Bereit zum Losschlagen
Seit einigen Monaten waren wir in der Lage gewesen, das Lager fast jeden Tag in unsere Gewalt zu bekommen. Wir warteten auf den Befehl, und uns war klar, dass es ohne diesen nicht geht und wir uns nicht von der eigenen Hoffnung leiten lassen können, dass für Herr X oder Y die Sache gelingt – obwohl das ein schönes Feuerwerk gewesen wäre, unerwartet sowohl für die Welt als auch für Polen. Wir durften so ein Risiko nicht ohne Befehl eingehen.
Aber die Versuchung plagte uns täglich. Nichtsdestotrotz verstanden wir gut, dass das eine Bestätigung unserer, schon seit Jahrhunderten existierender nationaler Unzulänglichkeit gewesen wäre. Der Inbegriff von Ehrgeiz, Eigennutz, um den Preis späterer möglicherweise großer Vergeltungsmaßnahmen in ganz Schlesien. Umso mehr, weil es damals schwer vorhersehbar war, zu was die Ereignisse führen konnten.
Wir hatten immer noch eine große Hoffnung, dass wir eine Rolle als organisatorischer Teil in einer koordinierten Gesamtaktion spielen konnten. Darauf zielten unsere Meldungen, die wir mit der Empfehlung schickten, sie direkt an den Oberkommandanten zu leiten. Aus Furcht vor einem möglichen unvorsichtigen Schritt irgendwo dort in der Freiheit, mussten wir bei der Übermittlung der Meldungen auf sämtliche Mittelsmänner verzichten. Wir wussten nicht genau, wie weit der deutsche Geheimdienst in unsere weiter oben befindlichen Zellen oder vielleicht sogar bis in die Spitze der ganzen Konspiration in Polen hineinreichte. Wir fürchteten immer, dass die energischsten Personen hier im Lager liquidiert werden würden, wenn der deutsche Geheimdienst Wind von der Sache bekäme.
Befriedung der Lubliner Region
So standen die Dinge – da gab es einen Nachklang der Befriedung der Lubliner Region im Lager. Zuerst fanden wir unter den verbrannten Sachen und den schlechteren, abgetragenen Schuhen eines Tages die Schuhe von Dörflern, große und kleine, dann die Kleidung polnischer Bauern, Gebetsbücher in polnischer Sprache und einfache, dörfliche Rosenkränze.
Da ging ein Murren durch unsere Fünfergruppen. Wir fingen an, in Gruppen herumzustehen, die Fäuste ballten sich ungeduldig.
Das waren die Sachen, die man von unseren in den Kammern von Brzezinka vergasten polnischen Familien herbrachte. Nach der Befriedung der Lubliner Region (so sagten es uns die Kameraden aus Rajsko), brachte man die Bevölkerung aus mehreren polnischen Dörfern hierher ins Gas. So ist es nun einmal auf der Welt, und es ist schwer damit fertigzuwerden, wenn Sachen von Menschen verbrannt werden, die man von irgendwoher aus dem Ausland herbeitransportiert hat – denn es war immer für uns ein scheußliches Geschäft, auch in der Gerberei, in der Schuhe, Koffer über Monate hinweg das unheilvolle Nachspiel des Verbrechens waren. Aber jetzt, als man die kleinen Schuhe, die Frauenblusen sah, dazwischen einen Rosenkranz, da schlug das Herz wegen dem Verlangen nach Rache schneller.
Mord an polnischen Kindern
Aus diesen Lubliner Transporten holte man Knaben zwischen 10 und 14/15 Jahren heraus. Sie wurden abgetrennt und in das Lager gelassen. Wir dachten, dass die Jungen leben würden. Aber eines Tages, als die Nachricht kam, dass irgendeine Kommission komme, um den Zustand des Lager zu prüfen, da wurden – um keine Probleme zu bekommen und sich vor niemandem erklären zu müssen, wo denn diese jungen Häftlinge her seien (oder auch aus irgendwelchen ganz anderen Gründen) – alle diese Jungen mit der Phenolnadel im Block 20 getötet. Wir hatten schon viele Leichenberge im Lager gesehen, aber dieser Berg jugendlicher Körper, um die 200, hatte auf uns und sogar auf die langjährigen Häftlinge eine außergewöhnlich starke Wirkung und beschleunigte gewaltsam den Herzschlag.
Die Volksliste
In der Gerberei schlossen sich uns mehrere neue Mitglieder an: 151–155 [alle nicht bekannt]. Gleichzeitig gründeten wir in unserer Organisation eine Planungs/Beratungs-Zelle, in die die Oberste 24 [Karol Kumuniecki], 122 [Teofil Dziama] und 156 [Stanisław Wierzbicki] eintraten.
Ich war oft Zeuge, als ich in Oświęcim inhaftiert war, dass jemand von den Kameraden von zu Hause einen Brief bekam, in dem ihn entweder seine Mutter, Vater oder Frau anflehten, die Volksliste zu unterschreiben. Zuerst betraf das vor allem Häftlinge, die einen deutsch klingenden Nachnamen hatten oder wenn der Name der Mutter deutsch war, manchmal auch der Name irgendeiner Verwandtschaft etc.
Später machten die Machthaber immer mehr Zugeständnisse, und am Schluss war es überhaupt nicht mehr nötig, einen deutschen Klang haben: Es reichte der Wille, sein polnisches Bewusstsein auszulöschen – es sei denn, es gab andere wichtige Umstände. Wie oft sah ich jedoch dort in der „Hölle“ einen herzensguten Jungen, den der fremdländische Klang seines Namens nicht davon abhielt, eines Polen würdig zu sein.
Diese sagten bewegt: „Ja. Ich liebe die Mutter, die Frau, den Vater, aber die Liste unterschreibe ich nicht! Ich sterbe hier – ich weiß das… Die Frau schreibt: Geliebter Jaś, unterschreibe… Nein! Nie und nimmer! Niemand wird irgendwann in der Zukunft mein Polentum, das jung, aber stark ist, verunglimpfen können.“
Wie viele solcher starben in Oświęcim… ein schöner Tod, da sie bis zum Schluss ihr polnisches Bewusstsein verteidigten… Und kämpften alle Landesgenossen mit polnischem Nachnamen in der Freiheit um ihr Polentum?
