Bochnia

Unterleutnant 164 [Edmund Zabawski] wollte sich mit uns auf den Weg nach Hause machen, aber er hatte Angst um seine Nächsten und verzichtete. Er gab uns die Adresse der Familie im Ort Z. [Bochnia]. Er schrieb und kündigte diskret an, dass jemand von ihm zu Besuch kommen würde und gab uns das abgesprochene Codewort für sie und den Kontakt für die Organisation im Ort Z.

Ostern 1943

In der Packstelle wechselte ich von der Nacht- auf die Tagesschicht. Ostersonntag fiel auf den 25. April. Das Wetter war sonnig und schön. Wie immer im Frühling, wenn das Gras aus der Erde in die Höhe schoss und die Knospen an den Bäumen sich in Blätter und Blüten verwandelten, dürstete es einen am meisten nach Freiheit.

Am Ostersamstag, dem 24. April, plagten mich in der Packstelle seit dem Morgen Schmerzen im Kopf. Wer hatte behauptet, dass er nicht wehtun konnte? Nachmittags ging ich nicht zur Arbeit. Im Block plagten mich ebenfalls Gelenk- und Wadenschmerzen. Der Blockälteste, ein recht entspannter Deutscher, der immer angenehm zu den Arbeitern der Packerei war, sagte beunruhigt (als er hörte, was ich in seiner Gegenwart genügend laut zu dem Stubendienst über die charakteristischen Schmerzen gesagt hatte): „Du hast Fleckfieber. Geh‘ schnell zum Krankenbau!“ Ich brachte mein Unwillen dem Krankenhaus gegenüber zum Ausdruck, tat so, als ob ich zögerte und ging hin. Auf dem Areal des Krankenhauses fand ich Edek 57 [Edward Ciesielski] vor. Ich sagte ihm, dass ich heute noch ins Krankenhaus kommen müsse, am besten in den Fleckfieber-Block (er war dort Magaziner) – unter der Bedingung, dass er mir die informelle Aufnahme (beim Eintritt) und den Austritt in einigen Tagen erleichtert. Edek überlegte nicht lange, während der Arbeitszeit ging er immer aufs Ganze.

Am Nachmittag des Ostersamstags war die Ambulanz schon nicht mehr geöffnet. Edek kümmerte sich selber um alle Formalitäten, die mit meiner Aufnahme über die Ambulanz in den Fleckfieber-Block (Block 28) verbunden waren, und er nutzte weiter die Abwesenheit des Personals und begleitete mich als Kranken selber. So umgingen wir den üblichen Weg, das Bad und die Wegnahme der Sachen des Kranken. Er steckte mich in ein separates kleines Zimmer im Erdgeschoss, wo ich mich auszog und meine Sachen einem mir von Edek angewiesenen Kameraden anvertraute. Dann führte er mich in das Krankenzimmer im Erdgeschoss, dessen Kommandant 172 [Janusz Młynarski] war. Man fand für mich ein Bett, und Edek übergab mich der Pflege von 172, der sich noch an mich aus der Zeit meiner Fleckfieber-Krankheit erinnerte. Jetzt urteilte er, dass das ein Fleckfieber-Rückfall sei, aber ich sah überhaupt nicht wie ein Kranker aus, er nickte mit dem Kopf und weder bei mir noch bei Edek fragte er diskret nach, was los sei. Edek verabschiedete ich mit einem dankbaren Handschlag und der Erklärung, dass ich am nächsten Tag wieder herausmüsse.

Am Sonntag, dem ersten Feiertag, war die Bäckerei nicht in Betrieb, aber am Montag fing die Arbeit wieder an. Ich musste also herauskommen und zusehen, an dem Tag in die Arbeit einzutreten, an dem sie wieder begann – dann würde mein Auftauchen (aufgrund des psychologischen Moments) weniger Aufsehen erregen, und jene, die sich auskannten, würden nicht misstrauisch werden, wenn es während der Feiertage zu irgendeiner Änderung der Besetzung in der Bäckerei gekommen war.

In der Nacht vom Samstag auf Sonntag schlief ich im Saal in Block 20 und träumte einen ungewöhnlichen Traum: Ich falle in eine Art Schuppen, in dem sich ein schönes Pferd befindet – wenn ich kein Kavallerist wäre und die Farben der Pferde nicht kennen würde, dann würde ich sagen: eine Farbe weiß wie Milch. Schnell werfe ich den Sattel auf das am Seil tanzende Pferd, jemand kommt angerannt und bringt mir eine Pferdedecke, ich ziehe die Sattelgurte mit den Zähnen fest (eine Angewohnheit aus den Jahren 1920/21 [dem Krieg Polens gegen die Bolschewiken]), springe auf den Sattel und reite aus dem Schuppen. Ich hatte schon solche Sehnsucht nach einem Pferd…

Sonntag, Ostern. Ich liege immer noch im Bett in Block 20. Von Zeit zu Zeit kommt Edek auf einen Sprung vorbei, um herauszufinden, ob ich nicht etwas brauche. Am Nachmittag hatte ich mich entschlossen, ein Gespräch mit Edek zu führen. Edek wurde als junger Kerl hergebracht, nach zwei Jahren Aufenthalt in Oświęcim ging er auf die zwanzig zu. Man hatte ihn mit einer Pistole in der Hosentasche erwischt. Er glaubte, dass sie ihn nicht mehr aus Oświęcim freilassen könnten. Er hatte mir schon mehrfach gesagt: „Herr Tomek, ich kann nur auf sie zählen…“ Also sagte ich ihm am Sonntagnachmittag: „Edek, was soll ich darum herum erzählen, ich werde das Lager verlassen. Du hast mich in den HKB aufgenommen und die Formalitäten umgangen und sollst mich Morgen aus dem Krankenhaus schmeißen und die Sache wieder sehr informell ohne Quarantäne regeln und mich entgegen den Vorschriften nicht in den Block 6, aus dem ich gekommen bin, sondern in den Block 15 entlassen – also wen werden sie nach meiner Flucht an die Kandare nehmen? Dich. Ich schlage dir vor, mit mir zu kommen. “

Edek überlegte nur ein paar Minuten. Vorläufig fragte er nicht einmal auf welchem Weg. Er entschied, dass wir zusammen gehen.

Als Jasiek bald darauf zum Fenster trat und mir sagte, dass ich morgen früh herauskommen und im Block 15 sein müsse, sagte ich ihm, dass alles in Ordnung sei, aber dass ich nicht allein und nur mit Edek herauskommen würde. Janek fasste sich an den Kopf, als er aber nach einer Weile erfuhr, dass Edek ein famoser Junge war, setzte er wieder seine immer fröhliche Miene auf und sagte: „Ok, dann kann man nichts machen.“

Diesen Abend machte Edek dem Blockältesten eine Szene, dass hier kein Platz für Polen sei, dass er hier nicht mehr länger sein wolle und Morgen ins Lager zurückkehre. Der Blockälteste (ein Deutscher) hatte Edek gern und fing an, ihn zu beruhigen und sagte dabei, dass er keinen Anlass sehe, warum er den guten Posten des Magaziners verlasse und überhaupt, dass er ihn nicht gehen lasse, denn warum soll er sich irgendwo bei einer Arbeit ausbeuten lassen, wenn er hier wenig Arbeit habe und Essen, so viel er wolle. Dennoch ließ sich Edek nicht überzeugen. Er beharrte weiter darauf, dass er nicht bleibe, da er als Pole verachtet werde. Endlich verlor der Blockälteste die Geduld und sagte: „Also, dann geh schon wohin du willst, du Irrer!“

Das war im Saal zu hören, in dem ich lag. Innerhalb kurzer Zeit kamen die Stubendienste und „fleger“ aus dem ganzen Block zu 172 [Janusz Młynarski] gerannt und fragten sich gegenseitig, was mit Edek geschehen sei, dass er so einen guten Posten hinwerfe. Da man gesehen hatte, dass Edek zu mir gegangen war, fragte man mich, ob er mir nicht gesagt hätte, warum er den Block verlasse. Ich antwortete, es sei offensichtlich, dass er jung und noch leichtfertig sei.

Die Nacht vom Sonntag auf Montag verbrachte ich im gleichen Bett und träume erneut von Pferden. Ich träumte, dass vor dem Wagen, auf dem mehrere von uns Kameraden saßen, ein Paar Pferde angespannt war, aber vor ihnen waren nochmals drei vorgespannt. Die Pferde schritten munter aus. Der Wagen fuhr plötzlich in Morast. Die Pferde wateten mühsam voran, den Wagen ziehend, aber am Ende schaffen sie es, ihn auf festen Boden zu bringen, und er rollte weiter schnell voran.

Ostermontag

Montagmorgen, der zweite Feiertag. Edek brachte den „Zettel“, der mich in den Block 15 verlegte. Er hatte selber auch einen Zettel für den Block 15. Edeks Kamerad 173 [Władysław Fejkiel] half, die Zettel auszustellen. Ich stand vom Bett auf, zog wieder meine Kleidung an, die in dem kleinen Zimmer neben dem Saal lag, und mit Edek gingen wir in den Block 15. Dort betraten wir die Block-Schreibstube, um uns bei dem Blockältesten zu melden, einem Deutschen. Es herrschte Feiertagsstimmung. Der Blockälteste hatte offensichtlich Wodka getrunken und spielte mit Eifer Karten mit den Kapos. Wir standen stramm und meldeten vorschriftsmäßig und anstandslos unsere Zuteilung in diesen Block. Der Blockälteste sagte auf Deutsch:

Man sieht gleich, dass es alte Nummern sind. Angenehm zu hören, wie sie ihre Meldung machen – und strahlte. Aber plötzlich runzelte er die Stirn. – Warum kommt ihr in meinen Block?

Wir sind Bäcker.

Aha, Bäcker, na gut – sagte der Blockälteste und blickte gleichzeitig verstohlen auf seine Karten. – Und weiß der Kapo der Bäckerei schon davon?

Jawohl. Wir haben schon mit dem Kapo gesprochen. Er nimmt uns in die Arbeit auf.

