Witold Pileckis Bericht aus Auschwitz

polnischer Patriot und Kavallerie-Offizier Witold Pilecki

polnischer Patriot und Kavallerie-Offizier Witold Pilecki
Sein Deckname war Tomasz Serafinski. Und er wurde registriert als Nummer 4859

Razzia / Gefangennahme

19. September 1940 – die zweite Razzia in Warschau. Noch sind einige Zeugen am Leben, die gesehen haben, wie ich um 6:00 Uhr morgens alleine ging und mich an der Ecke Aleja Wojska und Feliński-Strasse in eine der Fünfergruppen einreihte, die die SS-Männer aus den aufgegriffenen Männern zusammenstellten. Auf dem Wilson-Platz wurden wir in Lastwagen gepfercht in die Kasernen der leichten Kavallerie gefahren. In einem provisorischen Büro wurden unsere Personalien aufgenommen und alle scharfen Gegenstände eingezogen (unter der Drohung, jeden zu erschießen, bei dem sich später auch nur eine Rasierklinke fände). Später wurden wir in die Reithalle gebracht. Dort blieben wir den 19. und 20. September.

In diesen zwei Tagen schafften es manche schon, Bekanntschaft mit dem Gummiknüppel zu machen, den man ihnen über den Kopf zog. Jedoch hielten sich die Schläge in Grenzen, jedenfalls für Menschen, die an diese Methode der Polizeikräfte, die Ordnung aufrechtzuerhalten, gewohnt waren. In dieser Zeit kauften einige Familien ihre Nächsten frei und zahlten den SS-Männern horrende Summen. Des Nachts schliefen wir Seite an Seite auf dem nackten Boden. Ein riesiger Scheinwerfer am Ausgang beleuchtete die Halle. An allen vier Seiten waren SS-Männer mit Maschinengewehren platziert.

Wir waren etwas mehr als 1.800 Polen. Am meisten regte ich mich über die Passivität der Masse auf. Die Verhafteten waren schon einer Art Massenpsychose erlegen, die dadurch zum Ausdruck kam, dass sich die ganze Menge wie eine Schafherde verhielt.

Mich reizte ein einfacher Gedanke: Den Verstand wachzurütteln, die Masse zu einer Handlung zu bewegen. Mein Gefährte Sławek Szpakowski leistete mir Gesellschaft (ich weiss, dass er bis zum Warschauer Aufstand im August 1944 am Leben war), und ich schlug ihm sogar eine gemeinsame nächtliche Aktion vor: die Masse unter Kontrolle zu bringen, die Wachen anzugreifen, wobei ich – bei einem Gang auf die Toilette – auf den Scheinwerfer „fallen“ und ihn damit unbrauchbar machen würde. Aber ich war doch zu einem anderen Zweck hier, und hier hätte ich mich auf eine viel unwichtigere Sache eingelassen. Mein Kamerad fand ohnehin, der Gedanke sei allzu phantastisch.

Der Transport

Am Morgen des 21. September lud man uns auf Lastwagen. In Gesellschaft einer Motorradeskorte mit Maschinengewehren fuhr man uns zum Westbahnhof und verfrachtete uns in Güterzüge. Offensichtlich war in diesen Waggons vorher Kalk befördert worden, da der ganze Boden damit bedeckt war. Die Waggons wurden zugesperrt. Man transportierte uns den ganzen Tag. Zu trinken und zu essen bekamen wir nichts. Davon abgesehen, dass sowieso niemand etwas essen wollte. Wir hatten noch das Brot, das uns am Vortag ausgegeben worden war – Brot, das wir nicht zu essen und zu würdigen wussten. Wir waren nur sehr durstig. Der Kalkstaub wurde durch die Erschütterungen bei der Fahrt aufgewirbelt. Er stieg in die Luft, reizte unsere Nasen und Kehlen. Sie gaben uns nichts zu trinken. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, aber durch die Ritzen sahen wir, dass sie uns in Richtung Częstochowa transportierten. Gegen 10 Uhr abends hielt der Zug irgendwo an und fuhr nicht mehr weiter. Man hörte, wie gerufen und geschrien wurde, wie die Güterwagen geöffnet wurden, und die Hunde bellten.

Erste Eindrücke

In meiner Erinnerung war es dieser Ort, an dem ich mit allem abschloss, was vorher auf der Erde gewesen war. Was ich jetzt begann, befand sich wohl jenseits von ihr. Ich suche nicht krampfhaft nach ungewöhnlichen Begriffen. Im Gegenteil: Ich denke, dass schöne oder leere Worte hier fehl am Platz sind. So war es. Auf unsere Köpfe schlugen nicht nur die SS-Männer mit ihren Gewehrkolben ein – es traf uns noch viel mehr. Unsere ganzen Vorstellungen von der Welt, einer gewissen Ordnung, einer Rechtsordnung, wurden mit den Füssen getreten. Alles brach in sich zusammen. Man versuchte so fest wie möglich zuzuschlagen, und uns so schnell wie möglich psychisch zu brechen.

Das Stimmengewirr und der Krach näherten sich mehr und mehr. Endlich wurden die Türen unseres Waggons aufgerissen. Die Scheinwerfer, die in das Innere gerichtet waren, blendeten uns.

– Heraus! rrraus! rrraus! – bellte es, und die Gewehrkolben der SS-Männer regneten auf die Schultern, Rücken und Köpfe meiner Kameraden. Jetzt ging es darum, möglichst schnell herauszukommen. Ich sprang und ausnahmsweise bekam ich keinen Kolbenschlag ab; wir reihten uns in Fünfergruppen auf, und ich kam in der Mitte zu stehen. Eine Meute von SS-Männern schlug, trat und machte einen Höllenlärm: „zu Fünfe!“. Jene am Rand der Fünferreihen wurden von Hunden angesprungen, aufgehetzt von den wild gewordenen Soldaten. Wir wurden von den Scheinwerfern geblendet, gestossen, geschlagen, getreten, von Hunden gehetzt und fanden uns plötzlich in einer Situation wieder, in der sich wohl kaum einer von uns je befunden hatte. Die Schwächeren von uns waren so bestürzt, dass sie völlig den Kopf verloren.

Man trieb uns vorwärts, hin zu einer grösseren Ansammlung von Lichtern. Auf dem Weg dorthin wurde einem von uns befohlen, zu einem Pfosten abseits des Weges zu rennen und sofort wurde ihm eine Maschinengewehrsalve hinterhergeschickt. Der Mann war tot. Aus unserer Mitte wurden dann willkürlich zehn Leute herausgezogen und während dem Marsch mit Pistolenschüssen getötet. Dies geschah im Rahmen der „kollektiven Verantwortung“ für die „Flucht“, die von den SS-Männern selbst inszeniert worden war. Alle elf wurden mit einem Riemen am Bein weiter mitgezogen. Die Hunde wurden mit den blutigen Körpern gereizt und auf sie gehetzt. Das Ganze wurde von Lachen und Spott begleitet.

Empfang, in der Hölle

Wir näherten uns dem Tor, das durch einen Stacheldrahtzaun führte, und auf dem die Aufschrift angebracht war „Arbeit macht frei“. Erst später lernten wir ihren wahren Sinn gut kennen. Hinter der Einzäunung waren Steingebäude aufgereiht, zwischen ihnen war ein breiter Platz auszumachen. Wir standen in einem Spalier von SS-Männern direkt vor dem Tor und hatten einen Moment Ruhe. Die Hunde wurden abgeführt, und wir hatten uns in unseren Fünferreihen ordentlich aufzustellen. Hier wurden wir peinlich genau gezählt, am Ende addierte man die herbeigeschleiften Leichen hinzu. Der hohe und zu der Zeit einreihige Stacheldrahtzaun und das Tor voller SS-Männer riefen mir unwillkürlich einen chinesischen Aphorismus in Erinnerung, den ich einmal gelesen hatte: „Wenn du hier eintrittst, dann denke an die Rückkehr – so wirst du heil herauskommen.“ Ein ironisches Lächeln regte sich tief in mir, erlosch… was würde das hier von Nutzen sein…

Hinter dem Draht, auf dem großen Platz, versetzte uns ein anderer Anblick einen Stoß. In diesem etwas unwirklichen, uns von allen Seiten abtastenden Scheinwerferlicht waren so etwas wie Pseudo-Menschen zu sehen. Sie verhielten sich eher wie wilde Tiere (ich bezeichne sie hier ohne Gewissensbisse als Tiere, da es in unserer Sprache noch kein Wort für solche Geschöpfe gibt). Sie trugen merkwürdige gestreifte Kleidung, wie wir sie in den Filmen über das Gefängnis Sing-Sing gesehen hatten, mit an farbigen Bändern hängenden Auszeichnungen (in dem flimmernden Licht erschien es mir so). Sie hatten Stöcke in ihren Händen und warfen sich mit einem wilden Lachen auf einzelne Kameraden. Sie schlugen sie auf den Kopf, traten die schon auf dem Boden liegenden in die Nieren und in andere empfindliche Körperteile, sprangen mit ihren Schuhen auf ihren Brustkorb, den Bauch – sie töteten in einer unheimlichen Art von Enthusiasmus.

„Wir sind in ein Irrenhaus gesperrt worden!…“, fuhr es mir durch den Kopf. Wie dumm von mir – ich dachte noch in menschlichen Kategorien. Menschen, die zufällig in eine Razzia geraten waren; also hatten sie sogar für deutsche Begriffe keinerlei Schuld gegenüber dem Dritten Reich auf sich geladen. Durch den Kopf geisterten mir die Worte von Janek Włodarkiewicz nach der ersten Razzia in Warschau (im August). „Hier, schau, du hast eine gute Gelegenheit verpasst – den Leuten, die auf der Straße verhaftet werden, wirft man keine politischen Vergehen vor. Auf diese Art kann man am sichersten in das Lager gelangen.“ Was für eine naive Vorstellung hatten wir, dort weit weg in Warschau, von dem Schicksal der Polen, die in das Lager gebracht worden waren. Man brauchte überhaupt kein politischer Fall zu sein, um hier zu sterben. Der erstbeste wurde getötet.

Der Anfang wurde damit gemacht, dass ein gestreifter Mann mit einem Knüppel in der Hand fragte: „Was bist du von zivil?“. Die Antwort: Priester, Richter oder Anwalt hatte zu diesem Zeitpunkt Prügel und Tod zur Folge.

Vor mir in der Fünferreihe stand ein Kamerad, der auf die Frage die ihm mit einem gleichzeitigen Griff an die Kleidung unterhalb der Kehle entgegengeworfen wurde antwortete: „Richter“. Eine fatale Antwort. Einen Augenblick später lag er am Boden und wurde getreten und geschlagen.

Eins war also klar: Man würde sich darauf konzentrieren, die polnische Intelligenz zu eliminieren. Nach dieser Einsicht änderte ich ein wenig meine Meinung. Das sind keine Verrückten, sondern eine Art monströses Instrument zur Vernichtung der Polen, angefangen bei der Elite.

Wir hatten schrecklichen Durst. Gerade wurden Kessel mit irgendeiner Flüssigkeit angeliefert. Unsere Mörder verteilten Tassen mit diesem Trank in unseren Reihen und fragten: „Was bist du von zivil?“ Wir bekamen das ersehnte Getränk (wichtig war nur, dass es flüssig war), indem wir irgendeinen Arbeiter- oder Handwerksberuf nannten. Diese Schein-Menschen schlugen und traten uns weiter und riefen dabei…. „hier ist KL Auschwitz – mein lieber Mann!“.

Wir fragten uns gegenseitig, was das zu bedeuten hatte. Einige wussten, dass hier Oświęcim war, aber für uns war das nur der Name einer dieser polnischen Kleinstädte – die monströse Bedeutung dieses Lagers war noch nicht bis Warschau vorgedrungen; der Welt war sie auch nicht bekannt. Ein wenig später reichte allein das Wort, um das Blut in den Adern der freien Menschen gefrieren zu lassen; es bereitete den Häftlingen im [Warschauer Gestapo-Gefängnis] Pawiak,[Krakauer] Montelupich, in Wiśnicz, in Lublin schlaflose Nächte. Einer der Kameraden erklärte uns, wir seien in den Baracken des 5. Kavallerie-Regiments ganz in der Nähe der Stadt Oświęcim.

Wir erfuhren, dass wir ein „Zugang“ von polnischen Gangstern seien, die sich auf die friedfertige deutsche Zivilbevölkerung geworfen hatten, und dass wir dafür unsere angemessene Strafe erhalten würden. „Zugang“ wurden alles genannt, was neu in das Lager kam, jeder neue Transport.

In der Zwischenzeit wurde die Anwesenheit kontrolliert. Man schrie die Namen, die wir in Warschau angegeben hatten, und wir mussten schnell und laut „Hier!“ antworten. Dabei gab es viele Gründe uns zu schikanieren und zu schlagen. Nach der Überprüfung wurden wir zu Hunderten ins „Bad“ geschickt, wie es hochtrabend hieß. So empfing man die Transporte der Menschen, die auf Warschaus Straßen gefangen wurden, angeblich um nach Deutschland zur Arbeit verschickt zu werden; so wurden alle Transporte in den ersten Monaten des Bestehens des Lagers aufgenommen.

Seidler, Kleidung, Nummerausgabe

Aus der Dunkelheit, irgendwo von oben her (über der Küche), meldete sich der Henker der 2. Schutzhaftlagerführer Fritz Seidler: „Es soll bloß keiner glauben, er komme hier je wieder lebend heraus… Eure Essensportion ist so berechnet, dass keiner mehr als sechs Wochen lebt. Wer länger lebt, stiehlt. Wer stiehlt – findet sich in der SK [Strafkompanie] wieder, dort lebt niemand lange.“ Dies wurde von Władysław Baworowski – dem Lagerübersetzer – übersetzt. Es ging ihnen darum, uns möglichst schnell psychisch zu brechen.

In Schubkarren und auf einen auf den Platz gefahrenen „rolwaga“ [Rollwagen] legten wir das ganze Brot, das wir besaßen. Niemand trauerte ihm zu diesem Zeitpunkt nach, da niemand ans Essen dachte. Wie doch später häufig allein der Gedanke an diesen Moment das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ und uns rasend machte. So viele Schubkarren und ein ganzer Rollwagen voller Brot! Wie Schade, dass man sich nicht auf Vorrat satt essen konnte.

Zusammen mit hundert anderen Männern befand ich mich schließlich vor dem Badesaal (Block 18, alte Nummerierung. Hier mussten wir alles, was wir noch besaßen, in Säcke geben; an diese wurden die jeweiligen Nummern angebunden. Hier wurden uns die Haare am Kopf und am Körper abrasiert, man sprenkelte uns mit ein wenig beinahe kalten Wassers ab. Hier wurden mir die ersten zwei Zähne ausgeschlagen: Dafür, dass ich meine Kennnummer, die auf ein Täfelchen geschrieben war, in der Hand und nicht zwischen den Zähnen hielt, wie es gerade an diesem Tag der Bademeister wollte. Ich bekam einen schweren Knüppelschlag auf meinen Kiefer. Ich spuckte zwei Zähne aus. Blut floss.

Von dem Zeitpunkt an waren wir nur noch Nummern. Die Dienstbezeichnung war: Schutzhäftling, Nummer so und so. Ich hatte die Nummer 4859. Zweimal die 13 (die zwei inneren und die zwei äusseren Ziffern jeweils zusammengezählt), das bestärkte die Kameraden in ihrer Überzeugung, ich würde sterben. Ich – freute mich darüber.

Wir bekamen weiß-blau gestreifte Kleidung aus Drillich, dieselbe, die uns in der Nacht so schockiert hatte. Der Morgen des 22. September 1940 graute schon. Jetzt wurde vieles klar. Die Schein-Menschen trugen auf dem linken Oberarm gelbe Binden mit der schwarzen Aufschrift „CAPO“. Die farbigen Bänder mit den Medaillen aus der Nacht entpuppten sich als farbiges Dreieck, als „winkiel“ [Winkel] auf der linken Brust. Darunter, und wie das Ende eines Bandes, war eine kleine schwarze Nummer auf einem weißen Stoffstück angebracht.

Die Winkel gab es in fünf verschiedenen Farben. Politische Verbrecher trugen rote, Kriminelle – grüne; Leute, die Arbeit im Dritten Reich verweigerten – schwarze, Bibelstudenten (Zeugen Jehovas) – violette und Homosexuelle – rosane. Die Polen, die auf den Straßen von Warschau für Arbeit in Deutschland aufgegriffen worden waren, bekamen rote Winkel – wir waren also politische Verbrecher. Ich muss gestehen, dass mir von allen Farben diese am besten zusagte.

Eingekleidet in Häftlingskleidung aus Drillich, ohne Mützen und Socken (Socken bekam ich am 8. und eine Mütze am 15. Dezember 1940), mit von den Füssen fallenden Holzschuhen, wurden wir auf den sogenannten Appellplatz geführt und in zwei Hälften geteilt. Die einen gingen in Block 10, die anderen (wir) in Block 17, in den ersten Stock. Sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stock der einzelnen Blöcke wurden Gefangene („Häftlinge“) untergebracht. Sie wirtschafteten getrennt und hatten eine eigene Verwaltung, sie bildeten einen unabhängigen „Block“. Zur Unterscheidung wurde den Nummern aller Blöcke der ersten Etage ein „a“ angehängt.

Wir wurden also dem Block 17a und dem Blockältesten Alojz Staller ausgeliefert. Er wurde später „Krwawy Alojz“ („Blutiger Alois“) genannt. Er war Deutscher – ein Kommunist mit einem roten Winkel – ein entarteter Mensch, der um die sechs Jahre in verschiedenen Lagern verbracht hatte. Er schlug, folterte, misshandelte – so tötete er jeden Tag mehrere Personen. Er liebte Ordnung und militärische Disziplin, er ordnete die Reihen mit Knüppelschlägen. „Unser Block“ war in 10 Reihen auf dem Platz aufgestellt. Ausgerichtet mit dem Knüppel des durch die Reihen laufenden Alojz, konnte er künftig ein Beispiel für die Kunst des Antretens abgeben.

Jetzt, am Morgen, durchlief er unsere Reihen zum ersten Mal. Er machte aus uns – dem Zugang – einen neuen Block. Er suchte unter den Unbekannten solche, die sich dazu eigneten Zucht und Ordnung im Block aufrechtzuerhalten. Das Schicksal wollte es, dass er mich auserwählte. Er nahm auch Karol Świętorzecki (ein Reserveoffizier des 13. Ulanerregimentes), Witold Różycki (nicht jener Kapo Adam] Różycki mit dem schlechtem Ruf; dieser war ein rechtschaffener Mann von der Władysława-Strasse in Warschau) und einige andere. Rasch führte er uns in den Block, in den ersten Stock, befahl, sich in einer Reihe an der Wand aufzustellen, sich umzudrehen und zu bücken. Er zog jedem von uns aus voller Kraft fünf Schläge mit dem Knüppel über; auf die Stelle, die anscheinend dafür vorgesehen war (das Hinterteil). Wir mussten sehr fest auf die Zähne beißen, um nicht laut aufzustöhnen. Der Test – so scheint es mir – fiel für uns gut aus. „Damit ihr wisst, wie sich das anfühlt – so müsst ihr eure Stöcke schwingen, um für Sauberkeit und Ordnung im Block zu sorgen.“

So wurde ich Stubendienst, aber nicht für lange. Obwohl wir in unserem Block vorbildlich Ordnung und Sauberkeit hielten, gefielen Alojz die Methoden nicht, mit denen wir versuchten, das zu erreichen. Er warnte uns mehrfach persönlich und durch „Kazik“ (seinem Vertrauten), und als dies nichts brachte, bekam er einen Wutanfall und warf einige von uns in das Lager, für drei Tage, und sagte: „Damit ihr wisst, wie sich die Arbeit im Lager anfühlt und damit ihr das Dach über dem Kopf und die Ruhe, die ihr auf dem Block habt, besser zu würdigen wisst“. Ich sah, dass jeden Tag weniger Leute von der Arbeit zurückkehrten – ich wusste, dass sie bei dieser oder jener Schwerarbeit „fertig gemacht“ worden waren. Aber erst jetzt sollte ich am eigenen Leib erfahren, wie der Arbeitstag eines gewöhnlichen Lagerhäftlings aussah. Und arbeiten mussten alle. Im Block konnte nur der Stubendienst bleiben.

Lebensbedingungen

Wir schliefen alle nebeneinander auf dem Boden auf ausgebreiteten Strohsäcken. In der ersten Zeit hatten wir überhaupt keine Betten. Der Tag begann für alle mit einem Gongschlag: im Sommer um 4:20 Uhr, im Winter um 3:20 Uhr. Bei diesem Ton, der wie ein unerbittliches Gebot erscholl, sprang man auf. Die Decke wurde schnell zusammengelegt, die Ränder genau ausgerichtet. Der Strohsack wurde an das eine Ende der Baracke getragen, wo er von „siennikowi“ (den für die Strohsäcke verantwortlichen Häftlingen) gepackt wurde, mit dem Ziel ihn auf den errichteten Haufen zu legen. Die Decke wurde am Saalausgang einem „kocowy“ (dem für die Decken verantwortlichen Häftling) abgegeben. Das Anziehen war bereits im Korridor abgeschlossen. All dies geschah im Rennen, in Eile, denn auch „Krwawy Alojz“ stürzte mit dem Schrei „Fenster auf!“ und einem Stock in den Saal, und nun musste man sich sputen, um einen Platz in der langen Reihe vor der Toilette einzunehmen. In der ersten Zeit hatten wir keine Toiletten in den Blöcken. Am Morgen rannte man zu den wenigen Latrinen, wo sich manchmal bis zu zweihundert Leute in eine Schlange stellten. Es gab wenig Sitze. Drinnen stand ein Kapo mit einem Knüppel und zählte bis fünf – wer zu spät aufstand, den schlug er mit dem Knüppel auf den Kopf. Nicht wenige fielen in die Grube. Von den Latrinen jagte man zu den Pumpen, von denen ein paar auf dem Platz standen (in der ersten Zeit gab es keine Badeanstalt in den Blöcken). Einige tausend Leute mussten sich an diesen Pumpen waschen. Man kann verstehen, dass das unmöglich war. Man kämpfte sich gewaltsam zu der Pumpe heran, fing etwas Wasser mit der hohlen Hand auf. Die Füße mussten am Abend dennoch sauber sein. Die Blockältesten machten am Abend ihren Rundgang, bei dem der Stubendienst einen Bericht darüber machte, wie viele Häftlinge auf den Strohsäcken lagen; sie prüften die Sauberkeit der Füße, die so unter den Decken herausschauen mussten, dass die Sohle zu sehen war. Wenn ein Fuß zu wenig sauber war, oder wenn der Blockälteste ihn so einschätzen wollte, wurde der Delinquent auf einem Tisch geschlagen. Er bekam zehn bis zwanzig Schläge mit dem Stock.

Das war eine Methode uns zu Grunde zu richten, ausgeübt unter dem Deckmäntelchen der Hygiene. Ein Zugrunde richten war auch, den Organismus in den Latrinen zu zerstören, indem man die Bedürfnisse auf der Toilette unter Befehl und unter Stress verrichtete, der nervenzehrende Trubel an den Pumpen, auch die immer währende Eile und der „Laufschritt“, der in der ersten Zeit des Bestehens des Lagers überall angewandt wurde.

Von den Pumpen rannten dann alle in den Block, für den sogenannten Kaffee oder Tee. Die Flüssigkeit war zwar heiß – sie wurde in Kesseln in den Saal gebracht – aber sie imitierte diese Getränke unzureichend. Zucker bekam der einfache, durchschnittliche Häftling gar nie zu sehen. Mir fiel auf, dass einige der Kameraden, die schon mehrere Monate hier waren, geschwollene Gesichter und Beine hatten. Die von mir gefragten Ärzte klärten mich auf, dass der Grund dafür ein Überschuss an Flüssigkeit sei. Die Nieren oder das Herz versagen aufgrund der ungeheuren Anstrengung des Organismus bei der körperlichen Arbeit, während der fast alles in flüssiger Form konsumiert wurde: Kaffee, Tee, „Awo“ und Suppe! Ich beschloss, Flüssigkeiten zu entsagen, die meinem Körper keinen Nutzen brachten, und ausschließlich bei „Awo“ und Suppe zu bleiben.

Überhaupt musste man seine Triebe beherrschen. Manche wollten wegen der Kälte nicht auf warme Flüssigkeiten verzichten. Schlimmer noch war es mit dem Rauchen, da der Häftling in der ersten Zeit seines Aufenthaltes im Lager kein Geld hatte, weil ihm nicht gleich erlaubt wurde, einen Brief zu schreiben. Darauf wartete er lange, und bevor die Antwort eintraf, vergingen ungefähr drei Monate. Wer sich nicht unter Kontrolle hatte und Brot gegen Zigaretten tauschte, der schaufelte schon eifrig an seinem eigenen Grab. Ich kannte viele solche – alle starben.

Es gab keine Gräber. Alle Leichen wurden im neu errichteten Krematorium verbrannt.

