Sowjetische Kriegsgefangene
In der Zwischenzeit hatten wir eine erneute Entlausung des Lagers (Sommer 1941), und danach brachte man uns, alle Tischler, im Erdgeschoss des Blocks 3 unter. Sie gaben uns Betten, da man fast das ganze Lager, Block für Block, mit Betten ausstatte. Das war eine weitere Gelegenheit, bei der sich die Schläger und SS-Männer zur Schau stellen konnten. Die Betten mussten besser gemacht sein als einst in der Offiziersschule – also wieder Schikanen, Schläge, Gewalt.
Danach (im September) verlegte man einen Teil der Tischler, darunter auch mich, in den Block 12 (neue Nummerierung) und im Oktober in den Block 25 (neue Nummerierung, vormals Block 17). Eben hier – an einem Novembermorgen, nachdem wir vor dem Appell aus dem Block getreten waren und etwas vor dem durchdringenden Wind zurückgescheut hatten, der unsere Gesichter abwechselnd mit Regen oder eisigem Schnee peitschte – traf ich auf eine Szene, die mich damals erschreckte. Durch den zweireihigen Drahtzaun sah ich in einer Entfernung von etwa 200 Schritten von mir Häftlinge, nach Lagerart zu zwanzig Fünfergruppen aufgereiht, die von deutschen Gewehrkolben angetrieben wurden. Ganze Kolonnen völlig nackter Menschen. Ich zählte ihrer 800, aber die Spitze der Kolonne verschluckte schon das Tor des Gebäudes, und es konnten schon einige Hundert von ihnen hineingegangen sein, bevor ich vor den Block getreten war. Das Gebäude, in das sie hineingingen war das Krematorium. Es waren Bolschewiken, Kriegsgefangene. Später erfuhr ich, dass es über tausend waren.
Der Mensch bleibt bis zum Tod naiv… Ich fasste das damals so auf, dass sie diesen Kriegsgefangenen Unterwäsche und Kleidung ausgeben wollten – Aber warum benutzten sie dazu das Gebäude des Krematoriums, und warum nahmen sie die kostbare Zeit dieser Fabrik in Anspruch, wo doch unsere Kameraden in drei Schichten 24 Stunden am Tag arbeiteten und die Arbeit nicht bewältigten, die darin bestand, die Körper unserer Häftlings-Kameraden zu verbrennen. Es zeigte sich jedoch, dass man sie gerade darum dort hineinführte, um Zeit zu sparen. Es wurde abgesperrt. Von oben wurde ein Behälter (oder zwei) mit Gas hineingeworfen und die zuckenden Körper wurden auf einen Rost geworfen. Einfach nur deswegen, weil sie es in Oświęcim nicht geschafft hatte, den hierher zugeteilten bolschewistischen Kriegsgefangenen Unterkünfte vorzubereiten. Sie wurden verbrannt. Im Übrigen gab es sowieso den Befehl, sie so schnell wie möglich zu töten.
Unser Lager wurde verkleinert: In aller Eile zog man einen Zaun hoch und trat neun Blöcke an ein Lager mit bolschewistischen Kriegsgefangenen ab. Auch eine Verwaltung wurde auf die Beine gestellt, ein Todesapparat. In den Blöcken wurde verkündet, dass jene, die Russisch können, eine Stelle als Stubendienst oder sogar als Kapo im Kriegsgefangenenlager bekommen könnten. Als Organisation hatten wir nur Verachtung für dieses Projekt übrig und auch für jene, die ihre Dienste beim Ermorden von Kriegsgefangenen zur Verfügung stellen wollten. Wir verstanden, dass die Machthaber diese niederträchtige Arbeit durch polnische Hände erledigt haben wollten.
Der Zaun war schnell aufgestellt, und das Lager für die Bolschewiken war fertig. Am Tor im Zaun, das unsere Lager trennte, hing ein Schild mit einer großen Aufschrift: „Kriegsgefangenenlager“. Später wurde klar, dass die Deutschen – Kapos und SS-Männer – die bolschewistischen Kriegsgefangenen genauso schnell und reibungslos ermordeten wie uns, denn man tötete jene 11.400 Kriegsgefangene (die Zahl wurde mir von der Hauptschreibstube genannt), die man am Ende des Jahres 1941 hergebracht hatte, sehr schnell, innerhalb von ein paar Wintermonaten. Eine Ausnahme bildeten einige Dutzend Kriegsgefangene, die sich an die scheußliche Arbeit machten, ihre Kameraden und später Polen und Häftlinge anderer Nationalitäten im Lager Birkenau zu töten. Verschont blieben auch ein paar Hundert, die das Angebot einer subversive Tätigkeiten annahmen. Sie wurden von den deutschen Machthabern uniformiert, ausgebildet und gefüttert und sollten als Diversanten dienen, nachdem sie hinter die bolschewistischen Linien abgeworfen worden waren. Sie lebten in Kasernen um das Städtchen Oświęcim. Der ganze Rest dagegen wurde durch Überanstrengung bei der Arbeit, durch Schläge, Hunger und Frost getötet. Manchmal wurden die Kriegsgefangenen bei Frost in Unterwäsche oder nackt stundenlang vor den Blöcken festgehalten, vor allem am Abend oder am Morgen. Die Deutschen lachten dabei, dass Menschen aus Sibirien die Kälte doch nichts ausmachen sollte. Wir hörten das Heulen der Menschen, die totgefroren wurden.
In dieser Zeit kam es bei uns im Lager zu einer gewissen Entspannung. Es wurde weniger Energie darauf verwendet, uns zu töten, da man den ganzen Hass und die zum Foltern und Morden nötigen Kräfte auf das Bolschewisten-Lager richtete.
Die Glocke
Die Schiene, auf die man zu Beginn des Bestehens des Lagers schlug und die wie ein Gong zu allen Appellen und Versammlungen erklang, wurde durch eine Glocke ersetzt, die zwischen zwei Pfählen bei der Küche aufgehängt wurde. Die Glocke hatte man aus irgendeiner Kirche hierher gebracht. Auf ihr gab es eine Aufschrift: Jezus, Maryja, Józef. Nach kurzer Zeit zersprang die Glocke. Die Häftlinge sagten, sie habe die Lagerszenen nicht ausgehalten. Man schaffte eine zweite herbei. Diese zersprang ebenfalls nach einiger Zeit. Also wurde eine dritte gebracht (in den Kirchen gab es noch Glocken), und man läutete vorsichtig. Diese hielt nun bis zum Ende.
