Warschau

Im August war ich schon in Warschau. Im September kam Jasio nach, im Dezember Edek. In Warschau arbeitete ich in einer der Zellen des Militärischen Hauptquartiers [der Heimatarmee AK]. Ich unterbreitete den verantwortlichen Entscheidungsträgern die Lage der verbliebenen Kameraden in Oświęcim und die Notwendigkeit eines entschiedeneren Aufbaus einer Organisation dort. Ich erfuhr, dass 161 [Bolesław Kuczbara] im Pawiak angefangen hatte, mit den Deutschen zusammen zu arbeiten und die Anführer unserer Organisation in Oświęcim verraten hatte. Er wurde aus dem Pawiak entlassen und ging mit einer Pistole in der Hosentasche durch Warschau – bald darauf wurde er auf dem Napoleonplatz liquidiert.

Ich war in Briefkontakt mit den Kameraden in Oświęcim – über ihre Eltern in der Freiheit. Ich hielt ihre Moral aufrecht, aber ich fand, dass das zu wenig war. Bald kam die Nachricht, dass man die Freunde unserer dortigen Organisationsspitze erschossen hatte (vielleicht aufgrund der Aussagen von 161).

Auf der Exekutionsliste des Kedyw] sah ich den Namen von Wilhelm Westrych, der mich einmal in Oświęcim gerettet hatte. Ich wusste, dass das ein Lump ist, aber selbst wenn ich etwas in dieser Sache hätte ändern wollen, war es zu spät, da neben seinem Namen notiert war: ausgeführt am…

Auf der Straße traf ich Sławek [Szpakowski], mit dem wir zusammen in Oświęcim die Spitzhacke geschwungen und davon geträumt hatten, dass er mich einmal in Warschau auf ein Essen einladen würde. Wir waren beide Optimisten, aber wie damals die Leute sagten, war es unrealistisch, so zu denken. Und nun hatten wir uns beide lebendig wieder in Warschau getroffen. Er hatte ein Päckchen in der Hand und hätte es bei meinem Anblick fast fallen gelassen. Ich aß oftmals bei ihm und zwar die Menus, die wir in der Hölle zusammengestellt hatten.

Ich wohnte in dem Haus, von dem aus ich 1940 nach Oświęcim gegangen war und wohin ich die Briefe an E.O. [Eleonora Ostrowska] geschickt hatte – aber um einen Stock höher. Das verschaffte mir Befriedigung aufgrund einer gewissen Herausforderung dem Besatzer gegenüber. Bis zum Ende der Okkupation tauchte nie jemand bei Frau E.O. wegen meiner Flucht aus Oświęcim auf. Zu Jasieks Schwester und Edeks Familie kam ebenfalls niemand.

Ich stellte dem Leiter der Angriffsplanung des Kedyw („Wilk“, „Zygmunt“) [Major Karol Jabłonski] im Herbst 1943 einen Angriffsplan auf Oświęcim vor, und er sagte: „Po wojnie pokażę panu taki plik akt na temat Oświęcimia, gdzie są i wszystkie meldunki pana.“ [Nach dem Krieg zeige ich Ihnen einen ganzen Aktenstoß zum Thema Oświęcim, in dem sich auch alle Ihre Meldungen befinden.]

Ich schrieb den letzten Bericht zum Thema Oświęcim auf 20 Schreibmaschinenseiten, und auf der letzten Seite schrieben die Kameraden, die Meldungen überbracht hatten, eigenhändig was, wem und wann sie in dieser Sache berichtet hatten. Ich sammelte acht solcher Aussagen, da der Rest der Kameraden entweder nicht mehr lebte oder nicht in Warschau war.

Außer meiner Arbeit in einer gewissen Abteilung des Militärischen Hauptkommandos war ich damit beschäftigt, mich um die Familien der Oświęcim-Häftlinge zu kümmern, jener, die noch lebten oder jener, die schon gestorben waren. Kamerad 86 [Aleksander Paliński] half mir damit. Hilfsgelder bekamen wir über eine gut organisierte Zelle, die aus drei Damen bestand 182 [nicht bekannt] und die den Häftlingen und ihren Familien viel Zeit widmeten. Einmal informierten mich diese Damen, da sei jemand, in dessen Arbeitsgebiet Oświęcim falle, er sei eine „Bombe“ und mache eine einwandfreie Arbeit, und es sei vielleicht möglich, über ihn an die Häftlinge in Oświęcim heranzukommen – da neulich der Kontakt zur Organisation vor Ort abgerissen sei. Der Herr war schon dabei abzureisen, und ich konnte ihn nicht mehr treffen – weil er aber so eine gute Arbeit machte und behauptete, dass er mit den Häftlingen in Kontakt treten kann, wollte ich ihm die Dinge erleichtern und gab ihm den Namen eines Kameraden, dem Oświęcim-Häftling Murzyn [Leon Murzyn]: Er solle sich auf Tomasz berufen, und ich präzisierte, dass Tomasz Oświęcim an Ostern verlassen habe.

Unter gewissen Kameraden traf ich mehrere Male Personen aus Oświęcim, die überhaupt nicht vertrauenswürdig waren (früher Freigelassene) und die dachten, dass auch ich freigelassen worden sei.