Also beeilte ich mich nicht, das heiße Gesöff im Block zu bekommen, andere boxten sich durch und lieferten so auch hier einen Grund für Schläge und Tritte.

Wenn ein Häftling mit geschwollenen Füssen eine bessere Arbeit und Essen an sich riss, dann kam er wieder zu Kräften und die Schwellung ging zurück, aber an den Beinen entstanden eiternde Geschwüre, die eine stinkende Flüssigkeit absonderten, manchmal auch Phlegmone, die ich erst hier zum ersten Mal sah. Indem ich Flüssigkeiten mied, entging ich dem glücklicherweise.

Noch hatten es nicht alle geschafft, das heiße Gesöff zu bekommen, und schon räumte der Stubendienst mit dem Stock den Saal, der vor dem Appell geputzt sein musste. In der Zwischenzeit wurden die Strohsäcke und Decken geordnet, nach der Mode, die in diesem Block vorherrschte, und die Blöcke konkurrierten untereinander bei der Anordnung unseres „Betts“. Jetzt musste noch der Boden gewischt werden.

Der Gong zum Morgenappell schlug um 5:45 Uhr. Um 6:00 Uhr standen alle in geordneten Reihen (jeder Block stellte sich in zehn Reihen auf, was das Zählen erleichterte). Beim Appell mussten alle anwesend sein. Wenn es Zwischenfälle gab und jemand fehlte – nicht, weil er geflohen war – aber wenn sich zum Beispiel irgendein Neuling naiv versteckte oder einfach verschlief, und die Zahl der beim Appell Anwesenden nicht mit der Anzahl der Häftlinge im Lager übereinstimmte, so wurde der Betreffende gesucht, gefunden, auf den Platz gezogen und fast immer vor allen getötet. Manchmal fehlte ein Häftling, der sich irgendwo unter dem Dach aufgehängt hatte oder gerade während dem Appell „in den Draht gegangen“ war – dann erschallten die Schüsse des Postens auf dem Wachturm und der Häftling fiel, von Schüssen durchbohrt. „In den Draht“ gingen die Häftlinge überwiegend am Morgen vor einem neuen Tag der Qualen. Vor der Nacht, die einige Stunden Pause von den Plagen bedeutete, geschah das seltener. Es gab einen offiziellen Befehl, der verbot einen Kameraden am Selbstmord zu hindern. Wurde ein Häftling bei einer derartigen „Verhinderung“ erwischt, kam er zur Strafe in den Bunker.

Machtpositionen

Für alle Machtpositionen innerhalb des Lagers wurden ausschließlich Häftlinge rekrutiert. Am Anfang waren das Deutsche, später stiegen Häftlinge anderer Nationen in diese Positionen auf. Der Blockälteste (mit einem roten Band mit der weißen Aufschrift „Blockältester“ auf dem rechten Oberarm) drangsalierte die Häftlinge in den Blöcken mit der Lagerordnung und dem Stock. Er war für den Block verantwortlich und hatte nichts mit der Arbeit der Häftlinge zu tun. Hingegen plagte der Kapo die Häftlinge mittels Arbeit und Stock im „Kommando“, und er war für die Arbeit eines gegebenen Kommandos verantwortlich.

Die höchste Machtposition im Lager hatte der Lagerälteste. Am Anfang waren ihrer zwei: „Bruno“ und „Leo“ – beides Häftlinge. Zwei Schufte, vor denen alle vor Angst zitterten. Sie mordeten vor den Augen aller, manchmal mit einem Stockschlag oder mit der Faust. Der echte Name des ersten war Bronisław Brodniewicz, des zweiten Leo Wieczorek. Es waren zwei Ex-Polen im Dienst der Deutschen… Sie waren anders als alle anderen gekleidet, trugen Stiefel, dunkelblaue Hosen, Jacken und Baskenmützen und auf dem linken Oberarm ein schwarzes Band mit weißer Aufschrift, sie bildeten ein finsteres Paar und gingen oft zusammen.

Dennoch krochen alle diese Machthaber innerhalb des Lagers, die sich aus Leuten „hinter dem Draht“ rekrutierten, vor jedem SS-Mann zu Staub; auf seine Frage antworteten sie erst, nachdem sie die Mütze abgenommen hatten, stramm stehend. Was für ein Nichts doch ein gewöhnlicher Häftling war…. Die machthabenden Übermenschen in Soldatenuniform, die SS-Männer, wohnten außerhalb der Drähte, in Kasernen und im Städtchen.

Ich komme zur Tagesordnung im Lager zurück.

Der Appell. Wir standen, mit dem Stock ausgerichtet, in einfachen Reihen wie eine Wand (übrigens sehnte ich mich geradezu nach den gut ausgerichteten Reihen des polnischen Militärs aus Zeit des Krieges von 1939). Gegenüber von uns ein makabres Bild: die aufgestellten Reihen des Blockes Nr. 13 (alte Nummerierung), der SK (Straf-Kompanie), die der Blockälteste
Ernst Krankemann ausrichtete und dabei ein radikales Mittel anwendete und direkt das Messer gebrauchte. In die SK kamen in dieser Periode alle Juden, Priester und einige Polen, deren Vergehen nachgewiesen worden waren. Krankemann hatte die Pflicht, so schnell wie möglich die Häftlinge zu töten, die ihm fast jeden Tag zugewiesen wurden; diese Pflicht entsprach dem Charakter jenes Menschen. Wenn sich jemand unbedacht ein paar Zentimeter vorschob, dann stach er ihn mit dem Messer, das er in seinem rechten Ärmel trug. Derjenige aber, der sich wegen übermäßiger Vorsicht etwas zu viel zurückzog, bekam von dem die Reihen durchlaufenden Henker einen Hieb in die Nieren. Der Anblick eines fallenden Menschen, der mit den Beinen um sich trat oder stöhnte, machte Krankemann rasend. Er sprang dann auf seinem Brustkorb herum, trat ihm in die Nieren, in die Geschlechtsorgane, tötete so schnell wie möglich. Uns ließ dieser Anblick erzittern.

Dann konnte man unter den Polen, die Schulter an Schulter standen, einen einzigen Gedanken spüren – wir waren alle eins in unserer Wut und unserem Verlangen nach Vergeltung. Ich spürte jetzt ein Umfeld, das sich perfekt dafür eignete, um die Arbeit zu beginnen. Ich entdeckte in mir so etwas wie Freude. Einen Augenblick später entsetzte ich mich, ob ich noch bei gesundem Verstand sei – diese Freude – das ist wohl kaum normal. Aber dennoch fühlte ich Freude – vor allem aus dem Grund, weil ich meine Arbeit anfangen wollte, und daher würde ich nicht zerbrechen. Das war der Moment meiner grundlegenden psychischen Wende. Bei einer Krankheit würde es heißen: Die Krise ging glücklicherweise vorbei.

Vorläufig musste man jedoch unter größter Anstrengung darum kämpfen, am Leben zu bleiben.

Nach dem Appell kündigte der Gong an: „Arbeitskommando formieren!“. Auf diese Parole warfen sich alle auf die Kommandos – auf jene Arbeitsabteilungen, die ihnen besser erschienen. Zu diesem Zeitpunkt war noch ein Chaos bei der Einteilung (nicht so wie später, als jeder ruhig zu dem Kommando ging, wo er als Nummer eingeschrieben war). Die Häftlinge rannten in die verschiedensten Richtungen, versperrten sich gegenseitig den Weg, was die Kapos, Blockältesten und SS-Männer ausnutzten, um die Rennenden oder Umstürzenden mit Stöcken zu schlagen, ihnen ein Bein zu stellen, zu stoßen. Dabei traten sie immer in die empfindlichsten Stellen.

Alojz hatte mich zur Strafe in das Lager geschmissen, und ich arbeitete an den Schubkarren, die Kies transportieren. Ich wusste einfach nicht, wo ich stehen sollte, da ich kein Kommando ausgesucht hatte, und stellte mich in eine der Fünfergruppen der Hundert, die man zu dieser Arbeit genommen hatte. Hier arbeiteten vor allem Kameraden aus Warschau. Die im Vergleich zu uns älteren „Nummern“, das heißt, diejenigen, die schon länger als wir hier waren, die bisher davonkommen waren, nahmen schon bequemere „Posten“ ein. Uns – aus Warschau – tötete man massenhaft bei den verschiedensten Arbeiten. Manchmal beförderten wir Kies aus einer aufgebrochenen Grube in eine zugeschüttete und wieder zurück. Ich fand mich unter jenen wieder, die Kies transportierten, das nötig war, um das Krematorium fertig zu stellen.

Das Krematorium bauten wir für uns. Das Baugerüst um den Kamin erhob sich immer höher. Mit dem Karren, der durch die „Vorarbeiter“ gefüllt wurde, Speichellecker, die unerbittlich zu uns waren, musste man sich schnell bewegen, über die weiter entfernt liegenden Bretter hatten wir den Karren im Laufen zu schieben. Alle 15 bis 20 Schritte stand ein Kapo mit einem Stock, schlug die vorbeiziehenden Häftlinge, schrie „Laufschritt!“. Hinauf schob man den Karren langsam. Mit einem leeren Karren war der „Laufschritt“ die ganze Trasse über Pflicht. Hier wetteiferten Muskeln, Pfiffigkeit und die Augen miteinander im Kampf um das Leben. Man musste viel Kraft haben, um den Karren zu schieben, man musste ihn auf dem Brett halten können, man musste beobachten und den entsprechenden Moment aussuchen, um mit der Arbeit innezuhalten, damit man Atem in die müden Lugen schöpfen konnte. Gerade hier sah ich, wie viele von uns Gebildeten sich unter schweren, rücksichtslosen Bedingungen nicht zu helfen wissen. Ja, da untergingen wir einer harten Selektion.

Der Sport, die Gymnastik, die ich einmal getrieben hatte, erwiesen mir hier einen großen Dienst. Ein gebildeter Mann, der sich ratlos umschaute und Rücksicht oder Hilfe bei jemandem suchte, fast so, als würde er sie aus dem Grund verlangen, dass er Anwalt oder Ingenieur war, traf immer auf einen harten Stock. Hier war der Rechtsanwalt mit einem Bäuchlein oder der Gutsherr unfähig, den Karren zu schieben, so dass er von den Brettern in den Sand fiel und er ihn aus eigener Kraft nicht mehr heraushieven konnte. Dort boten wieder ein ratloser Professor mit Brille oder ein älterer Herr ein weiteres klägliches Bild. Alle, die sich zur Arbeit nicht eigneten oder keine Kraft mehr hatten, mit dem Karren zu rennen, wurden geschlagen; wenn sie fielen wurden sie mit dem Knüppel oder Stiefel getötet. Gerade in diesen Momenten, wenn ein anderer Häftling getötet wurde, stand der Mensch wahrhaftig wie ein Tier für ein paar Minuten still, schöpfte Atem in seine schnell arbeitenden Lungen, beruhigte das hämmernde Herz.

Der Gong zum Mittagessen wurde von allen mit Freude aufgenommen; zu jener Zeit ertönte er im Lager um 11:20 Uhr. Zwischen 11:30 und 12:00 Uhr wurde der Mittagsappell abgehalten – meistens recht schnell. Zwischen 12:00 und 13:00 Uhr war Zeit für das Mittagessen vorgesehen. Nach dem Mittagessen rief der Gong erneut die Arbeitskommandos zusammen, und es folgte eine weitere Marter bis zum Gong für den Abendappell.

Am dritten Tag Arbeit „mit dem Schubkarren“, nach dem Mittagessen, schien es mir, als ob ich den Gong nicht mehr erleben würde. Ich war schon sehr erschöpft, und es war mir klar: Wenn es keine Schwächeren mehr als mich zu töten gäbe, dann würde die Reihe an mich kommen. „Krwawy Alojz“, dem unsere Arbeit in den Blöcken im Hinblick auf Ordnung und Sauberkeit gefiel, nahm uns nach drei Straftagen im Lager wieder gnädig im Block auf und sprach: „Jetzt wisst ihr, wie die Schufterei im Lager aussieht – „Passt auf!“ mit der Arbeit im Block, damit ich Euch nicht für immer ins Lager werfe“.

Was mich angeht, so machte er seine Drohung schnell wahr. Ich wandte die Methoden, die er forderte und die „Kazik“ angeordnet hatte, gegenüber meinen Kameraden nicht an, und ich flog unter Geschrei aus dem Block.

Anfang der Verschwörung

Meine grundlegende Aufgabe zu jenem Zeitpunkt war es, eine militärische Organisation zu gründen. Mit folgenden Zielen: die Aufrechterhaltung der Moral der Kameraden, indem Nachrichten von draussen beschafft und verbreitet wurden, die Organisation (im Rahmen der Möglichkeiten) von zusätzlichem Essen, das Verteilen von Unterwäsche unter den Organisierten, Nachrichtenübermittlung in die Außenwelt sowie als Krönung von allem die Vorbereitung von eigenen Einheiten, um die Kontrolle über das Lager zu übernehmen, wenn der Befehl zum Losschlagen kommen würde, durch Abwurf von Waffen oder Landung von Fallschirmjägern.

Ich begann meine Arbeit wie 1939 in Warschau, sogar mit einigen Leuten, die ich selbst damals in die Warschauer TAP (Tajna Armia Polska: Polnische Geheimarmee) hineingezogen hatte. Ich organisierte also die erste „piątka“ („Fünfergruppe“), in die ich einschwor:
Oberst Władysław Surmacki
Hauptmann Doktor Władysław Dering
Rittmeister Jerzy de Virion
Unterleutnant Alfred Stössel
Kamerad Roman Zagner
Der Kommandant dieser fünf wurde Oberst Władysław Surmacki. Doktor Władysław Dering bekam den Befehl, die Situation im Häftlingskrankenbau HKB unter Kontrolle zu bringen, wo er schon als Pfleger arbeitete (Polen hatten kein Recht, Arzt zu sein, offiziell wurden sie nur Krankenpfleger).

Im November 1940 schickte ich die erste Meldung in das Warschauer Hauptquartier, über Unterleutnant Tadeusz Burski (er wohnte bis zum Aufstand 1944 in Warschau in der Raszyńska-Strasse Nr. 58); er war ein Mitarbeiter unseres Geheimdienstes und wurde aus Oświęcim herausgekauft.

Oberst Władysław Surmacki weitete unsere Aktivitäten auf das Gebiet des Baubüros aus.

Alsbald organisierte ich noch vier „Fünfergruppen“. Die einzelnen Fünfergruppen wussten nicht, dass andere Fünfergruppen existierten; sie dachten, dass sie der Kopf der Organisation wären und entfalteten sich so, wie es die Summe der Fähigkeiten und Energie ihrer Mitglieder zuliessen. Ich tat dies aus Vorsicht: So würde ein eventuelles Auffliegen einer Fünfergruppe nicht den Fall einer benachbarte Fünfergruppe nach sich ziehen. Später berührten sich die erweiterten Fünfergruppen und spürten die gegenseitige Präsenz. Dann kamen oftmals meine Kameraden zu mir und meldeten: „Weisst du, hier versteckt sich noch irgendeine Organisation.“ Ich beruhigte sie, dass das für sie nicht von Bedeutung sei.

Aber das war später. Vorläufig gab es nur eine Fünfergruppe.

Krwawy Alojz

Inzwischen, an einem Tag im Block, nach dem Morgenappell, ging ich, um Alojz die Meldung zu machen, dass im Saal drei Kranke waren, die nicht zur Arbeit gehen konnten (sie waren kurz vor dem Ende). „Krwawy Alojz“ tobte. „Was, in meinem Block krank?!“… Es gibt keine Kranken! … Alle müssen arbeiten und Du auch! Schluss damit!…” und er stürzte mir mit dem Stock in der Hand in den Saal nach. „Wo sind sie?!…“

Zwei lagen an der Wand und atmeten schwer, der Dritte kniete in der Ecke des Saals und betete.

Was macht er ?! – schrie er mich an.

Er betet.

Betet?!Wer hat ihm das beigebracht?

Das weiß ich nicht – antwortete ich.

Er sprang zu dem Betenden, fing an ihn zu beschimpfen, und schrie, dass er ein Idiot sei, dass es keinen Gott gebe, dass er, Alojz, ihm Brot gebe und nicht Gott… – aber er schlug ihn nicht. Dann rannte er zu den beiden, die an der Wand lagen, und fing an, ihnen in die Nieren zu treten, auch in andere Körperteile, und schrie dabei: „auf!!!auf!!!...”, bis diese, den Tod vor Augen, sich mit letzter Kraft erhoben. Dann schrie er mich an: „Siehst Du! Ich sagte doch, dass sie nicht krank sind! Sie laufen, sie können arbeiten! Weg!“ Marsch zur Arbeit! Und du auch mit ihnen!“ Und so warf er mich damals hinaus zur Arbeit im Lager. Und jenen, der gebetet hatte, brachte er persönlich ins Krankenhaus. Ein seltsamer Mann war das – dieser Kommunist.

"Gymnastik", die Walze

Auf dem Platz fand ich mich in einer unklaren Situation wieder. Alle standen schon in ihren Arbeitskommandos, warteten auf den Abmarsch. Wenn man rannte, um sich als verspäteter Häftling in die Reihen zu stellen, bedeutete das, sich den Schlägen und Tritten von Kapos und SS-Männern auszusetzen. Ich sah, dass auf dem Platz eine Abteilung von Häftlingen stand, die sich außerhalb der Arbeitskommandos befand. In dieser Periode „trieb“ der Teil, der bei der Arbeit überflüssig war, Gymnastik. Vorläufig war bei ihnen weder ein Kapo noch ein SS-Mann zu sehen; diese waren damit beschäftigt, die Arbeitsgruppen aufzustellen. Ich rannte hin und stand in der Runde „für die Gymnastik“.

Früher hatte ich Gymnastik gemocht, aber seit meiner Zeit in Oświęcim ist meine Sympathie dafür nicht mehr ganz so groß. Von 6:00 Uhr morgens an, oft einige Stunden lang, standen wir und froren entsetzlich. Ohne Mützen und Socken, in dünner Drillichkleidung, in diesem voralpinen Klima des Herbstes 1940, am Morgen fast immer im Nebel, schüttelte es uns vor Kälte.

Die Füße und Hände, die oft aus den viel zu kurzen Hosenbeinen und Ärmeln herausragten, wurden dunkelblau. Man bewegte uns nicht. Wir mussten stehen und frieren. Die Kälte brachte den Tod. Und die vorbeigehenden Kapos und Blockältesten hielten an, lachten, und mit einer vielsagenden Armbewegung, was ein Davonfliegen imitierte, sagten sie: „… und das Leben fliiieeegtHa! Ha!“

Als sich der Nebel schon auflöste, die Sonne herauskam, es etwas wärmer wurde und bis zum Mittagessen nicht mehr viel Zeit war, da begann ein Rudel von Kapos, mit uns „Gymnastik“ zu treiben – man kann es getrost schwere Strafübungen nennen. Für diese Art von Gymnastik war viel zu viel Zeit bis zum Mittagessen.

Hüpfen! (wie ein Frosch hüpfen)

Rollen!

Tanzen!

Kniebeugen!

Einmal „hüpfen“ reichte zum Sterben. Es war unmöglich, um den großen Platz herum wie ein Frosch zu hüpfen – nicht wegen den Holzschuhen, denn die nahm man dabei in die Hände, und auch nicht, weil sich die Haut der bloßen Fußsohlen auf dem Kies blutig schürfte, sondern, weil keine Muskeln für so eine Leistung ausreichten. Wieder rettete mich mein Sporttraining der letzten Jahre. Wieder wurden hier die schwachen Studierten mit Bauchansatz zu Tode gebracht, für die das Froschhüpfen sogar über eine kurze Strecke unmöglich war. Wieder drosch der Stock auf den Kopf jener ein, die alle paar Schritte umkippten. Wieder eine erbarmungslose Art, Menschen zu töten. Und wieder, wie ein Tier, nutzte der Mensch die kurze Rast und holte Atem in dem Moment, als die Meute mit den Stöcken ein neues Opfer umringte.

Nach dem Mittagessen: die Fortsetzung. Bis zum Abend wurden viele leblose und halblebendige Körper aus der Runde gezogen, und sie beendeten ihr Leben rasch im Krankenhaus.

In nächster Nähe, neben uns auf dem Platz „arbeiteten“ zwei Walzen. Es ging aber nur zum Schein darum, den Boden zu planieren. Sie arbeiteten in Wahrheit, um die Menschen zu töten, welche die Walze zogen. An der einen, der kleineren, waren Priester und zusätzlich einige andere Häftlinge eingespannt – Polen, bis zu 20 oder 25. An der zweiten, größeren, waren etwa 50 Juden eingespannt. Sowohl auf der einen wie auch auf der anderen Deichsel standen Krankemann und ein anderer Kapo, die mit der Schwere ihres Körpers das Gewicht der Deichsel erhöhten, und sie auf das Genick und die Schultern der Häftlinge pressten, die die Walze zogen. Von Zeit zu Zeit ließ der Kapo oder der Blockälteste Krankemann mit stoischer Ruhe den Stock auf einen Kopf fallen, schlug dieses oder jenes Zugmenschentier mit solcher Kraft, dass er es oft unmittelbar niederstreckte. Oder er warf den Ohnmächtigen unter die Walze und schlug die restlichen Häftlinge, damit die Walze nicht anhielt. Aus dieser kleinen Leichenfabrik wurden im Laufe des Tages viele an den Beinen herausgezogen und in eine Reihe gelegt – für das Durchzählen während dem Appell.

Gegen Abend betrachtete der mit auf dem Rücken verschränkten Händen über den Platz schlendernde Krankemann mit einem zufriedenen Lächeln diese ehemaligen Häftlinge, die nun ihren Frieden gefunden hatten.

Die „Gymnastik“, die der „Todeskreis“ genannt wurde, übte ich zwei Tage lang aus. Am dritten Morgen, als ich im Kreis stand, überlegte ich, wie viel Prozent der noch übrig gebliebenen Turner körperlich schwächer und weniger trainiert waren als ich und rechnete mir aus, wie lange ich mich noch auf meine eigenen Kräfte verlassen konnte, als sich plötzlich meine Situation grundlegend änderte.

Arbeit als Ofensetzer

Die Kommandos marschierten zur Arbeit. Ein Teil zur Arbeit innerhalb der Drähte, ein Teil nach draußen (zur Arbeit hinter dem Tor, hinter der Einzäunung).

In der Nähe des Tors stand der Lagerführer mit einer Gruppe von SS-Männern vor einem Schreibtisch. Er machte eine Inspektion der herausgehenden Kommandos, prüfte ihre Zahl mit der im Register angegebenen. Dicht daneben stand der „Arbeitsdienst“ Otto Küsel (ein Deutscher, der nie einen Polen schlug). Gemäß der Bezeichnung seines Amtes war er es, der jedem Häftling eine Arbeit zuteilte. Er war dafür verantwortlich, die einzelnen Kommandos mit Arbeitern zu besetzten.

Während ich am Rand des Kreises stand, der sich in der Nähe des Tors befand, bemerkte ich, dass Otto im Galopp direkt auf uns zu rannte. Instinktiv rückte ich noch näher. Der „Arbeitsdienst“, stürzte sich besorgt direkt auf mich.

Vielleicht bist du ein Ofensetzer?

Jawohl! Ich bin ein Ofensetzer – erwiderte ich ohne lange zu überlegen.

Aber ein guter Meister?

Gewiss, ein guter Meister.

Also, schnell

Er befahl mir, noch weitere vier aus dem Kreis mitzunehmen und im Galopp hinter ihm zum Tor beim Block 9 (alte Nummerierung) zu rennen; sie gaben uns Eimer, Mauerkellen und Ziegelhämmer, Kalk, und unsere ganze Fünfergruppe stand geordnet vor dem Schreibtisch des Lagerführers, der zu jener Zeit Karl Fritzsch war. Ich schaute in die Gesichter meiner zufälligen Genossen. Ich kannte keinen von ihnen.

Fünf Ofensetzer – meldete Otto laut, außer Atem.

Sie gaben uns zwei Soldaten mit, und wir marschierten hinter das Tor in Richtung des Städtchens. Es zeigte sich, dass Otto einige Meister hätte bereitstellen sollen, um die Öfen in der Wohnung eines SS-Mannes zu versetzen. Er hatte es vergessen und rettete die Situation im letzten Moment: Während beim Tor das vorhergehende Kommando gezählt wurde, stellte er auf dem Platz eine Fünfergruppe aus uns zusammen. Jetzt gerade geleiteten uns die Posten in die Wohnung des SS-Mannes.

In einer der Häuser des Städtchens hielt uns der Besitzer der Wohnung, irgendein SS-Mann, eine Ansprache auf Deutsch, jedoch in einem menschlichen Ton, was mir komisch vorkam. Er fragte, wer der Chef-Meister sei, und erklärte eben mir, dass er seine Küche auflöse, dass seine Frau komme, also wolle er den Kochherd hierher versetzen und den kleinen Ofen dort in diesen Saal. Er finde, wir seien zu viele, aber es gehe vor allem darum, dass die Arbeit gut gemacht werde, also könnten wir hier alle arbeiten, und für den Fall, dass einige nichts zu tun hätten, so sollten sie doch den Dachboden aufräumen. Er werde jeden Tag kommen und die Arbeit besichtigen. Damit ging er.