Ja, die Kirchenglocke bewirkte oft große Ergriffenheit. Wenn wir manchmal beim Abendappell standen, dachten wir, dass dieser Abend schön sein könnte, wenn nicht diese ständige Atmosphäre des Todes über uns schwebte. Die untergehende Sonne färbte die Wolken wunderschön, als plötzlich mit schrillem Heulen die Lagersirene zu hören war – als Zeichen für alle Wachposten, dass sie von den Wachtürmen der „großen Postenkette“ nicht heruntersteigen durften, da einer oder ein paar Häftlinge beim Appell fehlten. Und uns kündigte sie unheilvoll die Auswahl einer Zehnerschaft an, die sterben musste, oder auf jeden Fall ein Stillstehen, bei dem der Frost bis in unser Inneres drang. Oder auch bei einer anderen Gelegenheit, als wir wie eine Ehrengarde bei einem Opfer standen, das mit verbundenen Händen unter dem Galgen wartete, um nach einer Weile am Strick aufgehängt zu werden… dann, plötzlich, in der allgemeinen Stille, flog uns aus der Ferne der sanfte, ruhige Klang einer Glocke entgegen. Man läutete irgendwo in einer Kirche. Wie nahe sie dem Herzen war, auch aus der Ferne, aber gleichzeitig so weit weg und unerreichbar. Dort, weit weg, draußen auf der Erde, läuteten Menschen… Dort leben, beteten, sündigten sie, aber was waren schon ihre Sünden im Vergleich zu den Verbrechen hier?
Die Arbeitsunfähigen
Im Sommer 1941 wurde eine Prozedur eingeführt, angeblich um die Aufnahme in den HKB zu regulieren. Die Häftlinge, die sich am Morgen so schwach fühlten, dass sie nicht zur Arbeit gehen konnten, wenn alle (zur Morgenglocke, die das Signal gab: „Arbeitskommando formieren!“) zu ihren Arbeitskolonnen rannten – die Schwachen, die Kranken, die „Muselmänner“ – sie stellten sich in ein Grüppchen auf den kleinen Platz vor der Küche. Hier überprüften sie Pfleger und der Lagerkapo, manchmal auch der Lagerälteste. Sie schubsten sie, um ihre Fitness und Kraft zu testen. Ein Teil wurde ins Krankenhaus aufgenommen, ein Teil ging in den „Schonungsblock“, ein Teil hingegen, ungeachtet der Erschöpfung, wurde in den Fünfergruppen der Feld-Arbeitskommandos untergebracht und in einem lebhaftem Marsch in den sicheren Tod bei der Arbeit geschickt. Jene im „Schonungsblock“ und im Spital lebten meistens nicht viel länger.
Konspiration - die politische Zelle
Als ich in den Block 25 umzog (November 1941) traf ich meinen Kameraden und späteren Freund 59 [Henryk Bartosiewicz] und lernte ihn genauer kennen. Er war ein tapferer und fröhlicher Mann. Ich organisierte eine neue „vierte“ Fünfergruppe, in die vorerst außer Nummer 59 auch Nummer 60 [Stanisław Kazuba] und 61 [Konstanty Piekarski] eintraten. Zur gleichen Zeit wurden neben anderen Kameraden zwei Offiziere höherer Ränge ins Lager gebracht: Oberst 62 [Jan Karcz] und dipl. Oberstleutnant 63 [Jerzy Zalewski. Ich schlug Oberst 62 vor, der Organisation beizutreten; er stimmte zu und fing an, mit uns zu arbeiten.
Ich machte ein erstes Zugeständnis, denn, wie ich schon bemerkt hatte, war ich Offizieren höherer Ränge, die unter ihren richtigen Namen hier waren, bisher ausgewichen. Aber weil unsere Organisation weiter wuchs, gaben mir meine Kameraden zu verstehen, dass man mich als Karrierist verdächtigen könnte, wenn ich mich von Offizieren höherer Ränge fernhielt. Da ergab sich eine Gelegenheit, diese Sache in Ordnung zu bringen, als Freund 59 Oberst 64 [Kazimierz Rawicz] ausfindig machte, der unter falschem Namen hier war und als hundertprozentiger Zivilist galt. So schlug ich 64 vor, die Verantwortung für unsere Arbeit zu übernehmen und ordnete mich ihm unter. 64 war mit dem Plan meiner bisherigen Arbeit einverstanden, und von da an arbeiteten wir zusammen.
Derweil führte ich folgende Kameraden der Organisation zu: 65 und 66 [beide nicht bekannt], und mit der Hilfe von 59 die Kameraden 67 [Czesław Darkowski] und 68 [Mieczysław Januszewski], von denen der erstgenannte uns bald von großem Nutzen war, da er die Stelle des „Arbeitsdienstes“ ergatterte.
Endlich erlebte ich auch den Moment, von dem man früher hatte nur träumen können – wir gründeten eine politische Zelle in unserer Organisation, in der Kameraden, die sich vorher im Parlament gegenseitig zerfleischt hatten, sehr harmonisch zusammenarbeiteten: Nummer 69 [Roman Rybarski] – rechtes politisches Lager, Nummer 70 [Stanisław Dubois] – linkes Lager, 71 [Jan Mosdorf] – rechtes Lager, 72 [Konstanty Jagiełło] – linkes Lager, 73 [Piotr Kownacki] – rechtes Lager, 74 [Kiliański] – linkes Lager, 75 [Stefan Niebudek] – rechtes Lager, usw. Eine lange Reihe unserer ehemaligen Parteipolitiker. Offenbar war es nötig, den Polen jeden Tag einen Berg polnischer Leichen zu zeigen, damit sie sich aussöhnten und beschlossen, dass über ihren Meinungsverschiedenheiten und gegenseitig feindlichen Einstellungen, die sie auf der Erde eingenommen hatten, eine höhere Sache steht – Einigkeit und eine geschlossene Front gegenüber dem gemeinsamen Feind, der doch immer im Übermaß vorhanden war. Und so gab es immer einen Grund für Einigkeit und eine geschlossene Front, im Gegensatz zu dem, was sie auf der Erde getan hatten: sich ewig zu streiten und im Parlament anzugeifern.
Aus der Reihe der Bekannten von Oberst 64 schwor ich Nummer 76 [Bernard Świerczyna] und 77 [Zbigniew Ruszczyński] ein, dann 78 und 79 [beide nicht bekannt].
