport eingegliedert, der in zwei Lieferungen wegfuhr (am 11. und 12. April) – beide nach Mauthausen. Damals wurden 2.500 Polen abtransportiert. Zusammen wurden also im März und April 1943 7.500 gesunde Polen abtransportiert.

Die Entscheidung

Da entschied ich, dass ein weiteres Herumsitzen hier schon zu gefährlich und zu schwierig für mich sei. Nach mehr als zweieinhalb Jahren wäre es nötig gewesen, die „knüpfende“ Arbeit von neuem und mit neuen Leuten aufzunehmen. Am 13. April ging ich am Vormittag in den Keller des Blocks 17, wo Hauptmann 159 [Stanisław Machowski] vom Warschauer Hauptkommando in einem eigenen Zimmerchen arbeitete. Ich kannte seine Figur, da sie mir oftmals vom erschossenen Unterleutnant Staśek 156 [Stanisław Wierzbicki] und von Mayor 85 [Zygmunt Bohdanowski] gezeigt worden war. Aber mit ihm hatte ich bisher keinen Kontakt, da sich unser Mitglied 138 [nicht bekannt] um ihn gekümmert hatte. Ich führte ein erstes Gespräch mit ihm. Ich sagte ihm: „Ich bin zwei Jahre und sieben Monate hier. Ich habe die Arbeit hier gemacht. In letzter Zeit habe ich keine Anweisungen erhalten. Jetzt haben die Deutschen unsere besten Leute, mit denen ich gearbeitet habe, weggefahren. Man müsste von vorne anfangen. Ich bin der Meinung, dass mein weiteres Herumsitzen hier keinen Sinn mehr hat. Deswegen werde ich hinausgehen.“

Hauptmann 159 schaute mich erstaunt an und sagte: „Ja gut, ich kann sie verstehen, aber kann man, wenn man will nach Oświęcim hinein- und wieder herausfahren? Ich antwortete: „Man kann.“

Von da an war meine ganze Kraft darauf ausgerichtet, den besten Fluchtweg zu finden. Als nächstes sprach ich mit Mayor 85, der zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus bei Dr. 2 als vermeintlich Kranker war. Er ruhte sich dort aus und konnte auf diesem Weg den Transporten entgehen, da Kranke vorläufig nicht genommen wurden. Jedoch hatte er die Kategorie „A“. Noch bevor ich wegging, konnte ich ihn in der Packstelle unterbringen. Ich ging zu ihm, da er die Umgebung von Oświęcim gut kannte und fragte, wohin er gehen und welche Richtung er mir empfehlen würde. Zygmunt schaute mich ungläubig an und sagte: „Wenn das jemand anderes sagen würde, dann würde ich denken, dass er mich auf den Arm nimmt, aber da du das bist, glaube ich, dass du weggehst. Ich würde nach Trzebinia, Chrzanów gehen.“ Ich zeigte ihm die aus dem Archiv herausgenommene Karte der Umgebung von Oświęcim (1:100.000), die ich von 76 [Bernard Świerczyna] bekommen hatte. Ich hatte vor, nach Kȩty zu gehen. Wir verabschiedeten uns herzlich. Ich beauftragte Bohdan, sich im Fall einer Aktion um alles zu kümmern.

Ich ging zu Freund 59 [Henryk Bartosiewicz] und betraute ihn mit dem organisatorischen Aspekt des Ganzen und ebenfalls der Unterstützung des tapferen, unaufgeregten 121 [Juliusz Gilewicz], der offiziell das Ganze leitete (und der Freund von 59 war).