1944

Am 10. Juni 1944 breitete jemand auf der Marszałkowska-Strasse plötzlich seine Arme aus und sagte: „No, nie wierzę, żeby ciebie z Oświęcimia wypuścili“. [Nein, das glaube ich einfach nicht, dass sie dich aus Oświęcim freigelassen haben]. Ich antwortete, dass ich ebenfalls nicht glaube, dass sie ihn freigelassen hätten. Das war Olek 167 [Aleksander Bugajski]. Dieser Glückspilz fiel wie eine Katze immer auf seine Beine. Er schmuggelte sich als vermeintlicher Arzt aus der Strafkompanie in einen Transport nach Ravensbrück und floh von dort.

Die Damen 182 informierten mich, dass jener, der in der Region Oświęcim arbeitet, erneut dahin fährt und mich noch sehen will. Ich eilte zum Treffen. Ich traf einige Minuten vor diesem Mann ein. Die Damen blieben diskret in einem anderen Raum und warteten, was aus dem Treffen dieser zwei Meister herauskommt. Ich wartete eine Weile und dachte, dass irgendein Löwe hereinkommen würde. Die Tür ging auf… und ein kleiner, rundlicher, glatzköpfiger Mann mit einer Stupsnase kam herein. Na gut, das Aussehen sagt nichts über einen Menschen aus. Wir setzen uns, und der Mann kam energisch mit den Worten zur Sache: „A co, żebym ja wziął deskę i namalował murzyna? I tak z tą deską z namalowanym Murzynem pod mur Oświęcimia się podsunął?” [Und was, wenn ich eine Tafel nehmen und Murzyn [einen Neger] zeichnen würde? Und mit so einer Tafel und dem Bild eines Negers mich auf die Mauer von Oświęcim zubewegen würde?].

Ich stand auf, entschuldigte mich und ging zu den Damen: „Mit wem haben mich die Damen bekanntgemacht? Kann man mit ihm auch ernsthaft sprechen?“

Aber sicher doch. Das ist ein perfekter Organisator und… – hier nannten sie seinen militärischen Rang.

Ich kehrte zurück und dachte, dass das offensichtlich seine Art war, ein Gespräch zu beginnen und verordnete mir Geduld. Als ich am Tisch Platz nahm, sah dieser Herr, dass mir der Neger nicht so entsprach und sagte: „Albo może nie Murzyna, a namalowałbym św. Tomasza, albo babkę wielkanocną?“ [Na gut, dann eben keinen Neger, aber vielleicht sollte ich den Heiligen Thomas oder einen Osterkuchen malen?].

Ich musste mich sehr beherrschen, und ich dachte, den Stuhl zu zerbrechen (in den ich die Finger beider Hände gekrallt hatte, so dass es schon schmerzte), um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Ich stand auf und sagte, dass heute unser Gespräch nicht stattfinden könne, da ich noch leider dringend an einen anderen Ort müsse. Das habe ich mir nicht ausgedacht und das Treffen lief genauso ab.

Warschauer Aufstand 1944

Ende Juli 1944, eine Woche vor dem Warschauer Aufstand, hielt mich jemand an, als ich mit dem Fahrrad die Filtrowa-Strasse entlang fuhr und rief „Hallo.“ Ich hielt unwillig an, wie immer in Zeiten der Konspiration. Ein Mann kam auf mich zu. Im ersten Augenblick erkannte ich ihn nicht, aber das dauerte nur einen Moment. Das war mein Freund aus Oświęcim, Hauptmann 116 [Zygmunt Pawłowicz].

Am Aufstand nahmen wir mit Jasiek in einem Abschnitt teil. Die Beschreibung unserer Aktionen und der Tod meines Freundes sind in der Geschichte des I Bataillons „Chrobry II“ beschrieben.

Edek bekam in der Aktion fünf Kugeln, aber er überlebte es glücklicherweise.

Während dem Aufstand wurde mein Freund 25 [Stefan Bielecki] schwer verletzt.

Ebenfalls im Verlauf des Aufstandes traf ich 44 [Wincenty Gawron]

Auswirkungen der Flucht aus der Bäckerei

Später traf ich anderswo Kameraden, die fast bis zum Ende in Oświęcim gewesen waren (Januar 1945): 183 und 184 [beide nicht bekannt]. Und ich war sehr erfreut, als sie mir von den Auswirkungen unserer Flucht durch die Bäckerei erzählten. Davon, wie das Lager darüber lachte, dass wir die Machthaber zum Narren gehalten halten und davon, dass es keine Repressionen gegenüber den Kameraden gegeben hatte. Mit Ausnahme der auf uns aufpassenden SS-Männer, die einige Zeit im Bunker verbrachten.

Anzahl der Toten

Ich gebe hier die Zahl der Menschen an, die in Oświęcim gestorben sind.

Als ich Oświęcim verliess, da merkte ich mir die laufende Nummer 121.000 und noch etwas. Jene, die im Lager am Leben waren, mit Transporten weggebracht oder freigelassen wurden, waren um die 23.000. Etwa 97.000 nummerierte Häftlinge waren gestorben.

Das hat nichts mit der Anzahl von Menschen zu tun, die massenhaft ohne Registrierung vergast und verbrannt wurden. Basierend auf den täglich notierten Schätzungen jene, die in der Nähe des [Sonder]Kommandos arbeiteten, waren bis zu dem Zeitpunkt meiner Flucht aus Oświęcim mehr als zwei Millionen Menschen gestorben.

Ich will nicht übertreiben und gebe diese Zahl mit Vorsicht an – man müsste hier die täglich angegebenen Zahlen genauer ansehen.

Die Kameraden, die länger dort waren, und Zeuge von täglich mehr als acht tausend vergasten Menschen waren, gaben die Zahl von plus minus fünf Millionen Menschen an.

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