Oberkapo Konrad
Im November 1941 verließ Oberkapo Balke die Tischlerei – an seine Stelle kam Oberkapo Konrad, der den polnischen Tischlern gegenüber freundlich eingestellt und höflich war. Er liebte die Kunst, die Bildhauerei, die holzschnitzenden Goralen. Er rang den Machthabern ab, alle Bildhauer abzusondern, überdies auch acht der besten Tischler, ausgewählt aus mehreren Hundert: Spezialisten für Kunstschatullen, Einlegearbeiten und anderen Meisterwerken des Tischlerhandwerks. Diese Kunstelite verlegte er von der Arbeit im „Industriehof I“ zur Arbeit in der Nähe des Städtchens, in das Gebiet einer großen Gerberei mit einem Fabrikkamin, die von einem Holzzaun und mit vier Wachtürmen umgebenen war. Auf dem Gebiet der Gerberei befanden sich viele Handwerkkommandos: Schneider-, Schuster-, Schlosser-, Malerwerkstätten, Hufschmieden und Ställe mit einigen Pferden sowie die „Aristokratie“ der Handwerksbrüder: die gut situierten Gerber. Von den künstlerischen Abteilungen gab es hier eine Zelle, die man eine richtige Bildhauerei nennen muss, denn unser Kommando bestand mit wenigen Ausnahmen aus Holzschnitzern. Hier jedoch, in dieser kleinen Zelle, arbeitete Professor Dunikowski, zusammen mit Janek Machnowski und Kamerad Fusek, die ihn in ihre Obhut nahmen. Für eine kurze Zeit war hier auch Wicek Gawron zugeteilt.
Jedes Kommando hatte seinen Kapo. Alles wurde mit harter Hand von Oberkapo Erich zusammengehalten, einem raffinierten Schuft und seinem Vertreter, dem hitzköpfigen Kapo Walter.
Zu dieser Ansammlung unterschiedlicher Fachleute kamen wir hinzu: das „Bildhauer-Tischler-Künstler“-Kommando, wie es unserer Tischlerei-Oberkapo Konrad gerne sehen wollte. Aber Konrad sah einige der negativen Seiten des Wechsels auf das Gebiet der Lederfabrik“ nicht voraus. Hier herrschte Oberkapo Erich, und er duldete keine anderen Oberkapos. Also stießen zwei Menschentypen aufeinander: Konrad, ein aufrichtiger Kunstliebhaber, aber naiv, nicht verheimlichend, dass er die Polen gern hatte, sowie der hinterlistige, durchtriebene, niederträchtige Erich, vor dem sogar die SS-Männer Angst hatten, da er mit dem Lagerkommandanten in dunkle Machenschaften verwickelt war. Er herrschte hier in der Gerberei wie auf seinem eigenen Gutshof, führte seinen Wirtschaftsbetrieb und bewirtete manchmal den Kommandanten, mit dem er irgendwelche Geschäfte mit den gegerbten Häuten machte. Klar, dass Konrad den Kürzeren zog.
Ein warmes Bad
Unsere Werkstätten waren in zwei Sälen des Fabrikgebäudes untergebracht. Hinter mehreren Wänden, in der eigentlichen Gerberei, war ein Becken, in das warmes Wasser eingelassen wurde. Das Becken war so groß, dass man sogar ein paar Meter schwimmen konnte. Einmal machte ich von der Liebenswürdigkeit meiner Freunde aus der Gerberei Gebrauch, badete dort und fühlte mich wie damals in der Freiheit. Wie lange hatte meine Haut kein warmes Bad mehr verspürt.
All das musste heimlich geschehen. War es denkbar, dass ein Häftling in Oświęcim ein warmes Bad nahm? Konnte man jemandem erzählen, dass geschwommen wurde? Das war unglaubwürdig.
Einmal nahm auch Konrad ein Bad im Bassin und machte sich nichts daraus, dass er zusammen mit polnischen Häftlingen badete. Vor ihm hatte auch keiner Angst, da er nie Schweinereien machte. Aber irgendein Lump beobachtete das heimlich, und es wurde eine erste „Meldung“ gegen Konrad erstattet. Im Dezember 1941 waren wir an den Abenden „kommandiert“ und arbeiteten bis 22 Uhr. (Wir gingen nicht zum Abendappell). Wir hatten viel Arbeit mit dem in Auftrag gegebenen Spielzeug für die Kinder unserer deutschen Führung. Eines Abends kam einer der Kapos, ein Handlanger Erichs, in Begleitung eines SS-Mannes, und sie überredeten Konrad zu einem Abstecher in das Städtchen. Konrad, ein Häftling, der sich nach der Gesellschaft von freien Menschen sehnte, war einverstanden, und zusammen mit dem auf sie aufpassenden SS-Mann gingen sie zu dritt in das Städtchen. Nach einer Stunde, gerade bevor wir von der Gerberei in das Lager zurückkehrten, tauchte im Arbeitssaal der betrunkene Konrad auf. Gleich hinter ihm kamen irgendein Kapo und ein SS-Mann herein – aber nicht jene, die mit Konrad im Städtchen gewesen waren. Sie waren Zeugen davon, wie Konrad seinen Lieblings-Fachleuten über den Kopf strich und sagte, dass jener schon jemandes Kapo sein müsste, da er ein perfekter Arbeiter sei. Dann „ernannte“ er im Saal einige Anführer von Zwanzigschaften und einige Kapos. Das langte. Konrad wurde in den Bunker eingesperrt und blieb lange dort. So wurde Erich den Oberkapo in seinem Revier los.
Kommandoweise in den Blocks, ohne Betten
Man fing nun an, das Problem zu lösen, wo die einzelnen Häftlinge wohnen sollten und bemühte sich, sie möglichst kommandoweise in den Blöcken unterzubringen. Daher wurde ich also vom Block 12 in den Block 25 verlegt, zusammen mit einer Gruppe von anderen Häftlingen, die auf dem Gebiet der „Lederfabrik“ arbeiteten oder, wie man es offiziell noch nannte, in der „Bekleidungswerkstätte“.
Die Betten, mit denen man die einzelnen Blöcke im Lager nacheinander ausstattete, waren aus Holz, mehrstöckig, und standen eines auf dem anderen, jeweils drei Betten übereinander. Im Block waren in den Sälen noch keine Betten aufgestellt worden. Wir schliefen hier Seite an Seite, etwa 240 im Saal, schrecklich eng, was man in der Lagersprache „zakładka“ [Verschränkung] nannte (es geht um die Beine). In der Nacht (wie vor einem Jahr) liefen die einen den anderen über die Köpfe, die Bäuche, die schmerzenden Beine, wenn sie auf die Toilette gingen, und fanden nach ihrer Rückkehr keinen Platz mehr zum Schlafen.