Wie nützlich wäre ein Apparat, der das polnische Gewissen überprüfen könnte, das bei Verschiedenen unterschiedliche Wege in den paar Jahren seit Beginn des Krieges eingeschlagen hatte.
Der 28. Oktober 1942
In der zweiten Oktoberhälfte bemerkten die Kameraden (Nummer 41 [Stanisław Stawiszyński] kam damit angelaufen), dass zwei Kapos, die den Ruf hatten, zum schlimmsten Lumpenpack zu gehören (außer, dass sie Häftlinge töteten, denunzierten sie sie bei der politischen Abteilung und seinem Chef Grabner), im Lager umhergehen, wie wenn sie jemanden suchen würden und die Nummern von einigen Häftlingen aufschreiben.
Eines Tages am Nachmittag, als ich vom Block 22 kommend auf dem Hauptweg ging und zu den Kameraden auf dem Gebiet des Krankenhauses eilte, traf ich auf diese zwei Kapos beim Block 16.
Einer hatte ein Notizbuch, der andere kam mit einem falschen Lächeln auf mich zu und fragte: „Wo läufst du hin?“ – einfach, um irgendetwas zu sagen und machte den ersten offensichtlich auf meine Nummer aufmerksam, worauf er sofort wegging. Der andere schaute mich an, und es war so, als ob er zögerte. Weil sie weitergingen, ging ich auch meines Wegs und dachte, dass es irgendeine Verwechslung sei.
Am 28. Oktober 1942 riefen die Schreiber beim Morgenappell in verschiedenen Blöcken Häftlingsnummern aus und sagten, dass die Herausgerufenen in den Erkennungsdienst zum Fotoüberprüfen gehen sollen.
Insgesamt wurden etwas mehr als 240 Häftlinge aufgerufen, ausschließlich Polen (wie wir später herausfanden vor allem aus der Region Lublin, zusätzlich zu etwa einem Viertel Polen, die mit den Lubliner Transporten nichts zu tun hatten). Sie wurden sofort in den Block 3 gebracht, was uns schon verdächtig vorkam. Warum wurden sie nicht sofort in den Block 26 gebracht, in dem der Erkennungsdienst untergebracht war, denn das war ja der angebliche Grund für den Aufruf.
Uns rief der Gong in das Arbeitskommando, und dann gingen wir normal aus dem Lager, jedes Kommando strebte in seine Richtung zur Arbeit.
Bei der Arbeit brodelte es in jedem Kommando unter den Kameraden, wir wussten vorerst nicht, ob die anderen in Gefahr waren.
Später verbreitete sich von irgendwoher die Nachricht, dass sie erschossen werden sollten. 240 Jungs – Lubliner, zu welchen man die Nummern jener hinzufügte (offensichtlich ohne Plan durch die Hündchen Grabners ausgewählt), die durch ihre Beweglichkeit, ihre Energie auffielen.
Wir erfuhren nie, von was man sich hatte leiten lassen, vielleicht alleine von der „hellseherischen Fähigkeit“ der beiden Schufte.
Jedoch wurde das „Befriedung der Lubliner Region“ genannt, die so im Lager fortgesetzt wurde.
Unter ihnen befand sich eben auch der tapfere 41 aus Warschau, der als erster mit der Nachricht zu uns geeilt war, dass Nummern aufgeschrieben werden.
Da wussten wir noch nicht, ob sie erschossen werden sollten – wir dachten, dass es vielleicht nur ein Gerücht sei.
So eine große Anzahl Häftlinge hatte man bisher nie auf einmal zusammen erschossen. Wir wurden von der Maske scheinbarer Teilnahmslosigkeit gequält – wir waren bereit und sehnten uns danach, in Aktion zu treten. An der Spitze der Organisation bissen wir uns auf die Lippen, aber bereiten uns für alle Fälle auf einen Kampf vor.
Wenn es unter denen dort zu einem Aufstand und zu Widerstand käme, dann träten wir alle in Aktion.
Eine Meuterei wäre der zündende Funke für unsere Reihen, höhere Gewalt, die uns freie Hand gäbe.
Auf dem Weg ins Lager passierten unsere fünf Hundertschaften gesunder Handwerker das Baubüro und das sich unter ihm befindliche Waffenmagazin.
Kurz, an diesem Punkt wäre es nicht schwer gewesen – die Männer waren Feuer und Flamme. Alle waren jederzeit bereit zu sterben. Aber vorher würden wir es den Henkern blutig heimzahlen. Da waren nur neun kümmerliche Wachtürmchen und die Hauptwache, dann gerade einmal 12 „Gemeine“ (niedere SS-Ränge), die während der Eskorte die Gewehre umgehängt hatten, da sie unsere Passivität gewohnt waren, und sie erst vor dem Lager in die Hand nahmen, aus Sorge vor der Lagerleitung.
Wenn nur durch ein Wunder aus Warschau die Worte herbeigeflogen kämen: Schlagt los! Und zwar heute, um die anderen dort zu retten.
Ja, das waren nur Hirngespinste.
Wusste jemand davon, dachte jemand daran? Sicher kann man aus der Distanz sagen, dass das nur ein Fragment des polnischen Leidens war. Aber wie schwer war uns ums Herz, als am Nachmittag die Nachricht kam, dass man alle ohne Aufheben und ohne Widerstand erschossen hatte.
Oft sprachen wir unter uns am Abend – an einem Tag, an dem eine Erschießung stattgefunden hatte – davon, wer wie gestorben war, ob er mutig gegangen war oder Angst vor dem Tod gehabt hatte.
Die Kameraden, die man am 28. Oktober 1942 ermordete, wussten, was sie erwartete. Im Block 3 teilte man ihnen mit, dass man sie erschieße. Sie warfen den Kameraden, die noch leben würden, Zettel zu und baten sie, diese den Familien zu übergeben. Sie entschlossen sich, „fröhlich“ in den Tod zu gehen, damit man am Abend gut über sie sprechen würde. Sollte es bloß jemand wagen, zu sagen, dass wir Polen nicht sterben können… Jene, die die Szene mitbekamen, sagten, dass sie diese niemals vergessen würden. Sie gingen aus dem Block 3 zwischen Block 14 und 15, dann zwischen der Küche und den Blöcken 16, 17 und 18 hindurch und weiter gerade durch die Krankenhausblöcke, ruhig in einer Kolonne von Fünfergruppen, die Köpfe erhoben, hier und da sah man ein lächelndes Gesicht. Sie gingen ohne Eskorte. Hinter ihnen waren Palitzsch mit seinem Kleinkalibergewehr an der Hüfte und Bruno, beide rauchten und sprachen über Nebensächlichkeiten. Es hätte gereicht, wenn die letzte Fünfergruppe sich umgedreht hätte und die zwei Henker hätten nicht mehr existiert.