Ich prüfte, ob sich einer der Kameraden mit Öfen auskannte. Als sich zeigte, dass niemand darunter war, schickte ich alle vier zum Wasser holen, Lehm graben, Anrühren und Ähnliches. Zwei SS-Männer vor dem Haus passten auf uns auf. Ich blieb allein. Was machte ich mit dem Ofen? – Das war das kleinste Problem. Ein Mensch, der um sein Leben kämpft, vermag viel mehr, als er vorher dachte. Ich nahm alles vorsichtig auseinander, um die Kacheln nicht zu zerbrechen, schaute genau, wie die Lüftungsrohre funktionierten, wo und wie sie gewölbt waren. Später errichtete ich den Heizofen, dann den Küchenofen, an jenen Orten, die man mir gezeigt hatte.

Ich baute alles vier Tage lang zusammen. Aber als wir am fünften Tag hingehen und den Ofen zur Probe anfeuern sollten, verlor ich mich gekonnt im Lager, und obwohl ich hörte, wie man einen Ofensetzer-Meister suchte, fand man mich nicht. Keinem kam es in den Sinn, mich unter den Gärtnern im Garten des Kommandanten zu suchen… Und die Nummern unserer Fünfergruppe waren auch nirgends aufgeschrieben worden. Das waren noch Zeiten, als sogar die Kapos in den Kommandos nicht immer die Nummern aufschrieben. Ich erfuhr auch nie, ob die Öfen gut brannten oder doch qualmten.

Die Gefühle eines SS-Mannes

Ich komme zu dem Zeitpunkt zurück, als ich mich zum ersten Mal in der Wohnung des SS-Mannes im Städtchen befand. Ich soll zwar die reinen Fakten aufschreiben…Ich hatte in Oświęcim schon furchtbare Bilder gesehen – nichts hatte mich brechen können. Und hier, wo mir kein Stock und kein Tritt drohten, spürte ich, wie mir das Herz plötzlich in die Kehle stieg, und ich fühlte mich so schwer, wie noch nie zuvor…

Ich gebe hier nur die absoluten Tatsachen wieder. Das wiederum ist ein Fakt aus dem Tiefsten meines Inneren und darum vielleicht nicht so trocken.

Ich war allein vor den „Ofenauftrag“ gestellt, jedoch ging es nicht um die Öfen… Wie kann das sein – also gibt es die Welt immer noch, und die Menschen leben, wie lebten sie? Hier sind Häuser, Gärten, Blumen und Kinder. Fröhliche Stimmen. Unterhaltung. Dort ist die Hölle – Morden, alles, was menschlich ist, alles Gute, ausradiert… Dort ist der SS-Mann ein Henker, ein Folterknecht – hier tut er so, als ob er ein Mensch sei.

Wo ist also die Wahrheit? Dort? Oder hier?

Im Haus baut er sein Nest. Seine Frau wird eintreffen, also sind so etwas wie Gefühle in ihm. Glockenläuten in der Kirche – die Menschen beten, lieben sich, gebären, und gleich hier daneben foltern, töten sie…

Im Haus baut er sein Nest. Seine Frau wird eintreffen, also sind so etwas wie Gefühle in ihm. Glockenläuten in der Kirche – die Menschen beten, lieben sich, gebären, und gleich hier daneben foltern, töten sie…

Da brach ein innerer Kampf in mir aus. In diesen Momenten rang ich schwer mit mir. In den vier Tagen, in denen ich zu den Ofenarbeiten ging, sah ich abwechselnd die Hölle und die Erde. Ich fühlte mich, als ob ich wieder und wieder ins Feuer und dann ins Wasser gestoßen würde. Ja! Dabei wurde ich gestählt.

Arbeit auf dem Feld

Inzwischen machte die erste „Fünfergruppe“ schon einige Fortschritte, mehrere neue Mitglieder wurden vereidigt. Einer von ihnen war Hauptmann „Y“. Sein Name war Michał Romanowicz. Hauptmann Michał ging die Sache folgendermaßen an, wenn er am Morgen dabei half, die Fünfergruppen für die Arbeit zusammenzustellen: In der Gegenwart von Kapos beschimpfte er die Kameraden und nörgelte; indem er die Reihen ordnete, ersparte er manchem Häftling den Stock des Kapos. Er verursachte selbst viel Bewegung und machte viel Krach, aber zwinkerte den Kameraden bedeutungsvoll zu, wenn ihnen der Kapo den Rücken zuwendete. Die Kapos beschlossen, dass er für einen „dwudziestkowego“ (Leiter von 20 Personen) geeignet sei und vertrauten ihm vier Fünfergruppen an, machten ihn zum „Vorarbeiter“. Gerade dieser Michał rette mich an dem kritischen Tag, als ich aus den Augen der Kapos verschwinden musste. Er packte mich in die 20er-Gruppe eines schon befreundeten „Unterkapos“, in eines der Kommandos, das durch das Tor zur Arbeit ging.

Ich gelangte in eine Einheit, die auf dem Feld arbeitete, gleich neben der Villa des Lagerkommandanten. Unterdessen wurde im Lager der „Offensetzer“ gesucht, bis Otto einen anderen Häftling fand und die Fünfergruppe wie immer zu den Öfen ging. Es regnete und windete den ganzen Tag. Als wir auf dem Feld arbeiteten, aus dem wir im Eiltempo einen Garten für den Kommandanten machten, schien es so, als ob wir alle bis ins Innerste unserer Körper nass wurden; es schien uns gleichfalls, dass der Wind uns durchdrang. Wir wurden nass bis auf die Knochen. Der Wind warf uns lange wie einen Ball hin und her (es war nicht möglich, gegen den Wind zu stehen), ließ das Blut in unseren Adern gefrieren, und nur die Schufterei – die schnelle Arbeit mit der Schaufel – erzeugte aus den noch eigenen Energiereserven etwas Wärme. Aber mit der Energie musste man sparsam wirtschaften, da ihre Erneuerung sehr fragwürdig war… Man befahl uns, die Drilliche abzuwerfen. Nur in den Hemden, mit den bloßen Füssen in Holzschuhen, die im Lehm stecken blieben, ohne Mützen, mit triefenden Köpfen… Als es zu regnen aufhörte, dampften wir wie Pferde nach einem Rennen.

Lebensbedingungen

Das Jahr 1940, besonders der Herbst, setzte den Häftlingen in Oświęcim mit ständigen Regenfällen hart zu, insbesondere während dem Appell. Ein Appell im Regen war eine chronische Erscheinung, sogar an einem Tag, den man zu den heiteren zählen konnte. Beim Appell wurden alle nass – die, die den ganzen Tag auf dem Feld waren, genauso wie jene, die den ganzen Tag unter dem Dach arbeiteten. An eine Arbeit unter dem Dach kamen vor allem „ältere Nummern“, das heißt die, die zwei oder höchstens drei Monate vor uns angekommen waren. Diese Monate machten einen riesigen Unterschied aus, wenn es um „Posten“ ging (alle unter dem Dach waren besetzt), als auch für das Überleben. Allgemein unterschied sich ein Häftling, der einen Monat später angekommen war, nicht dadurch, dass er kürzer im Lager war, sondern dadurch, dass er nicht mehr mit solchen Plagen Bekanntschaft machte, die noch vor einem Monat angewandt worden waren. Die Methoden änderten sich ständig, und immer hatte die ganze Schar von Aufsehern, Treibern und anderen dunklen Gestalten genug von ihnen zur Hand, um auf diese grässliche Weise die Gunst der Lagerautoritäten zu erwerben.

So war es auch in den folgenden Jahren. Aber vorläufig dachte niemand an Jahre. „Kazik“ (im Block 17) erzählte uns einmal, dass das erste Jahr am schwierigsten durchzustehen sei. Einige lachten herzlich darüber. Ein Jahr? Am Weihnachtsabend werden wir schon zu Hause sein! Die Deutschen halten nicht so lange durch. England usw. (Sławek Szpakowski). Andere packte das Grauen. Ein Jahr ? Wer hält hier schon ein Jahr aus, wenn der Mensch jeden Tag dem Tod von der Klinge zu springen versucht… vielleicht heute… vielleicht morgen… und ein Tag erschien manchmal wie ein Jahr. Seltsamerweise schleppte sich der Tag endlos hin. Manchmal, wenn die Kraft zur Arbeit fehlte, die man jedoch ausführen musste, erschien eine Stunde wie eine Ewigkeit, die Wochen hingegen vergingen schnell. Seltsam, aber es war so – manchmal schien es, dass etwas mit der Zeit oder mit den Sinnen nicht mehr in Ordnung war.

Und dass das mit den Sinnen nicht mehr so wie bei den Menschen war… wie bei den Menschen dort in der Ferne, weit weg. Das ist sicher…

…also – als wir uns nach diesen schweren Erlebnissen schon etwas miteinander angefreundet hatten, und die Erlebnisse knüpften die Freundschaftsbande fester als dort auf der Erde… als man seine Clique hatte, in der man sich gegenseitig unterstützte und rettete, oftmals sein eigenes Leben dafür riskierte… wenn dir, Brüderchen, plötzlich vor deinen Augen der Freund getötet wurde, auf die abscheulichste Art ermordet – wollte man nur eines! Sich auf den Henker stürzen und zusammen sterben… So war es auch ein paar Mal, aber das brachte immer nur noch einen weiteren Tod… Nein, das ist keine Lösung! Auf diese Art würden wir zu schnell sterben…

Dann sah man den langsamen Tod eines Freundes, und irgendwie starb man mit ihm zusammen… man hörte mit ihm auf zu existieren… der Mensch erwachte jedoch wieder zum Leben, blühte wieder auf, wandelte sich… Und wenn das nicht nur einmal, aber, sagen wir, neunzigmal passiert – dann lässt sich nichts machen, man wird ein anderer als jener, der man auf der Erde war… Und wir starben dort zu Tausenden… Zehntausenden… und dann schon zu Hunderttausenden… folglich erschien die Erde nichtig und die Leute auf ihr, die in unseren Augen nur noch mit läppischen Dingen beschäftigt waren. So härteten wir uns innerlich ab.

Aber nicht alle. Das Lager war ein Prüfstein für den Charakter. Die Einen versanken im moralischen Morast. Den Anderen schliff er den Charakter wie einen Kristall. Wir wurden mit scharfem Werkzeug zugeschnitten. Die Hiebe trafen schmerzhaft auf die Körper, aber im Geist stießen sie auf Felder, die darauf warteten, umgepflügt zu werden. Diesen Wandel machten alle durch. Die mit dem Pflug umgepflügte Erde blieb zu rechter Hand als fruchtbare Scholle zurück – auf der linken Seite wartete sie darauf, erst beim nächsten Schlag gepflügt werden. Manchmal nur sprang der Pflug wegen einem Stein und ließ ein Stück Acker unbearbeitet zurück, unfruchtbar… unnütz…

Alle Titel, Rangzeichen, Diplome fielen von uns ab – sie blieben weit weg, auf der Erde… Wir betrachteten wie aus dem Jenseits die mit weltlichen Kennzeichen ausgestatteten Gestalten und sahen unsere ganze Clique, wie sie früher war: den einen mit diesem, den anderen mit jenem Titel, aber man konnte nicht anders darauf blicken als mit einem nachsichtigen Lächeln… Wir waren schon alle längst per Du. Mit „Sie“ wurden nur noch die „Zugänge“ angesprochen, da sie das noch nicht verstanden. Unter uns war das „Sie“ in der Regel ein beleidigender Ausdruck. Oberst Tadeusz Reklewski, an den ich mich aus Vergesslichkeit mit „Herr Oberst“ wandte, entrüstete sich über mich mit den Worten: „Du könntest schon damit aufhören…“

Wie anders sah das doch auf der Erde aus. Ein Hinz oder Kunz würde sich unter den Kameraden damit brüsten, dass er die Ehre hatte, mit einer Person per Du zu sein, die zwei Ränge höher stand als er. Hier verschwand alles, ohne eine Spur zu hinterlassen. Wir wurden auf uns selbst reduziert. So viel wie ein Mensch konnte und leistete, so viel war er wert.

Abrissarbeiten

Im Garten des Kommandanten arbeitete ich zwei Tage. Wir planierten das Gelände, markierten die Rabatten und die Wege. Aus den tief eingeschnittenen Wegen schafften wir die Erde weg. Wir füllten die Vertiefungen mit grob geschütteten, zerstoßenen Ziegeln. Wir nahmen in der Nähe einige Häuser auseinander. Im Allgemeinen mussten alle Häuser um das Lager herum abgetragen werden, besonders im Gürtel der „kleinen Postenkette“, das heißt im Durchmesser von einigen Kilometern. Mit einer speziellen Verbissenheit und einer gewissen Wut warfen sich die deutschen Aufseher auf diese von der polnischen Bevölkerung erbauten Gebäude. Reiche Villen und bescheidene, aber ordentliche Häuschen, für deren Bau ein polnischer Arbeiter vielleicht sein ganzes Leben gearbeitet hatte, verschwanden von der Bildfläche, auseinander genommen durch Häftlingshände – von Polen, die man mit Knüppeln antrieb, schlug, trat und mit verschiedenen Varianten des Wortes „verflucht“ schmähte. Für solche Schikanen waren während der Zeit der Schufterei sowohl im Garten als auch bei dem Auseinandernehmen der Häuser ununterbrochen Gelegenheit.

Nachdem die Dächer abgerissen und die Wände eines solchen Hauses auseinander genommen worden waren, war die schwierigste Arbeit, das Fundament abzutragen, das verschwinden musste, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Gruben wurden zugeschüttet – und der Hausherr, falls er zurückkehrte, würde lange brauchen, um den Ort zu finden, wo einmal sein Familiennest gewesen war. Denn gleichzeitig gruben wir sogar einige Bäume aus. Vom ganzen Bauernhof blieb nichts übrig.

Zu der Zeit, als man eines dieser Gehöfte vernichtete, erblickte ich ein Bild der Mutter Gottes, das an einem Strauch aufgehängt war, und, so schien es mir, hier mit einer gewissen Ruhe einsam vor sich hin hing und in diesem Chaos und dieser Vernichtung unversehrt geblieben war. Unsere wollten es nicht abnehmen. Die Kapos waren der Auffassung, dass es gerade hier, dem Regen, Schnee und Frost ausgesetzt, am besten entwürdigt werden konnte. Daher konnte man auch bedeutend später auf dem schneebedeckten Strauch das mit Raureif bedeckte Bild sehen, mit glitzernden Chrysanthemen, und durch das beschlagene Glas zeigten sich nur das Gesicht und die Augen – für die Häftlinge, die im Winter unter wilden Schreien und Tritten hinaus zur Arbeit getrieben wurden, war es eine angenehme Erscheinung, es lenkte ihre Gedanken ab, nach Hause: der eine dachte an seine Frau, der andere an seine Mutter.

Durchnässt während der Arbeit, durchnässt während dem Appell; in der Nacht legten wir die nassen Drilliche anstatt eines Kissens unter dem Kopf zusammen. Am Morgen zog man eben diese Kleidung an und ging mit bloßen Füssen, in losen Holzschuhen, ohne Mütze, wieder in den Regen oder in den durchdringenden Wind. Es war schon November. Manchmal fielen Schneeflocken. Die Kameraden starben. Sie gingen in das Krankenhaus und kamen nicht mehr zurück. Seltsam – ich gehörte nicht zur Kategorie Herkules, aber ich bekam nicht einmal eine Erkältung.

Nach einigen Tagen Arbeit im Garten verlegte mich Michał in die Gruppe aus zwanzig Leuten, die er selbst zusammenstellen konnte. Daher fügte er sie aus Kameraden zusammen, die schon vereidigt waren oder bei denen man darauf zählen konnte, dass sie sich bald in unserer Organisation befinden würden – aus Menschen, die etwas taugten, die man retten musste. Unsere zwanzig Leute gehörten zu einer Hundertschaft, die mit weiteren Hundertschaften in den „Industriehof II“ ging. Dort wüteten die Kapos „August Czarny“ (August der Schwarze), Sigrud, Bonitz, „August Biały“ August der Weisse und andere. Dort waren auch ein paar Volksdeutsche, Bengel im Teenageralter, im Dienst der Deutschen, die Freude daran hatten, die Häftlinge ins Gesicht oder mit dem Stock zu schlagen und Ähnliches mehr. Einer von ihnen hatte sich etwas überschätzt, und nach einigen Tagen fand man ihn in einer der Baracken aufgehängt; er musste sich selbst aufgehängt haben, keiner hatte ihm geholfen – dies war der ausdrückliche Befehl im Lager…

Michał bekam als „Vorarbeiter“ mit seiner Zwanzigschaft eines der Häuser auf dem Feld zum Abreißen zugewiesen. Dorthin führte er uns alle, und dort arbeiteten wir „fleißig“ über einige Wochen hinweg. Wir saßen zwischen den Fundamentresten des Hauses und ruhten uns nach der Arbeit aus, schlugen von Zeit zu Zeit mit der Spitzhacke, damit der Widerhall von irgendeiner Arbeit zu hören war. Manchmal trugen einige Kameraden Schutt auf Tragen heraus, in welchen sich die Wände und das Fundament des zerstörten Hauses verwandelten. Dieses Schuttmaterial wurde zum Bau einer Straße benutzt, die von uns einige hundert Meter weit entfernt war. Zu diesem Häuschen, das weit entfernt von dem Arbeitsgebiet der restlichen Hundertschaften gelegen war, bequemte sich niemand unserer Aufseher hin. Die Kapos hatten so viel Arbeit damit, die Hundertschaften „tollwütiger polnischer Hunde“ zu erledigen, dass sie sich nicht an uns erinnerten oder sich nicht über das schlammige Feld bemühen wollten. Michał stand Wache und beobachtete aufmerksam die Umgebung. Wenn sich ein SS-Mann oder ein Kapo in der näheren Umgebung befanden, dann erschienen sofort ein paar Kameraden mit Tragen, die Spitzhacken hieben lebhafter auf das Fundament und die Kellergewölbe ein.

Während der Arbeit stand ich neben Sławek Szpakowski. Unser Gespräch drehte sich hauptsächlich um das Thema Essen. Wir waren beide Optimisten. Wir kamen zum Schluss, dass wir beide fast den gleichen Geschmack hatten, was das Essen betraf. Sławek stellte also ein Menu zusammen, mit dem er mich in Warschau empfangen würde, nach der Rückkehr aus dem Lager. Von Zeit zu Zeit, wenn uns die Kälte plagte und uns der Regen in den Kragen floss, stürzten wir uns auf die Arbeit und spalteten große Betonklumpen.

In der Häftlingskleidung, mit Spitzhacken und Hämmern, gaben wir ein Bild ab, zu dem man nur die Strophe „…w minach kując kruszec młotem“… (Wenn ich in den Minen mit dem Hammer Erz schlage…) singen konnte, und Sławek versprach, nach der Rückkehr aus dieser Hölle ein Portrait von mir in Häftlingskleidung und mit einer Spitzhacke in der Hand zu machen. Nur der Optimismus munterte uns auf – denn der Rest, die ganze Wirklichkeit, sah sehr schwarz aus. Der Hunger drehte uns schon die Gedärme um. Ach, wenn man jetzt doch nur das Brot haben konnte, das wir auf dem Appellplatz in die Schubkarren gelegt hatten, an dem Tag, als wir im Lager ankamen. Damals wussten wir den Wert von Brot noch nicht zu schätzen.

Roher Kohl und Futterrüben

In der Nähe unseres Arbeitsplatzes, hinter dem Stacheldraht, der am Rand der äußeren Postenkette errichtet war, weideten zwei Ziegen und eine Kuh, die genüsslich die Kohlblätter auffraßen, die auf der anderen Seite des Drahtes wuchsen. Auf unserer Seite gab es keine Kohlblätter mehr, sie waren alle aufgegessen worden. Nicht von den Kühen, aber von Kreaturen, die Menschen ähnlich waren – von Häftlingen, von uns. Wir aßen den Kohl und die Futterrüben roh. Wir beneideten damals die Kühe – ihnen schadeten die Rüben nicht. Wir hatten zu einem überwältigenden Prozentsatz verdorbene Mägen. Unter den Häftlingen machte sich zu der Zeit im Lager immer mehr der „Durchfall“ breit und beherrschte eine immer größere Anzahl von ihnen.

Mein Magen wurde irgendwie nicht krank. Eine prosaische Sache – ein gesunder Magen, aber eine ernsthafte Angelegenheit im Lager. Wer krank wurde, der musste einen sehr starken Willen haben, um ganz auf das Essen zu verzichten, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Von einer Schonkost konnte keine Rede sein. Man konnte sie im Krankenhaus bekommen, jedoch war es am Anfang schwer, dort hereinzukommen, und man kam selten zurück. Man verließ es vorwiegend mit dem Rauch durch den Kamin des Krematoriums. Der starke Wille, der so viel bedeutete, reichte in diesem Fall nicht aus. Selbst wenn sich ein Häftling beherrschte und sein Essen weggab und sein Brot für den nächsten Tag trocknete oder zu Kohle verbrannte und es ass, um den Durchfall zu unterdrücken, so war er doch durch die anhaltende Magenverstimmung geschwächt, und während der Arbeit im Kommando, unter den Augen des Henkers mit seinem Stock, fiel er wegen der fehlenden Kraft zur Arbeit schnell als „fauler Hund“ auf und wurde totgeschlagen.

Arbeit auf dem Feld

Wenn wir zum Mittags- und Abendappell in das Lager zurückkehrten, das heißt zweimal am Tag, mussten wir alle Ziegel tragen. Die ersten zwei Tage trugen wir jeder sieben Ziegel, später über einige Tage hinweg sechs, und am Ende wurden fünf zur Norm erklärt. Als wir im Lager ankamen, waren sechs zweistöckige und vierzehn einstöckige Blöcke mit Stacheldraht eingezäunt. Auf dem Appellplatz wurden acht neue Blöcke gebaut, zweistöckig, und alle einstöckigen wurden auf zwei Stöcke erhöht. Das Material (Ziegel, Eisen und Kalk) trugen wir in das Lager aus einer Entfernung von mehreren Kilometern, und bevor die Gebäude fertig waren, hatten auch einige tausend Häftlinge ihr Leben beendet.

Die Arbeit in der Zwanzigergruppe von Michał sparte den Kameraden viel Kraft. Der gute Michał, der über unsere Sicherheit draußen vor dem Haus wachte, erkältete sich, bekam eine Lungenentzündung und kam in das Krankenhaus. Er starb im Dezember. Als er von uns in den HKB [Häftlingskrankenbau] ging (es war noch Ende November), wurden wir genauso in die Mangel genommen wie alle anderen Zwanzigergruppen und Hundertschaften auch.

Erneut ging man beim Morden aufs Ganze. Wir luden Güterwaggons aus, die man auf ein Nebengleis gerollt hatte. Eisen, Glas, Ziegel, Wasserleitungs- und Drainageröhren. Man fuhr jegliches Material für den Ausbau des Lagers her. Die Waggons mussten schnell ausgeladen werden. Also wand man sich erneut unter dem Stock, trug, stolperte, fiel. Manchmal wurden wir von dem Gewicht von zwei Tonnen Balken oder Schienen niedergedrückt. Sogar die, die nicht hinfielen, erschöpften ihren Kraftvorrat, den sie offensichtlich irgendwann in der Vergangenheit angehäuft hatten. Für sie war es von Tag zu Tag eine immer größere Überraschung, dass sie noch lebten, noch liefen, da sie längst die Grenze dessen überschritten hatten, was der stärkste Mensch aushalten kann. Ja, hier entstand auf der einen Seite eine ungeheure Verachtung für die Spezies, die sich wegen ihres Körpers zu den Menschen zählen musste, aber es entstand auch eine Anerkennung der seltsamen Natur des Menschen, so stark an Willen, der – wie es schien – etwas von Unsterblichkeit in sich trug.

Im Widerspruch dazu stand die zehnfache Zahl von Toten. Zu viert schleiften wir einen mit uns, wenn wir zum Appell zurück ins Lager gingen. Kalte Beine und Arme, an denen wir die Körper hielten, die Knochen von blauer Haut überzogen. Aus dem bläulich-grauen-violetten Gesicht mit Spuren von Prügel schauten oft schon gleichgültige Augen. Manche Körper, noch nicht erkaltet, die Schädel von einer Schaufel zertrümmert, schaukelten im Takt der Marschkolonne, die Schritt halten musste.

Mehr tot als lebendig

Das Essen reichte, wenn man ohne Tätigkeit vor sich hin vegetierte, aber bei schwerer Arbeit war es bei weitem nicht genug, um den Energiehaushalt aufrechtzuerhalten. Umso mehr, wenn man mit dieser Energie noch den Körper aufwärmen musste, der bei der Arbeit unter freiem Himmel durchfror.