Schläge
Es ist keine sehr angenehme Erinnerung, aber da ich schon dabei bin, alles aufzuschreiben, werde ich auch dies erwähnen. Aufgrund einer falschen Anweisung aus der Lagerbewirtschaftung wurden im Winter (Dezember 1941) Kohlrüben in Eisenbahnwaggons angeliefert und auf Haufen an der Eisenbahnseitenlinie, drei Kilometer vom Lager entfernt in die Hügel transportiert [Sie hätten eigentlich ins Lager geliefert werden sollen]. Die Landwirtschaftskommandos und andere „Zugänge“, die im Feld fertiggemacht wurden, waren aber zu wenig und ein körperlich zu schwaches Menschenmaterial für diese Schufterei, also nahm man zu dieser Arbeit die starken Handwerker und bestimmte für diese Arbeit die Sonntage. Ich konnte dieser Arbeit meistens entgehen und ließ mich durch Dr. 2 [Władysław Dering] zu simulierten Röntgenuntersuchungen oder Abklärungen ins Krankenhaus vorladen. Aber an einem der Sonntage schien die Sonne, es war ein schöner Tag. Ich ging zusammen mit allen anderen. Wir trugen mit dem Kameraden Zygmunt Kostecki zusammen Kohlrüben in Körben („Tragen“). Die Kapos und SS-Männer wachten darüber, dass die Tragen gefüllt waren, und wir füllten sie. In dem Moment, in dem wir den Rest der an diesem Ort ausgeschütteten Rüben aufluden, was nur die Hälfte der Tragen füllte – es war schon Zeit in die Kasernen zurückzugehen, und die Hundertschaften fingen an, Kolonnen zu bilden – da entschied der “Unterkapo“, der uns die Tragen füllte, dass es schon zu spät war, um irgendwo anders hinzugehen und die Tragen voll zu machen, und er befahl uns, mit dem zu gehen, was in ihnen war. Auf dem Platz, über den wir trugen, stand ein SS-Mann, der von weitem gesehen hatte, dass wir keine vollen Tragen hatten. Er kam angelaufen und schlug mir mit dem Stock über die Hände. Wir hielten an. Er packte mich und schrie, ich weiß nicht warum: „Du polnischer Offizier!“, und er schlug mich auf meinen Kopf und auf das Gesicht, mit einem Stock, den er in der Hand hielt.
Offensichtlich ist das nervenbedingt, aber in solchen Situationen habe ich eine Grimasse (ich hatte einige), eine Art Lächeln, was ihn rasend machte, also wiederholte er die Schläge mit dem Stock auf den Kopf, und das noch stärker als vorher. Ich nehme an, dass es nicht lange dauerte, aber dem Menschen können in solchen Momenten viele Gedanken durch den Kopf schießen. Mir kam in den Sinn: „XY… jego i kijem nie dobijesz“ [„Auch mit dem Stock wirst du XY nicht töten“] – ein Ausspruch, der aus der Zeit irgendeines Aufstands umhergeisterte… und jetzt lächelte ich wirklich. Der SS-Mann blickte mich an und sagte mit Nachdruck: „Du lachender Teufel“. Ich weiß nicht, was weiter geschehen wäre, wenn nicht die Lagersirene ertönt wäre, die seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenkte: Jemand war geflohen. Die Kameraden sagten mir später, dass ich Glück habe. Mein Kopf und mein Gesicht waren trotzdem zwei Wochen lang geschwollen.
Das zweite Mal geschlagen wurde ich deutlich später, in der Gerberei. Die Kameraden rauchten auf der Toilette Zigaretten, was während der Arbeitszeit nicht erlaubt war. Der Kapo Walter stürzte wie ein Tiger herein. Ich hatte nicht geraucht, kam aber gerade heraus. Er sprang zu mir: „Wer hat geraucht?!“ Ich schwieg und hatte ein reflexartiges Lächeln auf dem Gesicht. – Was? Gefällt es dir nicht?! Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen war, ob es mir gefallen oder nicht gefallen sollte. Walter war ein Hitzkopf, der mit einem Schlag einen Menschen zu Boden warf. Damals bekam ich viele Schläge auf den Kopf und lag ein paar Mal auf dem Boden. Ich stellte mich aber immer wieder vor ihn hin, mit einer Lächel-Grimasse auf dem Gesicht – so berichteten es mir 59 [Henryk Bartosiewicz] und 61 [Konstanty Piekarski]. Walter ließ am Ende von mir ab: Der Lagerkommandant war gerade eingetroffen, und Erich war nicht da.
Beförderung
Währenddessen beförderte man mich auf der Erde, weit weg, in Warschau. Für die Zusammenstellung der TAP, für meine Arbeit, sie mit der KZN zu vereinigen; dafür dass ich meine eigenen Ambitionen zurückgestellt hatte und mit der Befugnis von General Sikorski danach gestrebt hatte, alle Abteilungen der ZWZ unterzuordnen. Das war der Hauptgrund für meine Unstimmigkeit mit 82 [Jan Włodarkiewicz], und wer weiß, ob ich nicht aus diesem Grund nicht in Warschau befand. Und doch machte Janek W. [Włodarkiewicz] eine Eingabe, und wie Nummer 85 „Bohdan“ [Zygmunt Bohdanowski, im Lager Bończa] behauptete, kümmerte er sich um meine Angelegenheiten und teilte ihm mit, dass ihm mehr an meiner Beförderung liegen würde als an seiner. Oberst „Grot“ [Stefan Rowecki] beförderte einige von uns aus der KZN. 82 [Jan Włodarkiewicz] und 85 [Zygmunt Bohdanowski] wurden beide Oberstleutnant. Auf diese Weise wurde ich endlich unter eigenem Namen Oberleutnant (ein faktischer Rückschritt in das Jahr 1935). Wenn mir dort, in der Hölle, alle diese irdischen Dinge nicht so klein vorgekommen wären, dann wären sie bitter gewesen.
Gute Posten
Wenn es um gute Arbeitsstellen in Oświęcim geht, dann waren das die „fleger“ (Krankenpfleger), nicht jene im Krankenhaus, aber jene, die sich um die Schweine kümmerten (sogenannte „Tierpfleger“), dann die Musiker, die außer dem Orchesterspiel hauptsächlich die Posten von Stubendiensten hatten und dann war die Arbeit eines Friseurs ein guter Posten. Meistens versuchte man, diese beiden Funktionen zu kombinieren: das Rasieren und den Posten des Stubendienstes. Aber selbst wenn ein Friseur kein Stubendienst war, dann ging es ihm ganz gut. Es gab Friseure, die nur SS-Männer rasierten; überdies hatte jeder Block mehrere Friseure, deren Arbeit es ausschließlich war, jede Woche den ganzen Block zu rasieren. Die Häftlinge mussten sich die Haare schneiden und sich rasieren, aber die Arbeit wurde von Friseuren gemacht. Der Blockälteste und die Stubendienste wurden dafür verantwortlich gemacht, wenn ein Häftling nicht rasiert war oder etwas zu lange Haare auf dem Kopf hatte. Von dem Blockältesten, den Kapos und den Stubendiensten, die im jeweiligen Block wohnten, bekamen die Friseure mehr als genug zu essen.