Warum gingen sie dann einfach? Hatten sie Angst um sich? Aber vor was hätten sie in dem Moment Angst haben sollen, in dem sie sowieso in den Tod gingen? Es sah schon nach einer Massenpsychose aus. Aber sie gingen weiter, weil sie ihren Grund dafür hatten. Die Machthaber hatten die Nachricht verbreitet – und Kameraden, die aus der Freiheit zu uns kamen, bestätigten dies – dass die ganze Familie für die Führung eines Häftlings verantwortlich war. Das wirkte. Es war bekannt, dass die Deutschen rücksichtslos Vergeltungsmaßnahmen durchführten und Familien töteten und bei diesen Fällen so viel Bestialität wie möglich zeigten. Wie sieht Bestialität aus? Wer konnte das besser wissen als wir?
Zu sehen oder nur zu wissen, dass die Mutter, die Frau oder die Kinder sich in solchen Bedingungen wiederfinden würden, wie hier die Frauen in Brzezinka, reichte aus, um jegliche Lust zu verlieren, sich auf die Henker zu werfen.
Etwas anderes ist das ganze Lager. Es zu beherrschen, die Untersuchungsakten zu vernichten… Wer würde dafür verantwortlich gemacht werden? Es wäre schwierig gewesen, nach zehntausenden Familien auf einmal zu greifen. Nachdem wir eine längere Zeit darüber gebrütet hatten, machten wir es von einem Befehl abhängig, weil Vergeltungsmaßnahmen möglich waren, weil wir eine koordinierte Aktion wollten. Wir waren den Tod gewohnt, mit dem wir täglich mehrfach in Berührung kamen – da ist der Gedanke an den eigenen Tod einfacher als der Gedanke an den schrecklichen Schlag, der seine Liebsten treffen könnte. Nicht einmal so sehr ihr Tod, aber dieses furchtbare Dahinsiechen, die geliebten Wesen mit harter, rücksichtsloser Hand aus ihrer Welt zu reißen, ihre Psyche zu brechen und sie in eine andere Welt zu werfen, in die Welt der Hölle, in die der Übergang für viele schwerfällt…
Daran zu denken, dass die alte Mutter oder der Vater mit letzter Kraft irgendwo durch den Schlamm watet, wegen dem Sohn mit dem Gewehrkolben gestoßen und geschlagen… oder das die Kinder in den Tod ins Gas aufgrund des Vater gehen – daran zu denken war um einiges schwieriger, als an den eigenen Tod. Und sogar wenn es jemanden gab, der sich dem nicht gewachsen fühlte, dann folgte er dem Beispiel der anderen. „Er schämte sich“ ist zu wenig stark, er durfte einfach nicht aus der schön geordneten Kolonne ausbrechen, die so stolz in den Tod ging!
Also gingen sie!
Neben der Kantine (aus Holz auf dem kleinen Platz hinter Block 21), als sie auf dem Weg zwischen Block 21 und 27 gingen, war es so, als ob die Kolonne anhielt, zögerte und fast geradeaus ging. Aber das war nur ein kurzer Moment, an der Ecke drehte sie nach links und ging schon zum Tor von Block 11 gerade in den Rachen des Todes. Erst als sich hinter ihnen das Tor schloss und sie für einige Stunden in diesem Block gelassen wurden – sie sollten am Nachmittag erschossen werden – da kamen beim Warten auf den Tod aus den Tiefen des Gehirns verschiedene Zweifel auf, und es fanden sich fünf Kameraden, die sie zu überzeugen versuchten, das ganze Lager einzunehmen, hier mit einer Aktion zu beginnen. Sie verriegelten das Tor und vielleicht wäre es zu etwas Ernsthafterem gekommen, da die Deutschen die Wache überhaupt nicht verstärkt hatten und unsere Kommandos nur auf ein Signal warteten, aber der Protest gegen den Tod drang nicht aus dem Block 11 hinaus. Außer den fünf ließ sich niemand mitreißen, und ein Schlesier, ein Blockfunktionär, informierte die SS-Männer, dass ein Aufruhr drohte. Im Block erschien Palitzsch in Begleitung einiger SS-Männer und rechnete mit diesen paar Häftlingen ab: Er tötete sie zuerst, den Rest hob er sich für später auf.
Bei uns war man aber der Meinung, dass sie im Kampf gestorben waren (Hauptmann Dr. 146 [Henryk Suchnicki], Kamerad 129 [Leon Kukiełka] und drei andere Kameraden).
Am Nachmittag lebten alle nicht mehr. Aus unserer Organisation starben an diesem Tag bis auf die Erwähnten die Kameraden 41 [Stanisław Stawiszyński], 88 [Tadeusz Dziedzic], 105 [Edward Berlin], 108 [Stanisław Dobrowolski] und 146 [Henryk Suchnicki]. Aber es waren auch solche aus der Organisation dabei, die ich nicht erwähnen kann, da man nicht alle persönlich kannte – denn das ist bei einer konspirativen Arbeit unmöglich.
Nach der Rückkehr von der Arbeit konnte man das Blut unserer Freunde in der Luft riechen. Sie hatten schon vor unserer Ankunft versucht, die Körper ins Krematorium zu bringen. Der ganze Weg war mit Blut markiert, das von den Wagen floss, als sie die Körper wegfuhren. Am Abend bedrückte der Tod dieser neuen Opfer das ganze Lager.
Erst jetzt verstand ich, dass ich mich um ein Haar auf der Liste der am Morgen vorgelesenen Nummern befunden hätte. Ich rief mir diese zwei Kapos in Erinnerung, die die Nummern aufgeschrieben hatten, aber damals wusste ich nicht, ob mich der mit dem Notizbuch notiert hatte. Vielleicht sah ich nicht wie ein gefährlicher Häftling aus, vielleicht wählte Grabner später aus den zu viel Aufgeschriebenen Nummern aus und berücksichtigte jene nicht, gegen die hier nichts vorlag.