Den Kapo der Bäckerei hatten wir noch überhaupt nicht gesehen, aber da wir schon beschlossen hatten, alle Machthaber im Lager irrezuführen, gingen wir weiter entschlossen vor.

Na gut. Gebt mir den „Zettel“ und geht in den Saal.

Wir ließen ihm die Umzugs-Zettel (vom Block 20 in den Block 15) da und gingen in den Saal zu den Bäckern. Jasiek wartete schon im Saal auf uns, aber er kam absichtlich nicht sofort auf uns zu. Wir standen vor dem Kapo und sagten, dass wir Bäcker seien, dass wir in einer mechanischen Bäckerei arbeiten können (die sie gerade in Betrieb nahmen) und dass wir als Bäcker in den Block 15 verlegt worden seien, dass der Blockälteste uns kenne (er hatte uns allerdings erst kennengelernt), dass wir alte Nummern seien und dem Kommando keine Schande bereiten werden. Der Kapo, der hier hinter einem Tisch saß, war offensichtlich überrascht und unentschlossen, aber bevor er eine Entscheidung treffen konnte, flüsterte ihm Jasiek schon etwas zu und lächelte. Der Kapo lächelte auch, sagte aber nichts. Später wiederholte uns Jasiek, was er mehr oder weniger gesagt hatte: „Kapo, das hier sind zwei Deppen, die man hereingelegt hat. Sie glauben, dass sie sich in der Bäckerei mit Brot vollessen können und dass das bei uns so eine leichte Arbeit ist. Kapo, gib sie mir in die Nachtschicht, ich werde es ihnen zeigen – er zeigte seine große Faust – so dass ihnen nach einer Nacht die Lust auf die Bäckerei vergeht.

Währenddessen übergaben wir dem Kapo zum Kennenlernen einen Apfel, Zucker und Konfitüre, die ich aus einem von Daheim geschickten Paket hatte. Der Kapo blicke mit einem Lächeln auf Jasiek, dann auf den Apfel und den Zucker. Vielleicht versuchte er uns einzuschätzen und rechnete mit Paketen, die wir ihm noch in Zukunft geben könnten. Dann schaute er auf uns und sagte endlich: „Gut, schauen wir, was ihr für Bäcker seid.“

Der letzte Appell

Das Läuten zum Appell, das wegen dem Feiertag vor 11 Uhr erfolgte, machte ein weiteres Gespräch mit dem Kapo unmöglich und verschob den gegenseitigen Informationsaustausch mit Jasiek. Der Appell ging ohne Vorkommnisse und Komplikationen vorüber. Vorläufig stimmte die Anzahl der Häftlinge des Lagers. Als ich in der Reihe stand, dachte ich daran, dass das – wenn alles so verlief wie wir planen – mein letzter Appell in Oświęcim sei. Ich berechnete, dass ich ungefähr 2.500 von ihnen gehabt hatte. Wie groß die Vergleichsskala in verschiedenen Jahren, in unterschiedlichen Blöcken war. Ja, das Regime im Lager war immer milder geworden.

Nach dem Appell versammelten wir uns alle drei auf den höchsten Betten des Bäckersaals und sprachen laut über unwichtige Dinge oder über Lebensmittelpakete, da um uns herum unbekannte Häftlinge saßen. Von Zeit zu Zeit verständigten wir uns aber über das für uns grundlegende Thema. Jasiek, der sich sofort mit Edek angefreundet hatte, gab vor, dass er sich wegen unserer Feiertagspakte für uns interessierte. Es ging darum, noch heute in der Nacht in die Bäckerei zu gehen, da der von uns provozierte und die Machthaber täuschende Zustand nicht allzu lange andauern konnte.

Darüber hinaus musste ich unsichtbar für die bekannten Häftlinge aus Block 6 und für die Arbeiter der Packstelle sein, denn sie hatten mich schon gesund im Lager gesehen, und diese Nachricht würde den Kapo und den Chef der Packstelle interessieren, worauf ich das Schicksal mit Olek teilen könnte. Dazu könnte es zu einem Gespräch zwischen dem Kapo der Bäckerei und dem Blockältesten über uns kommen, und dann käme heraus, dass weder der eine noch der andere uns kannten. So mussten wir schnell handeln und alle Hindernisse überwinden.

Anwerben

In die Bäckerei gingen acht Bäcker zur Nachtschicht. Man hatte festgesetzt, dass so viele Häftlinge über Nacht für die Bäckerei nötig waren. So war es in der „Blockführerstube“ an der Pforte angeschrieben, und man konnte nichts daran ändern. Auf jeden Fall konnten wir nichts daran ändern. Die Nachtschicht war von Häftlingen besetzt, die niemandem ihren Platz frei machten. Das Positive daran war, dass Jasiek schon in dieser Schicht war, aber jetzt musste man noch Platz für zwei schaffen. Wie konnten wir es schaffen, die Bäcker – ohne ihr Misstrauen zu wecken – davon zu überzeugen, dass sie heute Nacht nicht zur Arbeit gehen sollten und uns ihre Plätze überließen? Sie konnten Angst davor haben, dass wir ihnen ihre Posten wegnehmen wollen. Wer weiß, vielleicht sind wir gute Bäcker (wir hatten nicht behauptet, nicht solche zu sein), und der Kapo würde sie aus der Bäckerei schmeißen und uns anstellen. Wir erklärten ihnen, dass man eine mechanische Bäckerei aufmache und dass man uns alle brauchen werde. Dass wir alte Nummern seien und die Möglichkeit hätten, uns eine andere Arbeit zu finden, umso mehr, weil sie sagen, dass das Ganze nicht so gut und einfach sei – so gingen wir nur einmal, um zu schauen, was das für eine Arbeit sei und nicht mehr, wir fänden auch einen andern Platz. Schwierig hier alle Argumente und Methoden einzeln aufzuführen, die wir anwendeten, gleichzeitig mussten wir jedoch vorgeben, dass uns daran auch wieder nicht so viel liege und ihnen währenddessen Zucker, Lebkuchen, Äpfel unterschieben. Wir verteilten alle Pakete, die wir hatten, mit Ausnahme einer kleinen Schachtel Honig, die ich von zu Hause bekommen hatte. Die Sache war äußerst mühsam.

Wir hatten lange vorher entschieden, dass wir aus der Bäckerei nicht zurückgehen konnten, da vor allem ich in die SK käme (für den eigenmächtigen Wechsel des Kommandos), überdies würde sich in der Bäckerei zeigen, dass wir keine Bäcker sind, und sie würden uns nicht weiter für diese Arbeit nehmen, und der Kapo würde uns aus dem Kommando werfen. Nur, um nicht zurückzukommen, musste man vorher fliehen. Und nun gab es keinen Platz in der Nachtschicht.

Gegen drei Uhr nachmittags erklärte sich endlich einer der Bäcker damit einverstanden, uns seinen Platz für die heutige Nacht zu überlassen. Jetzt ging es uns um den zweiten Platz. In der Zwischenzeit eilte ich zu Bekannten, um einige Dinge zu holen. In den Block 6 ging ich sehr vorsichtig hinein, um die mir benötigten Dinge zu holen und tat so, als ob ich zum kranken Zugführer 40 [Tadeusz Szydlik] (vom Block 18a) wollte, der von meinem Plan wusste. Bei ihm wechselte ich zwei Mal die Schuhe. Ich war bei Oberleutnant 76 [Bernard Świerczyna] (Block 27), der uns warme Unterwäsche mit auf den Weg gab – dunkelblaue lange Skiunterhosen, die wir unter unsere Hosen anzogen. Kamerad 101 [Witold Kosztowny] (Block 28) gab mir eine dunkelblaue Windjacke mit auf den Weg.

Die Zeit lief uns davon, und immer noch gab es keinen zweiten Platz in der Bäckerei. Während ich in Stiefeln herumrannte, die sich beim Ausprobieren als nicht geeignet erwiesen, da sie unbequem waren, lief ich fast dem Lagerältesten in die Arme. Ich ließ sie im Korridor von Block 25 bei der Tür des Blockältesten 80 [Alfred Włodarczyk] stehen und konnte aus Zeitmangel nicht mehr hereingehen, um irgendetwas zu erklären. Als ich aus dem Block 25 herausrannte, traf ich auf Hauptmann 159 [Stanisław Machowski], den ich ohne Erklärung herzlich verabschiedete. Ich zog mich teilweise im Block 22a um, in Gegenwart von Oberst 122 [Teofil Dziama], Hauptmann 60 [Stanisław Kazuba] und Kamerad 92 [Wacław Weszke]. Von den oberen Betten nickten sie ergriffen und schauten zu, wie ich mit schnellen Bewegungen die Windjacke und die langen Unterhosen unter meine Häftlingskleidung anzog. Hauptmann 60 [Stanisław Kazuba] sagte fröhlich seinen Lieblingsspruch „Uuu, niedooooobrze.“ [Ganz schleeeeecht]. Dann verabschiedete ich mich von meinem Freund 59 [Henryk Bartosiewicz], der mir ein paar Dollar und Mark mit auf den Weg gab. Die restlichen Wegvorbereitungen traf ich auf dem oberen Bett beim Freund und Unterleutnant 98 [nicht bekannt], dabei schlief Fähnrich 99 [nicht bekannt] tief und fest, also weckte ich ihn nicht auf.

Im Block 15 mussten wir bis nach 17 Uhr warten, dann hatten wir endlich einen Bäcker gefunden, der sich einverstanden erklärte – ob er diese reichen Häftlinge und alten Nummern in Zukunft als Freunde haben oder ob er in der Nacht ausruhen wollte? Auf jeden Fall fasste er Vertrauen zu uns, dass wir ihn nicht übers Ohr hauen und ihm die Arbeit nicht wegnehmen würden.

Der Weg in die Bäckerei

Um 18 Uhr waren wir fertig. Jasiek zog Zivilkleidung an, die ich ihm schon vor einiger Zeit von Oberleutnant 76 [Bernard Świerczyna] besorgt hatte, da er als Unterkapo zur Arbeit hinter die Drähte in Zivilkleidung gehen konnte. Am Rücken entlang, in der Hüfte und auf den Hosen hatte er breite, grelle mit roter Farbe aufgemalte Streifen. Es versteht sich, dass niemand wusste, dass diese Streifen Kamerad 118 [nicht bekannt] aufgemalt hatte, der das Farbpulver in Wasser und nicht in Leinöl aufgelöst hatte.