Noch ein Transport
Im Dezember (1941) standen wir eines Abends mit Oberst 1 [Władysław Surmacki] und Dr. 2 [Władysław Dering] in der Nähe des Blocks 21 (neue Nummerierung) und unterhielten uns, als uns der Anblick eines Trupps nackter, stark dampfender Menschen, die aus dem Block 26 (neue Nummerierung) herauskamen, schockierte. Es war ein Transport der hierher geschickt worden war, um schnell liquidiert zu werden – alles Polen. Mehr oder weniger Hundert. Nachdem man sie etwa eine halbe Stunde heiß abgeduscht hatte (sie ahnten nichts dabei und wuschen sich gerne mit dem heißem Wasser), wurden sie nackt in den Schnee und Frost gestellt und dort festgehalten. Wir mussten schon in die Blöcke gehen, und sie froren immer noch. Von ihnen drang ein ersticktes Heulen oder eher ein animalisches Winseln zu uns herüber. Sie wurden so für mehrere Stunden festgehalten.
Man starb nur an Krankheit
Wenn auf die eine oder andere Art, auch durch Erschießen, eine größere Anzahl von Häftlingen auf einmal liquidiert wurde, erhielt der HKB eine Liste mit ihren Nummern und musste – wenn er den täglichen Bericht mit den im Krankenhaus Gestorbenen der Hauptschreibstube übergab – jeden Tag zusätzlich 50 Nummern von dieser Liste hinzufügen; als an Herzkrankheiten, Tuberkulose, Typhus oder irgendeiner anderer „natürlichen“ Krankheit Gestorbene.
Unser Weihnachtsbaum 1941
So ging das Jahr 1941 zu Ende. Der zweite Heiligabend in Oświęcim und ein zweites Paket von zu Hause mit Kleidung, da es Essenspakte noch nicht gab. Im Block 25 war der Blockälteste unserer Arbeit wohlgesonnen [Nummer 80 Alfred Włodarczyk], und wir stellten im Saal 7 (wo 59 [Henryk Bartosiewicz] Kommandant war) einen Weihnachtsbaum mit einem in ihm versteckten polnischen Adler auf. Der Saal wurde sehr geschmackvoll von 44 [Wincenty Gawron] und 45 [Stanisław Gutkiewicz] dekoriert, ich leistete meinen bescheidenen Betrag dazu.
Am Heiligabend hielten ein paar Mitglieder unserer politischen Zelle eine Rede. Wäre es auf der Erde möglich gewesen, dass Dubois befriedigt zuhörte, wie Rybarski eine Ansprache hielt und ihm danach herzlich die Hand drückte oder umgekehrt? Was wäre das früher in Polen für ein rührendes Bild von Eintracht gewesen, aber damals war es einfach unmöglich. Und bei uns, in diesem Saal in Oświęcim, redeten beide einvernehmlich miteinander. Was für eine Metamorphose…
Geld - Überlebensraten
Über einen „Volksdeutschen“, einen Schlesier, der jedoch für uns als 81 [Alojz Pohl] arbeitete, erfuhr ich von einer bestimmten neuen Aktion der politischen Abteilung, die mir sehr gefährlich werden konnte. Wir alte Nummern waren nur noch sehr wenige. Besonders fiel das auf, wenn Geld ausgezahlt wurde. Das Geld, was uns von unseren Familien geschickt wurde, zahlte man monatlich aus: einmal 30 Mark, oder zweimal 15 Mark. Über diesen Betrag geschickte Summen blieben auf einem Konto. Später erhöhte man die Auszahlung auf 40 Mark pro Monat.
Das Geld konnte man in der Lagerkantine ausgeben, wo man alles erwerben konnte, was dem Organismus schadete: Zigaretten, Saccharin, Senf, manchmal in Essig eingelegte Salate (Marinaden). Bei der Geldauszahlung mussten der Ordnung halber alle ihren Nummern entsprechend anstehen. Einige Male trieb man alle zusammen, sogar jene, die überhaupt kein Geld bekamen, damit sie ihr Konto unterschrieben. Jetzt war es einfach, die in einer Reihe von der ersten bis zu der letzten Nummer Anstehenden nachzuzählen, und sich zu orientieren, wie viele von uns aus einer Hundertschaft noch lebten. Die Verluste in den Hundertschaften waren gewaltig, besonders in den Warschauer Transporten. Vielleicht deswegen, weil die ersten Transporte vor uns die Arbeitsstellen unter dem Dach eingenommen hatten und unserem Leben unter freiem Himmel ein Ende gemacht wurde. Vielleicht auch deswegen, weil die Leute aus Warschau – wie die Schlesier sagten – nicht viel aushalten. Oder auch deswegen, weil andere von der Lagerleitung mehr begünstigt wurden als wir. Wenn einige der Hundertschaften aus den Warschauer Transporten zwei Leute zählten, war das genug. In unserer Hundertschaft waren wir zu sechst. Es gab auch Hundertschaften mit einer recht hohen Anzahl von acht Lebenden, aber es gab auch solche, die keiner mehr vertrat.
Gefahr von der politischen Abteilung I
Gerade da kam es der politischen Abteilung in den Sinn, die Geburtsregister aller am Leben Gebliebenen zu überprüfen, angefangen bei den niedrigen Nummern, was bei der geringfügigen Anzahl von uns alten Nummern nicht schwierig war. Es kann sich doch einer hier unter einem falschen Namen verstecken, wie ich zum Beispiel. Um solche „Vögel“ einzufangen, schickte die politische Abteilung Briefe in die Pfarrämter und forderte einen Datenauszug aus dem Geburtsregister der betreffenden Häftlinge an. Die Briefe wurden an die Pfarrgemeinden adressiert, auf deren Amtsgebiet die Häftlinge geboren worden waren oder an die, die man bei der Befragung angegeben hatte.