Änderung im Geburtsregister
Man brachte einen neuen Häftlingstransport aus dem Pawiak, aus Warschau. Mit ihnen kamen meine Freunde und früheren Mitarbeiter im TAP in Warschau: Unterleutnant156 [Stanisław Wierzbicki], 157 [Czesław Sikora], 158 [Zygmunt Wążynski]. Sie brachten interessante Nachrichten für mich. 156 berichtete mir, wie 25 [Stefan Bielecki] aus Oświęcim nach Warschau gekommen war und wie er ihn persönlich mit dem Auto nach Mińsk Litewski zur Arbeit gebracht hatte. 158 berichtete mir im Detail, wie nach meiner Nachricht (die ich durch Feldwebel14 [Antoni Woźniak] geschickt hatte) über die bestehende Gefahr, dass man für mich unangenehme Angaben aus dem Geburtsregister des Ortes Z. [Bochnia] herausgeben könnte, meine Schwägerin (E.O.) [Eleonora Ostrowska] zu ihm geeilt war. Mein herzensguter Freund 158 bestieg noch am gleichen Tag den Zug und fuhr in den Ort Z, wo er sich in der Pfarrei mit dem Priester in Verbindung setzte und ihm erklärte, worum es ging. Der Priester notierte alles mit einem kleinen Bleistift im Kirchenbuch neben dem Besitzer meines Lagernamens und versprach die Sache entsprechend zu regeln. Offensichtlich tat er das auch, da in meiner Sache in der politischen Abteilung nichts geschah.
Konspiration und TAP
Der Kamerad 156 [Stanisław Wierzbicki] zeigte mir unter den neu im Lager Angekommenen den Hauptmann 159 [Stanisław Machowski] aus dem militärischen Hauptkommando in Warschau, er war der Stellvertreter „Iwo II“. Einer unserer Mitglieder, 138 [nicht bekannt], kannte Hauptmann 159 persönlich, weil er ihm einst untergeordnet gewesen war – gegenwärtig Blockwart, konnte er sich leicht seiner annehmen. (Kamerad 156 hatte zusammen mit dem schon bei uns arbeitenden 117 [Eugeniusz Zaturski], 76 [Bernard Świerczyna] in die Arbeit hineingezogen. Von da an arbeiteten und wohnten die beiden TAP-Leute zusammen.
Von den TAP Mitgliedern, die ich früher in Warschau kannte, gingen die folgenden durch Oświęcim; Nummer: 1 [Władysław Surmacki], 2 [Władysław Dering], 3 [Jerzy de Virion], 25 [Stefan Bielecki], 26 [Stanisław Maringe], 29 [Włodzimierz Makaliński], 34 [nicht bekannt], 35 [Remigiusz Niewarowski], 36 [Stanisław Arct], 37 [nicht bekannt], 38 [Chmielewski], 41 [Stanisław Stawiszyński], 48 [Władysław Ozimek], 49 [Jan Dengel], 85 [Zygmunt Bohdanowski], 108 [Stanisław Dobrowolski], 177 [Eugeniusz Zaturski], 120 [Zygmunt Zakrzewski], 124 [Tadeusz Chrościnski], 125 [Tadeusz Lucjan Chrościnski], 131 [nicht bekannt], 156 [Stanisław Wierzbicki], 157 [Czesław Sikora], 158 [Zygmunt Wążynski].
Weil man 129 [Leon Kukiełka] erschossen hatte und 130 [nicht bekannt] an Fleckfieber starb, konnte der Tunnel unter Block 28 nicht mehr weitergegraben werden. Der Stollen wurde nicht entdeckt, aber 4 [Alfred Stössel] wurde in einer anderen Sache verhaftet.
Herbst 1942
Im Spätherbst 1942, als zum Kartoffeleinholen die Blockältesten eingesetzt wurden, ging 4 [Alfred Stössel] ebenfalls diesen weiten Weg zur Kartoffelarbeit ins Feld. Lachmann, der verwirrte SS-Mann aus der politischen Abteilung, kam zu ihm wegen einer Sache, aber 4 war nicht da. Lachmann drehte sich um und ging weg. Die Kameraden wussten schnell Bescheid und stürmten in das Zimmer von 4, der als Blockältester des Blocks 28 ein eigenes Zimmer hatte, und beseitigten viele der Gegenstände, die die Sache noch schwerer gemacht hätten.