Im „Industriehof II“, nach dem Tod von Michał, kamen wir mit Sławek darin überein – während wir ziemlich gewandt zwischen den Stöcken lavierten – wie wir immer in einer erträglichen Gruppe arbeiten konnten. Einmal beim Abladen von Bahnwaggons, dann wieder im Kommando „Straßenbau“, unter „August Biały“.

Als wir zur Arbeit mit diesem Kommando gingen, kamen wir am Lagerhaus vorbei, wo unseren Nasen der starke Geruch von geräucherter Wurst entgegenschlug. Der vom Hunger geschärfte Geruchssinn war zu der Zeit schrecklich empfindlich. In unserer lebhaften Vorstellung zogen Reihen von hängenden Schinken, Räucherspeck und Filets vorbei. Aber was denn – die sind nicht für uns! Die Vorräte sind sicher für die „Übermenschen“. Im übrigen, scherzten wir, sei der Geruchssinn Beweis dafür, dass wir keine Menschen mehr seien. Wir waren von den Lagerräumen etwa 40 Meter entfernt; das war dann eher der Spürsinn eines Tieres als eines Menschen… Nur das eine rettete uns immer: die gute Laune.

Jedoch bedrohten alle diese Umstände zusammengenommen ernsthaft das Leben. Wenn ich Ziegel in das Lager schleppte, vor allem am Abend, ging ich – scheinbar nur – mit festem Schritt. In Wirklichkeit verlor ich manchmal das Bewusstsein und machte einige Schritte völlig mechanisch, wie im Traum, ich war irgendwo weit weg von dem, was mich umgab… mir wurde grün vor Augen… Es fehlte nur wenig, und ich wäre gestolpert… Als meine Gedanken wieder anfingen zu funktionieren und meinen äußeren Zustand registrierten, wachte ich auf… Mich durchfuhr der Befehl: Nein! Du darfst nicht aufgeben! Und ich ging weiter, nur von meinem Willen getrieben… Langsam verschwand die Selbstvergessenheit. Ich ging durch das Tor ins Lager. Ja, jetzt verstand ich die Aufschrift auf dem Tor: „Arbeit macht frei!“Oh ja, natürlich… Arbeit macht frei… sie befreit vom Lager… von dem Bewusstsein, das ich vorher hatte. Sie befreit den Geist vom Körper und bewegt diesen in Richtung Krematorium. Aber dennoch musste ich mir etwas einfallen lassen… etwas machen, um diesem Prozess des Kräfteverlustes Einhalt zu gebieten.

Na, Tomasz - wie fühlst du Dich?

Als ich mich mit den beiden Władeks traf (Oberst 1 (Władysław Surmacki]) und Dr. 2 (Władysław Dering), fragte Władek 2 (Władysław Dering) jedes Mal: „Na, Tomasz, wie fühlst du Dich?“ Ich erwiderte mit fröhlichem Gesichtsausdruck, dass ich mich vortrefflich fühle. Anfangs waren sie verwundert, dann gewöhnten sie sich daran und schließlich glaubten sie mir, dass ich mich vortrefflich fühle. Ich konnte nicht anders antworten. Ich wollte die „Arbeit“ machen – davon abgesehen, packten meine Kameraden die Sache aufrichtig an, und einer konnte seine Position im Krankenhaus festigen, wo er anfing, etwas zu bedeuten, ein anderer konnte seine Fünfergruppe im Baubüro weiter ausbauen – ich musste doch weiterhin suggerieren, dass auch hier die Arbeit vollkommen möglich war und die Psychose bekämpfen, der schon Nr. 3 (Jerzy de Virion) zu unterliegen begann. Was wäre, wenn ich auch nur einmal darüber klagte, dass es mir schlecht gehe, oder dass ich schwach sei und die Arbeit mich so sehr erdrücke; dass ich alleine, um mein Leben zu retten, einen Ausweg suche… Es versteht sich, dass ich so niemandem etwas hätte suggerieren können oder irgendetwas hätte von jemandem verlangen können… Also ging es mir gut – vorläufig nur für die anderen – aber später, und von dem werde ich weiter unten schreiben, kam es langsam so weit, dass es mir trotz der ständigen Gefahren und den angespannten Nerven wirklich gut zu gehen begann und nicht nur in den Worten, die ich an andere richtete.

Eine Zweiteilung trat ein. Damals, als der Körper ständig gequält wurde, fühlte sich der Mensch im Geist manchmal – ich übertreibe nicht – exzellent. Die Zufriedenheit fand ihren Platz irgendwo im Gehirn, sowohl aufgrund dessen, was man psychisch überstanden hatte, als auch aufgrund des interessanten, ausschließlich intellektuellen Spiels, das ich spielte. Jedoch musste vor allem der eigene Körper irgendwie vor der Vernichtung bewahrt werden. Irgendwie unter das Dach zu kommen, um dem Tod zu entrinnen, der durch die grässlichen atmosphärischen Bedingungen unter dem freien Himmel verursacht wurde.

In der kleinen Tischlerei

Sławeks Traum war es, in die Bildhauerei der Tischlerei zu kommen. Danach sollte er sich darum kümmern, dass auch ich dort hineinkam. Im Lager gab es schon zwei Tischlereien. Eine, große, im „Industriehof I“, eine zweite, kleine, direkt im Lager im Block 9 (alte Nummerierung). Mein Arbeits-Kamerad aus Warschau, Hauptmann 8, mit dem Namen Fred [Ferdynand Trojnicki], hatte es schon geschafft, in diese Tischlerei zu kommen. Als ich ihn fragte, informierte er mich, dass es vielleicht auch mir gelingen würde, dort hineinzukommen, wenn ich es schaffte, mit irgendetwas den „Vorarbeiter“ der Tischlerei zu überzeugen. Wilhelm Westrych war „volksdeutsch“–– er kam aus Pyry bei Warschau. Er war hier, weil er mit harter Währung gehandelt hatte, und er wartete darauf, schnell freigelassen zu werden. Westrych, obgleich „volksdeutsch“, diente beiden Seiten. Er arbeitete für die Deutschen, aber manchmal rettete er Polen, wenn er dachte, dass es sich für die Zukunft für ihn lohnen würde. Bereitwillig rettete er einige frühere Berühmtheiten, damit er sich später, falls die Deutschen verlieren würden darauf berufen konnte, Personen gerettet zu haben und um diese Arbeitsjahre weiß zu waschen. Man musste also eine frühere Berühmtheit werden. Da beschloss ich, aufs Ganze zu gehen.

Mein Kamerad, Hauptmann 8, versprach, den „Vorarbeiter“ entsprechend zu unterrichten und ihn am Abend vor den Block 8 (alte Nummerierung) zu holen, wo er wohnte. Dort fand auch unser Gespräch statt. Ich teilte ihm kurz mit, dass dass kein Wunder sei, dass er sich nicht an mich erinnere, denn wer hatte schon von Tomasz [Serafiński]… gehört – ich erwähnte hier meinen „Lagernamen“.

„Das, mein Herr, ist klar: Ich bin unter einem falschen Namen hier.“ „Już Parki wzięly nić żywota mego w swe nożyce“ – dachte ich mit Sienkiewicz (Die Parken haben schon ihre Klingen an meinen Lebensfaden angesetzt). Ich riskierte mein Leben. Es würden genügen, dass der „Vorarbeiter“ das meldete oder sich einem aus der Horde der SS-Männer oder Kapos anvertraute und ihnen mitteilte, dass hier einer unter einem falschen Namen sei, und ich wäre am Ende gewesen. Wie ich Westrych im Verlauf des Gesprächs bezirzte, will ich hier nicht schreiben. Ich schaffte es. Er redete mich mit „Herr“ an, was aus dem Mund eines „Vorarbeiters“, der sich an einen gewöhnlichen Häftling wandte, keinen beleidigenden Klang hatte, im Gegenteil. Er stellte fest, dass er mein Gesicht schon irgendwo gesehen hatte…wenn auch nur auf irgendwelchen Bildern von Empfängen im Warschauer Schloss. Und, was am wichtigsten war: Er sagte, dass er immer aufrechte Polen rettete, denn er selbst würde sich auch als einer fühlen, und dass ich am nächsten Tag in die (kleine) Tischlerei kommen solle, er werde das schon mit dem Kapo regeln. Ich würde sicher in die Tischlerei aufgenommen, und er nehme an, dass ich ihm in der Zukunft zu Dank verpflichtet sein würde. Dieses Gespräch fand am Abend des 7. Dezember 1940 statt.

Am nächsten Tag, dem 8. Dezember, fand ich mich nach dem Appell in der Tischlerei ein. Bis jetzt, während ich auf dem Feld gearbeitet hatte, war ich ohne Mütze und Socken gewesen. Hier, unter dem Dach, in der Wärme – was für eine Ironie – bekam ich von Westrych am 8. Dezember Socken und eine Woche später eine Mütze. In der Tischlerei stellte er mich dem Kapo als einen guten Tischler vor (die, die nichts taugten, wurden im Allgemeinen nicht genommen), den man doch zur Probe nehmen müsse. Der Kapo sah mich an und nickte zum Zeichen der Bestätigung.

Der Arbeitstag verlief für mich unter ganz anderen Bedingungen. Es war warm, trocken, die Arbeit war sauber. Bestraft wurde man nicht durch Schläge, sondern durch die Tatsache, dass man von so einem Ort entfernt wurde – aus der Tischlerei wieder in den Albtraum des Lagers geworfen. Um dennoch hier zu arbeiten, musste man etwas können. In meinem Leben fehlte es nicht an Fähigkeiten, aber es ließ sich nicht wegreden – das Schreinerhandwerk verstand ich überhaupt nicht. Ich stand neben der Werkstätte eines guten Schreiners, einem späteren Mitglied unserer Organisation, Korporal 9 (sein Name war Czesiek Wąsowski). Ich nahm ihn mir zum Vorbild, und unter seiner Anleitung machte ich die Handbewegungen, die für einen richtigen Schreiner typisch waren. Der Kapo war in der Tischlerei und kannte das Handwerk. So mussten alle Bewegungen professionell nachgemacht werden.

Vorläufig tat ich nichts Wichtiges. Ich hobelte Bretter oder sägte mit Czesiek, der feststellte, dass das für das erste Mal gar nicht so schlecht sei. Am nächsten Tag gab mir der Kapo eine selbständige Arbeit. Jetzt musste ich schon etwas beweisen. Zum Glück war das nichts Schwieriges, und mit der Hilfe von Czesiek gelang es mir nicht schlecht. Am gleichen Tag konnten wir Sławek Szpakowski in die Tischlerei einschleusen, als der Kapo ausgerechnet einen Bildhauer suchte, und ich und ein Kamerad ihn nannten. Nach einigen Tagen bekam Cieszek eine neue Arbeit vom Kapo. Ich wurde in seine Werkstatt eingeteilt und half ihm bei der Arbeit, gemäß seinen Weisungen. Er war mit mir völlig zufrieden. Aber mit der Art, wie Czesiek die Tischleraufgabe gelöst hatte, war der Kapo selbst unzufrieden, und wir flogen beide unter Geschrei aus der Tischlerei. Czesiek – der Meister, und ich – sein Gehilfe.

„Wie konnte das nur passieren?… so ein guter Schreiner, und die Zinken wurden ihm zum Verhängnis…“ – so diskutierten unseren schweren Fall die Schreiner. Czesiek war nicht über die Zinken gestolpert, er hatte bloß gemeint, dass der Kapo in dem bestellten Gegenstand gar keine haben wollte. So oder so – unser Fall war schwerwiegend. Dafür, dass wir die Arbeit nicht korrekt ausgeführt hatten, wurden wir ins Lager hinausgeworfen, zur Strafarbeit mit den Schubkarren eingeteilt, dem Lagerältesten ausgeliefert.

Der Tag mit den Schubkarren im Lager begann mit einem schweren Morgen für uns. „Bruno“ und der „Lagerkapo“ (der Kapo, der für die Ordnung im Lager zuständig war) nahmen keine Rücksicht auf uns. Es herrschte großer Frost, aber durch den „Laufschritt“ fühlten wir die Kälte nicht. Mit der Kraft war es jedoch schlimmer. Czesiek, der schon längere Zeit in der Tischlerei gearbeitet hatte, hatte mehr Kraft gesammelt. Mir kamen nur ein paar Tage Ruhe in der Wärme zur Hilfe, während denen ich etwas Kraft hatte schöpfen können. Aber wir waren doch nicht erst seit heute im Lager. Czesiek konnte sich schon am Vormittag losreißen – ich am Nachmittag, und wir tauchten unter, jeder in einem anderen Block. Wir fingen an, unsere eigenen Beziehungen im Lager spielen zu lassen, auf die sich ein „Zugang“ nicht einlassen konnte, ohne Schläge zu riskieren. Der Tag ging irgendwie vorbei – aber was weiter?

Czesiek kehrte nicht in die kleine Tischlerei zurück. Ich begegnete ihm später an einem anderen Ort. Aber Westrych nahm sich meiner Sache offensichtlich ernsthaft an… Er teilte mir über Fred (Hauptmann 8) mit, dass ich morgen früh nach dem Appell in die Tischlerei kommen solle. Dort erklärte er am nächsten Tag dem Kapo, dass ich nur das von Czesiek Befohlene ausgeführt hätte, dass ich kein schlechter Schreiner sei, und der Kapo war damit einverstanden, dass ich weiterhin dort arbeiteten sollte. Und damit ich nicht noch einmal dem Kapo in die Hände fiel, dachte sich Westrych eine Tischlerarbeit außerhalb der Tischlerei für mich aus. Hier schaute der Kapo den Schreinern auf die Finger, also führte mich Westrych in den Block 5 (alte Nummerierung), vertraute mich dem Blockältesten Baltosiński (Józef Baltaziński) an und sagte ihm, dass ich im Block Fußmatten und Kohlekisten fertigen, die Fensterrahmen ausbessern und ähnliche kleinere Arbeiten machen könne, für die man kein außergewöhnlicher Schreiner sein musste. Darüber hinaus sagte er Baltosiński (ich erfuhr das später von Jurek 10), dass er auf mich aufpassen und mir zusätzliches Essen geben solle, da das für die Zukunft nützlich sein könne, denn ich sei nicht irgendwer.

Im Block 5 arbeitete ich im Saal Nummer 2, der von Stasiek Polkowski aus Warschau verwaltet wurde (er war Friseur). Im Block fertigte ich die vorher genannten Gegenstände. Ich reparierte oder machte aus alten Schrankteilen, die mir aus der Tischlerei gebracht wurden, neue Schränke für die Stubendienste. Man fütterte mich zusätzlich in den Sälen. Baltosiński schickte mir als „Nachschlag“ einen Teller voll Suppe – ich kam wieder zu Kräften. So arbeitete ich über Dezember und bis Anfang Januar 1941; bis zum Zusammenstoß mit Leo, den ich weiter unten beschreibe.

Das Jahr 1940 ging zu Ende. Bevor ich zum Jahr 1941 in Oświęcim komme, möchte ich Impressionen aus dem Lager hinzufügen, die noch zum Jahr 1940 gehören

Die Unmenschlichkeit der deutschen Aufseher

Die Bestialität der deutschen Folterknechte, die die degenerierten Instinkte der Minderjährigen und Verbrecher kennzeichnete (einst mehrjährige Häftlinge deutscher Konzentrationslager – heute waren sie unsere Herren in Oświęcim), zeigte sich hier und dort in den unterschiedlichsten Varianten. In der SK (Strafkompanie) vergnügten sich die Henkersknechte damit, die Hoden – vor allem von Juden – mit einem Holzhammer auf einem Holzstumpf zu zerschlagen. „Im Industriehof II“ war ein SS-Mann, der „Perełka“( kleine Perle) genannt wurde; er richtete seinen Hund – einen Wolfshund – darauf ab, Leute anzufallen und verwendete dazu Menschenmaterial, das hier wertlos war. Der Wolf stürzte sich auf die während der Arbeit vorbeieilenden Häftlinge, brachte die geschwächten Opfer zu Fall, verbiss sich in ihre Körper, riss mit den Zähnen daran, zerrte an den Genitalien und würgte an der Kehle.

Der erste Häftling aus Oświęcim, der über den damals nur einreihigen Stacheldrahtzaun abhaute, der da noch nicht unter Strom stand, hieß – wie um die Machthaber des Lagers zu ärgern – Tadeusz Wiejowski (der „Entweichende“). Die Machthaber rasten vor Wut. Als während dem Appell festgestellt wurde, dass ein Häftling fehlte, musste zur Strafe das ganze Lager während 15 Stunden auf dem Platz Haltung einnehmen. Selbstverständlich gelang es keinem, stramm zu stehen. Am Ende des Stillstehens war der Zustand der Menschen, die nichts zu essen und keine Möglichkeit hatten, auf die Toilette zu gehen, beklagenswert. SS-Männer und Kapos durchliefen die Reihen und schlugen mit Stöcken jene, die nicht stehen konnten. Einige wurden schlicht aus Erschöpfung ohnmächtig. Als der deutsche Arzt intervenierte, antwortete der Lagerkommandant: „Lass sie krepieren. Wenn die Hälfte am Verrecken ist – dann lasse ich sie gehen!“ Der Arzt fing an, die Reihen zu durchlaufen und die Häftlinge zu überreden, sich hinzulegen. Als eine riesige Menschenmenge am Boden lag und die Kapos zum Schlagen keine Lust mehr hatten, wurde endlich das Ende des „Stillstehens“ verkündet.

In den folgenden Monaten wurde an der Umzäunung gearbeitet. Um den ersten Drahtzaun herum erstellte man einen zweiten, im Abstand von einigen Metern. An den Drahtzäunen wurden beiderseits hohe Betonwände gebaut, um das Lager vor Blicken von außen zu schützen. Erheblich später wurden die Drahtzäune unter Hochspannung gesetzt. Um das Lager herum, zwischen der Betonwand und dem Drahtzaun, standen hölzerne Wachtürme, die das ganze Lager beherrschten – dank ihrer Lage und der Maschinengewehre, an denen SS-Männer aufmerksam Wache hielten. Also versuchte man nicht aus dem Lager zu fliehen, sondern von der Arbeit, zu der man außerhalb des Drahtes ging. Nach und nach wurden die Vergeltungsmaßnahmen für Fluchtversuche milder, so dass wir etwa so lange bei den Appellen zu stehen hatten, dass wir nachher direkt vor dem Schlaf-Gong (wenn es ein Abendappell war) kaltes Essen bekamen. In dieser Hinsicht gab es jedoch keine festen Regeln, und manchmal fiel für uns das Abend- oder Mittagessen aus.

Die Strafen für Fluchtversuche jedoch wurden nicht milder. Ein solcher Häftling bezahlte immer mit dem Leben: Er wurde entweder direkt getötet, nachdem man ihn gefasst hatte, oder in den Bunker gesteckt oder auch öffentlich aufgehängt. Dem nach einem missglückten Fluchtversuch Ergriffenen wurde, um ihn lächerlich zu machen, eine Mütze mit Eselsohren aufgesetzt und anderer Firlefanz angeheftet. Man hängte ihm eine Tafel mit der Aufschrift um den Hals: „Das ist ein Esel… er hat die Anstrengung auf sich genommen, zu fliehen…“, und Ähnliches. Man band ihm auch eine Trommel um seine Hüften, und der komödiantisch gekleidete, gescheiterte Flüchtling schlug auf die Trommel, absolvierte seinen letzten Marsch auf Erden, inmitten der Kameraden, die in Reihen beim Appell standen – zur Erheiterung der sich lustig machenden „Wachhunde“ des Lagers. Die Blöcke, zum Appell aufgereiht, nahmen diese makabre Komödie mit tiefem Schweigen auf.

Bis man jedoch so einen Delinquenten gefunden hatte, mussten die Blöcke „stillstehen“. Einige hundert Häftlinge gingen unter der Führung einer Horde von Kapos und Hunden den Flüchtenden (die Flüchtenden) suchen, der sich meistens irgendwo im Gebiet zwischen der kleinen und großen Postenkette versteckte, wenn es ihm nicht gelungen war, die große Postenkette zu überspringen. Die Posten, die auf den Wachtürmen der großen Postenkette standen, wurden erst abgezogen, wenn die Zahl der Häftlinge bei dem Abendappell mit der Anzahl der sich an dem betreffenden Tag im Lager befindlichen Häftlinge übereinstimmte.

Einmal, bei einem Abendappell, an einem außergewöhnlich kalten und regnerischen Tag, als sich Regen und Schnee abwechselten, ertönte eine schrille Sirene, die unheilvolle Ankündigung eines „Stillstehens“. Man stellte das Fehlen von zwei Häftlingen fest und ordnete ein Straf-„Stillstehen“ an, bis man die Flüchtigen finden würde, die sich irgendwo im „Industriehof II“ verstecken mussten. Dann schickte man Kapos, Hunde und einige hundert Häftlinge auf die Suche, die lange dauerte. Der Schnee, der Regen, die Entkräftung von der Arbeit, die unzureichende Kleidung der Häftlinge erschöpften uns an diesem Tag erheblich beim Stillstehen. Endlich kündigte ein Gong an, dass man die Entflohenen gefunden hatte. In das Lager kehrten nur noch die reglosen Körper dieser Unglücklichen zurück. Einer der Kerle, wütend über den verlängerten Arbeitstag, hatte einen von ihnen hinterrücks mit einem engen spitzen Brett durch die Nieren und den Magen durchbohrt, und so brachten vier Knechte den Bewusstlosen mit blauem, verzerrtem Gesicht ins Lager zurück. Ja, für diese Ausbrecher hatte sich die Flucht nicht gelohnt, und sie war ein Akt von großem Egoismus, da das Stillstehen tausender Kameraden in der Kälte mehr als hundert Tote zur Folge hatte. Sie starben einfach vor Kälte, verloren ihre Lebenskraft. Andere wurden in das Krankenhaus gebracht, wo sie in der Nacht starben.

Manchmal, obwohl niemand geflohen war, bei ekelhaftem Wetter, wurden wir lange beim Appell festgehalten – mehrere Stunden, als ob sich der Bestand nicht evidieren ließe. Die Machthaber gingen irgendwo unter das Dach, angeblich um die übliche Rechnung zu machen – uns erschöpfte die Kälte, der Regen oder Schnee, der Zwang zum bewegungslosen Stehen an Ort. Man musste sich mit dem ganzen Organismus wehren, die Muskeln anspannen und entspannen und so etwas Wärme erzeugen, um sein Leben zu retten.

Bei den Appellen nahm ein SS-„Blockführer“ den Rapport des Blockführers entgegen. Nachdem er von ein paar Blöcken die Rapporte abgenommen hatte, ging der SS-Mann vor den Schreibtisch des „Rapportführers“ (dem SS-Obersturmführer [zu jenem Zeitpunkt SS-Hauptscharführer] Gerhard Palitzsch), den die SS-Männer selbst wie das Feuer fürchteten. Er schickte sie für nichts in den Bunker, und auf seine Meldung hin konnte ein SS-Mann an die Front geschickt werden. Daher war er der Schrecken aller. Wenn Palitzsch auftauchte, trat Schweigen ein.

Volksdeutsche

Auf die Posten der Blockältesten schwangen sich Leute auf, die ich früher für Polen gehalten hatte, die hier aber zu einer großen Zahl ihr Polentum verleugneten – das waren die Schlesier. Ich hatte vorher nur die beste Meinung von ihnen gehabt, aber hier traute ich meinen Augen nicht. Sie töteten Polen, betrachteten sie nicht als ihresgleichen; sich selber hielten sie für einen germanischen Stamm. Einmal tadelte ich einen „Vorarbeiter“, der aus Schlesien kam: „Warum schlägst du ihn? Das ist doch ein Pole.“ Und er antwortete mir darauf: „Aber ich bin kein Pole, ich bin ein Schlesier. Meine Eltern wollten einen Polen aus mir machen, aber Schlesier sind Deutsche. Ein Pole soll in Warschau wohnen, aber nicht in Schlesien.“ Und er schlug den anderen wieder mit dem Stock.

Es gab zwei Blockälteste, die Schlesier waren: Skrzypek und Bednarek. Sie waren noch ein wenig schlimmer als die schlimmsten Deutschen. Sie erschlugen eine so große Zahl von Häftlingen mit dem Stock, dass sogar „Krwawy Alojz“, der sich ein bisschen „zurückzuhalten“ begann, nicht an diese Kerle heranreichte. Jeden Tag konnte man, wenn man beim Abendappell stand, im linken Flügel der Blöcke neben diesen Schlächtern Schubkarren mit den Häftlings-Leichen stehen sehen. Sie prahlten mit ihrer Arbeit vor den SS-Männern, bei denen sie ihren Bestandes-Rapport machten.

Man kann das jedoch nicht verallgemeinern, denn wie überall, gab es auch hier von dieser Regel Ausnahmen. Selten war ein Schlesier hier ein guter Pole, aber wenn dies einmal der Fall war, konntest du ihm ruhig dein Leben anvertrauen. Ein treuer Freund war das. Es gab so einen Schlesier – der Blockälteste Alfred Włodarczyk, und da war Smyczek; es gab auch Schlesier in unseren Fünfergruppen, darüber werde ich später schreiben.