Jetzt ging es schon darum zu fliehen… und das ernsthaft. Es gibt immer einen Unterschied zu sagen, dass man etwas macht, aber es dann wirklich tut. Schon viel früher, vor Jahren arbeitete ich daran, diese zwei Dinge ganz zu verbinden. Aber vor allem war ich gläubig und glaubte, wenn mir Gott hilft, dann wird es sicher gelingen. Da war noch ein Grund, der meine Entscheidung beschleunigte. Ich erfuhr über Dr. 2 von den „Zugängen“ aus dem Pawiak, dass man 161 [Bolesław Kuczbara], der zusammen mit den „Arbeitsdiensten“ aus Oświęcim geflohen war, in Warschau gefasst und im Pawiak inhaftiert hatte. Ich hatte kein Vertrauen zu diesem Menschen (sowohl wegen Gerüchten über seine Vergangenheit als auch wegen dem hier ohne Skrupel zusammengerafften Gold in Form von Goldzähnen Gestorbener als auch wegen der Geschichte mit den „Diplomen“, die er für die Arbeit von Oberst 121 und 59 in der Organisation gemalt hatte. Ich zog in Betracht, dass er, um sein eigenes Leben zu retten, sich darauf einlassen könnte, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten und anfangen würde, darüber zu berichten, was er im Lager Verdächtiges bemerkt hatte. Ich sprach über dieses Thema mit Dr. 2, mit Kamerad 59 und mit Kamerad 106 [nicht bekannt] und war der Meinung, dass jene Personen, von denen er wusste, dass sie in der Organisation waren (die eigentliche Spitze), das Lager verlassen mussten.

Ein möglicher Weg durch die Bäckerei

Schon Mitte März hatte mich mein Arbeitskamerad und Freund 164 [Edmund Zabawski] benachrichtigt, dass einer unserer Kameraden, Jasiek 170 [Jan Redzej], den ich vom Sehen kannte, vorhatte, das Lager zu verlassen – wenn ich also einen Bericht zu schicken hätte, dann könnte das über ihn geschehen. Ich lernte Jasiek kennen, und er gefiel mir sofort. Mir gefielen sein immer lächelnder Mund, seine breiten Schultern und seine Direktheit. Mit einem Wort, ein erstklassiger Kumpan. Ich erzählte ihm von der Möglichkeit, als letzten Ausweg die Kanäle zu wählen und fragte ihn, wie er es selber machen würde. Er antwortete, dass er, wenn er mit dem „Rollwagen“ in das Städtchen fuhr, um Brot in der Bäckerei zu holen, mehrfach die Fahrräder der Bäcker neben der Bäckerei hatte stehen sehen. Wenn es nicht anders ginge, dann müsste man sich auf ein Rad setzten und wie verrückt davonstrampeln.

Ich riet ihm davon ab. Nach einiger Zeit kam er mit der Neuigkeit zu mir: Falls es gelänge in die Bäckerei hereinzukommen, sei dort eine riesige, schwere und beschlagene Tür, die man öffnen könnte, da sie aus zwei Hälften bestehe. Um sich diese Tür genauer anzuschauen, wechselte er mit dem Einverständnis des Kapos seines eigenen Kommandos (das „Brotabladung-Kommando“) für einige Tage in die Bäckerei – unter dem Vorwand, sich mit Brot vollzuessen. Jasiek wog da zwar 96 Kilo, aber der Kapo hatte ihn als altgedienten und fröhlichen Mitarbeiter gern.

Es war Ende März. Nach fünf Tagen Aufenthalt in der Bäckerei kehrte Jasiek resigniert zurück. Die Arbeit in der Bäckerei sei sehr schwer. Innerhalb von fünf Tagen hatte er sechs Kilo seines Gewichtes herausgeschwitzt und wog nur noch 90 Kilo. Aber was schlimmer war, er fand heraus, dass sich die Tür nicht öffnen ließ. Das massive Schloss, das an einer Seite der Tür angebracht war (wenn man den Schlüssel drehte, dann schloss ein Bolzen die andere Seite), würde uns vielleicht nicht stören, wenn man die Absperrriegel zu beiden Seiten der Tür (insgesamt vier) wegnahm. Aber von außen war noch ein Haken angebracht, der beim Schließen der Tür beide Hälften zusammenklammerte. Die schwere Arbeit und dieser Haken entmutigten Jasiek. Also sprachen wir eine Zeitlang nicht über die Bäckerei und konzentrierten uns auf die Abwasserkanäle.