Jemand musste sich verplappert haben…
Lachmann ging nur bis zum Tor, und als ob im plötzlich etwas eingefallen wäre, kehrte er zurück und durchsuchte das Zimmer von 4 gründlich, aber fand schon nichts mehr. Aber er wartete auf 4, und nachdem er am Abend von der Arbeit zurückkehrte, verhaftete er ihn sofort und brachte ihn in den Bunker – 4 kehrte nicht mehr in den Block 28 zurück. Er wurde im Block 11, in den Bunkern und in der politischen Abteilung verhört. In letzter Zeit hatte 4 eine gewisse unschöne Manie entwickelt, aber um ihm gerecht zu werden: Er ertrug die Untersuchungen mit Folter in den Bunkern tapfer und sagte kein Wort, obwohl er sehr viel wusste. Man biss sich die Zähne an ihm aus. Dann geschah es, dass er an Fleckfieber erkrankte, und man verlegte ihn vom Bunker in den Fleckfieber-Block. Man muss selber eine gewisse Degradierung durchmachen, um das zu verstehen: So wie für die Häftlinge, die sich im Lager befanden, das Gebiet hinter dem Stacheldraht die Freiheit war, so war für die Häftlinge, die sich im Bunker befanden, die Freiheit der Lagerbereich. Dass er es aus dem Bunker, wenn auch krank, in den Fleckfieber-Block geschafft hatte, war für ihn ein Ersatz-Ersatz für die Freiheit. Aber auch hier war ständig ein SS-Mann in seiner Nähe. Lachmann gab sich noch nicht geschlagen. 4 hatte jedoch einen harten Charakter und einen starken Willen. Eines Nachts hörte er auf zu leben…
Enttäuschung
Ich hatte schon die Kameraden erwähnt, die aus Warschau gekommen waren (156 [Stanisław Wierzbicki], 157 [Czesław Sikora], 158 [Zygmunt Wążynski]), und sie sagten, das sie nicht vermutet hatten, die Häftlinge in Oświęcim in so einer guten psychischen und physischen Verfassung vorzufinden. Sie gaben zu, weder von den hiesigen Foltermethoden gewusst zu haben noch von der „Todeswand“, weder vom Phenol noch von den Gaskammern. Sie dachten selber nicht – und allgemein dachte das niemand in Warschau ernsthaft – dass Oświęcim ein militärischer Posten mit einer gewissen Stärke sei. Man sprach eher davon, dass hier nur noch Gerippe seien, der Mühe nicht wert, gerettet zu werden, da der Preis dafür zu hoch sei. Das war bitter zu hören, während ich die Gestalten der mutigen Kameraden betrachtete. Also gehen hier edle Menschen in den Tod und Sterben nur deswegen, um nicht jemandes Leben in der Freiheit zu gefährden, und dort sprechen viel schwächere Menschen geringschätzig von uns als Knochengerüste. Wie viel Aufopferung ist nötig, um weiter zu sterben, um die sich in Freiheit amüsierenden Brüder zu retten. Ja, die vielfältigen Vernichtungsmethoden im Lager betrafen uns übermässig – und jetzt bekamen wir auch noch so eine Einschätzung aus der Freiheit, dazu ein stetig ignorierendes Schweigen…
Die Organisation geht trotzdem weiter
Die vier Bataillone hatten den Dienst so aufgeteilt, das jedes Bataillon eine ganze Woche Dienst tat, das heißt, dass es seine Aufgabe war, in Aktion zu treten, falls es einen Luftangriff gab, falls man Waffen abwarf. In dieses gingen die ganze Woche alle organisierten Waren, die folgende Personen lieferten: 76 [Bernard Świerczyna], 77 [Zbigniew Ruszczyński], 90 [nicht bekannt], 94 [nicht bekannt], 117 [Eugeniusz Zaturski]. Sie teilten ebenfalls zwischen den das Gerüst bildenden Zügen Lebensmittel und Unterwäsche auf.
die "Gold-Organisation"
Trotz der vielen Verbote (aber was bedeutete ein Verbot für einen Häftling) und der Todesstrafe, entwickelte sich der Handel mit Gold und Brillanten im Lager außerordentlich. Es entstand eine Art Organisation, da zwei Häftlinge, die zusammen irgendein Geschäft machten – einen Warentausch, zum Beispiel Wurst aus der Schlachterei für Gold – schon miteinander verbunden waren. Wenn einer von ihnen mit Gold gefasst und im Bunker geschlagen wurde, dann konnte er jenen verpfeifen, von dem er etwas bekommen hatte und wofür. Es fanden immer mehr Verhaftungen im Lager wegen Gold statt. Die SS-Männer verfolgten die neue Organisation mit Nachdruck, da sie ihnen Einnahmen brachte. Auf jeden Fall war die „Gold-Organisation“ für uns ein idealer Blitzableiter. Eine Untersuchung, die Spuren zu uns verfolgte, schweifte zum großen Teil auf die Gold-Organisation ab und führte dann schließlich zu ihr, und dann wurde es immer unübersichtlicher, und die SS-Männer waren so zufrieden mit ihrer neuen Einkommensquelle, dass sie keine Anstrengung in eine andere Richtung unternehmen wollten.
Zugänge
Ich hatte bereits geschrieben, dass wir uns die „Zugänge“ ansahen, da man nie sicher sein konnte, was so ein Kamerad aus der Freiheit machen würde, aber auch unsere alten Häftlinge bereiteten uns manchmal Überraschungen. Nämlich die Leichtfertigkeit einer unserer Freunde, des etwas zu expliziten 161 [Bolesław Kuczbara], einer typischen schizophrenen Person, der eines Tages zwei Ehrendiplome auf „Hosenbandorden“ (für unseren Unabhängigkeitskampf) auf die Namen von Oberst 121 [Juliusz Gilewicz] und den Kameraden 59 [Henryk Bartosiewicz] malte. Mich sparte er aufgrund der Intervention dieses Freundes aus. Mit den in einer Rolle eingewickelten Diplomen ging er zur Essenszeit über den Platz des Lagers, um sich mit seiner Leistung im Krankenhaus zu rühmen. Er hätte von einem SS-Mann oder von irgendeinem Kapo angehalten und geradeheraus gefragt werden können, was er da trage, und er hätte die Kameraden oder auch einem größeren Kreis große Schwierigkeiten bereiten können. Er zeigte sie Dr. 2 und sagte über mich, dass nur ich Köpfchen hätte usw. Und deswegen hätte er für mich kein Diplom gemalt. Dr. 2 schaffte es mit Hilfe von Dr. 102 [Rudolf Diem], ihm die Diplome abzunehmen und zu vernichten. 161 war jedoch unverbesserlich und eines dunklen Abends wurde ich von Kamerad 61 [Konstaty Piekarski] aus dem Block 22 gerufen, und er brachte mich zu irgendeinem SS-Mann. Es zeigte sich, dass der SS-Mann eben 161 war, der eine SS-Uniform und einen Mantel angezogen hatte. Er konnte diese Kleidung bei einer kurz darauf durchgeführten Flucht gebrauchen.
Dezember 1942: Endlich Essenspakte
Das Weihnachtsfest kam – mein drittes in Oświęcim.
Ich wohnte in Block 22 zusammen mit dem ganzen Kommando „Bekleidungswerkstätte“. Wie anders sahen diese Feiertage als die vergangenen aus. Wie immer zu Weihnachten, bekamen die Häftlinge Pakete mit Pullovern von zu Hause, aber abgesehen von den Kleidungspaketen kamen gleichzeitig Lebensmittelpakete – endlich hatten es die Lagerführer erlaubt. Hunger gab es aufgrund „Kanada“ keinen mehr im Lager. Die Pakete verbesserten die Nahrungssituation weiter.
Die Nachrichten von größeren Misserfolgen der deutschen Armee hoben die Moral der Häftlinge und verbesserten die Stimmung radikal.