Die Effektenkammer

Der erwähnte „Krwawy Alojz“ war schon nicht mehr Blockältester. Der Block 17a (alte Nummerierung) wurde in ein Lager für Säcke mit der Kleidung der Häftlinge umgewandelt. Häftlingstransporte trafen fortwährend ein, so dass die laufende Registrationsnummer immer höher wurde, der Lagerbestand hingegen wuchs überhaupt nicht. Die Abwanderung fand durch den Kamin des Krematoriums statt. Aber „Effekte“ – Säcke mit unserem irdischen Hab und Gut – wurden penibel aufbewahrt. Sie belegten schon den ganzen freien Platz im Block 18. Also wurde der Saal, der von der „Effektenkammer“ eingenommen wurde, um einen Stock auf die Nummer 17 (Block 17a) ausgeweitet. Alle Häftlinge wurden in verschiedene Blöcke verlegt.

Block 3a

Seit dem 26. Oktober 1940 wohnte ich im Block 3a im ersten Stock, dessen Blockältester ein Mann namens Stanisław Koprowiak war. Jemand sprach mir gegenüber über ihn, über seine Vergangenheit in irgendeinem Gefängnis, sehr positiv. Hier hingegen sah ich ihn manchmal Leute schlagen – vielleicht versagten seine Nerven. Jedoch schlug er hauptsächlich dann, wenn ein Deutscher hinschaute. Vielleicht wollte er sein Leben schützen, vielleicht seinen Posten sichern. Für die polnischen Häftlinge war er einer der besseren Blockältesten. Im Block 3a wohnte ich im ersten Saal, in dem Franciszek Droźd Stubendienst war. Eine freundliche Person, er behandelte die Kameraden im Saal herzlich – ohne Schläge. Der Blockälteste ließ ihm in dieser Hinsicht freie Hand.

Eine Wette

Einmal, vom ersten Stock dieses Blockes aus, sah ich durch das Fenster eine Szene, die mir lange im Gedächtnis haften blieb. An jenem Arbeitstag blieb ich im Lager. Ich ging zur Ambulanz, wohin man mich mit einem Papier befohlen hatte. Nach meiner Rückkehr blieb ich im Block. Es fiel leichter Regen, der Tag war düster. Auf dem Platz arbeitete die Strafkompanie und transportierte Kies, der aus einer Grube herausgeschaufelt wurde. Außerdem stand ein Kommando da, frierend, Gymnastik treibend. Um die Grube herum waren drei SS-Männer, die nicht von den Kommandos weggehen konnten, aus Angst vor Palitzsch oder vor dem Kommandanten, der an dem Tag im Lager umherging. Sie hatten sich einen Zeitvertreib ausgedacht. Sie schlossen eine Wette ab, jeder legte einen Geldschein auf einen Ziegelstein. Danach gruben sie einen Häftling mit dem Kopf nach unten im Sand ein, sorgfältig schütteten sie die Grube zu. Sie schauten auf die Uhren und zählten, wie viele Minuten er die Beine bewegte. Ein moderner Totalisator; dachte ich bei mir. Jener raffte das Geld zusammen, der offenbar am besten eingeschätzt hatte, wie lange sich so ein verschütteter Mensch noch bewegt, bis er stirbt.

So ging das Jahr 1940 zu Ende.

Hunger

Noch bevor ich in die Tischlerei kam und die damit verbundenen Vorteile beanspruchen konnte, also auch zusätzliches Essen im Block 5, war der Hunger, der meine Eingeweide verdrehte, so unerträglich geworden, dass ich mit den Augen das am Abend erhaltene Brot von jenen zu verschlingen begann, die schon auf guten „Posten“ waren und einen Teil des Brotes bis zum Morgen aufsparen konnten. Wahrscheinlich focht ich mit mir den härtesten Kampf meines Lebens. Das ganze Problem bestand darin, wie man es anstellen sollte, sowohl jetzt zu essen als auch etwas bis zum Morgen aufzuheben… Aber ich werde den satten Menschen nicht vom Hunger schreiben … oder jenen, die Pakete von zu Hause erhielten oder vom Roten Kreuz, die ohne den Zwang zu arbeiten lebten, und später jammerten, sie seien sehr hungrig gewesen. Ach! Die Intensität des Hungers durchläuft eine ganze Skala von Abstufungen. Manchmal schien es, dass der Mensch imstande wäre, ein großes Stück Fleisch aus einer Leiche herauszuschneiden, die beim Krankenhaus lag. Gerade da, direkt vor Weihnachten, fing man an, uns am Morgen Gerstenbrei anstatt des „Tees“ auszugeben, was eine große Wohltat war, und ich weiß nicht, wem wir das zu verdanken hatten. (So war es bis zum Frühling).

Weihnachten 1940

Zu den Feiertagen stellte man uns im Lager ein paar schön illuminierte Weihnachtsbäume auf. Die Kapos legten am Abend zwei Häftlinge auf die Tische unter einem Weihnachtsbaum und schlugen ihnen mit dem Stock jeweils 25mal in jene Teile des Körpers, die man in Freiheit die Weichteile nennt.

Das sollte ein Scherz nach deutscher Art sein.

Weihnachten 1940 II

An Weihnachten 1940 bekamen die Häftlinge zum ersten Mal Pakete von ihren Familien. Aber nicht doch! Keine Lebensmittelpakete! Lebensmittelpakte durften nicht an uns gesendet werden, damit es uns nicht zu gut ging. Einige bekamen so ihr erstes Paket in Oświęcim – ein Paket mit Kleidung, das Dinge enthielt, die im Voraus festgelegt worden waren: einen Pulli, einen Schal, Handschuhe, Ohrenschützer, Socken. Mehr durfte man nicht schicken. Wenn im Paket Unterwäsche war, dann ging diese in einen Sack in der „Effektenkammer“ unter der Nummer des Häftlings und blieb dort liegen. So war das damals. Später schafften wir es, überall mittels der organisierten Kameraden hineinkommen. Das Paket zu Weihnachten war das einzige im Jahr, und obwohl es kein Essen enthielt, war es dennoch nötig wegen der warmen Sachen und erfreulich, da es von zu Hause kam.

Zu den Feiertagen besorgten Westrych und der Kapo der Tischlerei für die Tischler zusätzliche Kessel mit einem perfekten Gulasch aus der SS-Küche, und in der Tischlerei fand ein Gelage statt; die Schreiner, die dort erschienen, wurden der Reihe nach bewirtet. Diese Kessel wurden einige Male unter größter Geheimhaltung von SS-Männern gebracht, die von Westrych das von ihm bei uns eingesammelte Geld erhielten.

Strafen im Lager

Die Strafen in Oświęcim waren abgestuft.
Die leichteste Strafe war das Schlagen auf einem Tisch. Das geschah öffentlich, in Anwesenheit aller beim Appell stehenden Blöcke. Das „Vollstreckungs-Möbel“ wurde bereitgemacht – ein Tisch mit Haltern an beiden Seiten für die Hände und Füße. Zwei SS-Knechte (oft Seidler persönlich, manchmal der Lagerälteste Bruno) stellten sich daneben und schlugen den Häftling auf den entblößten Teil des Körpers, um die Kleidung nicht zu beschädigen. Man schlug mit Peitschen oder einfach mit einem schweren Stock. Nach einigen Dutzend Schlägen platzte die Haut auf. Das Blut spritzte, und die weiteren Hiebe schlugen ein wie in Hackfleisch. Ich wurde mehrfach Zeuge davon. Manchmal gab es 50 Schläge, manchmal 75. Einmal waren 100 Schläge festgesetzt worden – um den neunzigsten Schlag herum beendete der Häftling – eine Jammergestalt – sein Leben. Wenn der Delinquent lebte, dann musste er aufstehen, einige Kniebeugen machen, um seinen Kreislauf in Gang zu bringen, und sich strammstehend für die gerechte Strafe bedanken.

Die zweite Strafe war der Bunker in zwei Ausführungen. Der einfache Bunker waren Zellen im Keller des Blocks 13 (alte Nummerierung), in denen vor allem Kapos und SS-Männer vor ihrer Einvernahme durch die politische Abteilung oder zur Strafe untergebracht waren. Die Zellen der einfachen Bunker nahmen drei Viertel des Kellers von Block 13 ein; im restlichen, dem vierten Teil, befand sich eine ähnliche Zelle, aber ohne Licht – sie wurde „ciemnia“ (Dunkelkammer) genannt. An einem Ende des Blocks bog der Kellerkorridor in rechtem Winkel nach rechts ab und endete kurz darauf. In diesem Zweig des Korridors befanden sich kleine Bunker völlig anderer Art. Es waren drei sogenannte „Stehbunker“. Hinter einer viereckigen Öffnung in der Wand, durch die nur ein Gebückter gehen konnte, war eine Art Schrank platziert, 80×80 cm groß und 2m hoch, so dass man dort ungezwungen stehen konnte. In so einen „Schrank“ wurden aber mit Hilfe des Stocks vier Häftlinge hineingezwängt, die eine „Stehbunker“-Strafe bekommen hatten. Sie wurden mit Eisenstangen eingeschlossen und bis zum Morgen dort gelassen (von 19:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens). Es erscheint unvorstellbar, aber es leben heute noch Zeugen, die eine „Stehbunker“-Strafe in einer Gesellschaft von acht in so einen „Schrank“ zusammen-gezwängten Kameraden verbüßt hatten! Am Morgen wurden sie freigelassen und zur Arbeit mitgenommen und für die Nacht wieder wie Sardinen zusammengezwängt und mit Eisenstäben bis am Morgen eingeschlossen. Das Strafmaß betrug normalerweise fünf Nächte, konnte aber auch erheblich höher sein. Wer keine Beziehungen mit den Vorgesetzten hatte, der beendete normalerweise nach einer oder ein paar solcher Nächte kraftlos sein Leben bei der Arbeit. Wer mit Kenntnis des Kapos am Tag im Kommando ausruhen konnte, der durchstand die Strafe irgendwie mit Glück.

Die dritte Strafe war der gewöhnliche „Pfahl“, angelehnt an die österreichischen Habsburger Strafmethoden. Zusätzlich schaukelte der Aufsicht habende SS-Mann von Zeit zu Zeit zu seiner Belustigung den Aufgehängten hin und her, dessen Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren. Dann knackten die Gelenke, die Seile schnitten in das Fleisch. Gut war, wenn dann nicht „Perełka“ mit seinem Wolf auftauchte. Manchmal wurden auf diese Art Untersuchungen durchgeführt: Dem Aufgehängten wurde ein Saft aus Salat-Marinade eingeflößt, kurz gesagt aus Essig, damit er nicht vorzeitig ohnmächtig wurde.

Nun, die vierte, härteste Strafe war es, erschossen zu werden – ein schneller Tod, um wie viel menschlicher und wie begehrt bei den so lange Gequälten. „Erschießen“ – das ist nicht die angemessene Umschreibung; angemessen wäre niederschießen oder gar abschlachten. Das fand ebenfalls im Block 13 (alte Nummerierung) statt. Dort war ein Hof, der durch Blöcke eingegrenzt wurde (zwischen Block 12 und 13). Im Osten wurde er durch eine Mauer abgesperrt – eine Wand, welche die Blöcke miteinander verband und welche die „ściana płaczu“ genannt wurde. Im Westen stand auch eine Mauer, die den Blick verdeckte; in dieser befand sich ein meist geschlossenes Tor. Es öffnete seine Türen vor dem lebenden Opfer oder zum Hinauswerfen der mit Blut besudelten Leichen. Wenn man dort entlang ging, dann roch es wie beim Metzger. Durch einen kleinen Rinnstein floss ein rot gefärbtes Rinnsal. Der kleine Rinnstein wurde gekalkt, aber fast jeden Tag sickerte erneut das rote Flüsschen mitten durch das Weiß…Ach! Wenn das kein Blut gewesen wäre… kein menschliches Blut… kein polnisches Blut… und gerade das beste… dann, wer weiß, ob es nicht möglich gewesen wäre, sich am bloßen Farbenspiel zu ergötzen… Soviel war draußen. Drinnen hingegen geschahen sehr schwerwiegende und schreckliche Dinge. Dort war Henker Palitzsch der Hauptautor makabrer Szenen – ein gut aussehender Mann, der im Lager niemanden schlug, da dies nicht seine Art war. Die Verdammten standen in einer Reihe nackt vor der „Todeswand“; er legte ihnen der Reihe nach ein kleinkalibriges Gewehr an den Hinterkopf an und beendete ihr Leben. Manchmal benutzte er zu diesem Zweck auch ein Bolzenschuss-Gerät. Der Feder-Bolzen drang in das Gehirn ein, unter den Schädel, und beendete das Leben. Manchmal wurde zum Vergnügen Palitzschs eine Gruppe von Zivilisten herbeigeführt, die in den Kellern zu Aussagen gepeinigt worden waren. Den Mädchen befahl Palitzsch, sich auszuziehen und im abgeschlossenen Hof im Kreis zu rennen. Er stand in der Mitte und wählte lange aus, dann zielte er, schoss, tötete – alle nacheinander. Keines wusste, welches sofort sterben würde, welches noch etwas zu leben hatte oder vielleicht wieder zu einer Untersuchung geholt werden würde… Er übte sich im genauen Zielen und Schießen.

Diese Szenen wurden vom Block 12 aus von einigen Stubendiensten gesehen, die Wache standen, damit in diesem Moment keiner der Häftlinge ans Fenster ging. Die Fenster wurden mit „Körben“ abgedeckt, aber nicht dicht genug – also sah man alles. Ein anderes Mal beobachtete man aus Block 12 eine Familie, die herbeigeführt worden war, und auf dem Hof vor der „Todeswand“ stand. Palitzsch schoss zuerst auf den Vater der Familie und tötete ihn vor den Augen seiner Frau und den zwei Kindern. Nach einer Weile tötete er das kleine Mädchen, das krampfhaft die Hand der bleichen Mutter hielt. Später entriss er der Mutter das winzige Kind, das die unglückliche Frau eng an die Brust drückte. Er packte es an den Beinen und zerschmetterte das Köpfchen an der Wand. Endlich tötete er die Mutter, die vor Schmerzen halb ohnmächtig war. Das ist eine Szene, die mir von mehreren Kameraden, die Zeugen waren, wiederholt wurde – so genau und so übereinstimmend, dass ich keinen Zweifel daran haben kann, dass es wirklich so gewesen ist.

Block 5

Das Jahr 1941 begann für mich mit einer Fortsetzung der Tischlerei-Arbeit im Block 5, wo ich mir fortwährend irgendwelche Beschäftigung ausdachte. Der Blockälteste mischte sich nicht in meine Arbeit ein. Ich traf hier den Kameraden Bolesław Gierych, den Sohn meiner Bekannten, deren Wohnung ich in den Jahren 1916/17 (während des Ersten Weltkriegs) in Orzeł für konspirative Zwecke in Anspruch genommen hatte. In den Block 5 kam fast jeden Tag der Lagerälteste Leo Wieczorek (Häftling Nummer 30). Wenn ein SS-Mann oder der Lagerälteste den Saal betrat, musste man „Achtung!“ schreien und einen Rapport ablegen. Ich machte das tadellos und fügte am Ende der Meldung hinzu: „…ein Tischler bei der Arbeit!“. Leo Wieczorek war zufrieden. Ihn interessierte überhaupt nicht, was ich hier so lange zu tun hatte, und wie ein Pfau stolzierte er aus dem Saal.

Der Block 5 war der Block der Heranwachsenden, hier wohnten Jungs zwischen 15 und 18 Jahren, bei denen das III. Reich Hoffnung hatte, sie auf ihre Seite zu ziehen. Sie hatten eine Art Kurs hier. Leo kam jeden Tag hierher, er hatte die Jugend gern, die Jungs… allzu sehr… Er war ein Perverser. Er wählte hier Opfer gemäß seiner Entartung aus. Er fütterte sie, päppelte sie auf, machte sie mit Wohltaten gefügig oder drohte mit der SK, und wenn er von dem Jungen genug hatte, dann erhängte er sein Opfer, damit er keinen unangenehmen Zeugen für seine verbotenen Handlungen hatte, vor allem nachts in der Toilette.

Um den 15. Januar 1941 herum stand ich am Fenster, als Leo in den Saal kam. Ich bemerkte ihn nicht und schrie kein „Achtung!“, da der Anblick eines neuen „Zugangs“ durchs Fenster meine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. Gleichzeitig bemerkte ich Oberst 11 (Tadeusz Reklewski) hinter dem Fenster. Leo war sichtlich unzufrieden. Er näherte sich mir und sagte: „Du bist schon zu lange in diesem Block gesessen. Komm morgen bloß nicht wieder hierher“.

Ich erzählte Westrych davon, und er befahl mir, trotzdem wieder dorthin zu gehen. Also ging ich am nächsten Tag wieder in den Block 5. Kurz nach mir kam Leo herein und wurde wütend: „Deine Nummer?“ schrie er und seltsam war nur, dass er mich nicht schlug. „Rrraus mit dem alles“– er zeigte auf das Werkzeug. Ich verschwand recht schnell, und er notierte meine Nummer, schrie mir nach, dass ich noch heute aus der Tischlerei hinausgeworfen würde. In der Tischlerei berichtete ich Westrych von diesem Zusammenstoß. Gleich nach mir stürzte Leo herein. Zum Glück war der Kapo nicht da. Westrych vertrat ihn, und er ließ Leo sich nach Lust und Laune austoben. Danach erklärte er ihm, dass ihm dieser Tischler gestern alles Geschehene gemeldet hätte, aber er habe ihm befohlen, heute in den Block 5 zu gehen, um alles Werkzeug von dort mitzunehmen. Und Leo beruhigte sich.

Schreiner im Krankenhaus/Block 15

Ich blieb jedoch weiterhin Tischler; für alle Fälle arbeitete ich im zweiten Saal, der von der Tischlerei im selben Block 9 belegt wurde. Nach einigen Tagen befahl mir Westrych, mein Werkzeug mitzunehmen und ihm in das Lager zu folgen. Er führte mich in den Block 15 (alte Nummerierung). Das war das Häftlingskrankenhaus (Häftlingskrankenbau HKB). Der Blockälteste des Krankenhauses, obgleich ein etwas verrückter Deutscher, wollte dennoch Ordnung im Block haben. Westrych hatte ihm schon am Vortag geraten, die Strohsäcke mit Leisten einzufassen. Betten gab es hier keine. Die Kranken lagen nebeneinander unter fürchterlichen Bedingungen auf dem Boden. Die Strohsäcke waren auf den Boden geworfen worden (die Kranken lagen mit ihren Köpfen zur Wand), nicht immer gerade, und machten den Eindruck noch schlimmer. Also beschloss man, an den Enden der Strohsäcke, die in zwei Reihen an den Wänden lagen, Leisten anzubringen. Die Leisten würden den Saal entlang laufen und in der Mitte des Fußbodens einen zu beiden Seiten eingerahmten Durchgang freilassen.

Der Blockälteste betrachtete mich und fragte, ob ich in der Lage sei, diese Arbeit gut auszuführen. Für eine schlechte Arbeit erwarte mich der Stock auf dem Tisch, für eine gute eine zusätzliche Portion Essen jeden Tag. Also machte ich mich an diese Arbeit und stattete Saal für Saal mit Rahmen aus und befestigte die Leisten mit Winkeln am Boden. Westrych schickte einen Ingenieur aus Warschau, um mir zu helfen. Wir aßen beide jeden Tag eine zweite Mahlzeit. Essen gab es in Hülle und Fülle im Block. Essen wurde allen ausgegeben, aber einige Kranke wollten nichts mehr in den Mund nehmen. Der Ingenieur aus Warschau steckte sich hier mit der Grippe an. Er wurde im gleichen Block in das Krankenhaus aufgenommen; bei den Bedingungen, die zu der Zeit im HKB herrschten, starb er bald; alles war voller Läuse. Ich beendete die Arbeit mit den Leisten alleine.

Januar 1941 (Krankheit)

Leider kam auch ich bald an die Reihe. Ich steckte mich mit irgendeiner Grippe an oder war beim Appell durchgefroren. Der Winter war recht hart. Man hatte an uns zwar noch vor Weihnachten Mäntel ausgegeben, aber aus „Ersatz“ (Ersatzmaterial), ohne Fütterung schützten sie sehr schlecht vor dem Frost. Ich kämpfte einige Tage gegen die Krankheit. Ich hatte Fieber, das am Abend 39 Grad erreichte; so hätte man mich sogar ohne Protektion ins Krankenhaus aufgenommen. Aber ich wollte nicht ins Krankenhaus. Dazu gab es zwei Gründe: schrecklich viele Läuse im Krankenhaus und das Ende meiner Arbeit in der Tischlerei.

Also wehrte ich mich so gut ich konnte, aber die Krankheit krallte sich an mir fest und wollte nicht weggehen. Das schlimmste war das Stehen bei den Appellen mit glühend heißem Kopf, durchdrungen vom Wind. Ich weiß nicht, wie dieser Kampf ausgegangen wäre. Jemand anderes traf für mich die Entscheidung. Im Block, im ersten Saal, hatten wir immer noch akzeptable Verhältnisse. Nach dem Stubendienst Droźd kam ein anderer: Antek Potocki. Einige von uns übten verschiedene Reinigungsämter aus. Ich war für die Fenster, Türen und Lampen zuständig.

Alles hätte man im Block aushalten können, wenn wir nicht schon alle ziemlich verlaust gewesen wären. Jeden Abend jagte man unnachgiebig Läuse. Ich tötete jeden Tag um die Hundert und dachte, dass ich in der Nacht keine weiteren bekommen würde, aber am nächsten Morgen waren wieder Hundert da. Am Abend konnte man schwerlich mehr erlegen, da das Licht zu einer vorgeschriebenen Zeit gelöscht wurde. Am Tag, während der Arbeit, konnte man sich auch nicht damit beschäftigen. In der Nacht krochen die Läuse aus der Decke in das Hemd. Selbst wenn man sie aus der Decke herausgeklaubt hätte, hätte das nichts geholfen; die Decken wurden tagsüber alle zusammen hingelegt – wir bekamen also jeden Tag eine andere Decke. Beim warmen Ofen wanderten diese Kreaturen gerne in eine saubere Decke.

Endlich wurde eine Entlausung angeordnet. Dies geschah jedoch zu einem für mich äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Mein Fieber war gestiegen. Am Abend wurde uns befohlen, uns auszuziehen. Die auf Draht aufgefädelte Kleidung gaben wird zum Dampfreinigen. Dann gingen wir nackt unter die Dusche im Block 18 (alte Nummerierung) und nackt in den Block 17 (alte Nummerierung). Dort saßen wir die ganze Nacht nackt zu einigen Hunderten im Saal, und es war furchtbar stickig. Am Morgen wurde uns die Kleidung ausgeteilt, und man jagte uns durch Wind und Frost über den Platz in den Block 3a. Meinen Mantel gab ich dem ebenfalls kranken Antek Potocki. Diese Nacht hatte mich fertig gemacht.

Beinahe bewusstlos ging ich ins Krankenhaus. Nachdem man mich wieder im Bad mit Wasser besprüht hatte, legte man mich in den Block 15 (alte Nummerierung), in den Saal 7 (dorthin, wo ich die Leisten an den Boden genagelt hatte), in ein Läusemeer. Diese paar Nächte im ständigen Kampf gegen die Läuse, das waren, scheint mir, die schwersten im Lager. Ich durfte mich aber nicht geschlagen geben – sich von Läusen auffressen lassen? Aber wie sich wehren? Wenn man die Decke unter dem Licht betrachtete, dann bewegte sich die ganze Oberfläche. Die Läuse waren mannigfaltig: kleine, größere, rundliche, längliche, weiße und graue oder vom Blut rote, gestreifte und gerippte; sie krochen langsam und über die Rücken der anderen. Ich wurde von Ekel ergriffen, war aber fest entschlossen, mich von dieser abscheulichen Masse nicht unterkriegen zu lassen. Ich band meine Unterhosen fest um die Knöchel und um die Hüfte, das Hemd knöpfte ich unter dem Hals und an den Ärmeln zu. Sie einzeln zu töten – davon konnte keine Rede sein. Ich zerquetsche die Insekten mit der ganzen Hand, machte schnelle Bewegungen, während ich sie mit den Händen von meinem Hals und meinen Füssen absammelte. Der vom Fieber und den ununterbrochenen Bewegungen geschwächte Organismus forderte vehement Schlaf. Mein Kopf fiel zur Seite, aber ich rappelte mich wieder auf. Ich durfte mir auf keinen Fall erlauben, einzuschlafen. Einzuschlafen – das bedeutete zu kämpfen aufhören – und aufgefressen zu werden. Nach einer Stunde hatte ich schon dunkle Flecken auf den Handflächen von den Körpersäften der zerdrückten Ungeziefer.