Um 18:20 Uhr rief ein SS-Mann vom Tor mit lauter Stimme „Bäckerei!“ Auf dieses Signal rannten wir alle, die nun zur Nachtschicht der Bäckerei gehörten, aus dem Block 15 und eilten zum Tor. Der Tag war sonnig, das Lager in Feiertagsstimmung, die Häftlinge genossen einen Spaziergang. Als ich vom Block zum Tor rannte, begegnete ich einigen Kameraden, die mich mit größtem Erstaunen anschauten, wohin ich mit den Bäckern renne, da ich doch so eine gute Arbeit in der Packstelle habe. Ich erkannte die Gesichter von Oberleutnant 20 [Jan Kupiec] und Unterleutnant 174 [Jan Olszwoski], aber ich hatte keine Angst vor ihnen. Ich lächelte sie an, da das meine Freunde waren.

Vor dem Tor stellten wir uns in zwei Reihen zum Abmarsch auf. Bis zum Schluss waren wir uns nicht sicher, ob es sich nicht einer der Bäcker, der uns seinen Platz abgetreten hatte, nicht doch noch anders überlegen und zum Tor rennen würde. Dann müsste einer von uns Neuen dableiben. Zwei müssten alleine gehen, denn selbst wenn wir von unserem Vorhaben ablassen wollten – am Tor konnte man das nicht mehr machen. Aber wir standen zusammen zu acht, so viele wie nötig waren. Uns umringten sage und schreibe fünf SS-Männer. Während uns der Scharführer durch das kleine Fenster der „Blockführerstube“ zählte, rief er in die Richtung unserer Eskorte: „Paßt auf!“ Hatten sie etwas gemerkt? Aber es gab einen anderen Grund: Es war Montag, an dem Tag wechselte immer die Eskorte der Bäcker, die dann die ganze Woche Dienst tat.

Wir machten uns auf den Weg.

Ich dachte damals, dass ich viele Male durch dieses Tor gegangen war, aber noch nie so wie jetzt. Jetzt wusste ich, dass ich auf keinen Fall zurückkehren konnte. Schon aus dem Grund spürte ich Freude und war wie beflügelt. Aber bis zum Abflug war es noch weit.

Wir gingen auf der Landstraße, neben der Gerberei. Ich war schon lange nicht hier gewesen. Als wir vorbeigingen, warf ich einen Blick auf die Gebäude, den Hof und ging in Gedanken alle meine Arbeitsplätze und die Gestalten meiner Kameraden durch, von denen ein Teil schon nicht mehr lebte.

An dem Ort, an dem die Landstraße (auf der wir vom Lager gingen) auf eine andere traf und an der Häuser des Städtchens standen, trennten wir uns in zwei Gruppen. Zwei Bäcker und drei SS-Männer gingen die Straße rechts entlang in Richtung Brücke, in die kleine Bäckerei. Die unverhältnismäßig große Eskorte für die zwei dort und die Kleine für uns – da mit uns sechs nur zwei SS-Männer gingen – hatte den Grund, dass diese drei SS-Männer irgendeinen Feiertagsumtrunk ausgeheckt hatten.

Wir gingen nach links. Endlich erblickte ich die große Bäckerei und die Tagesschicht der Bäcker, die herauskamen und uns entgegenliefen, sowie die bedrohliche, beschlagene, große Tür und den Ort, an dem wir heute Nacht um unser Leben kämpfen würden.

Nach dem Betreten der Bäckerei gingen wir nach links – in einem abgetrennten Saal wurde Kohle gelagert. Dort legten wir unsere Sachen ab und zogen uns wegen der hohen Temperaturen ganz aus.

Es war ziemlich dunkel dort. Wir legten jeder seine Sachen getrennt hin und teilten sie in solche auf, die mitzunehmen waren und solche, die da bleiben sollten (die Häftlingskleidung).

Von unseren beiden SS-Männern fing der eine Kleinere sofort an, die Eingangstür zu prüfen, als ob er eine Vorahnung hatte, schüttelte den Kopf und sagte, dass sie zu wenig sicher sei. Der gewandte Jasio begann, mit einem Lächeln auf ihn einzureden, dass es gerade anders herum sei. Die Tür sei schwer, beschlagen und werde mit einem großen Schloss geschlossen, für die der SS-Mann den Schlüssel am Gürtel trage, der zweite Ersatzschlüssel hänge in einer Mauervertiefung hinter einer Scheibe, die man zerschlagen müsse, um den Schlüssel herauszunehmen. Das Misstrauen des SS-Mannes war vielleicht durch eine Vorahnung bedingt, aber auch durch das Pflichtgefühl, das die neue Wache am ersten Tag ihres Dienstes zeigen wollte. In dieser Hinsicht war der Montag kein geeigneter Tag. Am Ende der Woche hatten sich die SS-Männer über einige Tage hinweg schon etwas an die Arbeiter gewöhnt und waren unkonzentriert und nicht mehr so wachsam.

Der frische Wechsel der Wache hatte den Vorteil, dass sie so wie wir mit Edek zum ersten Mal hierhergekommen waren und nicht wussten, dass wir neu sind, daher machten sie bei der Observation der Arbeiter auch keinen Unterschied zwischen uns und den anderen Häftlingen.

Arbeit in der Bäckerei

Was taten wir in der Bäckerei? Das Brotbacken leiteten zivile Bäcker, die aus dem Städtchen hierher kamen und ebenfalls in zwei Schichten arbeiteten. Die Nacht über mussten wir eine bestimmte Anzahl von Brotlaiben backen. Das Bäckerkollektiv, das in seiner Arbeitszeit die entsprechende Anzahl Laibe nicht schaffte, ging in den Bunker – die zivilen Bäcker und die Häftlinge gleichermaßen. Deshalb war die Arbeit sehr hektisch. In der Nacht mussten wir fünf Backgänge machen, fünf Mal in alle Öfen Brot hereinlegen und fünf Mal herausnehmen.

Wir wollten versuchen, nach dem zweiten Backgang die Bäckerei zu verlassen, da es nach dem ersten zu früh war. Inzwischen wurden der zweite, der dritte und vierte Backgang beendet, und wir konnten immer noch nicht aus der Bäckerei herausgehen. So wie beim Patience die Karten zusammenpassen müssen und man sie von einem Ort an einen anderen verschieben und mischen muss, damit das Patience aufgeht, so mussten die sich hier kreuzenden Begebenheiten aufgehen und uns erlauben zum richtigen Zeitpunkt in der Nähe der Tür zu sein, wenn weder der Blick eines SS-Mannes noch eines Bäckers auf uns fiel. Die Wege der Bäcker kreuzten sich gegenseitig in den unterschiedlichsten Richtungen, und sie liefen, um Mehl, Sägemehl, Kohle, Wasser zu holen und fuhren die bereits fertigen Laibe weg, was durch die ihnen folgenden, wachhabenden SS-Männer kompliziert wurde. Der Einsatz in diesem Patience war das Leben.

Wir waren in der Bäckerei eingeschlossen, um die nötige Arbeit schnell zu machen, und wir konnten das Arbeitstempo der anderen Bäcker nicht bremsen. Aufgrund der großen Hitze waren wir in Schweiß gebadet. Wasser tranken wir fast eimerweise. Wir minderten die Wachsamkeit der SS-Männer und der Bäcker, indem wir den Eindruck erweckten, dass wir nur mit der Arbeit beschäftigt sind. Wir fühlten uns wie in einen Käfig gesperrte, sich hin und her werfende Tiere, die ihre ganze Schlauheit darauf gerichtet hatten, Bedingungen dafür zu schaffen aus diesem Käfig herauszukommen – unbedingt noch in dieser Nacht. Die Stunden vergingen. Das Patience kam durcheinander, ging nicht auf, und ein Wegkommen war vorerst nicht zu realisieren. Die Möglichkeiten wurden einmal grösser, dann wieder kleiner. Die Nervenanspannung wurde geringer, dann nahm sie wieder an Kraft zu.

Wir sahen die Tür. Die SS-Männer gingen direkt zu der Tür hin und wieder zurück. Das mit dem Vorhängeschloss verschlossene Fenster konnte nicht geöffnet werden, weil immer jemand daran vorbeilief. Als der Montag vorbeiging und der Dienstag begann, trat nach Mitternacht eine gewisse Entspannung ein. Einer der SS-Männer legte sich hin und schlief oder tat so, auf jeden Fall lief er nicht herum. Die Bäcker waren auch alle überanstrengt. Als gegen zwei Uhr der vierte Backgang fertig war und nur noch einer übrig blieb, da machten die Bäcker eine größere Pause und fingen an, sich zu stärken.

Wir drei kamen nicht zur Ruhe. Janek zog sich schon heimlich um. Wir tarnten mit Edek seine Bewegungen, als ob wir aus Eifer hier Kohle und da Wasser herbeifuhren und sie für den letzten Backgang bereitmachten. In Wirklichkeit bereiteten wir unseren letzten Kraftakt vor: die Verwirklichung unserer Flucht. In einem Moment, als der SS-Mann von der Tür in Richtung Halle ging und Janek sah, dass er sich erst in zwei, drei Minuten umdrehen würde, glitt er (schon in Kleidung) herbei und schraubte schnell die Mutter ab, die leicht Janeks eisernen Händen nachgab, und stieß den Haken hinaus, der hinter der Tür auf den Boden fiel. Als der SS-Mann auf dem Rückweg war, verschwand Jasio in der Kohlekammer. Wir holten mit Schubkarren Kohle. Als der SS-Mann bei der nächsten Runde von der Tür wegging und ihr seinen Rücken zuwandte, nahm Jasio schnell und lautlos die zwei oberen und zwei unteren Riegel ab. Wir liefen mit den Schubkarren hin und her und verdeckten die Tür abwechselnd. Die müden Bäcker saßen oder lagen alle in der großen Halle. Die Riegel nahmen mehr Zeit in Anspruch als die Mutter. Der angezogene Jasiek ging in die Toilette, die direkt bei der Tür war, schon im Blickfeld des SS-Mannes. Der SS-Mann achtete nicht darauf, dass er angekleidet war, als Neuer dachte er vielleicht, dass das gegen Morgen normal war.