Flucht von Boleslaw Kuczbara und seinen Kumpanen
In dieser Stimmung hinterließ die Flucht (30.12.1942) von Mietek [Januszewski] („Arbeitsdienst“), Otto [Küsel, ein deutscher] („Arbeitsdienst“), 161 [Bolesław Kuczbara] und ihrem vierten Partner [Jan Komski alias Baraś] einen positiven Nachklang. Diese dreiste Flucht wurde dadurch erleichtert, dass sich die „Arbeitsdienste“ zwischen der kleinen und der großen Postenkette bewegen konnten, und mittels der schlauen Verkleidung von 161 als SS-Mann fuhren sie frech am helllichten Tag mit einem Pferdewagen und einem gefälschten Passierschein aus dem Lager am Posten vorbei – der vermeintliche SS-Mann zeigte ihm diesen von Weitem. Sie wurde für die Lagerhäftlinge dadurch versüßt, dass aufgrund eines gefundenen und von Otto geschriebenen Briefs der Lagerälteste Bruno [Brodniewicz], der Häftling Nummer 1 und berüchtigte Henker, von der Lagerleitung in der Silvesternacht in den Bunker gesperrt wurde.
Otto, der Feind Brunos, schrieb in dem Brief, den er absichtlich im Mantel ließ (und diesen auf dem Wagen, den sie einige Dutzend Kilometer vom Lager entfernt stehen ließen), dass es sehr schade sei, dass sie Bruno nicht – wie abgemacht – mit sich nehmen können, da sie keine Zeit mehr haben und sich beeilen müssen – und das gemeinsame Gold, das Bruno habe, nun, da könne man nichts mehr machen, er soll es behalten. Die für ihre rasche Auffassungsgabe bekannte Lagerleitung sperrte unseren Henker Bruno für drei Monate in den Bunker. Er hatte es besser als jeder andere Häftling im Bunker. Er war in seiner Zelle, aber das Lager wurde schon für immer von diesem Schuft befreit, da er auf seinen ehemaligen Posten nicht zurückkehrte – er ging später auf so einen nach Birkenau.
Weihnachten 1942
Währenddessen war das Lager während der Feiertage von Freude erfüllt, man aß die Lebensmittel aus den Pakten der Familien und erzählte sich die neuesten Witze über Bruno.
In den Blöcken veranstaltete man Boxkämpfe, kulturelle Abende. Man improvisierte Musikgruppen, Orchester, die von Block zu Block gingen. Die Atmosphäre, die unter diesen Umständen entstand, war so ausgelassen, dass die langjährigen Häftlinge die Köpfe schüttelten und sprachen: „No, no, był lager Auschwic, ale go nie ma już, pozostała zaledwie ostatnia sylaba, sam tylko wic“. [„Doch, doch, es gab das Lager Auschwic, aber das gibt es nicht mehr, nur die letzte Silbe ist davon geblieben, nämlich der Witz“].
Ein kleiner Junge vor dem Krematorium
Es stimmt, das Lagerregime wurde von Monat zu Monat schwächer. Das hieß jedoch überhaupt nicht, dass man zu der Zeit nicht Zeuge sehr tragischer Szenen war.
Als unsere fünf Hundertschaften gleich nach Neujahr aus der Lederfabrik gingen, da war ich Zeuge davon, wie vor dem Krematorium (dem alten direkt neben dem Lager gebauten Krematorium, das mit Kohle befeuert wurde) eine kleine Gruppe von Frauen und Männern stand. Es waren zusammen etwas ein gutes Dutzend junge und alte Personen. Sie standen vor dem Krematorium wie eine Herde Kühe vor dem Schlachthaus. Sie wussten, warum man sie hergebracht hatte. Unter von ihnen stand ein Junge von vielleicht zehn Jahren und suchte jemanden in unseren vorbeilaufenden Hundertschaften – vielleicht den Vater, vielleicht den Bruder… Wir näherten uns dieser kleinen Gruppe von Menschen und erschraken, da in den Augen dieser Frauen und Kinder Verachtung war. Wir fünf Hundertschaften starke und gesunde Männer, die nicht darauf reagierten, dass sie gleich in den Tod gehen würden. Innerlich sträubte sich der Mensch dagegen und lehnte sich auf. Aber nein: Als wir vorbeigingen, stellten wir mit Erleichterung fest, dass in ihren Augen nur die Verachtung für den Tod war.
Als wir zum Tor kamen, sahen wir eine andere kleine Gruppe, die an der Mauer mit erhobenen Händen stand, und den vorbeigehenden Kolonnen den Rücken zuwendete. Vor dem Tod erwartete sie eine Untersuchung, und sie würden noch im Block 11 gequält werden, bis ihnen der Henker Palitzsch gnädigerweise in den Hinterkopf schoss. Danach würde man ihre blutigen Leichen auf Wagen ins Krematorium fahren.
Als wir das Tor betraten, war die erste kleine Gruppe schon ins Krematorium getrieben worden. Für ein Dutzend Personen war manchmal eine Dose Gas zu schade, sie wurden mit Gewehrkolben betäubt und halb bewusstlos auf den glühenden Rost geworfen.
Von unserem Block 22 aus, der dem Krematorium am nächsten stand, hörten wir oft, dank der Wände etwas abgeschwächt, die entsetzlichen Schreie und das Stöhnen der misshandelten und brutal ermordeten Opfer.
Nicht alle kamen auf unserem Weg von der Arbeit zurück. Jene, die einen anderen Weg gingen und die Gesichter der Opfer nicht sahen, konnten sich nie eines Gedanken entledigen: vielleicht sind die Mutter, der Vater, die Frau, die Tochter darunter… Aber das Herz eines Lagerinsassen ist hart. Eine halbe Stunde später standen einige schon in der Kantine und kauften Margarine oder Tabak und sahen nicht, dass sie direkt neben einem großen, nackten Haufen Leichen stehen, eine auf die andere geworfen – heute mit der Phenolspritze „erledigt“. Manchmal stand jemand mit seinem Schuh auf ein totes, schon steifes Bein, blickte herunter. „Patrzcie. Stasio… No cóż… Dzisiaj jego kolej, moja może w przyszłym tygodniu… [Schaut einmal. Staś… Naja, was solls… Heute war er an der Reihe, ich werde vielleicht nächste Woche dran sein].
Aber die Augen jenes kleinen Jungen, die uns ansahen, jemanden suchten – sie gaben mir nachts lange keine Ruhe.