Alle zu töten war hoffnungslos. Wir lagen eng beieinander, die Körper in Decken gewickelt, mit den Schultern oder dem Rücken aneinander gelehnt. Nicht alle wehrten sich. Manche waren doch bewusstlos, andere röchelten schon, sie konnten nicht mehr kämpfen. Neben mir lag ein bewusstloser älterer Häftling (ein Gorale). Ich werde es nie schaffen, sein Gesicht zu vergessen; es war unmittelbar neben meinem Kopf – bedeckt von einer bewegungslosen Kruste von in seine Haut verbissener Läuse verschiedener Kaliber. Auf der linken Seite lag ein Häftling, der gestorben war (Narkun); man hatte die Decke über seinen Kopf gezogen und wartete darauf, dass die Trage kam. Die Läuse auf seiner Decke bewegten sich rascher und verschoben sich in meine Richtung. Um die Läuse in der eigenen Decke zu vernichten, hätte man wohl immer wieder auf einem flachen Untergrund mit einem steinernen Beilrücken auf die Decke einschlagen müssen. Sich abzuschirmen war jedoch fast so unmöglich wie einen Fluss in seinem Lauf aufzuhalten, die Bewegung ließ sich weder unterbrechen noch zerstören.

Ich gestehe an dieser Stelle, dass mir da zum ersten Mal so war, als ob ich zu wenig Kraft hätte, um diesen Kampf zu führen, um überhaupt kämpfen zu wollen. Mein psychischer Zustand war gefährlich. Den Sinn des Kampfes anzuzweifeln, bedeutete aufzugeben. Als mir das klar wurde, erwachte ich wieder zum Leben. Ich vernichtete weiter Läuse auf meinem Hals und an den Füssen.

An die Stelle der Leiche legte man einen neuen Kranken, einen achtzehnjährigen Burschen. Er hieß Edek Salwa. Wenn ich einschlief, dann sprang er für mich ein, kratzte die Läuse hier mit dem Messer, da mir dem Löffel ab, besonders jene, die von rechts herstrebten. Selber kämpfte er auch bei sich auf seiner eigenen Decke – er war also der Nachbar, der mich von der linken Seite her sicherte; er sorgte dadurch dafür, dass ich mehr Ruhe hatte. Darüber hinaus kaufte er mir Brot von den Kranken, die nicht mehr essen konnten. Ich aß alles auf. Ich habe eine seltsame Natur – ich habe das selbst mehrfach festgestellt. Andere essen nicht, wenn sie Fieber haben, und ich esse für zwei. Und überhaupt: Jener, der mit den Achseln zuckt während er das liest, wird gebeten, mich näher kennenzulernen – dann wird er merken, dass bei mir alles anders herum ist.

In diesem Saal waren ein paar rechtschaffene Leute, die den Kranken hier ihre letzten Lebenstage erleichterten. Das waren Janek Hrebenda und Tadeusz Burski, beide ehrbar, gut, sie waren für die Kranken da. Sie konnten nicht viel machen, aber was in ihrer Macht stand, das taten sie. Jedoch konnten sie die Umstände – das ist klar – nicht ändern. Im Sommer zum Beispiel, erlaubte man nicht, die Fenster zu öffnen, damit sich die Kranken nicht erkälteten – dann bekamen alle in der Hitze und im Gestank keine Luft. Jetzt, als großer Frost herrschte, wurden alle Fenster zweimal am Tag weit geöffnet, man lüftete lange, und die frostige Luft zog von den Fenstern dem Boden entlang; mit ihrer Kälte schüttelte sie die zusammengekrümmten Gestalten, die unter dem dünnen, miesen Deckchen lagen.

Ich kämpfte mehr mit den Läusen als mit der Krankheit, drei Tage und zwei Nächte lang. Am dritten Tag hatte ich keine Kraft mehr, und ich beschloss, Władek gegenüber meine Schwäche zuzugeben. Über den neuen Freund, Tadek Burski, schickte ich einen Zettel an Dr. 2 (Władysław Dering). Jeder Zettel im Lager war verdächtig. Sie konnten ihn als Wille zur Absprache zweier Häftlinge auffassen, die gegen das III. Reich agierten. Ich schrieb: „Wenn du mich hier nicht sofort herausholst, dann verliere ich den Rest der Kraft im Kampf gegen die Läuse. Im jetzigen Zustand nähere ich mich in raschem Tempo dem Kamin des Krematoriums.“ Und ich gab meinen gegenwärtigen Aufenthaltsort an.

Nach ein paar Stunden tauchte Dr. 2 auf, in Begleitung von Dr. 12 (Edward Nowak). Beide wurden offiziell nur Krankenpfleger („Pfleger“) genannt. Ein Pole konnte hier nicht Arzt sein. Aber Dr. 2 hatte die Lage so weit unter Kontrolle gebracht, dass er schon einigen Einfluss auf den Lauf der Dinge im Krankenhaus hatte. Jetzt machte er eine Runde im Saal (es war nicht seine Abteilung). Er tat so, als ob er mich nicht kennen würde. Er wendete sich an Dr. 12 mit den Worten: „Und was hat der? Untersuchen Sie ihn, Kollege.“ Es zeigte sich, dass ich eine Entzündung des linken Lungenflügels hatte. Dr. 2 befand, man müsse mich zu einem bestimmten Versuch mitnehmen und mir eine der neuen Spritzen geben.

Ich marschierte zum Block 20 hinüber (alte Nummerierung). Man legte mich auf ein Bett in einer der Räume des ersten Stocks. Ich fühlte mich wie neu geboren. Hier gab es überhaupt keine Läuse. Das heißt, wenn ich 40 bis 50 Stück von ihnen in der neu erhaltenen Unterwäsche oder in der Decke fand, dann zählte das überhaupt nicht. Ich tötete sie und fertig. Keine weiteren würden die Bettpfosten hinaufkriechen, das hatten sie noch nicht gelernt. Es machte sogar nichts, dass sie mich auf ein Bett gegenüber des Fensters legten, das ständig offen war; der Wind wehte, und der eindringende kalte Luftstrom verwandelte den Dunst am Fenster in einen Nebelschleier. Die Seite, auf der ich die Lungenentzündung hatte, versuchte ich so zu platzieren, dass sie so wenig wie möglich der Kälte ausgesetzt war. Am nächsten Tag verlegte man mich in die Mitte des Saals, gab mir vier Decken und verpasste mir eine Spritze. Nach zehn Tagen war ich schon so gesund, dass ich meinen Platz einem Kranken überlassen musste.

Wieder im Block 15

Ich wurde wieder in den Block 15 verlegt, in dem ich die ersten Tage meiner Krankheit gelegen hatte, aber es gab dort keine Läuse mehr. In der Zwischenzeit hatte die Entlausung, die alle Blöcke der Reihe nach durchlief, auch den Block 15 erreicht. Was für eine seltsame Geschichte. Dieser makabre, verlauste Saal präsentierte sich, entgast und geweisselt, vollkommen anders! Das war am 1. Februar 1941. Hier ruhte ich mich nach überstandener Krankheit einen vollen Monat aus und half Tadek und Janek Hrebenda. Oft schaute der ehrbare „Pfleger“ Krzysztof Hofman im Saal vorbei. Manchmal schlief er sogar in unserem Saal. Heniek Florczyk, ein Mathematiker aus Warschau, lag auch hier. Tadek Burski (Raszyńska 56) wurde aufgrund der Bemühungen seiner Schwestern aus dem Lager entlassen. Über ihn schickte ich Nachrichten nach Warschau.

Obwohl sich die Bedingungen zum Besseren gewendet hatten, starben in diesem Saal des Krankenhauses ein paar Kranke täglich. Es gab nichts, womit man ärztlich behandeln konnte, und im Übrigen waren sogar die Pillen, die Krzysia besorgt hatte, einfach nur Pillen. Manchmal wollten die Leute auch nicht mehr weiterleben. Sie wollten nicht kämpfen, und wer resigniert hatte, starb sehr schnell. Als Rekonvaleszent schuf ich mir hier über befreundete Krankenpfleger die Möglichkeit, ins Lager hinauszugehen (ich bekam Kleidung von Fredek 4 (Alfred Stössel). Ich ging manchmal aus dem Saal, aber so, dass mich die Aufseher nicht bemerkten. Ich hatte mehr Zeit Fünfergruppen zu „schmieden“.

Todesfabrik

Das Lager war wie eine große Mühle, die lebendige Menschen zu Asche verarbeitete. Wir, die Häftlinge, wurden auf zwei Arten ermordet, parallel und unabhängig voneinander. Die einen arbeiteten daran, uns bei der Arbeit oder durch die schrecklichen Bedingungen des Lagers in den Tod zu treiben. Seite an Seite starben so Menschen, die für schwere Vergehen hier waren und solche, denen man überhaupt nichts vorwarf. Übrigens hatte das, was die Häftlinge auf der Erde getan hatten, hierauf sowieso keinerlei Einfluss. Die anderen überprüften im Unterschied dazu die Fälle in der politischen Abteilung. Und manchmal, der Häftling hatte sich schon ganz und gar ans Leben angepasst (er stieg bei der Arbeit auf, kam zurecht und schaffte es sogar, sich zusätzliches Essen zu besorgen), starb er trotzdem eines Tages. Seine Nummer wurde beim Morgenappell aufgerufen. Er musste in die Hauptschreibstube gehen und von dort wurde er in der Regel mit einem SS-Mann in die politische Abteilung geschickt. Sehr oft tötete – erschoss – ihn Palitzsch im Block 13. Es war dies die Folge davon, dass ein anderer Henker in den Akten gestöbert hatte: Maximilian Grabner. Für einen Erschossenen bekam Palitzsch „Kopfgeld“. Häufig waren das Abmachungen zwischen diesen beiden Herren. Einer wählte den Fall aus, der zweite schoss in den Kopf. Das Geld wurde geteilt – ein gutes Geschäft.

Der Tod des einen oder anderen Kameraden traf oft einen Knoten des Organisationsnetzes, nach längerer Beobachtung mühsam geknüpft. Das Netz riss also ständig hier und da ein, man musste die Teile fortwährend neu zusammenknüpfen. Kameraden, die schon eine bestimme Kette gebildet hatten, fühlten sich moralisch stärker; sie knüpften untereinander freundschaftliche Bande und waren bereit, sich gegenseitig zu unterstützen. Mit der Zeit konnten sie sich einfacher in die verschiedenen Kommandos einschleusen.

Die Verschwörung

Ich durfte auf keinen Fall von dem sprechen, was jeder vor Oświęcim eine Organisation genannt hätte, und ich verbat mir, dieses Wort zu benutzen. Wir nahmen hingegen die neue Bedeutung des Wortes (Organisation) bereitwillig auf und streuten diese breit im Lager, damit sie allgemein angenommen würde. Das war gewissermaßen unser Schutzschild. Das Wort „Organisation“ bekam neu die Bedeutung, sich etwas auf illegale Weise zu besorgen. Wenn jemand in der Nacht einige Würfel Margarine oder einen Laib Brot aus dem Lebensmittellager herausholte, dann wurde das „Organisieren von Margarine oder Brot“ genannt. Jener organisierte sich Schuhe, dieser organisierte Tabak. Das Wort „Organisation“ war überall laut zu hören, es war allgemeinen bekannt. Selbst, wenn das Wort nun unvorsichtigerweise im Sinne von Verschwörung gebraucht und von einer unerwünschten Person aufgeschnappt wurde, dann verstand es niemand mehr anders als so: etwas zu stehlen oder sich zu beschaffen.

Bei unserer eigentlichen Arbeit durfte eine durchschnittliche „Zelle“ nicht viel wissen. Der Kamerad kannte das „Gerüst“, hatte ein paar eigene Kontakte und wusste, wer seine Führungsperson war.

Als Organisation begannen wir langsam, die einzelnen Kommandos zu kontrollieren und unsere Möglichkeiten zu erweitern. Ich entschied mich, den Einfluss jener deutschen Kapos zu nutzen, die nur ungern schlugen (es gab einige davon). Ich kontaktierte sie über einzelne unserer Mitglieder.

Aufseher

In der Anfangsphase der Existenz des Konzentrationslagers „Oświęcim“, wo das Morden mit der Ankunft des ersten Transportes von Polen am 14. Juni 1940 begann, setzte sich der Apparat, der daran arbeitete, die Häftlinge zu töten, aus etwa 30 Deutschen oder solchen, die dafür gelten wollten, zusammen. Sie waren im Mai 1940 aus Oranienburg bei Berlin hierhergebracht worden. Obwohl sie selbst Häftlinge waren, wurden sie als unsere Henker ausgewählt. Sie trugen die ersten Häftlingsnummern von Oświęcim. Der erste und der letzte von ihnen, das heißt Häftling Nummer 1 „Bruno“ und Häftling Nummer 30 „Leo“ bekamen „Binden“, die sie als Lagerälteste kennzeichneten. Einige andere trugen die „Binden“ von Blockältesten, der Rest solche von Kapos.

In diese Horde von Gangstern, die mit entsetzlicher Grausamkeit oder Gemeinheit Häftlinge mordete, waren einige, die widerwillig schlugen, mehr aus Notwendigkeit, um dem Rest der Meute und den SS-Männern nicht aufzufallen. Unsere Häftlinge bemerkten dies sehr schnell. Wir als Organisation beschlossen, das für uns auszunutzen. Bald begannen uns die folgenden Personen Gefälligkeiten zur erweisen: Otto (Häftling Nummer 2) als „Arbeitsdienst,“ Balke (Häftling Nummer 3) als „Oberkapo“ der Tischlerei, „Mateczka“(Mütterchen; Fritz Biessgen) (Häftling Nummer 4), so genannt für sein Verhältnis zu uns in der Küche, (Hans Bock) – „Tata“ (Vater) (Häftling Nummer 5) – im HKB [Häftlingskrankenbau], Konrad [Lang] (Häftling Nummer 18) und „Jonny“ [Lechenich] (Häftling Nummer 19). Sie wussten absolut nichts und hatten keinen Verdacht, dass ein organisiertes Netzwerk existierte. Einzelne unserer Kameraden tauchten bei ihnen auf, scheinbar ausschließlich in eigener Sache oder in der von Freunden; und die Angefragten gingen uns zur Hand, wenn sie konnten. Otto, indem er uns Zuteilungskarten für Arbeit in ausgesuchten Kommandos gab. Balke, indem er so viele unserer Kameraden wie möglich in der Tischlerei, unter dem Dach, unterbrachte. „Mateczka,“ indem er den völlig Entkräfteten einen Nachschlag gab (Suppe aus der Küche). Bock, indem er die Arbeit im Krankenhaus erleichterte. „Jonny“, der uns als Kapo des Kommandos Landwirtschaft am Anfang nicht behinderte und später sogar unsere Verständigung mit der Außenwelt erleichterte; durch den Kontakt mit der Organisation draußen, unter der Mitwirkung von Fräulein Zofia Szczerbowska (Stare Stawy). Zwangsläufig musste er sich denken, dass mehr dahinter steckte. Er verriet uns aber nicht. Als die Lagerleitung davon erfuhr, dass er darüber hinweg gesehen hatte, dass die Zivilbevölkerung die Häftlinge fütterte (sie warfen Brot herüber) – mehr kam der Lagerleitung nicht in den Sinn – bekam er eine Portion Schläge auf dem Tisch. Von dem Moment an wurde er wirklich unser Freund.

So bahnte ich Kontakte an und knüpfte sie zusammen. Als Rekonvaleszent im Februar 1941 hatte ich für die damaligen Verhältnisse (im Krankenhaus-Block 15, alte Nummerierung) außergewöhnlich viel Zeit. So war es bis zum 7. März.

Erstes Verhör und Postzensurstelle

Plötzlich geschahen mehrere Dinge auf einmal. Am Abend des 6. März wurde ich zum “Erkennungsdienst“ im Block 18 (alte Nummerierung) beordert. Dort waren alle schon vorher fotografiert worden. Man zeigte mir mein Foto und fragte mich, ob ich die vor und nach mir Fotografierten kennen würde (die Häftlingsnummern, die vor und nach mir kamen). Ich verneinte das. Der SS-Mann machte ein spöttisches Gesicht und sagte, das sei sehr verdächtig, wenn ich jene nicht kenne, die mit mir ankamen. Dann betrachtete er mein Foto und kam zum Schluss, dass ich dem Foto sehr wenig ähnlich sehe und dass das sehr verdächtig sei. Tatsächlich hatte ich mich, als man das Foto machte, darum bemüht, einen unnatürlichen Gesichtsausdruck und aufgeblasene Backen zu haben. Ich antwortete, dass ich kranke Nieren habe, daher die Schwellung.

Am selben 6. März benachrichtigte mich Sławek [Szpakowski]: Man würde ihn am nächsten Tag aus dem Lager entlassen, er fahre nach Warschau. Er war immer ein Optimist und verkündete, er werde in Warschau auf mich warten. Er wurde ohne Quarantäne entlassen – so wurde das zu jener Zeit praktiziert. Zur Entlassung geführt hatten die Bemühungen seiner Frau via der schwedischen Botschaft.

Gleichzeitig erfuhr ich am Abend über Dr. 2 [Władysław Dering], dass ich am nächsten Morgen in die Hauptschreibstube bestellt werden sollte, und es war gemeinhin bekannt, wie das meistens endete. Ich kannte die Gründe nicht und zerbrach mir den Kopf darüber, um was es ihnen gehen könnte. Ich hatte kein laufendes Verfahren. Mir kam nur in den Sinn, dass Westrych absichtlich oder aus mangelnder Vorsicht ans Licht gebracht hatte, dass ich unter falschem Namen hier war. Westrych war vor gerade zwei Wochen aus dem Lager entlassen worden. Vielleicht hatte er vor seiner Abfahrt das Geheimnis „gebeichtet“. In diesem Fall wäre mein Schicksal besiegelt gewesen.

Dr. 2 [Władysław Dering] nahm sich meine Sache sehr zu Herzen und brachte mir bei, eine Krankheit zu simulieren, die zu dieser Zeit bei uns im HKB häufig war – die Hirnhautentzündung „Meningitis“. Sie würde mich davor bewahren, Aussagen zu machen. Über einen der SS-Männer, der einmal Unteroffizier in der polnischen Armee gewesen war, versuchte er herauszufinden, um was es ging, und er bat ihn, seinen kranken Kameraden (mich) nicht zu schlagen. Dr. 2 eroberte da schon langsam eine gute Stellung im Krankenhaus: Er galt schon als guter Arzt und hatte leidliche Bekanntschaften unter den SS-Männern, denen er manchmal Ratschläge erteilte.

Am Morgen des 7. März, rief man beim Appell meine Nummer auf mit der Anordnung, in die Hauptschreibstube zu gehen. Wir waren einige. Sie stellten uns getrennt auf. Der ganze Block blickte uns an wie solche, die nicht mehr zurückkommen würden. Sie irrten sich nicht allzu sehr. In dem Moment, als der Gong ertönte und alle zu den Arbeitsabteilungen rannten, marschierten wir wenigen in den Block 9 (alte Nummerierung). In dem Korridor vor der Hauptschreibstube wurden alle aufgerufen, und man überprüfte die Nummern der Hergebrachten. Wir waren etwas mehr als zwanzig, aus verschiedenen Blöcken.

Ich wurde als einziger beiseite genommen. Was soll das? – dachte ich mir. Warum nicht zusammen? Einer zeigte mit dem Finger auf mich und sagte einem SS-Mann etwas, das ich nicht hörte. Offensichtlich war ich für sie ein „ganz übler Kerl“. Es geschah jedoch etwas ganz anderes als erwartet. Alle anderen marschierten in die politische Abteilung, ich wurde in den „Erkennungsdienst“ gebracht. Das ist besser, dachte ich.

Auf dem Weg dahin wurde mir langsam klar, warum man mich herbestellte, und ich beruhigte mich mit jedem Schritt. Alle Häftlinge mussten den Familien Briefe schreiben, aber nur an die Adresse, die sie unmittelbar nach ihrer Ankunft angegeben hatten. (Kurz nachdem man uns nach Oświęcim gebracht hatte, wurden wir einem nächtlichen Verhör unterzogen. Jeder wurde geweckt, und unser ganze Block 17a musste Auskunft geben: Mit einem seltsamen Lächeln fragte man damals nach einer Adresse, an die man im Falle eines Unglücks, das einen Häftling ja treffen konnte, schreiben konnte – als ob hier nur zufällig gestorben würde).

Es wurde befohlen, alle zwei Wochen einen Brief zu schreiben, damit man für alle Fälle eine Spur zu der Familie des Häftlings hatte. Ich gab die Adresse meiner Schwägerin Eleonora Ostrowska in Warschau an, über die meine Familie Nachrichten von mir bekommen sollte; davon konnten die Machthaber im Lager nichts wissen. Die Adresse der Schwägerin hatte ich als die Adresse einer meiner Bekannten angegeben; ich galt hier als Junggeselle, der außer seiner Mutter keine Angehörigen hat. An die angegebene Adresse hatte ich nur einmal geschrieben, im November 1940, um mitzuteilen, wo ich bin. Und weitere Briefe hatte ich nicht geschrieben – aus Rücksicht darauf, dass meine „Bekannte“ künftig keine Verantwortung für meine eventuellen Taten hier tragen würde. So wollte ich jegliche für die deutschen Machthaber sichtbare Verbindung kappen, die mich mit Menschen in Freiheit verband.

Hinter dem Tor betrat ich, eskortiert von einem SS-Mann, das hölzerne Gebäude, an dessen einen Ende (vom Tor aus gesehen) sich die Blockführerstube [Wache der SS beim Eingangstor ins Lager] befand und am anderen Ende eben die Postzensurstelle. Hier saßen hinter kleinen Tischchen über ein Dutzend SS-Männer. In dem Moment, als man mich hereinführte, erhoben alle ihre Köpfe und fuhren nach einer Weile mit ihrer Arbeit, Briefe zu zensieren, fort. Der SS-Mann, der hinter mir ging, meldete meine Ankunft. Darauf wandte sich ein anderer an mich: „Ah! Mein lieber Mann… warum schreibst du keine Briefe?!”

Ich antwortete: – Ich schreibe doch.

Ha… jetzt lügst du auch noch! Wie kann es sein, dass du schreibst? Wir registrieren alle Briefe, die hinausgehen!

Ich schreibe, aber sie kommen zurück. Ich habe Beweise dafür.

Sie kommen zurück? Ha! Ha! Beweise… Schaut her, er hat Beweise!

Einige SS-Männer umkreisten mich und lachten mich aus.

Was hast Du für Beweise?!

Ich habe die Briefe, die ich regelmäßig geschrieben habe und die, ich weiß nicht warum, zurückkamen – dabei sprach ich so, als ob ich die ungerechtfertigte Rückgabe der Briefe bedauern würde.

Wo hast du diese Briefe?

Im Block 15.

Hans! Führe ihn in den Block; soll er diese Briefe holen; aber wenn er sie nicht findet… – dabei wandte er sich an mich: – Ich sehe schwarz für dich!

Ich hatte diese Briefe tatsächlich im Block. Ich hatte so eine Art von Kontrolle erwartet und alle zwei Wochen die „vorschriftsgemäßen“ Briefe geschrieben, beginnend mit stereotypen Sätzen: „Ich bin gesund und es geht mir gut…“. Ohne diese Sätze, so verkündeten es die Blockältesten, würden die Briefe nicht durch die Zensur kommen. (Selbst wenn es mit einem Häftling zu Ende ging und er noch einmal an seine Familie schreiben wollte, musste er diese Worte platzieren). Die Familie konnte aber vermutlich am Charakter seiner Handschrift erkennen, wie es ihm ging und wie es um seine Gesundheit bestellt war. Grundsätzlich lag allen daran, seinen Liebsten Briefe zu schreiben. Häufig im Hinblick auf die eigene Lage, um Geld zu bekommen. Allgemein schrieb man Briefe. Mir fiel aber auf, dass die Briefe, die man an die Häftlinge zurückgab, weil sie aus irgendwelchem Grund nicht durch die Zensur gekommen waren (sie hatten den SS-Männern nicht gefallen), auf dem Umschlag ein charakteristisches grünes „Häkchen“ hatten oder manchmal das Wort „zurück“.

Von den Kameraden besorgte ich mir zwei solche Umschläge, und mit dem gleichen Bleistift, den mir Rittmeister 3 [Jerzy de Virion] geliefert hatte, machte ich Zeichen auf meinen Umschlägen und gab sie nicht ab, wenn die Briefe an den „Briefsonntagen“ im Block eingesammelt wurden. Ich hob diese Briefe sorgfältig auf.

Als ich mit dem SS-Mann zum Block ging, um diese Briefe zu holen (am 7. März), da traf ich Sławek [Szpakowski] am Tor, der von einem SS-Mann in die Freiheit geführt wurde. Aus dem Saal Nr. 7, im Block 15 (alte Nummerierung), nahm ich die Briefe mit. Die Kameraden im Saal waren sich sicher, als sie den SS-Mann sahen, der auf mich und irgendwelche Papiere wartete, dass das eine Sache der politischen Abteilung sei und dass sie mich nicht mehr wiedersehen würden.