Änderungen bei den Appellen

In dieser Zeit wurden im Lager zwei Neuerungen eingeführt: In den ersten Jahren hatten wir täglich drei Appelle. Zusätzlich zu den brutalen und primitiven Tötungsmethoden waren die Appelle mit verlängertem Stillstehen eine der heimlichen Tötungsmethoden. Dann gab es einen Wechsel der Tötungsmethoden zu „kultivierteren“… indem man täglich mittels Gas und Phenol tausende Menschen ermordete – und später die Zahl der ins Gas Gebrachten bis 8.000 täglich betrug. Dank diesem „kulturellen Fortschritt“ war es unvereinbar, die Menschen mit dem Stock zu erschlagen, und man beschloss, dass es schon lächerlich sei, die Menschen leise beim Appell-Stillstehen zu töten, da sie im Vergleich zu der ebenfalls leisen Vergasung kümmerliche Folgenhatte, und im Jahr 1942 wurde der Mittagsappell abgeschafft. Von der Zeit an hatte das Lager zwei Appelle. Am Sonntag war wie bisher ein Appell um 10.30h.

Jetzt im Frühling 1943 war die Neuerung, dass noch ein Appell abgeschafft wurde: Der Morgenappell. Dazu wurde Zivilkleidung für die Häftlinge eingeführt, die zu Massen von den Vergasten übrig geblieben war. Die Zivilkleidung, auf der mit Ölfarbe rote Streifen auf der Jacke den Rücken entlang und in der Hüfte sowie auf der Hose aufgemalt waren, konnte ein Häftling tragen, der innerhalb des Lagers im Bereich der Drähte arbeitete. Alle, die außerhalb arbeiteten und hinter die Umzäunung gingen, mit Ausnahme der Kapos und Unterkapos, durften keine Zivilkleidung tragen.

Ein Vergleich

Zwischen jetzt und früher war auf jeden Fall ein riesiger Unterschied. Jetzt schliefen die Kameraden in Betten (auf Pritschen). Sie deckten sich mit flauschigen Decken zu, die aus „Kanada“ von den vergasten Transporten aus den Niederlanden kamen. Jene, die im Lager blieben, zogen am Morgen perfekte Zivilkleidung aus Wollstoff an (durch die grellroten Streifen etwas verunstaltet) und gingen zur Arbeit wie Beamte ins Büro, ohne Appell zu stehen. Die Mittagspause wurde auch nicht durch einen Appell oder ein Stillstehen beendet. Es gab nur einen Abendappell, der zu dieser Zeit schon nicht mehr beschwerlich war. Wir standen nicht lange, auch an jenem Tag, an dem man feststellte, dass drei Kameraden aus dem Krankenhaus geflohen waren, gab es kein Stillstehen. Nur die Geflohenen wurden peinlich genau gesucht, da man diese Zeugen nicht in Freiheit haben wollte.

Man versuchte angestrengt, die schreckliche Meinung über Oświęcim, die schon nach außen gedrungen war, radikal zum Besseren zu wenden. Man verkündete daher, dass das Konzentrationslager in ein „Arbeitslager“ umbenannt werde. Auf jeden Fall beobachtete man schon keine Schläge mehr. So war es wenigstens bei uns im Stammlager.

Ich verglich die früheren Lagerbilder und erinnerte mich an den Winter 1940/1941, als ein SS-Mann in Gegenwart von uns gutem Dutzend plötzlich verrücktspielte, zwei Häftlinge tötete und sich danach an uns wendete, da er unsere stechenden Blicke bemerkte, und (als ob er sich plötzlich entschuldigen müsse) schnell die Worte ausstieß: „Das ist ein Vernichtungslager!“ Jetzt versuchte man auf jegliche Art wenigstens alle Spuren in der menschlichen Erinnerung zu verwischen, dass es einmal so gewesen war. Interessant, wie sie es schaffen werden, den Betrieb von Gaskammern und der schon sechs Krematorien aus der Erinnerung zu löschen.