Vorläufig schien es gut zu laufen. Aber plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Der SS-Mann hatte irgendeine Vorahnung oder ging vielleicht völlig gedankenlos zur Tür, blieb in einem Abstand von etwa einem halben Meter entfernt von ihr stehen und begann sie zu betrachten. Ich stellte die Schubkarre ab, obgleich ich etwa vier Meter von ihm entfernt stand. Edek war beim Kohlehaufen ebenfalls vor Entsetzten erstarrt. Wir beide warteten nur auf den lauten Aufschrei des SS-Mannes zum Zeichen sich auf ihn zu stürzen, handlungsunfähig zu machen und zu fesseln. Warum bemerkte er nichts? Hatte er überhaupt seine Augen offen, oder träumte er vielleicht vor sich hin? – das konnte ich später nicht mehr herausfinden. Aber ich nehme an, dass auch er sich am nächsten Morgen im Bunker den Kopf darüber zerbrach. Er wandte sich von der Tür ab und marschierte ruhig in Richtung der Öfen. Als er etwa sechs Meter von der Tür entfernt war, schlüpfte Jasiek aus der Toilette, ich sprang leise nach den Sachen, und eine Sekunde später drückten wir mit Jasiek mit aller Kraft gegen die Tür. In diesem Moment stürzte sich Edek, unmittelbar hinter dem Rücken des einen SS-Mannes mit einem Messer schnell und lautlos zum Bett mit dem schlafenden, anderen SS-Mann und… nachdem er an zwei Stellen das Telefonkabel durchgeschnitten hatte, nahm er das Stück zum Andenken mit! In der Zwischenzeit bog sich die von uns gedrückte Tür in den Angeln, gab aber nicht nach. Der SS-Mann ging langsam von uns weg, er war acht Meter, nach einer Weile neun Meter von uns entfernt. Wir verstärkten den Druck gegen die Tür, die sich noch mehr verbog, aber immer noch nicht aufging. Edek zog sich in dieser Zeit vom Bett des SS-Mannes zurück und sprang nach seinen in der Kohlekammer abgelegten Sachen. Jasiek verdoppelte seine Kräfte, bei mir verdoppelte sich die Anspannung aller Nerven – die Tür erwies sich jedoch stärker als wir. Wir steckten alle Kraft, zu der wir fähig waren, in den Druck auf die Tür, und dann… sprang sie abrupt und lautlos vor uns auf. Kälte weht auf unsere erhitzten Köpfe, die Sterne leuchteten am Himmel, als ob sie sich verständnisvoll zuzwinkerten. Das alles passierte wie in einem Augenblick.

Die Flucht

Es folgte ein Sprung in die Dunkelheit, und wir rannten nacheinander, Jasiek, ich, Edek. Gleichzeitig ertönten Schüsse hinter uns. Schwer zu sagen, wie schnell wir rannten. Die Kugeln trafen uns nicht. Unsere Beine und Arme durchpflügten mit schnellen Bewegungen die Luft.

Als wir mehr oder weniger hundert Meter von der Bäckerei entfernt waren, fing ich an zu schreien: „Jasiek, Jasiek…“, aber Jasiek preschte wie ein Rennpferd davon. Wenn wir ihn doch nur einholen, bei der Schulter packen könnten. Der Abstand zwischen uns war immer noch gleich, wir rannten alle gleich schnell.

Hinter uns fielen neun Schüsse. Danach war Stille. Der SS-Mann war wohl zum Telefon gestürzt. Jener, der geschlafen hatte, war sicher die erste Minute komplett desorientiert gewesen.

Ich wollte Jasiek stoppen, denn mein Fluchtplan war, dass die Fluchtrichtung in einem rechten Winkel zu der aktuellen sein sollte, in der wir dahineilten. Das gelang mir mehr oder weniger nach 200 bis 300 Metern. Jasiek wurde langsamer, und ich holte ihn ein. Edek schloss auch auf.

Und nun? – fragte Jasio ausser Atem.

Jetzt wohl nichts mehr – antwortete ich.

Du sagtest, dass du einen weiteren Marschplan hättest?

Das traf zu, ich hatte einen Plan. Ich hatte vor, die Soła zu durchwaten und auf der anderen Flussseite in die Gegenrichtung laufen – gerade auf das Lager zu und weiter nach Süden, nach Kȩty. Aber der Lauf Jasieks in nördliche Richtung hatte alles geändert. Jetzt war es schon zu spät, um zurückzukehren. Es war nach zwei Uhr nachts. Wir mussten uns beeilen.

Also was nun? – fragten die Kameraden

Nichts. Ziehen wir uns an, sagte ich. – Ich führe weiter.

Wir beide waren praktisch nur in Badehosen, mit allen Kleidern unter den Armen. Wir waren bisher in einem gewissen Abstand von der Soła gerannt, aber entlang dem Fluss, nach Norden. Jetzt, nachdem wir uns umgezogen und die Häftlingshosen (die wir fälschlicherweise mitgenommen hatten) gut versteckt im Gebüsch zurückgelassen hatten, führte ich uns direkt an das linke Flussufer und durch das Gebüsch am Ufer weiter nach Norden. Ich fragte Edek, ob er das Päckchen mit dem Pulvertabak habe, und er erklärte, dass er es hatte, aber beim Rennen sei alles herausgeschüttet worden. Wenn sie Hunde hinter unseren Spuren her schickten, würden sie den Tabak einschnüffeln. Es war schon sehr lange her, dass ich diesen Tabak getrocknet und zerbröselt hatte – da hatte ich noch in der Löffelwerkstatt gearbeitet, von der aus wir einmal die Flucht für Kameraden vorbereiten sollten. Jetzt war der Tabak allerdings zu schnell ausgeschüttet worden, aber er könnte immer noch etwas unsere Spuren verdecken.

Wir änderten die einmal eingeschlagene Fluchtrichtung nach Norden nicht und hatten eine Flussgabelung vor uns: Die Soła ergoss sich in die Wisła [Weichsel]. Aber vorher war noch rechts über die Soła eine Eisenbahnbrücke, gemäß den eingeholten Informationen wurde sie immer von einem Posten bewacht.

Tomek, wohin gehst du? – fragte Jasio.

Sei still. Wir haben keinen anderen Ausweg und nur wenig Zeit, wir gehen den schnellstmöglichen Weg.

Wir näherten uns der Brücke. Ich ging als erster, meine Schuhsohlen waren mit Gummi beschlagen. 10 bis 15 Schritte hinter mir ging Jasio und am Schluss Edek. Vorsichtig, das Wachhäuschen am Brückenkopf von der linken Seite her beobachtend, stieg ich auf den Bahndamm und die Brücke. Die Kameraden gingen hinter mir. Wir setzten die Füße leise auf, fingen jedoch recht schnell an, auf der Brücke voranzukommen. Wir hatten schon ein Drittel zurückgelegt, dann die Hälfte, näherten uns dem gegenüberliegenden Ufer, dem Ende der Brücke… Kein Hindernis stellte sich uns in den Weg… Endlich war die Brücke zu Ende, und wir sprangen schnell nach links, von dem Damm auf eine Wiese oder ein Feld. Für uns überraschend hatten wir die Brücke ohne Probleme überquert. Die Wachposten vergnügten sich wohl über die Feiertage in irgendeiner angenehmen Gesellschaft.

Weiter, an der linken Seite der Gleise entlanggehend, wählte ich den Weg nach Osten, der Wisła entlang. Die Orientierung war einfach, der Himmel voller funkelnder Sterne. Zu einem gewissen Grad fühlten wir uns schon frei. Vor einem vollständigen Freiheitsgefühl trennte uns noch die andauernde Gefahr.

Wir begannen, querfeldein zu rennen. Rechter Hand blieb das Städtchen Oświęcim zurück. Wir setzten über Gräben, rannten quer über die Straße, liefen auf gepflügten Feldern und auf Wiesen, näherten uns der Wisła und entfernten uns wieder, abhängend von den Flussbiegungen. Erst später konnten wir Bewunderung dafür haben, wie viel der Mensch aushält, wenn alle Nerven angespannt sind. Wir überwanden sich vor uns erhebende, gepflügte Felder, schlitterten zementierte Böschungen herab, kletterten wie Katzen auf den Rand irgendwelcher regulierter Kanäle. Ein Zug holte uns ein und fuhr vorbei, als wir den Bahngleisen entlang gingen.

Endlich nach einigen Kilometern (mehr als zehn, wie uns damals vorkam, aber es waren etwas weniger) erblickten wir hinter einer Anhöhe vor uns auf dem Weg Zäune, Baracken, Wachtürme, Drähte… Ein Lager lag vor uns und das uns so wohlbekannte Kriechen der Reflektorenlichter. Im ersten Moment stutzen wir. Aber im nächsten kamen wir zum Schluss, dass das eine Zweigstelle unseres Lagers namens Buna ist.

Wir hatten keine Zeit, die Richtung zu ändern. Die Morgenröte färbte schon den Himmel. Im Eilschritt begannen wir, das Lager von der linken Seite zu umgehen. Wir berührten die Drähte, rutschen erneut abwärts und kletterten auf Böschungen. Wir überquerten Kanäle auf einem Steg. An einer Stelle schritten wir vorsichtig über den Steg, da schäumend Wasser darüberfloss. Wir umgingen die Drähte im Wasser. Endlich blieb auch dieses Lager hinter uns.

Wir liefen (immer noch waren wir in der Lage zu rennen) bis zum Ufer der Wisła, und am Ufer entlang bewegten wir uns weiter vorwärts und suchten dabei für alle Fälle Orte, an denen wir uns tagsüber verstecken konnten.