In der „Postzensurstelle“ empfing man mich schon aufmerksam. Sechs oder sieben meiner Briefe, die der mich eskortierende SS-Mann dem Vorgesetzten übergab, interessierten einige andere der übrigen SS-Männer.

Hier sind also die Briefe.

Die Zeichen mit dem grünen Bleistift mussten mir offensichtlich ziemlich gut gelungen sein. Im Übrigen vermuteten sie nicht, dass ein Häftling systematisch Briefe schrieb und nicht abschickte. Sie studierten den Inhalt. Es war nichts Besonderes darin – sie waren ziemlich lakonisch.

Aha! Dann schreibst du also nicht an die Adresse, die du angegeben hast?

Ich erwiderte, dass ich glauben würde, dass man mir die Briefe aufgrund irgendeines Irrtums zurückgebe, da ich an die Adresse schreibe, die ich angegeben hatte. Man schaute nach. Offensichtlich stimmte es.

Nun gut, aber wer ist das, diese Frau Eleonora Ostrowska, an die du schreibst?

Eine Bekannte.

Eine Bekannte? Sagte er gedehnt und mit einem höhnischen Lachen – und warum
schreibst du nicht an deine Mutter? Hier gibst du an, dass du eine Mutter hast!

So hatte ich das tatsächlich angeben, obwohl meine Mutter schon seit zwei Jahren nicht mehr lebte. Ich wollte so unverdächtig wie möglich sein, wie ein Vogel ohne Verbindung zur Erde; ich hatte suggeriert, dass ich einen geliebten Menschen auf Erden hatte, aber ich wollte keine Adressen lebender Personen angeben. Ich war gezwungen, jeglichen Kontakt mit Menschen in der Freiheit abzubrechen.

Gewiss, antwortete ich, habe ich eine Mutter. Aber meine Mutter ist im Ausland. Wilno [Vilnius] liegt doch im Ausland, und ich weiß nicht, ob ich dorthin Briefe schreiben kann.

Die SS-Männer gingen zurück an ihre Arbeit, die Sache fiel langsam in sich zusammen.

Nun gut – fällte der Leiter sein salomonisches Urteil – die Briefe gehen an dich zurück, weil du nicht an deine Mutter schreibst, obwohl du eine hast, aber du schreibst irgendeiner Bekannten. Du musst einen Antrag beim Lagerkommandanten stellen, damit dieser dir erlaubt, die Adresse zu ändern, und angeben, dass du an Frau E.O. schreiben möchtest. Der Antrag muss den Dienstweg über den Blockältesten gehen.


So war mein Fall in der „Postzensurstelle“ erledigt.

Am nächsten Morgen eilte ich mit dem Antrag in den Block 3a, wo der Blockälteste Koprowiak lange nicht verstand, wie es käme, dass ich bisher an die Adresse von Frau E.O. geschrieben hatte und jetzt den Lagerkommandanten höflich bitte, diese Adresse in dieselbe Adresse der Frau E.O. zu ändern.

Doch noch am selben Tag, bevor ich anderntags im Block 3a weilte, erwartete mich eine Überraschung im Block 15. Aus dem Grüppchen, deren Nummern man am Morgen vorgelesen hatte, war ich als einziger in den Block 15 zurückgekehrt. Der Lebensweg der restlichen Kameraden führte durch die politische Abteilung und endete im Hof des Blockes 13 durch die Hand des Henkers Palitzsch.

Ich kehrte genau in jenem Moment aus der „Postzensurstelle“ in den Block 15 zurück, als im Saal eine Kommission die Kranken überprüfte. Alle, die kein Fieber hatten, wurden ins Lager zurückgewiesen, zur Arbeit, in die Blöcke, aus denen sie in das Krankenhaus gekommen waren. Und da taucht plötzlich ein „Kranker“ auf und kommt angekleidet von einem „Spaziergang“ im Lager zurück. Ich bekam ein paar Schläge in den Bauch sowie auf den Kopf und wurde sofort aus dem Krankenhaus geworfen.

Die grosse Tischlerei, Rekrutierung

Daher schrieb ich den Antrag am nächsten Tag schon aus dem Block 3a. Aber es ging nicht um den Antrag, sondern darum, eine Arbeit in einem Kommando unter Dach zu bekommen. Westrych war nicht mehr da. Die kleine Tischlerei im Block 9 (alte Nummerierung) war aufgelöst worden. Die grosse Tischlerei, die Oberkapo Balke führte und ausbaute, war im „Industriehof I“ [die Baumaterialmagazine des Lagers befanden sich dort]. Ich musste mich sofort in eine Arbeit unter Dach einschleusen. Meine Rekonvaleszenz war vorbei, aber gleich nach dem Krankenhaus wäre eine Arbeit bei Frost auf dem Feld zu schwer für mich gewesen. Das war schon die Zeit, in der man die Nummern der Häftlinge, die in jedem Kommando arbeiteten, penibel aufschrieb. Jetzt in ein unangemessenes Kommando zu kommen, würde bedeuten, später schwer von dort wieder wegzukommen, falls man in eine bessere Arbeitsabteilung wechseln wollte.

Da kamen mir meine Kameraden zur Hilfe. In der großen Tischlerei im „Industriehof I“ arbeiteten schon ein paar Mitglieder unsere Organisation, und einer von ihnen, Antek (Nummer 14) [Antoni Woźniak] war dort sogar ein Meister, der die Arbeit beaufsichtigte. Es arbeitete dort auch Czesiek (Nummer 9) [Czesław Wąsowski]. Antek führte mich in das Büro von Balke und stellte mich als guten Tischler vor. Auf die Frage, was ich könne, antwortete ich wie von Antek angewiesen: dass ich Maschinen bedienen könne. Und gerade wurden Maschinen angeliefert und in der Tischlerei aufgestellt. Balke war einverstanden.

Vorläufig versteckte man mich in den Werkstätten, die unter der Leitung von Władek Kupiec standen. Die Arbeit war nicht anstrengend. Władek Kupiec war ein außergewöhnlich anständiger Bursche und guter Kamerad. Alle sechs Brüder waren im Lager inhaftiert [drei davon überlebten, darunter Władek]. Ich traf hier auch ein paar Freunde, einer hieß Witold (Nummer 15) [Witold Szymkowiak], der andere Pilecki (Nummer 16) [Jan Pilecki].

Nach einigen Tagen Arbeit in der Tischlerei organisierte ich hier die zweite „Fünfergruppe“. Sie bestand aus Władek (Nummer 17) [Władysław Kupiec], Bolek (Nummer 18) [Bolesław Kupiec, der nicht überlebte], Witold (Nummer 15) [Witold Szymkowiak], Tadek (Nummer 19) [Tadeusz Słowiaczek], Antek (Nummer 14) ) [Antoni Woźniak], Janek (Nummer 20) [Jan Kupiec, der überlebte], Tadek (Nummer 21) [Tadeusz Pietrzykowski] und Antek (Nummer 22) [Antoni Rosa].

Nach einigen Wochen Arbeit hörte ich, wie man unter den Kameraden davon sprach, dass Oberst 23 [Aleksander Stawarz] und Oberstleutnant 24 [Karol Kuminiecki] einen bestimmten Anschlag im Lager planten. Dabei würde Oberstleutnant 24 mit den gesunden Häftlingen nach Katowice gehen, Oberst 23 würde hingegen mit den Kranken vorläufig vor Ort bleiben. Wegen der Naivität dieses Vorhabens und wegen der Deskonspiration von ähnlichen Vorhaben einem breiteren Kreis von Häftlingen gegenüber, mied ich Gespräche zu organisatorischen Fragen mit diesen Offizieren. Überhaupt vermied ich es in der ersten Zeit, Offiziere höherer Dienstgrade in die Organisation aufzunehmen, die unter ihren richtigen Namen hier waren, bis auf Oberst 1 [Władysław Surmacki], zu dem ich vollstes Vertrauen hatte. Und das aus dem Grund, dass Offiziere, die der Lagerkommandantur offiziell bekannt waren, bei Verdachtsmomenten in den Bunker gesperrt, gequält und auf eine harte Probe gestellt werden konnten, zu schweigen.

So war das in der ersten Phase der organisatorischen Arbeit. Später war es anders. Im April und Mai 1941 kamen große Transporte mit Polen an – Häftlinge aus dem Pawiak. Viele meiner Bekannten trafen ein. Ich formiere also eine dritte „Fünfergruppe“, in die ich meinen früheren Stellvertreter bei der Arbeit in Warschau einbezog: „Czesław III“ (Nummer 25) [Stefan Bielecki]; dann Stasiek (Nummer 26) [Stanisław Maringe], Jurek (Nummer 27) [Jerzy Poraziński], Szczepan (Nummer 28) [Szczepan Rzeczkowski], Włodek (Nummer 29) [Włodzimierz Makaliński], Geniek (Nummer 30) [Eugeniusz Triebling]. Die Organisation entwickelt sich schon in einem raschen Tempo.

Der Lagerapparat beeilt sich jedoch ebenso mit dem Töten. In die „Zähne“ des Lagers gerieten die Transporte aus Warschau, sie mussten die gleichen Prügel einstecken wie wir zuvor; die Leute starben massenhaft, täglich hingerafft von Kälte und Hunger.

Das Lagerorchester

Eine Neuheit im Lager war seit dem Frühling 1941 das Orchester. Der Lagerkommandant mochte Musik – daher wurde ein Orchester aus guten Musikern gebildet, an denen es im Lager, genauso wie auch an anderen Fachleuten, nicht mangelte. Die Arbeit im Orchester war eine gute „Stelle“. Daher ließ jeder, der ein Instrument zu Hause hatte, es so schnell wie möglich ins Lager holen und schrieb sich im Orchester ein, das unter der Leitung von „Franz“ (ein wahrer Lump, der vorher Kapo in der Küche gewesen war), die verschiedensten Stücke spielte.

Das Orchester hatte wirklich Niveau. Und es war der Stolz des Lagerkommandanten. Wenn ein Spezialist für irgendein Instrument fehlte, dann wurde dieser sehr leicht draußen unter den „Zivilisten“ gefunden und ins Lager gebracht. Nicht nur der Kommandant war vom Orchester entzückt, sondern auch alle Kommissionen, die manchmal ins Lager hineinschauten.

Das Orchester spielte für uns viermal am Tag. Am Morgen, wenn wir zur Arbeit hinausgingen, wenn wir zum Mittagessen zurückkehrten, wenn wir nach dem Essen wieder zur Arbeit gingen und bei der Rückkehr zum Abendappell. Der Ort für die Orchesterdarbietungen war vor dem Block 9 (alte Nummerierung), in der Nähe des Tors, durch das alle Kommandos marschierten. Das Ausmaß des Grauens spürte man besonders während dem Rückmarsch der Abteilungen von der Arbeit. Die voranschreitenden Kommandos schleiften die bei der Arbeit getöteten Kameraden auf dem Boden mit sich. Einige Leichen machten einem Angst. Zu den Klängen von lebhafter Marschmusik, die in schnellem Tempo gespielt wurde – sie erinnerte eher an eine Polka oder an einen Oberek [einen der lebhafteren Nationaltänze Polens] – kehrten verprügelte, schwankende Gestalten zurück, von der Häftlingsarbeit erschöpft. Die Reihen strengten sich an, Schritt zu halten und schleiften die oft halbnackten Leichen der Kameraden über den Boden (und durch Erdklumpen, Dreck und Steine war ihnen ein Teil ihrer Kleidung heruntergerutscht). Kolonnen von grenzenlosem menschlichen Elend, umzingelt von einem Ring aus Treibern, mit Stöcken getrimmt, gezwungen im Takt der heiteren Musik auszuschreiten. Wer nicht Schritt halten konnte, bekam mit dem Knüppel Schläge auf den Kopf, und nach einer Weile wurde auch er von den Kameraden gezogen.

Das Ganze eskortierten zwei Ketten Bewaffneter in deutscher Soldatenuniform – die „Helden“. Vor dem Tor, um die Sicherheit zu gewährleisten, stand außer den bewaffneten Einheiten eine Gruppe von „Übermenschen“: Die aus Unteroffizieren bestehende Lagercharge (denen man eventuell in der Zukunft die Schuld geben konnte: Wozu waren die einfältigen Kerle sonst da?). Alle sahen sie hochmütig, mit freudigen Gesichtern und Stolz, auf die verreckende, verhasste Rasse der „Untermenschen“ herab.

Handwerker, Korruption

So kamen die Kommandos jener zurück, die auf dem Feld arbeiteten. Alte Nummern fand man unter ihnen wenige. Sie waren schon durch den „Kamin gegangen“ oder hatten es geschafft, unter Dach zu kommen. Das waren vor allem „Zugänge“. Anders kamen jene Hunderte zurück, die in den Werkstätten arbeiteten: Stark und gesund, gingen sie mit festem Schritt, in geordneten Fünferreihen. Dann verschwand das zufriedene Grinsen aus den Gesichtern der Bande am Tor. Meistens wandten sie sich widerwillig ab. Vorläufig brauchten sie jedoch die Handwerker. So mancher SS-Mann bestellte sich in dieser oder jener Werkstatt einen von ihm benötigten Gegenstand, den man „schwarz“ anfertigte, ohne Wissen der Lagerleitung. Sogar die am höchsten Stehenden gaben Arbeiten für sich in Auftrag und verheimlichten das voreinander. In dieser Sache hatte jeder Angst vor einer Meldung bei der Lagerleitung. Etwas anderes war es, Menschen zu töten: Je mehr einer auf dem Gewissen hatte, desto besser war sein Ruf.

Gedanken über den Stand der Kultur

Dies waren eben Dinge, von denen ich sage, dass sie, „nicht auf Erden geschahen“ Wie auch? Kultur… das 20. Jahrhundert…Wer hatte denn schon gehört, wie ein Mensch getötet wird? Auf jeden Fall konnte man das doch auf der Erde nicht straflos tun. Trotz 20. Jahrhundert und einer Kultur auf sehr hohem Stand, schmuggeln uns „Menschen mit großer Kultur“ einen Krieg herein, erklären uns seine Notwendigkeit. Und in der Meinung einiger kultivierter Menschen ist der Krieg „unabdingbar und notwendig“. Mag sein (und zugegeben: Hinter dem Vorwand der Notwendigkeit des Tötens stecken die eigenen Interessen). Doch bisher war stets nur von einem Bruchteil der Gesellschaft die Rede, von den bewaffneten Armeen, die sich gegenseitig umbrachten. So war es vielleicht früher. Das ist bloß schöne Vergangenheit.

Was kann die Menschheit heute sagen, diese Menschheit, die den Fortschritt der Kultur unter Beweis stellen möchte und das 20. Jahrhundert auf eine entscheidend höhere Stufe als vergangene Jahrhunderte stellen möchte? Können wir Menschen des 20. Jahrhunderts überhaupt den Menschen in die Augen schauen, die früher gelebt haben und – wie lächerlich – unsere Überlegenheit beweisen, wenn in unseren Zeiten eine bewaffnete Masse, nicht eine feindliche Armee vernichtet, sondern ganze Nationen, wehrlose Gesellschaften, und dabei die neuesten technologischen Errungenschaften anwendet. Ein zivilisatorischer Fortschritt? Ja! Aber ein Fortschritt der Kultur? Wohl kaum.

Wir sind tief gefallen, mein Lieber, schrecklich tief. Eine grässliche Sache, es gibt keine Worte dafür! Ich wollte sagen: bestialisch… aber nein! Wir sind viel bestialischer als Tiere.

Ich habe das volle Recht, dies zu schreiben, besonders nach dem, was ich hier gesehen habe, und was in Oświęcim ein Jahr später beginnen würde.

Gute Posten im Lager

So groß wie der Unterschied zwischen „sein“ und „nicht sein“ ist, so groß war auch der Unterschied zwischen jenen, die unter Dach arbeiteten (in den Ställen, den Lagerhallen oder den Werkstätten) und jenen, die unter freiem Himmel auf die unterschiedlichsten Arten starben. Die ersten wurden hier als notwendig anerkannt, die anderen bezahlten mit ihrem Leben für den Befehl, in dieser Mühle so viele Leute wie möglich aufzureiben. Für die Bevorzugung musste man irgendetwas bieten, sie durch irgendetwas rechtfertigen. Man hatte entweder Fachkenntnisse oder Schlauheit, die den Beruf ersetzen musste.

Das Lager versorgte sich selbst. Man säte Getreide und hielt Nutztiere: Pferde, Kühe und Schweine. Es gab eine Metzgerei, die das Fleisch der Tiere zu Nahrungsmitteln verarbeitete. Nicht weit vom Schlachthaus stand das Krematorium, in dem Massen von Menschenfleisch zu Asche verwandelt wurden, um damit die Felder zu düngen – das war der einzige Nutzen, den man aus diesem Fleisch ziehen konnte.

Die beste Arbeitsstelle unter Dach war im Schweinestall, deren Fressen viel üppiger und besser war als das in den Kesseln aus der Häftlingsküche. Den Schweinen brachte man die Essensreste der „Übermenschen“. Die Häftlinge, deren glückliches Schicksal es war, Schweinehüter zu sein, bekamen einen Teil des hervorragenden Essens, indem sie es ihren Schützlingen, den Schweinen, wegnahmen.

In den Pferdeställen hatten die Häftlinge andere Möglichkeiten. Freund 31 [Karol Świętorzecki] lud mich einige Male aus der Tischlerei in den nahen Stall ein, wo ich mich mit meinem Werkzeug einfand, angeblich um etwas zu reparieren, was ich auch den SS-Männern angab, denen ich begegnete. Mein Freund empfing mich mit einem wahren Festmahl. Er gab mir ein Kochgeschirr voll von schwarzem Zucker, der nach dem Auswaschen mit Wasser fast weiss wurde, da er das Salz verlor. Er gab Weizenkleie hinzu. Nach dem Verrühren aß ich es wie die schmackhafteste Torte. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals so etwas Gutes gegessen hatte oder essen würde, falls es mir gelingen würde, in ein Leben in Freiheit zurückzukehren. Mein Freund hatte auch Milch, die er von der Portion für den Hengst abzweigte.

Man musste jedoch sehr gut aufpassen, um nicht unangenehm aufzufallen. Das einfache Herkommen ohne bestimmten Grund, ohne die Anordnung einer Reparatur durch einen Kapo, war verboten.

Freund 31 war unter dem Stallpersonal die Verbindung zu unserer Organisation. Jedoch wurde er am 15. April 1941 aufgrund der Bemühungen seiner Mutter freigelassen und fuhr nach Warschau, er nahm meinen Bericht über die Arbeit hier mit.

Viel später konnte Freund 32 [Leszek Cenzartowicz], der über mich hier untergebracht wurde, seinen erschöpften Organismus kräftigen, indem er trächtige Stuten melkte und ihre Milch trank.

Es gab auch eine Gerberei, wo die Kameraden die Umstände nutzten und die hierher zum Gerben gegebenen Schweinehäute entsprechend zurechtschnitten: Sie verkleinerten sie unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen Form und kochten aus den Reststücken eine „exzellente“ Suppe. Einmal bekam ich von Freunden aus der Gerberei Hundefleisch und aß es, aber ich wusste nicht, von welchem Wesen es war (das erste Mal im Sommer 1941). Später tat ich dasselbe schon bewusst. Der Instinkt und die Notwendigkeit, seine Kräfte zu erhalten, ließ alles als schmackhaft erscheinen, was irgendwie essbar war. Die Kleie, die mir heimlich von Freund 21 [Tadeusz Pietrzykowski] geliefert wurde, der im Kälberstall arbeitete, war roh und so schlecht gewaschen, dass meine Kälber sie früher nicht gefressen hätten – ich schüttete sie in die Suppe, die man uns in die Tischlerei brachte und überlegte, ob ich zwei oder doch lieber nur einen Löffel in das Kochgeschirr hineinschütten sollte. (Wir waren „kommandiert“, das heißt wir gingen nicht zum Mittagessen und zum Mittagsappell ins Lager zurück, man zählte uns vor Ort). Wenn es meinem Freund 21 manchmal gelang, mehr Kleie zu bringen, dann schüttete ich mir eine Handvoll direkt in den Mund und schluckte sie mit Spreu herunter, trocken, langsam, nachdem ich sie in zum Schlucken geeignete kleine Stücke zerbissen hatte. Es zeigt sich, dass alles möglich ist und alles schmackhaft sein kann. Mir schadete nichts; vielleicht deswegen, weil ich schon immer einen Magen hatte, der viel aushielt.

Ich war kein Tischler-Fachmann, das musste ich mit Schlauheit wettmachen. Am Anfang deckten mich die Kameraden (aber langfristig war das unmöglich), und bald musste ich mich mit den Tischleraufgaben auseinandersetzen. Erst hier lernte ich, Werkzeug zu schleifen. Selbstverständlich hätte ich das als Tischler schon längst können müssen. Balke waren ein paar Kapos und einige Meister anwesend, vor denen man geschickt den Tischler vortäuschen musste. Unter der Leitung von Władek [Kupiec] und ein paar anderen Freunden lernte ich zu sägen, die Bretterkanten so zu hobeln, dass sie zusammenpassten, und die Bretter zu Platten zusammenzukleben.

Auf der Hut

Die wichtigste Arbeit machten jedoch die Augen. In Oświęcim waren die Augen und die Ohren an den verschiedensten Arbeitsplätzen und in den verschiedensten Fachrichtungen immer am aktivsten. Die Augen mussten alles überblicken, so dass man die Muskeln immer in dem Moment entspannen konnte, wenn es kein Kapo-Antreiber sah. Aber wenn der Blick des Aufsehers, der die Werkplätze oder Gestalten beaufsichtigte, auf dir zu ruhen kommt oder du dich in seinem Blickfeld befindest oder auch nur an dessen Rand, dann, Brüderchen, musst du arbeiten oder die Arbeit geschickt simulieren. Du darfst nicht herumstehen oder ausruhen, auch wenn du früher während der Abwesenheit dieses Herren viel gearbeitet hast. Wenn du das wirklich getan hast, dann warst du leichtfertig. Sei vorsichtig! Arbeit macht frei! Du liest das jeden Tag ein paar Mal auf dem Tor. Du kannst von hier durch den Kamin wegfliegen, wenn du deine Kräfte erschöpfst. Du kannst mit dem Stock geschlagen werden, wenn du gerade dann ausruhst, wenn dich einer von den Aufsehern ansieht.

Etwas anderes war es natürlich bei einem erstklassigen Profi, der sich hier schon einen Namen gemacht hatte. Der musste nichts vortäuschen. Andere, auch wenn sie wirklich Tischler waren, mussten sich hüten. Es gab einige hundert Stellen in der Werkstatt – im Lager starben Tausende. In die Werkstatt drängten neue, echte Fachleute. Jene, die nichts taugten, wurden entfernt – und starben auf dem Feld. So wurde ich zwangsläufig langsam zu einem Tischler. Ich konnte schon ganz passabel zinken und polieren.

Neue Mitglieder

Meine Freunde, die aus Warschau angekommen waren (vom April bis Mai 1941) und die ich in unsere Arbeitsorganisation hineingezogen hatte, konnte ich unters Dach bringen. Die Kameraden 25 [Stefan Bielecki] und 26 [Stanisław Maringe] brachte ich im Kommando „Fahrbereitschaft“ unter; über unser Mitglied 33 [Stanisław Kocjan], der in diesem Kommando schaltete und waltete. Kamerad 27 [Jerzy Poraziński] wurde über Dr. 2 [Władysław Dering] im Krankenhaus als Krankenpfleger aufgenommen. Kamerad 34 [nicht bekannt] wurde im Krankenhaus über Unterleutnant 4 [Alfred Stössel] als Sekretär aufgenommen usw. Ich ging oft zu den „Zugangs“-Blöcken 11 und 12 (alte Nummerierung), in die neue Kameraden gebracht wurden, um Bekannte zu suchen, Kameraden für die Arbeit auszuwählen, Leute unters Dach zu bringen, zu retten. Eines Tages traf ich hier unerwartet die Familie Czertwertyński: Ludwik, den Besitzer des [Gutshofs] Żołudek, seine beiden Söhne [Grzegorz und Stanisław] sowie seinen Bruder [Seweryn] aus Suchowola. Gleichzeitig traf ich meinen Freund aus der Partisanenbewegung von 1939: Offiziersanwärter 35[Remigiusz Niewiarowski]. Einige Tage später traf ich auch zwei Kameraden von der Arbeit aus Warschau: 36 [Stanisław Arct] und 37 [nicht bekannt].