Wie ich zu meinem falschen Namen kam
Um sich meine Situation vorzustellen, ist es nötig, sich in das Warschau von 1940 zurückversetzten. Unsere Warschauer Einwohner kamen den Leute sehr gerne zur Hilfe, die in der Konspiration tätig waren, vor allem in der ersten Phase, in der man noch nicht vor der makabren Reklame der Konzentrationslager und der Szucha-Allee zurückschreckte. Später war es schon schwieriger mit den Räumlichkeiten. Aber am Anfang stellten ehrbare polnische Familien gerne ihre eigene Arbeitskraft und ihre Räume für konspirative Zwecke zur Verfügung. In der ersten Zeit hatte ich mehrere Wohnungen und mehrere Ausweise auf verschiedene Nachnamen, die in unterschiedlichen Wohnungen gemeldet waren. Zu der Zeit war es noch möglich, den Ausweis in der Wohnung zu lassen, wenn man auf die Straße ging. So trug ich keine Ausweise bei mir, und für den Fall, dass man mich auf der Straße verhaftete, würde ich den Namen und die Wohnung angeben, die zu dem Zeitpunkt am „saubersten“ waren und in der ich einen der Ausweise hatte.
Eine der Wohnungen, in der ich arbeitete, war die Wohnung von Frau Helena Pawłowska]. Eines Tages erzählte mir diese Frau, dass sie einen Ausweis habe, der auf den echten Namen einer unserer Offiziere 84 [Tomasz Serafiński] ausgestellt sei, der aber schon in eine andere Region zur Arbeit abgefahren sei, noch bevor man diesen Ausweis fertig hatte. Weil es zum Ausweis auch eine Arbeitskarte gab, stimmte ich dem Vorschlag von Frau 83 zu, diesen Ausweis nach dem Austausch des Fotos zu benutzen.
Gefahr von der politischen Abteilung II
Als ich zu der Razzia ging, nahm ich diesen Ausweis mit, da ich richtig annahm, dass dieser Name noch nicht aufgeflogen war. So hatte ich den Ausweis eines Menschen, der irgendwo in der Freiheit lebte. In diesem Ausweis war jedoch kein Vermerk über den Vornamen und Geburtsnamen der Mutter. Als wir in der Nacht in Oświęcim kurz nach unserer Ankunft im Lager überprüft wurden, gab ich einen erfundenen Vor- und Nachnamen der Mutter an, da ich einen angeben musste. Jetzt war die Lage also recht unsicher.
Wenn meine Nummer an die Reihe kommt, und das wird sie in den nächsten Monaten bestimmt, wird die politische Abteilung eine Anfrage in das Pfarramt in die Ortschaft Z. [Bochnia] für einen Datenauszug aus meinem Geburtsregister schicken, eigentlich jenem des Herrn 84, und dann werden der Vorname und der Geburtsname meiner Mutter nicht mit meinen Angaben übereinstimmen. Also werden sie mich vorladen, fragen, wer ich sei und… Ende.
Aufgrund einer glücklichen Fügung waren etwa einige hundert Kameraden aus der Razzia (ich habe das oben erwähnt) in Quarantäne und sollten in Kürze nach Warschau abfahren. Über den freigelassenen Kameraden 14 [Antoni Woźniak] schickte ich meiner Schwägerin Frau Eleonora Ostrowska eine Nachricht mit der Information, welchen Nachnamen und Vornamen der Mutter ich hier angegeben hatte.
Mit diesem Transport fuhren also eine Reihe von Kameraden ab – einige waren Mitarbeiter unserer Organisation; abgesehen von 14 auch 9 [Czesław Wąsowski]. Gleichzeitig ging auch Oberst 1 [Władysław Surmacki] in den „Freiheitsblock“, der aufgrund von Bemühungen seines Studienkameraden in Berlin freigelassen wurde, der heute eine hohe Position in der deutschen Armee bekleidet. Durch Oberst 1 schickte ich einen Bericht nach Warschau über die organisatorische Arbeit hier. Über den Kameraden 86 [Aleksander Paliński] schickte ich ebenfalls eine Reihe von Informationen: Er war alleine deswegen hier, weil er genauso wie einer der Oberste hieß.
Die Seidler-Woche
Um das Bild vom Lager in dieser Zeit zu vervollständigen (verständlicherweise nur die Dinge, die ich selbst gesehen habe, da ich nicht in der Lage bin, alles zu beschreiben, was ich von den Kameraden hörte, die in anderen Kommandos arbeiteten) – muss noch der sogenannte „tydzień seidlerowki“ [die Seidler-Woche“] hinzugefügt werden. Im Dezember 1941 waren wir über eine Woche jeden Abend beim Appell dem Herrschaftsstil von Seidler unterworfen, einem ausgemachten Sadisten, der den Lagerführer vertrat. Das war eine Woche mit ausgesprochen wüstem Wetter. Es schien so, als ob Wind und Eisregen mit ihrer Feuchtigkeit und Kälte nicht nur unsere Kleidung, sondern auch unsere ganzen Körper durchdrangen. Wir froren komplett durch. Am Abend war beträchtlicher Frost.
Seidler war entschlossen, auch das auszunutzen, um möglichst viele Häftlinge ihrer Kraft – und ihres Daseins – zu berauben. Jeden Tag standen wir vom Zeitpunkt des Gongs zum Abendappell (15 Minuten vor 18.00 Uhr), gegen den Frost kämpfend, in nasser Kleidung bis 21.00 Uhr und wurden erst kurz vor dem Schlafengehen-Gong vom Stillstehen entlassen. Wir verschlangen dann schnell ein kaltes Abendessen, das man uns zu der Zeit am Abend gab und hetzten uns ab, um in den verbleibenden 15 Minuten vor dem Schlafengehen verschiedene Bedürfnisse zu erledigen.
Dieses Stillstehen dauerte eine Woche, da angeblich über eine Woche lang täglich jemand beim Appell fehlte, was sich Seidler offensichtlich ausgedacht hatte. Denn das hörte mit dem Ende seiner Vertretung von Palitzsch als Abnehmer des Rapports auf.
Diese Woche kostete uns jedoch viel Kraft (und die Schwachen das Leben).
Todesnachrichten
Die Todesbenachrichtigung wurde den Familien nur nach einer ausdrücklichen Anordnung der politischen Abteilung von der Hauptschreibstube zugestellt, da es für die deutschen Polizeibehörden nicht immer von Vorteil war, wenn die Nachricht über den Tod eines Häftlings in der Freiheit bekannt wurde. Und zwar in Hinsicht auf oft laufende Ermittlungen in irgendeiner Sache, wenn man versuchte andere irgendwo im Gefängnis Festgehaltene damit auszuspielen, dass sie den Häftling X in der Hand haben, der ihnen die „ganze Wahrheit“ erzähle.