Der Tag brach an. Wir hatten keine größere Deckung. Weit am Horizont schimmerte ein dunkler Streifen Wald. Es war ganz hell geworden. Gleich hier am Ufer der Wisła befand sich ein Dorf. Auf dem Wasser wiegten sich Boote, die Eigentum der Bewohner dieses Dorfes waren. Ich entschied, mit einem Boot über die Wisła zu setzen. Die Boote waren mit Ketten an im Boden eingeschlagenen Pfosten vertäut. Die Ketten waren mit Vorhängeschlössern abgeschlossen. Wir sahen uns die Ketten an. Eine von ihnen war aus zwei Teilen, die mit einer Schraube verbunden waren. Jasiek holte den Mutterschlüssel hervor, mit dem er die Schraube in der Bäckerei abgeschraubt hatte. Der Zufall überraschte uns erneut. Der Schlüssel passte exakt auf die Mutter. Wir schraubten die Mutter ab, die Kette zerfiel in zwei Teile.

Gerade ging die Sonne auf. Wir setzten uns ins Boot und stießen vom Ufer ab. Jeden Moment konnte jemand aus einem der Häuser des Dorfes herauskommen, die nur einige Dutzend Schritte von uns entfernt waren. Etwas mehr als zehn Meter vor dem gegenüberliegenden Ufer lief das Boot auf eine Sandbank. Wir hatten keine Zeit, es zurückzustoßen. Wir sprangen ins Wasser und wateten hüfthoch im Wasser zu Fuss bis zum Ufer weiter. Der von dem die ganze Nacht andauernden Lauf erhitzte Körper und die Gelenke reagierten darauf. Aber da spürten wir noch nichts und sprangen schnell an das Ufer der Wisła.

Zwei Kilometer entfernt von uns war ein dunkler Streifen Wald. Der so sehr von mir geliebte Wald, nach dem ich mich einige Jahre gesehnt hatte, war nun die Erlösung: Er war die erste richtige Deckung im Gelände, in die wir gehen konnten. Man konnte nicht sagen, dass wir auf ihn zu rannten, denn wir hatten keine Kraft mehr zu rennen. Wir gingen mit schnellem Schritt, aber von Zeit zu Zeit mussten wir mangels Kraft langsamer gehen.

Die Sonne schien schon hell. In der Ferne war das Gebrumm von Motorrädern auf den Landstraßen zu hören, vielleicht sogar auf der Suche nach uns… Und wir gingen langsam. Meine und Edeks Kleider waren vielleicht aus der Nähe etwas verdächtig, konnten von weitem aber als dunkel und unauffällig durchgehen. Hingegen reizte der schöne Zivilanzug von Jasio mit seinen gellend roten Streifen das Auge von weitem.

In der Ferne waren irgendwelche Leute zu sehen, die auf dem Feld arbeiteten. Sie mussten uns sehen. Der Wald kam langsam näher. Seltsam – zum ersten Mal in meinem Leben roch ich den Wald aus einer Entfernung von fast hundert Metern. Unsere Sinne nahmen den mächtigen Duft, das liebliche Gezwitscher der Vögel, den Hauch von Feuchtigkeit, den Harzgeruch auf. Der Blick versank im schon nahen, geheimnisvollen Wald. Wir gingen hinter die ersten Dutzend Bäume und legten uns auf das weiche Moos. Auf dem Rücken liegend wanderten meine Gedanken erfreut durch die Baumkronen – und bildeten ein großes Fragezeichen. Eine Metamorphose. Was für ein Unterschied zum Lager, in dem man (wie es mir schien) tausend Jahre überlebt hatte.

Die Kiefern rauschten und wiegten leicht ihre riesigen Baumkronen. Einige Flecken vom blauen Himmel waren zwischen den Baumkronen zu sehen. Der Tau leuchtete wie Brillanten auf den Blättern der Büsche und Gräser. Die Sonne drang an einigen Stellen mit ihren goldenen Strahlen durch und erleuchtete das Leben tausender kleiner Lebewesen – die Welt der kleinen Käfer, Mücken und Schmetterlinge. Die Vogelwelt ging immer noch ihren gewohnten Gang, sie entwickelte sich, formte Neues, ihr Leben pulsierte so wie vor tausend Jahren. Und dennoch: Trotz der vielen Laute herrschte hier Stille, eine enorme Stille, eine von menschlichem Geschrei, von jeglicher Niederträchtigkeit der Nächsten isolierte, menschenleere Stille. Wir zählten nicht. Wir kehrten erst wieder auf die Erde zurück. Wir sollten erst wieder in den Kreis der Menschen aufgenommen werden. Wie froh waren wir, sie noch nicht zu sehen. Wir entschieden, soweit und so lange wie möglich von ihnen entfernt zu bleiben.

Sehr lange ohne Menschen durchzukommen würde aber schwer sein. Wir hatten überhaupt kein Essen. Vorläufig verspürten wir noch keinen großen Hunger: Wir aßen Sauerklee, tranken Wasser aus einem Bächlein.


Alles entzückte uns, und wir liebten die ganze Welt. Nur die Menschen nicht. Ich hatte eine Schachtel Honig, die mir von zu Hause geschickt worden war, und einen kleinen Löffel. Wir nahmen abwechselnd jeder einen Löffel davon.

Wir lagen und besprachen die nächtlichen Erlebnisse. Jasio hatte eine Glatze, also brauchte er keine Kopfbedeckung. Wir hatten mit Edek rasierte Köpfe. Um das Fehlen unserer Haare vor den Leuten zu verstecken, hatten wir aus den Sachen der Bäcker in der Bäckerei zwei zivile Mützen mitgenommen, aber Edek hatte seine verloren, als wir in der Nacht durch das Gebüsch rannten. Jetzt band er ein Tuch um seinen Kopf. Deswegen nannten wir ihn „Ewunia“ [kleine Eva]. Jasio nannte sich darauf Adam, er schaute auf einen grünen Zweig und wählte den Nachnahmen Gałązka [Zweig]. Das passte gut zu seinen 90 Kilogramm Gewicht.

Nachdem Jasio seine roten Streifen auf dem Anzug im Bächlein ausgewaschen hatte und ich die in meinen Stiefeln nass gewordenen vier Banknoten getrocknet hatte, marschierten wir weiter nach Osten – wir gingen durch Wälder, übersprangen die kleinen Lichtungen und umgingen die größeren am Waldrand. Unser Grundsatz war: So weit weg wie möglich von Menschen zu sein.

Vor dem Abend hatten wir einen kleineren Vorfall mit einem Waldhüter, der uns aus einer gewissen Entfernung gesehen hatte, als wir den Rest des Honigs aßen: Er schnitt uns den Weg ab, um uns anzuhalten. Da kroch ich in einen Jungwald, der gerade rechtzeitig hier für uns wuchs und so dicht war, dass man sich nur kriechend vorwärtsbewegen konnte. Im Jungwald empfahl ich, die Richtung zu ändern, und wir kamen neben der Landstraße wieder aus ihm heraus. Wir sprangen über die Landstraße und verbargen uns erneut im Jungwald. Der Waldhüter verlor die Spur. Wir hielten uns an die Landstraße, da sie gemäß den Anschriften auf den Holzpfeilern in den Ort X. führte [Babice], der auf unserem Weg lag. Wir näherten uns dieser Ortschaft erst nach Sonnenuntergang. Auf einem Hügel vor dem Ort erhoben sich die Ruinen eines Schlosses [des Schlosses Lipowec bei Alwernia]. Wir umgingen eine offene Fläche vor dem Städtchen auf der linken Seite, überquerten die Landstraße zwischen Häusern und begaben uns auf den bewaldeten Hügel direkt zu den Ruinen des Schlosses. Hier auf dem Hügelgrat legten wir uns furchtbar müde hin und gruben uns in das Laub des Vorjahres ein, um zu schlafen. So ging der Dienstag, der 27. April vorbei.

Edek schlief sofort ein. Wir hatten mit Jasiek nach unserem kalten Bad entzündete Gelenke, und ich als Zugabe noch eine Entzündung des Ischias Nervs. Die letzte Stunde des Marsches hatte ich nur durch meine Willenskraft bewältigt. Außer dem Schmerz in der rechten Hüfte hatte ich Schmerzen in den Kniegelenken, was besonders spürbar war, wenn wir einen Abgang hinuntergingen – ich trat mit zusammengebissenen Zähnen auf. Jetzt beim Liegen spürte ich weniger Schmerzen, aber sie plagten mich immer noch. Jasiek spürte liegend keinen Schmerz und schlief ebenfalls ein. Ich konnte nicht einschlafen. Ich nutzte dies und fing an zu überlegen, was weiter zu tun war.

Acht Kilometer entfernt war die Grenze, über die wir gelangen mussten: Die Grenze zwischen dem vom Reich annektierten Schlesien und dem Generalgouvernement.

Stundenlang schmiedete ich Pläne, bald im Halbschlaf, wie wir dahin gelangen, wie wir die Grenze überschreiten und wohin wir uns dann begeben sollten. Plötzlich durchfuhr mich ein erlösender Gedanke – ich erhob mich sogar auf dem Laub und musste vor Schmerz zischen. Ich hatte mich an das Jahr 1942 erinnert. An die Arbeit in der Löffelwerkstatt: Dort hatte Kamerad 19 [Tadeusz Słowiaczek] den Posten des Schreibers, und wir redeten häufig sehr offen miteinander. Er sprach mit mir darüber, wem er schreibe, dass sein Onkel Priester direkt an der Grenze sei, dass sein Pfarrbezirk zu beiden Seiten der Grenze liege, dass der Pfarrer mit einem Fuhrmann über die Grenze fahre, den er eventuell hinter der Grenze lassen konnte… In den Ort, in dem mein Freund den verwandten Pfarrer hatte, waren es sieben oder acht Kilometer.

Edek fing an, etwas im Schlaf zu reden – zuerst unverständlich, aber dann fragte er einen Bronek, ob er ihm Brot gebracht hätte (er war hungrig, also sehnte er sich in der Nacht nach Essen). Plötzlich richtete er sich auf dem Nachtlager auf und fragte so laut, dass Jasiek aufwachte: „Was ist? Hat er das Brot gebracht?“

Wer hätte Brot bringen sollen?