Es änderte sich nichts daran, wie mit den Gefassten nach einer misslungenen Flucht verfahren wurde. Erneut hängten sie zwei auf dem Platz auf, um ihre zukünftigen Nachahmer abzuschrecken. Da schauten wir uns mit Jasio an und teilten uns mit einem Blick mit: „Na und? Beide Seiten werden es versuchen. Wir werden versuchen zu fliehen, und sie sollen versuchen, uns zu fassen.“

Nochmals die Bäckerei

Als sich Jasiek nach diesen einigen Tagen Bäckereiarbeit schon etwas ausgeruht hatte, fragte ich ihn, ob man den verfluchten Haken nicht doch aus der Tür entfernen könne? Jasiek erklärte, dass es letztlich doch möglich sei, da er mit einer Schraubenmutter an der Türinnnseite befestigt sei. In den nächsten Tagen, als Jasiek Brot von der Bäckerei ins Lager fuhr, machte er in einem frischen Brot einen Abdruck der Mutter und von dem Schlüssel des Vorhängeschlosses, mit dem das Fenster der Bäckereihalle (in der das gebackene Brot gelagert wurde) verschlossen war. Nach diesem Abdruck machte ein Bekannter von Jasiek, ein Schlosser im „Industriehof I“, einen Mutterschlüssel. Den Schlüssel für das Vorhängeschloss machte in der gleichen Schlosserei mein ehemaliger Mitarbeiter aus der TAP in Warschau Offiziersanwärter 28 [Szczepan Rzeczkowski]. Beide Schlüssel waren innerhalb eines Tages fertig. Jasiek konnte vorsichtig überprüfen, ob sie passten. Der Schlüssel zum Vorhängeschloss wurde für alle Fälle gemacht, da es fast unmöglich war, das Fenster unbemerkt zu öffnen, wie Jasiek sagte.

Aber von dem Anfertigen der Schlüssel bis zur Flucht war es noch sehr weit. Und auf dem Weg zur Flucht erst ein kleiner Schritt. Vor allem mussten wir uns beide in der Bäckerei befinden, und was mich betrifft, konnte ich dort nur für eine Weile auftauchen, da sie sofort merken würden, dass ich kein Fachmann bin – und die Arbeit der Packesel, die die Mehlsäcke herübertrugen, war besetzt und wurde eifersüchtig von jenen verteidigt, die dort vorgaben, Bäcker zu sein. Außerdem müsste mein Aufenthalt in der Bäckerei (falls ich dort hineinkommen sollte) sehr kurz sein, da das den Chefs der Packstelle nicht bekannt werden durfte, weil ich erst kürzlich für unabdingbar befunden und reklamiert worden war. Ein eigenmächtiger Wechsel des Kommandos hingegen erweckte bei den Machthabern den Eindruck, dass man eine Flucht plante, besonders wenn man so ein gutes Kommando verließ – auf diese Weise konnte man sich schnell in der Strafkompanie wiederfinden so wie es mit Olek 167 [Aleksander Bugajski] geschehen war.

Nachdem ich einige Zeit darüber nachgedacht hatte, welche Hindernisse bei dem Weg durch die Bäckerei zu überwinden waren, drifteten meine Gedanken zu dem Weg durch die Kanäle, der jedoch ebenfalls schwer annehmbare Aspekte hatte… und ich kehrte in Gedanken erneut zur Bäckerei zurück. Endlich entschlossen wir uns mit Jasiek durch die Bäckerei zu fliehen. Wir würden alle bestehenden Hindernisse beseitigen und dabei alles versuchen, um dort in die Nachtschicht zu kommen – und nur für eine Nacht was mich betrifft. Wir mussten nur noch handeln.

Ich sagte vorläufig (sogar Jasiek) nichts und ging zu 92 [Wacław Weszke], dessen Kamerad jetzt „Arbeitsdienst“ als Nachfolger von Mietek war. Über ihn regelte ich die Sache, Jasiek in die Bäckerei zu verlegen (und sagte nicht, was das weitere Ziel dieses Vorgehens war): Ich sagte, dass er eigentlich Bäcker von Beruf sei und ein Kommando nach dem anderen durchlaufe, was unerklärlich sei, da er so eine alte Nummer sei.

Am nächsten Tag rannte Jasiek zu mir mit der Nachricht, dass er auf eine ihm unbekannte Weise einen Zettel für die Bäckerei bekommen habe. Der Kapo würde sich wegen seinem Weggang den Kopf zerbrechen und unzufrieden sein, aber er habe sich damit abgefunden. Ich erzählte ihm, woher der Zettel kam, und Jasiek ging fest in die Bäckerei. Nach einigen Tagen war er ein „alter“ Bäcker. Dem Kapo der Bäckerei (einem Tschechen) imponierte Jasiek mit seinem Humor und seiner Kraft, und er machte ihn zu seinem Stellvertreter (dem „Unterkapo“) und war gerne damit einverstanden, dass er tagsüber und Jasiek in der Nacht arbeiten würden.