1942 - Das schrecklichste Jahr
So ging das Jahr 1941 zu Ende. Das Jahr 1942 begann. Was das Lager Oświęcim betrifft, das abscheulichste, was die Arbeit unserer Organisation im Lager betrifft das interessanteste Jahr, in dem wir am meisten leisteten.
…aber es trifft sich, dass ich aus Zeitmangel vor einer neuen Entscheidung fast alles in einem telegraphischen Stil niederschreiben muss.
Vorbereitungen zum Massenmord
Plötzlich gab es eine grundlegende Änderung der Einstellung gegenüber den Juden. Zum Erstaunen aller nahm man den Rest der Juden aus der SK heraus, und zusammen mit den neu hinzugekommenen Juden, den „Zugängen“, wurden sie unter guten Bedingungen bei einer Arbeit unter dem Dach untergebracht: Im Socken-, im Kartoffel- und im Gemüselager. Sie wurden sogar wichtig im Verhältnis zu uns. Sie hatten keinen Verdacht, dass dahinter ein entsetzlicher, hinterhältiger Gedanke steckte. Es ging um die Briefe an die Familien, in denen sie über einige Monate lang schrieben, dass sie in Werkstätten arbeiten und dass es ihnen sehr gut gehe. Und dass sich diese Werkstätten in Oświęcim befanden? Was bedeutete dieser unbekannte Name eines Städtchens für die Juden in Frankreich, in Böhmen und Mähren, in Holland, in Griechenland, wohin die Briefe strömten. Selbst die Polen in Polen wussten doch noch wenig über Oświęcim und hatten vorläufig eine sehr naive Vorstellung, was den Aufenthalt von jemand in Oświęcim betraf. Unsere polnischen Juden wurden meistens in Treblinka und Majdanek getötet. Hierher nach Oświęcim holte man Juden aus fast ganz Europa.
Nachdem sie einige Monate Briefe über die guten Bedingungen geschrieben hatten, unter denen sie hier leben, holte man die Juden plötzlich aus ihren unterschiedlichen Arbeitsstellen heraus und tötete sie schnell. Inzwischen begannen täglich Tausende herbeizuströmen, Transporte mit Juden aus ganz Europa, die sofort nach Birkenau umgeleitet wurden, wo der Bau der Lagerbaracken schon beendet war.
Die Situation der Priester
Schon lange hatte sich die Einstellung den Priestern gegenüber geändert, aber aus einem anderen Grund. Durch irgendeinen Einfluss auf die Herrscher des Reichs über das verbündete Italien wurden die Priester nach Dachau gebracht. Das erstes Mal Anfang 1941; der zweite Transport von Priestern aus Oświęcim nach Dachau fand im Juli 1942 statt. Angeblich hatten die Priester in Dachau im Vergleich zu den Zuständen hier eine ganz akzeptable Existenz. In der Zeit zwischen diesen zwei Transporten lernte ich in Oświęcim ein paar mutige Priester kennen, unter anderem Priester 87 [Zygmunt Ruszczak], der Feldgeistlicher in unserer Organisation war.
Wir hatten Gottesdienste und Beichten, die wir vor unerwünschten Augen abschirmten. Hostien bekamen wir von den Geistlichen in Freiheit dank den Kontakten mit der Bevölkerung außerhalb des Lagers.
Liquidierung der sowjetischen Kriegsgefangenen
Der Beginn des Jahres 1942 bedeutete auch die schnelle Liquidierung der Reste der bolschewistischen Kriegsgefangenen. Das Morden wurde vorangetrieben. Die Blöcke wurden für einen anderen Zweck benötigt. Hier sollte eine weitere grauenvolle Sache beginnen. Die Leichen der Bolschewiken, die bei Straßenbau Arbeiten und dem Ausheben von Gräben in der Region Birkenau getötet worden waren, wurden in Wagen zum Appell gebracht: Es waren einige Wagen, bis oben hin gefüllt bei jedem Appell. Einige der Kriegsgefangenen waren einfach erfroren, weil sie keine Kraft zur Arbeit hatten, bei der sie sich wenigstens etwas aufwärmen hätten können.
Eines Tages brach während der Arbeit ein Aufstand aus, die Bolschewiken stürzten sich auf die SS-Männer und Kapos. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, die ganze betreffende Einheit wurde niedergeschossen. Die Leichen wurden, damit man sie vor den Machthabern beim Appell abzählen konnte, in mehreren Lieferungen mit Rollwagen herbeigeschafft.
Nachdem man im Februar 1942 alle ermordet hatte, bis auf einige Hundert, die ich bereits erwähnt hatte, wurde der Zaun, der zwischen unserem Lager und dem der Kriegsgefangenen aufgestellt worden war, rasch zerlegt. Gleichzeitig wurde ein Zaun in eine andere Richtung und zu einem anderen Zweck gebaut. Zehn Blöcke wurden mit einer hohen Mauer aus Betonplatten von uns abgetrennt, damit dort Frauen untergebracht werden konnten. Bisher hatte es das nicht gegeben.
Sonntage
Am Anfang seines Bestehens arbeitete das Lager auch an Sonntagen. Später waren Sonntage wie zum Schein frei, da es den Häftlingen verboten war, ihren Block einen halben Tag bis zum Mittagessen zu verlassen (Blocksperre). Nun wurden uns vom Sonntag zwei weitere Stunden genommen, um uns die gegenseitige Verständigung zu erschweren. Nach dem Mittagessen, zwischen 13.00 und 15.00 Uhr, musste sich der Häftling ausziehen und schlafen. Die Blockältesten kontrollierten die Säle. Das Schlafen in den Blöcken kontrollierte der Lagerälteste oder der Lagerkapo, weil ein Häftling, der nicht schlief, seine Gesundheit gefährdete (was für eine Ironie), die doch für das Dritte Reich vonnöten war – somit war er ein Saboteur.
Massenmord im Bunker
Am 18. Januar 1942 wurden über Nacht in die Dunkelkammer des Bunkers 45 Häftlinge auf einmal eingesperrt, da es keinen Platz in den überfüllten Bunkern gab. Eine Weile danach, noch am Abend, waren im Keller des Blocks 11 (neue Nummerierung) starke Schläge gegen eine Tür zu hören und ein Rufen nach dem Diensthabenden SS-Mann, die Tür zu öffnen. Diese Häftlinge waren daran zu ersticken, da sie keine Luft bekamen und kämpften mit ihren Zähnen, Fäusten und Füssen für einen Zugang zur Tür, durch deren Ritzen ein wenig Luft hereinkam. Nach dieser Nacht waren von 45 Eingeschlossenen 21 nur noch Leichen – sie waren erstickt oder wurden im Kampf getötet. Die 24 übrig Gebliebenen konnten sich kaum auf den Beinen halten – neun wurden sterbend in das Krankenhaus gebracht, 15 kamen in die SK, weil sie sich nicht bequemt hatten, in der Dunkelkammer zu sterben. Unter ihnen war auch Konrad, unser ehemaliger „Oberkapo“ der Tischlerei. Kapo Jonny Lechenich war die ganze Nacht Zeuge dieses grässlichen Vorgangs – er verbüßte zu der Zeit eine Strafe in der Stehzelle, weil er mit den Polen Machenschaften hatte, wie es die Lagerleitung nannte.