Auswirkungen des Weihnachtsfests
Die Ausgelassenheit im Lager aufgrund der guten Stimmung während dem Weihnachtsfest hatte jedoch erneut für uns ein böses Nachspiel. Der Block 27 war das Lager für Uniformen und Unterwäsche und der Bereich des Arbeitskommandos „Bekleidungskammer“, das fast nur aus Polen bestand. Das war ein gutes Kommando: Man hatte Arbeit unter dem Dach, und dazu brachte es noch den Vorteil, dass die Arbeiter ihre Kameraden mit Unterwäsche, Uniformen, Decken, Schuhen versorgen konnten (ohne Vorteilnahme) und von den gut situierten Häftlingen auf den Posten als Blockälteste, im Schlachthaus oder im Lebensmittellager Lebensmittel in Form eines Materialtausches beschaffen konnten, als Dank für das erhaltene und getauschte Material, das die Existenz erleichterte. Das war also ein guter Ort, und mit Hilfe von 76 [Bernard Świercznya] konnten wir dort viele unserer Kameraden unterbringen. Zu dieser Zeit gab es eine gewisse Entspannung im Lager; Bruno war im Bunker eingesperrt und nicht im Lager, was bewirkte, dass einige die Vorsichtsmaßnahmen etwas vernachlässigten.
Die Folgen der Weihnachtsfeier
Die Folgen der Weihnachtsfeier in der Bekleidungskammer
Die Kameraden im Block 27 machten eine gemeinsame Weihnachtsfeier, und 76 rezitierte dabei ein eigenes Gedicht zu einem patriotischen Thema („Ślązaczka miała dwóch synów, jeden był w wojsku niemieckim, drugi zaś wiȩźniem Oświȩcimia; podczas ucieczki wiȩźnia tamten syn ślązaczki, stojąc na posterunku, nic o tym nie wiedząc, zastrzelił swego brata“ [Eine Schlesierin hatte zwei Söhne, einer war in der deutschen Armee, der andere dagegen ein Häftling in Oświȩcim – während einer Flucht erschoss der nichts ahnend auf dem Wachtposten stehende Sohn der Schlesierin seinen Bruder]). Das Gedicht war schön geschrieben, die Stimmung angenehm. Die Folge war aber, dass die Machthaber fanden, den Polen im Block 27 gehe es zu gut, und die politische Abteilung machte daraus, dass sich die Polen in Block 27 organisiert hätten.
Am 6. Januar 1943 kamen während der Arbeitszeit SS-Männer aus der politischen Abteilung in den Block 27. Sie liessen das ganze Kommando antreten und fragten, wer hier Oberst sei. Oberst 24 [Karol Kumuniecki] zögerte eine Weile, sich zu melden. Da kam Lachmann zu ihm und zog ihn aus der Reihe (die Sache war schon von der politischen Abteilung vorbereitet worden).
Dann fingen sie an, zu sortieren. Sie teilten in drei Gruppen auf: „Reichsdeutsche“ und „Volksdeutsche“ bildeten eine Gruppe, die sie zur Arbeit im Block liessen. Alle übrigen Polen teilten sie in zwei Gruppen und stellten einige Dutzend Gebildete auf die rechte Seite, unter ihnen waren Oberst 24, Mayor 150 [Edward Gött-Getyński], Rittmeister 162 [Włodimierz Koliński], Unterleutnant [Mieczysław Koliński], Rechtsanwalt 142 [Stefan Niebudek], und auf die linke Seite stellten sie jene, die in den Augen der SS-Männer als Nichtgebildete gelten konnten. Unter ihnen befanden sich Major 85 [Zymunt Bohdanowski], der vorgab Forstwart zu sein, Unterleutnant 156 [Stanisław Wierzbicki] und als Lehrling, mein Neffe 39 [Kazimierz Radwański].
Sie wurden mehr als ein Dutzend Stunden beim Stillstehen in der Kälte festgehalten. Dann steckten sie die Gruppe der Gebildeten in den Bunker, die Nichtgebildeten in die sogenannte „Palitzsch-Kiesgrube“ [Arbeitsort der Strafkompanie]. Die einen verhörte und peinigte man im Bunker, um das Geständnis zu erpressen, dass sie organisiert gewesen waren, dazu wurden sie gefragt, welche Organisation sie repräsentierten. Das Schicksal der anderen, die man dem Tod durch Arbeit im Frost auslieferte, schien auch besiegelt. Aber einige von ihnen konnten sich nach einigen Monaten beschwerlicher Arbeit aus diesem Kommando herauswinden. Ein Freundespaar tat dies zu schnell 117 [Eugeniusz Zaturski] und 156 [Stanisław Wierzbicki]. Sie arbeiteten zusammen in der „Bekleidungskammer“ und wohnten zusammen im Block 3, in einem eigenen Raum – dem Magazin. Beiden gelang es am 6. Januar 1943 mit Glück, nicht zur ersten Gruppe der Gebildeten gezählt zu werden. Sie entgingen dem Bunker und kamen einstweilen in die „Palitzsch-Kiesgrube“.
Freund 156 hatte ich einige Monate früher (gleich nach der Ankunft aus Warschau) gefragt, wie man in Warschau auf Fluchten aus Oświęcim reagieren würde, und er hatte geantwortet: Auf zweierlei Art. Das Hauptkommando verleiht den Orden „Virtuti Militari“ [den höchsten polnischen Ehrenorden] (vielleicht hatte er die Schlussfolgerung gezogen, dass er mich damit zu einer Flucht ermuntern könnte?). Die Gesellschaft hingegen, die nicht weiß, dass man das System kollektiver Verantwortung bei den Häftlingen abgeschafft hat, betrachtet es als Egoismus. Jetzt, als er sich in einer schwierigen Situation befand, wollte er mich zu einer Flucht mit ihm zu überreden, aber ich hatte das damals noch nicht vor. Und er, der arme Kerl, erlebte seine Flucht leider nicht mehr.
Beide trieben ihre Sache zu schnell voran, wurden krank und fanden sich nach der Krankheit eine neue, leichtere Arbeit. Sie waren noch keine erfahreneren Lagerleute. Eines Tages (ich dachte, dass sie noch im Krankenhaus liegen) erfuhr ich, dass man beide erschossen hatte (16. Februar 1943). In dem anderen Kommando hatte Lachmann sie gefragt, woher sie kämen; noch am gleichen Tag waren sie tot.