Na, Bronek…

Bleib ganz ruhig, mein Lieber. Siehst du hier ist der Wald, das Schloss, und wir schlafen im Laub. Du hast geträumt.

Edek legte sich hin. Aber jetzt stand ich auf. Es war vier Uhr. Ich hatte entschieden, am Morgen zum Priester zu gelangen. Wir hatten einige wenige Kilometer vor uns, aber schmerzende Gelenke. Ich konnte vor Knieschmerzen kaum die Beine bewegen. Jasiek zögerte, stand auf, taumelte aber und fing an, von dem Hügelabhang abzurutschen. Von den Gelenkschmerzen verlor er fast das Bewusstsein. Wir beherrschten uns jedoch. Die ersten Schritte waren schwer und schmerzhaft, besonders den Abhang hinunter. Diesen Abschnitt gingen wir ziemlich lange in Schlangenlinien. Am Anfang sehr langsam, dann etwas schneller.

Jasiek ging Auskunft einholen, da er von uns am anständigsten angezogen war und seinen kahlen Kopf nicht bedecken musste – er ging zu einem Dörfler, der zur Arbeit aufbrach, und lief plaudernd mit ihm mit.

Wir näherten uns dem Ort II [Alwernia]. Auf einer bewaldeten Erhöhung war eine kleine Kirche zu sehen.

Jasiek verließ den Dörfler, schloss zu uns auf und informierte uns, dass der Ort, der uns interessierte, eben das Gebiet um die Anhöhe mit der Kirche war. Wir lavierten zwischen Feldern und kamen zu der Straße, an der das Zollamt war. Die Grenze selbst war weiter entfernt auf einer Anhöhe. Es wurde sieben Uhr. Im Amt waren schon ein paar Leute, die uns prüfend aus der Distanz anschauten. Wir überquerten jedoch die Straße, dann irgendein Bächlein über eine Brücke und gingen so flott und fröhlich wie möglich weiter – immer noch in Sichtweite der Leute. Endlich erreichten wir den bewaldeten Hügel, und als wir an den Hang kamen, fielen wir fürchterlich erschöpft zu Boden. Und als ob sie auf uns gewartet hätte, ertönte die Glocke vom Kirchturm, der gleich hier über uns auf dem Gipfel der Anhöhe stand.

Jasio, geliebter Bruder, es führt kein Weg daran vorbei: Du musst in die Kirche gehen. Du siehst wie ein Mensch aus, und von uns drei kannst nur du allein die Kirche betreten, da du den Hut abnehmen kannst.

Ich schickte Jasiek zum Priester, dem er erzählen sollte, dass wir zusammen mit dem Bruder des Priesters Franciszek [Słowiazek] und seinen beiden Söhnen Tadek und Lolek dort in der Hölle gewesen waren.

Jasio ging und kehre lange nicht zurück. Endlich kam er mit ausdruckslosem Gesicht wieder und erzählte uns, dass er in der Kirche auf den Priester gewartet habe, da er davor war, die Messe zu feiern. Er habe mit ihm gesprochen, aber der Priester wollte nicht glauben, dass es uns gelungen sei, aus Oświęcim zu fliehen und sagte offen, dass er Angst habe, dass das eine Falle sein könnte. Ich glaube, dass es schwierig für ihn war – als er Jasiek mit seinem breiten Lächeln erblickte – gleich die Oświęcim-Geschichte zu glauben, dass Jasiek dort für mehr als zweieinhalb Jahre eingesperrt und dass es ihm gelungen war, von dort zu fliehen.

Ich schickte Jasio erneut, als die Messe schon ihrem Ende entgegen gehen konnte und belehrte ihn genau darüber, welcher Verwandte in welchem Block gewohnt hatte, wohin seine Neffen gefahren waren, in welchem Block ihr Vater geblieben war und sogar, was sie in den letzten Weihnachtsbriefen geschrieben hatten… Jasio ging. Die Messe war zu Ende. Jasio erzählte dem Priester alles und fügte hinzu, dass im Gebüsch zwei seiner Kameraden liegen, die ihrer Haare und ihrer sonderbaren Kleidung wegen nicht herauskommen können. Der Priester [Jan Legowicz] glaubte ihm und kam zusammen mit Jasio zu uns. Als er uns sah, rang er mit den Händen. Schließlich glaubte er alles. Er kam dann jede halbe Stunde zu uns ins Dickicht und brachte uns Milch, Kaffee, Brötchen, Brot, Zucker, Butter und andere Leckereien. Es zeigte sich, dass das gar nicht der Priester [Karol Słowiazek, Pfarrer von Porȩbia-Żegota] war, an den wir gedacht hatten – der andere war auch hier, aber um zwei Kilometer weiter. Dieser Pfarrer kannte den anderen und die ganze Geschichte seiner Familie, die in Oświęcim inhaftiert war. Er konnte uns nicht unter seinem Dach unterbringen, da sich ständig eine Menge Leute in seinem Hof bewegten. Uns ging es auch hier unter den jungen Fichten und Sträuchern sehr gut. Der Priester gab uns irgendein Medikament zum Einschmieren für die Gelenke. Hier schrieben wir die ersten Briefe an unsere Familien, die der Priester abschickte.

Als es am Abend schon ganz dunkel war, gab uns der Priester einen guten Führer. Und da sagten wir uns: Es gibt doch prächtige Menschen auf der Welt. So ging der Mittwoch, der 28. April zu Ende.

Wir verabschiedeten uns vom Priester. Die Kniegelenke taten schon weniger weh. Wir folgten um 10 Uhr abends dem Führer, um die Grenze zu überqueren. Der Führer [Kazimierz Buczek] geleitete uns eine lange Zeit, schlug Haken und zeigte dann an eine Stelle und sagte: „Tu jest najlepiej!“ [Hier ist es am besten!]. Er selber verschwand.

Möglich, dass es hier am sichersten war, denn das Gelände war mit gefällten Bäumen und Draht versperrt und von Gräben durchschnitten – so vermutete die Grenzwache, es gehe hier niemand hindurch und überwachte andere Abschnitte.

Diesen vielleicht 150 Meter breiten Streifen hatten wir erst nach einer Stunde durchquert. Weiter durchquerten wir verschiedenes Gelände, schon schnell, aber jetzt gingen wir schon hauptsächlich die Straße entlang. Die Nacht war dunkel. Die Gefahr bestand nicht, dass man uns von weitem erkannte. Wir konnten nur auf eine Patrouille treffen, aber unsere Wachsamkeit und eine Art animalischer Instinkt führten uns vorläufig sicher. Wenn der Weg manchmal eine für uns unpassende Richtung einschlug, bogen wir ab, gingen querfeldein und orientierten uns an den Sternen – wir stapften durch Wälder, fielen in Senken, kletterten Abhänge hoch. In der Nacht hatten wir unsere Meinung nach ein großes Stück Weg hinter uns gebracht.


Das erste Morgengrauen erreichte uns in irgendeinem großen Dorf, das sich kilometerweit hinzog. Die Landstraße bog im Dorf nach links ab. Unsere Richtung war schräg nach rechts. Wir sahen weit entfernt von links die erste Menschengruppe an diesem Tag, so bogen wir nach rechts ab und gingen weiter über Felder und später über Wiesen.

Die Sonne ging auf. Es war Donnerstag. Das Gelände war ganz offen. Am Tag unterwegs zu sein, war risikoreich. Wir fanden einen großen Busch und saßen den ganzen Tag in ihm herum. Wir konnten aber nicht schlafen, da er sich auf feuchtem Grund befand, und auf einem Stein oder auf den Zweigen des Busches sitzend, war es schwer einzuschlafen. Als am Abend die Sonne untergegangen, es aber noch hell war, machte sich Jasiek auf eine Erkundung in unsere Marschrichtung. Er kam bald zurück und brachte die Nachricht, dass sich die Wisła in der Nähe auf der rechten Seite befindet und wir sie, falls wir die bisher eingeschlagene Richtung beibehalten wollen, durchschwimmen müssen. Es gebe Schiffe und einen Fährmann, der uns an das andere Ufer übersetzen könne.

Wir beschlossen, in dem Boot des Fährmanns den Fluss zu überqueren. Wir gingen zum Fluss. Der Fährmann musterte uns mit dem Blick. Wir setzten uns in das Boot. Das Boot stieß vom Ufer ab. Wir landeten glücklich auf der anderen Seite. Als wir mit Mark bezahlten, schaute der Fährmann uns noch komischer an.

Vor uns waren III [die Türme des Klosters von Tyniec] und das eigentliche Städtchen IV [Tyniec]. Wir gingen auf der Hauptstraße durch den Ort. Die Leute kehrten von der Arbeit nach Hause zurück. Verspätete Kühe beeilten sich, in ihre Gehöfte zu kommen. Die vor ihren Häusern stehenden Bauern schauten uns neugierig an. Wir waren sehr hungrig, und wir brauchten etwas Heißes zu trinken. Die Nächte waren kalt.

Das letzte Mal hatte ich vom Sonntag auf Montag im Krankenhaus in Oświęcim geschlafen – aber wir hatten uns noch nicht dazu entschlossen, Häuser zu betreten und mit Menschen in Kontakt zu treten. Am Ende des Städtchens, links vom Tor seines Hauses stand ein älterer Mann und blickte uns an. Seine ganze Erscheinung war so sympathisch, dass ich Edek aufforderte, ihn nach Milch zu fragen. Edek ging zu ihm und fragte, ob wir nicht Milch kaufen könnten. Der Hausherr winkte darauf mit der Hand und lud uns in sein Haus ein, indem er sagte: „Chodźcie, chodźcie, dam wam mleka“. [Kommt, kommt, ich gebe Euch Milch]. In seinen Worten war etwas Beunruhigendes, aber er sah so ehrlich aus, dass wir uns entschieden, sein Haus zu betreten. Als er darauf seine Familie, seine Frau und die Kinder vorstellte stand er vor uns und sagte: „Ja was o nic pytać nie bȩdȩ, ale wy tak nie chodźcie“. [Ich werde Euch nach nichts fragen, aber ihr solltet nicht so herumlaufen]. Er erklärte dann, dass er selber im letzten Krieg viel durchlebt habe und darum nichts wissen wolle. Er fütterte uns mit Mehl Klößchen, Eiern, Brot und heißer Milch, und als nächstes schlug er uns eine Übernachtung in der Scheune vor, in die er uns einschließen würde.