Ende der kollektiven Verantwortung
Im Februar 1942 bekam die politische Abteilung einen Brief von den Parteibehörden aus Berlin, der die kollektive Verantwortung für einen geflohenen Häftling verbot, die die Erschießung von zehn weiteren Häftlingen nach sich zog. Angeblich aufgrund derselben Vergeltungsmaßnahmen, die man irgendwo in Lagern gegenüber Deutsche anwendete. Zu der Zeit wurde auch ein Befehl offiziell verlesen, der das Schlagen eines Häftlings verbat. (Es wäre interessant zu erfahren, ob das aufgrund unserer Berichte geschah?). Von da an gab es keine großen Repressionen gegen die verbleibenden Häftlinge für die Flucht eines Häftlings mehr. So kam eine Flucht wieder als Möglichkeit in Frage, und wir als Organisation fingen an, Pläne zu machen, um mit Hilfe einer organisierten Flucht einen Bericht nach Warschau zu schicken.
Fleckfieber
Die Bolschewiken hinterließen Läuse und ein fürchterliches Sibirisches Fleckfieber, und unsere Kameraden erkrankten massenhaft daran. Das Fleckfieber übernahm die Herrschaft im Lager und brachte uns riesige Verluste. Die Machthaber rieben sich die Hände und schauten ruhig zu, wie ihr Verbündeter die Häftlinge dahinraffte. Da fingen wir an, im HKB-Labor mit Fleckfieber infizierte Läuse zu züchten, und sie bei jedem Rapport oder Kontrollbesuchen in unseren Blöcken auf den Mänteln der SS-Männer freizusetzen.
Aufforderung zur Denunziation
Außen am Block 15 wurde ein Briefkasten aufgehängt und in allen Blöcken verkündet, dass man in diesen Kasten Briefe werfen solle – mit oder ohne Unterschrift – Hinweise aller Art über mitgehörte Gespräche in den Blöcken. War ein Hinweis für die Lagerbehörden sachdienlich, dann sollte der Häftling belohnt werden. Man wollte sich vor der Tätigkeit unserer Organisation schützen. Es regnete anonyme Hinweise und Anzeigen. So öffneten wir über Hauptmann 88 [Tadeusz Dziedzic] jeden Abend den Kasten und schauten die hineingeworfenen Meldungen durch, noch bevor ihn Palitzsch um 22:00 Uhr öffnete. Wir vernichteten die für uns gefährlichen, unbequemen Meldungen und schmissen selber Anzeigen gegen schädliche Individuen hinein. Es begann ein Papierkrieg.
Deutsche Lieder
In den Blöcken und beim Marschieren zur Arbeit wurde uns befohlen, deutsche Lieder zu singen. Da ganze Lager musste immer wieder singen, während es sich zum Appell versammelte.
Brzezinka
In Brzezinka wurden eilig Gaskammern gebaut, einige waren schon fertig.
Oberst 62
Meine frühere Sorge, Offiziere unter ihrem wahren Namen in die Organisation einzuführen, basierte darauf, dass man sich im Fall eines Verdachts auf die Existenz einer Organisation hier vor allem die hier eingesperrten Offiziere vornehmen würde. Eines Tages nahmen sie Oberst 62 [Jan Karcz] mit und sperrten ihn in den Häftlingsbunker. Sie führten ihn jeden Tag zur Vernehmung in die politische Abteilung, aus der er bleich zurückkam und sich kaum auf den Beinen halten konnte. Da bekam ich Angst vor verschiedenen Komplikationen. Nach mehr als zwei Wochen näherte sich uns Oberst 62, als ich mit Kamerad 59 [Henryk Bartosiewicz] zusammen war und sagte: „Na, da könnt Ihr mir gratulieren, sie haben mich gehen lassen. Sie haben gefragt, ob es eine Organisation im Lager gibt.“ Er verabschiedete sich von mir, da der Gong zum Schlafengehen ertönte und sagte: „Habe keine Angst, ich habe ihnen kein Wort gesagt. Morgen erzähle ich es dir.“ Aber am nächsten Tag wurde Oberst 62 mitgenommen und nach Rajsko verlegt; offensichtlich, damit er uns nichts sagen konnte.
Oberst 62 war tapfer.
Tschechen
Über hundert Tschechen wurden angeliefert. Ausnahmsweise gebildete Leute, sie waren von der Organisation „Sokol“. Sie wurden in unserem Saal (Block 25, Saal 7) untergebracht. Man fing an, sie schnell zu liquidieren. Ich trat in organisatorischen Kontakt mit ihrem Repräsentanten 89 [Karel Stransky]. (Er lebt und ist in Prag).
Mein Vertreter - 42 Zellen
Im Einvernehmen mit Oberst 64 [Kazimierz Rawicz] führe ich meinen Freund Oberleutnant 29 [Włodzimierz Makaliński], zu dem ich sehr großes Vertrauen habe, zu allen unseren Zellen im Lager. Ich mache das für den Fall, falls mir ein Unglück zustößt. Oberleutnant 29 meldet Oberst 64, dass wir 42 Zellen besucht haben.
Mord an Schlesiern
An einem Tag wurde vom Stammlager Auschwitz I eine Reihe von Schlesiern (70–80) nach Birkenau gebracht. (Das Gerücht verbreitete sich, dass sie dort getötet werden sollten). Unter ihnen war auch mein Freund 45 [Stanisław Gutkiewicz]. Seit dem Abend vorher war er sehr beunruhigt – er ahnte etwas und zitterte nachts am ganzen Körper. Er bat mich, seine Frau und seinen kleinen Sohn Dyzma weiter zu benachrichtigen. Er kam nicht aus Rajsko zurück. Alle Schlesier aus dieser Gruppe wurden dort ermordet. Einige waren seit Bestehen des Lagers hier gewesen und dachten, dass sie am Leben bleiben würden. Seit diesem Vorfall waren die im Lager verbliebenen Schlesier entschiedener geneigt, gegen die Deutschen zu arbeiten.