Kurz danach im März erschossen sie die ganze Gruppe der Gebildeten, die man im Bunker bezüglich des Themas Organisation quälte und verhörte (gewittert hatte sie einer der Kapos, der Zeuge der unglücklichen „gemeinsamen Weihnachtsfeier“ war). Sie sagten nichts. Ehre gebührt ihnen, den Arbeitskameraden.
Nachdem man die Polen aus der „Bekleidungskammer“ herausgeschmissen hatte, besetzte man die Stellen mit Ukrainern, die aber den SS-Männern, dem Chef des Kommandos und dem Kapo als Arbeitskräfte nicht passten. Daher schmuggelten sich langsam einige der Polen erneut in das Kommando hinein. Die Materialversorgung aus diesem Bereich wurde unterbrochen. Andere Lieferungen funktionieren hingegen reibungslos. Wie Offiziersanwärter 90 [nicht bekannt] berechnet hatte, hatte man nur schon an Weihnachten (1942) trotz ständiger Kontrollen 700 Kilogramm Fleischprodukte durch das Tor gebracht.
Medizinische Experimente im Block 10
Schon im Spätfrühling fing man an, einige ungewöhnliche Vorbereitungen im Block 10 zu treffen. Alle Häftlinge und ein Teil der Betten wurden entfernt. Von außen an den Fenstern wurden Sichtblenden aus Brettern angebracht, damit man nicht hineinsehen konnte. Man schaffte irgendwelche Instrumente und Apparate herbei. Dann [seit April 1943] begannen am Abend deutsche Professoren sowie Studenten zu erscheinen. Sie brachten jemanden, arbeiteten nachts an etwas und fuhren am Morgen wieder weg oder blieben auch mehrere Tage.
Einmal traf ich einen Professor, der auf mich einen abstoßenden Eindruck machte. Er hatte irgendwie widerliche Augen.
Eine Zeitlang wussten wir nicht, was im Block geschah, verschiedenes wurde vermutet.
Aber sie kamen nicht ohne „fleger“ des Lagerkrankenhauses aus. Zuerst ging es darum zu putzen, dann um verschiedene Hilfsarbeiten. Sie nahmen zwei „fleger“ und stießen bei beiden auf solche aus unserer Organisation. Die Kameraden kamen endlich in den ständig verschlossenen Block 10. Für einige Zeit nutzte uns das nichts, da man sie nicht aus dem Block 10 hinausließ. Eines Tages erschien jedoch einer von ihnen bei mir, Nummer 101 [Witold Kosztowny]: Er war sehr aufgeregt und sagte, dass er es dort nicht lange aushalten würde, dass das schon die Grenzen seiner Widerstandsfähigkeit überschreite.
Dort wurden Experimente gemacht. Ärzte und Medizinstudenten machten in den Räumen Versuche – sie hatten ja eine Masse an Menschenmaterial – für das sie niemandem Rechenschaft ablegen mussten. Das Leben dieser Versuchskaninchen würde auch so den degenerierten Menschen im Lager geopfert: Sie würden so oder so ermordet, ganz gleich wie und wo, es würde am Ende Asche übrig bleiben.
Also machte man die verschiedensten Versuche auf dem Gebiet der Sexualität. Sterilisation von Frauen und Männern durch einen chirurgischen Eingriff. Bestrahlung der Geschlechtsorgane beider Geschlechter mit irgendwelchen Strahlen, die die Fruchtbarkeit vernichten sollten. Die darauffolgenden Tests sollten zeigen, ob der Eingriff positiv war oder nicht.
Geschlechtsverkehr gab es nicht. Ein Kommando von einigen Männern musste Samen liefern, der sofort den Frauen gespritzt wurde. Die Tests zeigten, dass die Frauen, die während einiger Monate einer Bestrahlung der Geschlechtsorgane ausgesetzt waren, immer noch schwanger wurden. Dann verwendete man eine erheblich höhere Strahlung, die die Organe der Frauen verbrannte, und einige Dutzend starben unter schrecklichen Qualen.
Für die Experimente wurden Frauen aller Rassen benutzt. Aus Birkenau brachte man Polinnen, Deutsche, Jüdinnen und schließlich Zigeunerinnen. Aus Griechenland brachte man einige Dutzend junge Frauen, die in den Experimenten starben. Alle wurden liquidiert, sogar wenn das Experiment gelang. Keine Frau und kein Mann kamen lebend aus dem Block 10 heraus.
Man versuchte, künstliches Sperma herzustellen, aber alle Versuche schlugen fehl. Der den Frauen gespritzte, irgendwie künstlich hergestellte Spermaersatz hatte Infektionen zur Folge. Die Frauen, die jenem Experiment unterzogen worden waren, tötete man danach mit Phenol.
Kamerad 101, der diese ganzen Qualen mitansehen musste, erreichte einen für einen langjährigen Häftling außergewöhnlichen Zustand der Niedergeschlagenheit. Zeuge dessen, was im Block 10 geschah, war auch Kamerad 57 [Edward Ciesielski]. Beide leben und sind gegenwärtig in Freiheit.
Wie weiter
Oftmals, wenn wir am Abend mit unseren Leuten in Oświęcim zusammensaßen, sagten wir uns, dass wenn einer von uns hier lebend herauskomme, dann wohl nur durch ein Wunder und es dann für ihn schwierig sein werde, mit Leuten auszukommen, die in dieser Zeit normal auf der Erde gelebt haben. Einige ihrer Angelegenheiten kämen ihm nichtig vor. Sie würden ihn auch nicht verstehen. Aber wenn wirklich einer hinauskäme, dann wäre es seine Pflicht, der Welt mitzuteilen, wie wahre Polen hier starben. Er müsste auch davon sprechen, wie hier die Menschen allgemein starben, die von Menschen ermordet wurden… Wie komisch das doch im christlichen Wortlaut ist: Ermordet von ihren Nächsten, so wie vor Jahrhunderten. Deswegen hatte ich auch geschrieben, dass wir sehr tief gefallen sind… aber wohin genau? Wohin führt unser „zivilisatorische Fortschritt“?