Ich weiß – sagte er – dass ihr mich nicht kennt und Euch fürchten könntet, daher bestehe ich nicht darauf, aber wenn ihr mir glaubt, dann bleibt und seid ganz ruhig.

Sein ganzer Gesichtsausdruck, die Augen und sein ehrliches Äußeres überhaupt bewirkten, dass wir blieben. In der Nacht waren wir in der Scheune erneut eingesperrt, aber trotzdem schliefen wir ruhig – auf einem richtigen Kissen, das wir seit Jahren nicht gesehen hatten. So ging der Donnerstag, der 29. April zu Ende.

Am Morgen machte uns der Hausherr selbst, ohne Gendarmen, die Scheune auf. Er gab uns zu essen und zu trinken. Wir plauderten herzlich. Wir tauschten Geld. Das war ein aufrichtiger, ehrlicher Pole, ein Patriot. Also gibt es doch noch Menschen auf der Welt. Er hieß 175 [Piotr Mazurkiewicz]. Seine ganze Familie hatte uns herzlich aufgenommen. Wir sagten, woher wir kämen. Wir schrieben erneut Briefe an unsere Familien. Es versteht sich, dass wir nicht an die der Lagerleitung in Oświęcim bekannten Adressen schrieben.

Nach dem Frühstück gingen wir weiter über Felder, durch Wälder und ließen V [nicht bekannt] und VI [nicht bekannt] links liegen. Weiter gingen wir auf VII [Wieliczka] zu. Von Freitag auf Samstag übernachteten wir in einer einsam auf dem Feld stehenden Bauernkate, in der ein junges Ehepaar mit seinen Kindern lebte. Wir kamen spät und gingen, bevor sie früh aufgestanden waren. Wir zahlten, bedankten uns und gingen weiter. Wir machten einen Bogen um VII und gingen in Richtung der Wälder von VIII [Puszcza Niepołomnicka].

Es war Samstag, der 1. Mai, als wir in die Wälder kamen, die nach Harz rochen. Das Wetter war schön, die Sonne brach durch die Äste und bildete goldene Flecken auf dem Waldboden, der von Tannennadeln übersät war. Eichhörnchen kletterten herum, Rehe liefen vorbei. Jasiek und ich führten abwechselnd, Edek bildete die Nachhut. Vorläufig war der Tag ohne Vorfall verstrichen.

Wir hatten Hunger.

Nachmittags ab 14 Uhr führte Jasiek. Wir kamen auf eine breite Straße, die in eine für uns passende Richtung führte. Gegen 16 Uhr kamen wir an einen breiteren Bach, über den eine Brücke war. Hinter der Brücke standen Häuser. Auf der linken Seite der Straße waren ein Forsthaus und ein paar Schuppen, auf der rechten andere Bauten. Jasio ging mutig direkt auf die Brücke und das Forsthaus zu. Zu lange war uns alles gelungen, also waren wir nicht mehr vorsichtig. Wir wurden dadurch getäuscht, dass wir keine Geschäftigkeit bemerkten und die grün bemalten Fensterläden des Forsthauses alle geschlossen waren.

Als wir an dem Forsthaus vorbeigingen, blickten wir in den dahinter liegenden Hof, der sich bis zu den Schuppen ausdehnte. Auf dem Hof marschierte ein deutscher Soldat (möglicherweise ein Gendarm) mit einem Karabiner in der Hand Richtung Straße, in unsere Richtung. Nach außen reagierten wir scheinbar überhaupt nicht, damit wir so lange wie möglich weitermarschieren konnten und gingen gegen zehn Schritte an dem Forsthaus vorbei. In diesem Moment reagierten wir nur innerlich. Anders reagierte der Gendarm: „Halt!“ Doch wir marschieren weiter, als ob wir nichts hören – „Halt!“ – erschallt es noch einmal hinter uns und gleichzeitig ist zu hören, wie das Gewehr durchgeladen wird. Wir halten alle gelassen mit lächelnden Gesichtern an. Der Soldat ist hinter der Umzäunung des Hofes, 30 bis 35 Meter von uns entfernt. Aus einem 50 Meter entfernten Schuppen kommt schnell ein zweiter Soldat heraus. Also sagen wir: „Ja, ja, alles gut!“ – Und gehen ruhig in ihre Richtung zurück.

Der erste Soldat, der seine Waffe zum Schuss bereit hatte, sieht unsere Gelassenheit und senkt das Gewehr. Als ich das bemerke, sage ich ruhig: „Chłopcy, wiać!“ [Jungs – nehmt Reißaus!]. Und wir stürzen uns alle in verschiedene Richtungen in die Flucht. Jasiek im rechten Winkel zu unserer Marschrichtung nach rechts. Edek in unsere Marschrichtung im Abflussgraben der Straße entlang, und ich zwischen ihnen schräg rechts. Wie schnell wir gerannt sind, ist erneut schwierig zu beschreiben. Jeder rannte, so gut wie er konnte. Ich sprang über Baumstümpfe, die Umzäunung einer Baumschule, Büsche. Man schoss sehr oft auf uns – häufig pfiff es an den Ohren vorbei. In einem Moment spürte ich irgendwie, wohl im Unterbewusstsein, dass jetzt jemand auf mich zielt. Etwas riss an meiner rechten Schulter. Ich dachte, dass der Schuft getroffen hat, aber ich spürte keinen Schmerz. Ich rannte weiter und entfernte mich schnell. Ich sah Edek weit weg auf der linken Seite. Ich schrie nach ihm. Er schaute, und wir näherten uns, während wir in die gleiche Richtung rannten. Wir waren schon gute 400 Meter vom Forsthaus entfernt, und die dort schossen immer noch. Da sie uns nicht mehr sehen konnten, nahm ich an, dass sie auf Jasiek schossen… vielleicht hatten sie ihn getötet…

Inzwischen saßen wir mit Edek auf einem entwurzelten Baum. Ich musste die ein wenig blutende Wunde versorgen. Ich hatte eine durchschossene rechte Schulter, aber der Knochen war nicht verletzt. Dazu war meine Kleidung betroffen, und die Hosen und die Windjacke waren zusammen an vier Stellen durchschossen. Edek schlug vor, beim entwurzelten Baum zu bleiben. Aber ich fand, dass es besser sei, schnell aus diesem Gebiet herauszukommen, da die Deutschen telefonisch eine Verstärkung anfordern und eine größere Treibjagd veranstalten könnten. Nachdem die Wunde mit einem Tuch verbunden war, setzten wir mit Edek unseren Weg nach Osten fort. Ich dachte, dass es mit Jasiek nicht gut aussehe, da so lange in seine Richtung geschossen worden war.

Eine Stunde später kamen wir in ein Dorf, wo wir geradeheraus sagten, dass wir „chłopcy z lasu“ [Partisanen] seien, das wir drei gewesen seien und jetzt noch zwei. Sie hatten Schüsse gehört, vielleicht hatte man den Freund getötet… Diese ehrbaren Menschen gaben uns Milch und Brot, sogar einen Führer, der uns zu einer Fähre führte. Mit der Fähre fuhren wir über das Flüsschen und fanden uns in einem größeren Dorf wieder. Hier trafen wir erneut auf deutsche Soldaten, aber sie suchten im Dorf nach Essen und beachteten uns überhaupt nicht, da sie vermutlich annahmen, dass wir Einheimische seien.

Endlich, nachdem wir dieses Dorf verlassen hatten, erblickten wir von Weitem den Ort IX [Bochnia] – das nächstgelegene Ziel unseres Marsches. Jedoch war die Wohnung der Familie 164 [Edmund Zabawski] auf der anderen Seite des Städtchens, und es war schon halb acht Uhr abends (die Polizeistunde [Ausgangssperre] war hier um acht Uhr). Ich wollte wegen unseres Aussehens nicht durch das Städtchen gehen, daher blieben wir in der Nacht mit Edek auf dem Dachboden eines Bauern, zu dessen Haus wir kamen, als wir das Städtchen von der nordöstlichen Richtung umgingen.

Am Sonntagmorgen, dem 2. Mai, machten wir uns auf den schon nicht mehr weiten Weg zu Herr und Frau 176 [Oborowie]. Wir näherten uns ihrem Haus, und auf der Veranda erblickten wir einen älteren Herr mit einer Frau, die Schwiegereltern von 164 [Edward Zabawski] sowie eine junge Dame – seine Ehefrau und das Töchterchen Marysia. Die Hausherren lächelten, begrüßten uns herzlich, stellten keine Fragen und baten uns herein. In der Wohnung stellten wir uns als Kameraden von 164 vor. Die Hausherren geleiteten uns zu den Wohnräumen, wo wir nach dem Öffnen der Zimmertür zu einem Raum Jasio sahen, der auf dem Bett selig schlief. Wir weckten ihn und fielen uns in die Arme.


Der anständig gekleidete Jasio war schon gestern Abend durch das Städtchen gegangen und hier aufgetaucht. Das erklärte auch, warum die Hausherren (vorgewarnt durch Jasiek, dass wir eintreffen würden) uns nichts gesagt und mit einem Lächeln in das Haus gebeten hatten.

Jasios Kleidung und sein unter dem Arm getragenes Bündel waren an einigen Stellen durchschossen, er selbst war nicht verletzt. Meine Verletzung war nicht bedrohlich. Also war für uns alles gut ausgegangen.