Wodka, Frauen und Gold

Bis zu den Osterfeiertagen waren es nur noch ein paar Tage…Wir beschlossen, von den Feiertagen zu profitierten, da das eine Zeit war, in der unter den SS-Männern, Kapos und allen Lagerführern eine gewisse Form von Lockerheit unter dem Einfluss von Wodka herrschte und man weniger wachsam war. Früher war ein Kapo, der nach Wodka roch, oftmals von Fritzsch oder Aumeier in den Bunker gesperrt worden, aber die Zeiten hatten sich geändert. Auch jetzt durfte man unter Androhung einer Bunkerstrafe offiziell keinen Wodka trinken. Geschlechtsverkehr mit Frauen war genauso verboten und wurde nicht nur mit Bunker, sondern mit der SK bestraft, aber auch diesbezüglich kam es zu einer Lockerung. Nicht nur SS-Männer, aber auch Häftlinge hatten Beziehungen mit deutschen Frauen in SS-Uniform, die über das Frauenlager herrschten, und oftmals aus Prostituierten rekrutiert wurden – die Häftlinge verständigten sich auf dem Vorbeimarsch von der Arbeit aus der Kolonne vielsagend mit den begegneten SS-Frauen. Einige jener, die miteinander gingen, flogen von Zeit zu Zeit auf, und viele Häftlinge, vor allem Kapos und Blockälteste waren im Bunker und entkamen der SK nur aufgrund ihres Rufs, den sie bei der Lagerleitung hatten. Unter anderen war für ähnliche Vergehen der Blockälteste 171 [nicht bekannt] im Bunker. Die Häftlinge gingen jetzt angesichts des schwächeren Regimes im Lager feste Beziehungen mit Frauen ein. Es entstanden Paare, und es gab wahre Romanzen. Die SS-Männer waren auch nicht gegen solche Vergehen gefeit. Schon seit einigen Monaten konnte man ein früher unmögliches Bild sehen: Wie man aus unserem Bunker in Block 11 SS-Männer ohne Gürtel zweimal am Tag für einen halbstündigen Spaziergang herausführte. Das waren SS-Männer, die wegen Geschlechtsverkehr mit Frauen eingesperrt waren.

Grundsätzlich drohte einem SS-Mann für ein solches Vergehen wie Geschlechtsverkehr mit einer Frau, die der Rasse der „Untermenschen“ angehörte, eine viel höhere Strafe: Ein Straflager speziell für SS-Männer, in dem Palitzsch selber endete und eine langjährige Strafe für Geschlechtsverkehr mit der Jüdin Katti erhielt. Aber das war eine viel spätere Begebenheit. Vorläufig wurde die mildere Bunkerstrafe verhängt, oder sie kamen allgemein ohne Strafe davon. Denn hier ging es genauso um Konspiration, und das Auswählen von Frauen in Rajsko durch die SS-Männer war auf ihren eigenen kleinen Kreis beschränkt. Zusätzlich hatte der Kommandant auch Sünden auf dem Gewissen. Ihn hatte das „Goldfieber“ gepackt. Sehr vorsichtig besprach er sich mit Erich in der Gerberei, sammelte Gold, Edelsteine und Wertsachen, und im Fall einer härteren Strafe, musste er die Rache des bestraften SS-Manns in Form einer Meldung gegen befürchten. Er bemühte sich also, die Vergehen seiner Untergebenen so wenig wie möglich zu beachten.

Hingegen endete ein bekannt gewordenes „Goldfieber“ bei einem Häftling immer mit seinem Tod. Nach einer Ermittlung im Bunker und der Durchsuchung der vom Häftling angegebenen Orte, töteten ihn die SS-Männer in der Regel, um keinen Zeugen dafür zu haben, wie viel Gold sie ihm weggenommen hatten. Hier starben alle, ohne Rücksicht auf ihre Nationalität. Genauso starben zwei deutsche Schufte, der Blockälteste des Blocks 22 [Reinhard Wienhold] und der Kapo Walter [Walterscheid].

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