Bei den Herrschaften 176 [Oborowie] und durch Frau 177 [Helena Zabawska] erfuhren wir eine so große Herzlichkeit und Gastfreundschaft, wie sie einem nur in der eigenen Familie und im eigenen Haus nach einer langen Abwesenheit begegnen kann. So mussten wir uns hier sicher einige Male am Tag in Erinnerung rufen, dass es immer noch Menschen auf dieser Welt gibt…

Die Erzählungen über die gemeinsamen Erlebnisse in Oświęcim zusammen mit unserem Freund und ihrem geliebten 164 wurden mit großem Interesse, Mitgefühl und Wohlwollen aufgenommen. Nachdem wir uns kennengelernt und zueinander Vertrauen gefasst hatten (und die abgemachten Codewörter ausgetauscht hatten), bat ich, mich mit jemandem aus der militärischen Organisation in Verbindung zu setzen. Ein paar Stunden später sprach ich schon mit Leon 178 [Leon Wandasiewicz], den ich nach dem Austausch der Codewörter um den Kontakt mit dem Ortskommandanten der hiesigen Kräfte bat. Kamerad Leon sagte, dass ich Gelegenheit hätte, mich mit zwei Herren abzusprechen. Einer von ihnen war aus der nördlichen Region IX [Bochnia]. Und der andere aus der südlichen Region wohnte sieben Kilometer von hier: im Ort X [Nowy Wiśnicz]. Ich sagte, dass es mir gleich sei, so schlug Leon vor, dass wir zum Kommandanten im Ort X gehen könnten, da das sein Freund sei.

Bei den Herrschaften 176 waren wir den ganzen Sonntag und Montag zu Gast. Am Dienstagmorgen (dem 4. Mai) ging ich mit Kamerad Leon und in seinen anständigen Kleidern nach X. Jasio und Edek blieben weiter bei den wohlwollenden Herrschaften 176.

Der Tag war schön und sonnig. Wir gingen und unterhielten uns fröhlich. Leon hatte ein Fahrrad mitgenommen, auf dem er nach Hause zurückkehren sollte, da er vermutete, dass der Kommandant der örtlichen Kräfte mich als Gast bei sich aufnehmen würde. Als ich ging, dachte ich darüber nach, dass ich so viele Aufsehen erregende und tragische Momente im Lauf der letzten Jahre erlebt hatte und dass nun alles vorbei war. Und das Schicksal hielt währenddessen erneut eine große und diesmal sensationelle Überraschung bereit…

Mehr oder weniger auf halbem Weg setzten wir uns auf Baumstämme in einem Wald, um auszuruhen. Ich fragte Leon aus Interesse, wie der Ortskommandant, zu dem wir gingen, heiße – da ich ihn sowieso bald kennenlernen werde. Leon nannte mir zwei Wörter, Vor- und Nachnamen… Zwei Wörter… Für andere waren es zwei ganz einfache, normale Wörter, für mich waren das äußerst schockierende Wörter. Ein ungewöhnlicher und unheimlicher Zufall, ein merkwürdiges Zusammentreffen der Umstände… Der Ortskommandant hieß so, wie ich in Oświęcim geheissen hatte! Da war ich so viele Tage unter seinem Namen in der Hölle gewesen, und er wusste bisher nichts davon.

Und jetzt würde mich der Weg gerade zu ihm führen, zum Besitzer dieses Namens.

Schicksal? Blindes Schicksal? Wenn das wirklich nur Schicksal war, dann war es aber nicht blind.

Mir blieb die Luft weg, und ich fiel in Schweigen. Leon fragte: Warum sind Sie so still geworden? – Puh… nichts, ich bin etwas müde geworden.

Ich zählte gerade, wie viele Tage ich in Oświęcim gewesen war: 947. Fast schon tausend in dieser Hölle hinter Drähten.

Gehen wir schneller – sagte ich – sie und den Herrn Ortskommandanten erwartet eine ganz ungewöhnliche Überraschung.

Wenn das so ist, dann gehen wir.

Wir näherten uns dem schönen Ort X [Nowy Wiśnicz], der in Tälern lag und sich auf Hügel erstreckte – mit einem schönen Schloss auf einem Hügel. Während ich ging, dachte ich: Ja genau, ich bin doch fiktiv in IX [Bochnia] geboren. Hierher ist einmal 158 [Zygmunt Ważyńsiki] gefahren, um meine Sache bei Priester 160 [Kuc] zu regeln.

Auf der Veranda des inmitten eines Gartens liegenden Hauses saß ein Mann mit seiner Frau und seinen kleinen Töchtern. Wir gingen auf sie zu. Kamerad Leon flüsterte ihm zu, dass er offen sprechen könne. Ich stellte mich mit dem Nachnamen vor, den ich in Oświęcim getragen hatte. Er antwortete: „Das bin ich auch…“

Aber ich bin Tomasz – fügte ich hinzu.

Ich bin auch Tomasz – erwiderte er erstaunt.

Kamerad Leon hörte diesem Gespräch verblüfft zu. Die Dame beobachtete mich ebenfalls.

Aber ich bin geboren am – hier nannte ich den Tag, den Monat und das Jahr, was ich so viele Male in Oświęcim bei jedem Wechsel des Blocks oder des Kommandos oder bei der Registrierung durch die Kapos hatte jahrelang wiederholen müssen.

Der Herr sprang von seinem Platz auf:

Wie das, mein Herr? Das sind meine persönlichen Daten!

Ja, das sind ihre Daten, aber ich habe mit ihnen viel mehr erlebt als sie – und erzählte ihm, dass ich über zwei Jahre und sieben Monate in Oświęcim gewesen und nun von dort geflohen war.

Verschiedene Leute konnten unterschiedlich drauf reagieren. Mein Namensvetter und der Besitzer des Namens, der so viele Tage lang scheinbar meiner war, breitete die Arme aus. Wir küssten uns herzlich und wurden sofort Freunde.

Aber wie ist es dazu gekommen? – fragte er.

Ich fragte, ob er Frau Dr. 83 [Helena Pawłowska] aus Warschau kenne? So sei es. Habe er dort gewohnt? Ja. Man habe dort eine Kennkarte für ihn gemacht, und noch bevor die Karte fertig war, sei er abgefahren. Danach hätte ich diese Karte als eine von einigen gefälschten benutzt, die ich zu der Zeit besaß.

Bei den Herrschaften 179 [Serafińscy] wohnte ich dreieinhalb Monate. Wir schickten über Freunde eine Nachricht an Priester 160 [Kuc], damit er die zu jener Zeit mit Bleistift neben den Namen meines Namensvetters geschriebenen (damals nötigten) persönlichen Angaben im Geburtsregister ausradierte.

Mit der Hilfe von 84 [Tomasz Serafiński] und 180 [Anrdzej Możdżeń] stellte ich eine Abteilung zusammen und wollte eventuell (falls aus Warschau die Einwilligung zu meinem Plan käme) Oświęcim attackieren – nachdem ich mich mit meinen Kameraden im Lager verständigt hatte. Wir hatten mit Kamerad 180 einige Waffen und deutsche Uniformen. Ich schrieb ein Brief an meine Familie, und an Freund 25 [Stefan Bielecki], der damals dank seiner Flucht aus Oświęcim einen Rapport mitnehmen konnte, und gegenwärtig in Warschau war und in einer Abteilung des Hautquartiers arbeitete. Ich schrieb einen Brief an 44 [Wincenty Gawron] nach XI [Warschau], der auch aus Oświęcim mit einem Bericht geflohen war, um Kontakte für die weitere Arbeit herzustellen.

Am 1. Juni kam mein Freund 25 aus der Hauptstadt herbeigeeilt und brachte mir eine wertvolle Neuigkeit: Frau E.O. [Eleonora Ostrowska], der ich meine Briefe aus Oświęcim geschickt hatte, wohne immer noch wohlbehalten in der gleichen Wohnung. Die Gestapo drohe nur den Familien, sie zur Verantwortung zu ziehen. Sie hatten keinen Grund und kein Interesse, eine Person zu belangen, die in ihrem Verständnis nur eine Bekannte war. Sie hatten keine Spur zu meiner Familie und kannten ihren Namen nicht.

25 brachte mir ebenfalls einen Ausweis und Geld. Ich besprach mit ihm die Sache und erklärte ihm, dass ich vorerst nicht nach Warschau fahre, solange ich noch Hoffnung habe, dass man mir schon jetzt erlaube, Oświęcim von außen anzugreifen. Falls es einen klaren Befehl gäbe, dann käme ich. Der Freund war etwas besorgt, dass er alleine zurückkehren würde, obwohl er der Familie versprochen hatte, mich mitzubringen und fuhr nach Warschau ab.

Am 5. Juni tauchten ein lokaler Gestapo-Mann und ein SS-Mann aus Oświęcim zuerst bei der Mutter von Tomek (meinem Namensvetter) auf und fragten sie, wo ihr Sohn sei. Sie antwortete, dass er seit Jahren in der Nähe wohne. Sie kamen zu Tomek. Ich war zu dem Zeitpunkt ganz in der Nähe. Der SS-Mann musste schon von dem örtlichen Gestapo-Mann informiert worden sein, dass 84 schon seit langem hier wohne. Er schaute nur in sein Gesicht und auf ein Papier, das er in der Hand hielt (und verglich es bestimmt mit meinem Foto mit den ausgestopften Backen). Er fragte, ob es im Herbst Obst gäbe und fuhr ab.

Bei der Arbeit in X lernte ich erstklassige Menschen und wertvolle Polen kennen, außer den Herrschaften 179 auch Herrn 181 [Józef Roman].

Keine militärische Aktion in O?wi?cim

Dann schickte mein Freund 25 aus Warschau ein Paket mit den neusten Kampfmitteln gegen den Besatzer und einen Brief, in dem er schrieb, dass sie in der Hauptstadt der Aktion gegen Oświęcim nicht zustimmen (und ich hatte mir solche Hoffnungen gemacht), aber mich für meine Arbeit in Oświęcim auszeichnen wollen. Der Freund hatte auch immer noch Hoffnung, dass die Sache gut ausgehen und man einer Aktion zustimmen werde. Währenddessen erhielt ich im Juli einen Brief mit der tragischen Nachricht von der Verhaftung des Generals „Grot“. Angesichts der recht heißen Atmosphäre in Warschau verstand ich, dass ich jetzt hier keine Antwort in der Sache Oświęcim erwarten könne und entschied mich, nach Warschau zu fahren.

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