Ich beobachtete sie alle aufmerksam, da man nie wusste, wie sich ein Freund verhalten würde, nachdem er die Szucha-Allee [Warschauer Gestapohauptquartier] und den Warschauer Pawiak durchlaufen hatte. Einige waren erschöpft, andere hatte man gebrochen. Nicht alle hier eigneten sich für unsere organisatorische Arbeit, zu einer neuen Konspiration. Major 38 [Chmielewski], der für uns in Warschau unter dem Pseudonym „Sȩp [Geier] II“ gearbeitet hatte, warf sich mir bei unserer ersten Begegnung in Oświęcim (im Sommer 1941) auf dem Platz freudig entgegen und rief laut: „Sie hier? Und mir hat die Gestapo in Warschau den A… in Stücke gehauen und gefragt: Wo ist Witold? Sind sie schon lange hier? Was haben sie für eine Nummer… Wie haben sie das gemacht? Ich habe sie doch vor zwei Monaten in Warschau gesehen, und so habe ich es in der Szucha-Allee erzählt.“ Er senkte seine Stimme nicht, redete in Anwesenheit von über einem Dutzend Kameraden drauflos und enttarnte mich – hier war ich doch Tomasz. Zum Glück waren keine Lumpen unter uns. Und „wie habe ich das gemacht, dass ich vor zwei Monaten noch in Warschau gewesen bin“ erklärte ich mir mit nichts anderem als damit, dass er von den Schlägen in der Szucha-Allee eine leichte Bewusstseinstrübung bekommen hatte. Viel später zeigte sich, dass es eine andere Erklärung dafür gab.

Aus mehr als einem Dutzend alten Bekannten von der Arbeit, die in diesen Monaten ankamen, waren mir 25 [Stefan Bielecki] und 29 [Włodzimierz Makaliński] am nützlichsten, denen ich so vertraute wie mir selber.

Zugänge

In den Blöcken der „Zugänge“ stand ich in einer Ecke des Saals und beobachtete die Menschen, die frisch von der Erde gekommen waren und noch – so schien es – den Strassenstaub von Warschau auf sich trugen. Man fühlte sich recht komisch dabei. So als ob man gleichzeitig mehrere Personen war. Die eine wollte ihr Schicksal bedauern und sehnte sich nach der Erde, wenn sie sich nicht für diesen Rest an Gefühl geschämt hätte. Die andere war jedoch stärker und freute sich über ihren Sieg über Gelüste und Banalitäten, die hier unwichtig waren, auf welche die Menschen auf der Erde aber Wert legen. Die dritte betrachtete diese Ankömmlinge nachsichtig, mit einem gewissen Mitleid, nicht in einem negativen Sinn, aber mit einem inneren, brüderlichen Verständnis. Sie redeten sich gegenseitig noch an mit: Herr Rechtsanwalt, Herr Ingenieur, Herr Oberst, Herr Oberleutnant.

Mein Gott, das soll schnell von euch abfallen… Je schneller, desto besser. Hier sterben vor allem gebildete Schichten, weil die Machthaber des Lagers dazu den Befehl haben und weil ein Gebildeter sich nicht für einen Handwerker in einer Werkstatt eignete. Wenn er nicht in die Reservate für Gebildete im Lager gelangte: das Baubüro, die Schreibstube, das Krankenhaus, die Effektenkammer und die Bekleidungskammer, dann starb er hier als nutzloses Material. Aber er starb auch deswegen, weil manchmal – leider –, jemand, der über wissenschaftliche Weisheit verfügte, im normalen Leben ein völliger Tölpel war. Überdies war sein Organismus zart, nicht an körperliche Arbeit und dürftiges Essen gewöhnt. Es tut mir leid, aber wenn ich die Wahrheit über das Lager schreiben will, dann kann ich das Thema nicht auslassen. Es wäre falsch, wenn der Leser mir vorwürfe, ich wolle schlecht reden. Mir scheint, dass auch ich einen berechtigten Platz bei den Intelligenten habe, aber das heißt nicht, dass ich die bittere Wahrheit nicht schreiben kann.

Zu einem großen Teil waren die Gebildeten, die man ins Lager gebracht hatte, unpraktische Trampel. Sie erkannten nicht, dass sie ihre studierte und diplomierte Intelligenz vorläufig so tief wie möglich hinter einer tatkräftigen Intelligenz verstecken und einen Weg finden mussten, auf diesem steinigen, lebensfeindlichen Boden des Lagers zu bestehen. Sich nicht mit den Titel anzureden, sich den Bedingungen anzupassen. Keine Arbeit im Büro einfordern, weil man Ingenieur sei oder im Krankenhaus, weil man Arzt sei, sondern jedes Schlupfloch zu nutzen, um aus dem Block der Zugänge herauszukommen; irgendwohin, bloß um einen Arbeitsplatz zu finden, der der Lagerleitung als notwendig erscheint, der aber auch die Ehre eines Polen nicht beschmutzt. Sich nicht so aufzublasen, weil man Rechtsanwalt ist, ein hier absolut unnötiger Beruf. Vor allem sollte man kameradschaftliche Beziehungen mit jedem Polen unterhalten, solange er kein Schuft war, und jede Gefälligkeit nutzen und mit einer Gefälligkeit zurückzahlen. Denn hier lebte man nur, wenn man sich mittels gegenseitiger Freundschaft und Arbeit verband und sich gegenseitig half. So viele verstanden das nicht… So mancher war ein Egoist, von dem man sagen konnte: „die Welle erreicht ihn nicht, und er erreicht die Welle nicht“. So einer musste sterben. Wir hatten zu wenig Posten, und es gab viele zu retten. Darüber hinaus fehlte ihm der Wille, auf Unverdauliches zu verzichten – nicht alle
Mägen unserer Gebildeten waren belastbar. „Głupi, zasr… inteligent!“ [„Dummer, besch... Intelligenzler“] war die schlimmste Beschimpfung im Lager.

Muselmänner

Ab dem Frühjahr 1941 verwendete das Lagervolk ein neues Wort: „muzułman“ [Muselmann]. So nannten die machthabenden Deutschen einen Häftling, dessen Leben zu Ende ging, der entkräftet war, kaum noch fähig zu gehen. Dieser Begriff wurde allgemein übernommen. In einem Lagervers reimten wir: „…muzułmani – lekko wiatrem kołysani…“ […Muselmänner… leicht schaukeln sie im Wind]. Das war ein Ungeheuer, an der Schwelle vom Leben zum Kamin des Krematoriums. Es kam sehr schwer wieder zu Kräften, in der Regel endete es im Krankenhaus oder im „Schonungsblock“ [Block 14, in dem die Rekonvaleszenten untergebracht wurden; Block 19 nach der neuen Nummerierung]. Hier gewährte die Lagerleitung einigen Hundert dieser menschlichen Schatten Gnade. Sie konnten dort den ganzen Tag in Reihen in den Gängen stehen und nichts tun, aber das Stehen tötete sie ebenso. Die Sterblichkeit in diesem Block war gewaltig.

Oh, Onkel!

Im Juli 1941 ging ich auf dem Platz an einem Grüppchen von über einem Dutzend Burschen vorbei (16–17 Jahre alt), die man von der Schulbank hierhergebracht hatte, weil sie patriotische Lieder gesungen hatten. Einer von ihnen [Kazimierz Radwański] stürzte sich mit einem Schrei auf mich: „Oh! Onkel!“ Eine erneute Enttarnung…         Ich freute mich jedoch. Natürlich nicht darüber, dass sie ihn hierher gebracht hatten, das versteht sich von selbst – aber er hatte Neuigkeiten von den meinen. Einige Wochen später bohrten sich im Maschinenraum der Tischlerei jemandes Augen in mein Gesicht und sahen mich aufmerksam an, ohne mit den Wimpern zu zucken. Ich hielt dem Blick stand. Dieser kleine Mann, ein polnischer Häftling, näherte sich mir und fragte, ob ich Xy sei und nannte meinen richtigen Namen. Ich antwortete, das sei eine Verwechslung. Aber er ließ sich nicht beirren und versicherte, dass ich von ihm nichts zu befürchten habe. Ein paar Wochen später vereidigten wir ihn, und er arbeitete für uns als Nummer 40 [Tadeusz Szydlik]. Er hatte Arbeit in der Tischlerei, im Maschinenraum.

Immer noch in der Tischlerei

Auch in der Tischlerei erweiterte ich unsere Reihen und schwor drei rechtschaffene Polen ein: 41 [Stanisław Stawiszyński], 42 [Tadeusz Lech], 43 [Antoni Koszczyński]. Bald darauf schlossen sich unserer Arbeit an: 44 [Wincenty Gawron], 45 [Stanisław Gutkiewicz], 46 [Wiktor Śniegucki].

In der Tischlerei kam ich langsam zurecht. Das Schicksal wollte es, dass meine Arbeit und meine Erscheinung als Pseudo-Tischler nicht die Aufmerksamkeit der Kapos erregte. Nur einmal war ich alleine an der Werkbank und passte mit dem Hobel Bretter zum Festkleben an, da stand Oberkapo Balke ein paar Schritte hinter mir und schaute mir eine Weile zu, was ich nicht bemerkte. Danach rief er Kapo Walter zu sich, zeigte mit dem Finger auf mich und sagte gedehnt: „Wer ist das?“ Aber sie gingen weiter und unterbrachen meine Arbeit nicht. Kameraden, neben denen diese Kapos standen, berichteten mir davon. Offensichtlich hatte er gemerkt, dass ich kein Schreiner war.

Überhaupt war Balke ein interessanter Mensch. Gross gewachsen, gut aussehend, von intelligentem Aussehen, aber recht steif und kalt. An den Sonntagen, wenn man uns mit der sogenannten „Blocksperre“ bis zum Mittag quälte, in den Blöcken einsperrte, auf verschiedene Arten unsere Uniformierung prüfte, kam Balke und befahl allen Tischlern, auf den Platz hinauszugehen, wo er uns antreten ließ. Er formierte uns um, stellte Zwanzigergruppen auf, ernannte deren Leiter und behielt uns auf dem Platz, und wenn die Sonne schien, dann spielte das Orchester, bevor die „Blocksperre“ zu Ende war. Am Schluss wünschte er uns mit einem Lächeln alles Gute und entließ uns in den Block.

Das Stammlager und seine Ableger

Unser Lager wurde immer grösser. Jedoch nicht die Zahl der Häftlinge: Es waren immer um die 5.–6.000. Die laufenden Nummern hatten schon die 20.000 überschritten. Über 10.000 Menschen hatte schon das Krematorium verschlungen [innerhalb eines knappen Jahres seit der Ankunft der ersten polnischen Transporte]. Das Lager weitete sich auf andere Weise aus: Es wurde ausgebaut. Man errichtete auf dem Appellplatz im eigentlichen Stammlager acht zusätzliche Blöcke (das führte dazu, dass sich die Nummerierung im ganzen Lager änderte), erweiterte das ursprüngliche Lager in Richtung „Industriehof I“ und errichtete rasch Ableger. Der erste wurde Buna genannt und lag acht Kilometer östlich des Lagers, wo man eine Fabrik für Pseudo-Gummi errichtete. Der zweite Ableger des Stammlagers war das neu entstehende Lager Birkenau (Brzezinka), so genannt nach einem Birkenwäldchen. Dieses Lager wurde auch Rajsko [Paradies] genannt – das hatte aber nichts mit dem Dörfchen Rajsko zu tun (Birkenau lag einige Kilometer westlich, das Dorf Rajsko südlich), sondern war ironisch gemeint.

Beim Bau beider Niederlassungen starben unzählige Menschen. Nach Buna marschierten täglich vor dem Morgenappell über tausend Häftlinge. (Sie standen viel früher auf als wir und kehrten einige Stunden nach dem Ende unseres Arbeitstages zurück). In Birkenau wurden erst die Baracken gebaut: zunächst aus Holz, jungfräulich-unschuldig, neu. Erst später spielten sich in Brzezinka-Rajsko Höllenszenen ab. Zum Bau dieser Baracken auf freiem Feld brauchte man sowohl Zimmermänner als auch Tischler, und falls eine größere Anzahl Zimmermänner fehlte, wurden sie sofort durch Tischler ersetzt. Man arbeitete auf dem Feld, im Regen, im Schnee, unter den Stöcken der Kapos, die zur Arbeit antrieben, da es einen ausdrücklichen Befehl gab: Die Hölle in Rajsko so schnell wie möglich zu errichten.

Von uns sollten Tischler hingehen… Um zu sterben… Balke musste diese Tischler hergeben. Er machte das ungern. Er wählte immer lange aus. Das war ein schwerer Moment für die Tischler, aber – so schien es – auch für ihn. Die Tischler, die zum Bau der Baracken aufs freie Feld gingen (allgemein etwa ein Drittel aller Tischler), starben meistens dort: Sie erkälteten sich oder starben direkt bei der Arbeit. Balke schickte also die schlechteren Fachleute. Normalerweise blickte er mich prüfend an, als ob er denken würde: Soll ich ihn hergeben oder nicht? Und irgendwie ging er weiter, der Reihe stehender Tischler entlang, die auf ihr Los warteten; aber mich behielt er in der Tischlerei.

1940 und 1941 wurden Leute freigelassen

Ein minimaler Prozentsatz wurde aus dem Lager Oświęcim freigelassen. Das waren vor allem Kameraden aus den Warschauer Razzien, gegen die nichts vorlag und deren Familien sie gegen Geld freikauften, über verschiedene Mittelsmänner, die von diesem Geschäft lebten – oftmals Erpresser und Scharlatane. Oder auch über Familien, die eigene Verbindungen zu ausländischen Konsulaten oder sogar zu der Szucha-Allee hatten. Im Herbst 1940 wurden zwischen 70 und 80 Personen aus den Warschauer Transporten freigelassen. Im Jahr 1941 waren Entlassungen sehr selten und betrafen nur einige wenige Häftlinge: bis Herbst waren es insgesamt 41. Erst im Herbst 1941 kamen um die 200 Häftlinge in den „Freiheits“-Block (speziell zu diesem Zweck vorgesehen), in dem sie ihre Quarantäne absolvierten, bevor sie das Lager verließen. Man gab ihnen besseres Essen, um ihnen ein erträgliches Aussehen zu verpassen; sie wurden nicht geschlagen, und jene, die Spuren von Schlägen hatten, behielt man im Krankenhaus, damit sie sich auskurierten und ihre Wunden verheilten. Sie sollten der Welt kein Zeugnis von der abscheulichen Behandlung der Häftlinge in Oświęcim geben. Man bedenke, dass im November 1941 die ins Lager Kommenden bereits laufende Häftlingsnummer von über 25.000 bekamen – was bedeuteten da schon diese gut 300 Freigelassenen…

Jeder freigelassene Häftling musste, nachdem er seine Zivilkleidung angezogen hatte, die in Säcken in der Effektenkammer hing, zusammen mit der Gruppe freigelassener Kameraden oder auch allein durch die hölzerne Baracke hinter dem Tor gehen (in dieser befand sich auch die „Postzensurstelle“), wo sie ein SS-Mann verabschiedete und ihnen ausdrücklich in die Köpfe hämmerte, dass sie in der Freiheit über das Thema „Lager Oświęcim“ absolut zu schweigen hätten. Falls jemand fragen würde, wie es denn in Oświęcim gewesen sei, dann sollten sie antworten: Fahr hin und schau selber (ein naiver Vorschlag). Falls die deutschen Machthaber erfahren würden, dass einer der Freigelassenen seinen Mund nicht halten kann, dann befände sich dieser sehr schnell wieder in Oświęcim. (Das war recht überzeugend, und in Freiheit schwiegen die ehemaligen Häftlinge dieses Lagers wirklich eisern).

Das Spiel, das ich in Oświęcim zu spielen begonnen hatte, war gefährlich. Dieser Satz gibt längst die Realität nicht wieder, denn im Grunde hatte ich die Grenze dessen überschritten, was die Menschen auf der Erde als gefährlich bezeichnen. Allein die Drähte beim Betreten des Lagers zu passieren, war schon gefährlich. Deshalb nahm mich die Arbeit, die ich hier angefangen hatte, völlig ein – und als sie sich immer schneller entwickelte, plangemäß, da fing ich mir wirklich an, Sorgen zu machen, ob mich meine Familie nicht so wie andere Kameraden freikaufen würde, denn gegen mich lag hier ebenfalls nichts vor, und ich war aus der Razzia hergekommen. Ich konnte meinen Auftrag nicht verraten, deshalb schrieb ich an meine Familie, dass es mir hier wirklich gut gehe, dass sie meinen Fall nicht vorantreiben sollen, dass ich hier bis zum Ende bleiben wolle. Allein das Schicksal werde entscheiden, ob ich herauskomme, etc. Ich bekam als Antwort zurück, dass Janek W. [Włodarkiewicz] das Gewissen plagte, seitdem er erfahren hatte, wo ich mich befand, und alle fragte: „Warum ist er hingegangen?“ Jedoch war er konsequent, und meiner Familie, die sich mit der Bitte an ihn wandte, beim Freikauf zu helfen, sagte er, dass er das Geld dafür nicht habe.

Ich fand einen Weg, meiner Familie Briefe auf Polnisch zu schicken. Mein junger Freund 47 [nicht bekannt], der zur Arbeit in das Städtchen ging, hatte Möglichkeiten gefunden, Kontakt mit der Zivilbevölkerung aufzunehmen; über diese schickte ich zwei Briefe an meine Familie. Meine Briefe wurden an das Hauptquartier weitergeleitet.

Von den ersten meiner Mitarbeiter in Warschau traf ich hier in Oświęcim, ausser den bereits genannten, die folgenden Personen: Anfang 1941 Stach – Nummer 48 [Władysław Ozimek], den sie in die Steinbrüche brachten, und im Sommer 1941 Janek – Nummer 49 [Jan Dangel], den wir als Kranken in einem Transport nach Dachau unterbringen konnten, das im Vergleich zu Oświęcim ein weitaus besseres Lager war.

Fluchtversuche

Die wiederholten Fluchtversuche führten dazu, dass die Lagerleitung Kollektivstrafen einführte: für die Flucht eines Häftlings wurden zehn erschossen (ab Frühjahr 1941). Die Auswahl von zehn Todgeweihten für einen Flüchtigen war eine schwierige Erfahrung für das Lager – besonders für den Block, aus dem man auswählte. Damals nahmen wir als Organisation eine entschieden negative Haltung gegenüber Fluchtversuchen ein. Wir organisierten keine Fluchten und verurteilten jegliche Tendenzen in diese Richtung als Ausdruck eines außerordentlichen Egoismus, solange es auf diesem Gebiet keine entscheidenden Änderungen gab. Einstweilen waren alle Fluchtversuche Einzeltaten und hatten nichts mit unserer Organisation zu tun.

Die „Auswahl“ der Todeskandidaten fand sofort nach dem Appell statt, bei dem man das Fehlen des Ausreißers festgestellt hatte. Vor dem Block, in zehn Reihen stehend, aus dem der Häftling geflohen war, erschien der Lagerkommandant mit seinem Hofstaat, und während er die Reihe abschritt, winkte er mit der Hand den Häftling herbei, der ihm gefiel oder besser: der ihm nicht gefiel. Die „durchgesehene“ Reihe machte fünf Schritte „Vorwärts Marsch“, und der Hofstaat schritt die nächste Reihe ab. Es gab Reihen, aus denen ein paar herausgenommen wurden oder auch keiner. Am besten war es, wenn einer dem Tod mutig in die Augen schaute – so einer wurde meistens nicht genommen. Nicht alle hatten die Nerven dafür, und manchmal lief jemand hinter dem Rücken der Kommission nach vorne, in die schon durchgesehene Reihe; aber gerade diesen bemerkte man meistens und nahm ihn mit zum Sterben. Einmal gab es einen Vorfall, als ein junger Häftling ausgewählt wurde: Aus der Reihe trat ein älterer Priester und bat den Lagerkommandanten, ihn auszuwählen und dem anderen, jungen, die Strafe zu erlassen. Der Block erstarrte vor Ehrfurcht. Der Kommandant war einverstanden. Der heldenhafte Priester ging in den Tod, und jener Häftling kehrte in die Reihe zurück.

Tod durch Erschießen

Die politische Abteilung arbeitete, und das Resultat war der Tod durch Erschießen für Dinge auf Erden. Eine besondere Freude bereitete es der Lagerführung, wenn sie eine größere Gruppe Polen auswählten, um sie an Tagen zu erschießen, die man einmal als Nationalfeiertage begangen hatte, dort in Polen, auf der Erde. Normalerweise gab es einen größeren „Knall“ am 3. Mai und am 11. November; einmal wurde außerdem eine Gruppe Polen am 19. März erschossen.

In der Bildhauerei

Einst auf der Erde, hatte ich mich nach einer künstlerischen Arbeit mit dem Meißel gesehnt, nach Bildhauerei. Oft dachte ich: Gut, wenn ich nie Zeit dafür habe, dann müssten sie mich wohl ins Gefängnis sperren. Das Schicksal war mir immer gnädig, auch das musste es mitgehört haben. Ich war eingesperrt – jetzt ging es also nur noch darum, zu meißeln. Ich hatte jedoch keine Ahnung davon. Neben der Tischlerei war eine Bildhauerei. Mit Ausnahme von ein paar Künstlern, Malern, die einen Kunstakademie-Abschluss hatten, so wie 44 [Wincenty Gawron] und 45 [Stanisław Gutkiewicz], arbeiteten dort nur Holzschnitzer, vor allem Goralen. Mit der Hilfe von 44 und 45 gelangte ich in die Bildhauerei. Mein Wechsel wurde durch die Tatsache erleichtert, dass die Bildhauerei ein Unterkommando der Tischlerei war, in der ich einige Monate gearbeitet hatte.

Der Leiter der Bildhauerei war ein aufrechter Mann, Nummer 52 [Tadeusz Myszkowski]. Ich tauchte dort am 1. November 1941 auf und machte einige Projekt-Zeichnungen für Papiermesser. Man sagte mir: „Auf dem Papier ist das schön, aber mach jetzt bitte eine Holzskulptur daraus.“ Und so fing ich mit der Arbeit an und wechselte fest in die Bildhauerei. Im Lauf der ersten Woche schnitze ich drei Messer. Beim ersten Messer lernte ich überhaupt erst, wie man das Werkzeug halten und gebrauchen musste; das zweite war etwas besser, und das dritte zeigte 52 den Bildhauern mit den Worten: „So muss man Messer schnitzen.“

Die Arbeit lief also gut. Neben mir saß auf einer Seite, immer gut gelaunt, der ausgezeichnete Kamerad 42 [Tadeusz Lech], auf der anderen Freund 45. Am Morgen des 11. November 1941 kam 42 zu mir und sagte: „Ich hatte einen eigenartigen Traum, ich spüre, dass sie mich heute „kaputtmachen“. Vielleicht ist es belanglos, aber dennoch freut es mich, dass ich am 11. November sterben werde.“ Eine halbe Stunde später wurden beim Morgenappell seine Nummer unter einigen anderen Nummern verlesen. Er verabschiedete sich herzlich von mir und bat mich, seiner Mutter zu sagen, dass er frohen Mutes gestorben sei. Einige Stunden später lebte er schon nicht mehr.

Die Verschwörung geht weiter

Die Arbeitsaufteilung hatte zur Folge, dass die Nachrichten von draußen, die wir regelmäßig über einen fixen Kanal erhielten, von einer Zelle im Lager verteilt wurden, die aus drei unserer Mitglieder bestand. Einer von ihnen war der unvergessliche „Wernyhora“ Nummer 50 [Jan Mielcarek]. An allen Wegkreuzungen wurde er von einer Schar von Häftlingen umkreist und machte immer optimistische Prophezeiungen. Er war bei allen begehrt und beliebt.

Die Organisation wuchs. Während meines Aufenthaltes in der Bildhauerei konnte ich ein paar Freunde in unsere Reihen aufnehmen: Nummer 53 [Józef Chramiec] und 54 [Stefan Gaik]. Dann 55 [Mieczysław Wagner], 56 [Zbigniew Różak], 57 [Edward Ciesielski], 58 [Andrzej Marduła]. Abgesehen von meinen eigenen Rekrutierungen, weitete, verzweigte sich jede bereits bestehende „Fünfergruppe“ auf eigene Faust unter den Massen von Häftlingen in die verschiedenen Kommandos, machte Ableger, in dem sie sich auf das Profil eines neuen Kandidaten stützte. Hier funktionierte alles ausschließlich auf der Basis gegenseitigen Vertrauens. Beim Problem, wie die einzelnen miteinander verbundenen Gruppen geführt werden sollten, vertrat ich den Standpunkt, man solle sich auf die einzelnen Befehlshaber verlassen, angefangen von den weniger lange bis zu den länger im Dienst Stehenden, und ausschließlich die persönlichen Verdienste eines bestimmten Anführers berücksichtigen. Ich konnte das nicht anders lösen. Alle Vorschläge, die von der Erde kamen, mussten abgelehnt werden. Es war unwichtig, was jemand irgendwann in der Vergangenheit gewesen war, wichtig war hingegen, dass in jeder Führungsposition ein Mann mit Erfahrung war. Einer, der im entscheidenden Moment die Masse nicht durch seinen Titel für sich einnehmen wollte, da man jene Masse vor diesem Moment nicht aufklären konnte, sondern es schaffte, vorher zu schweigen und, wenn es darauf ankam, die Masse bewusst mit sich zu reißen. Daher musste er sich schon vorher durch Tatkraft auszeichnen und einer sein, dem die Kameraden gerne folgten. Er musste nicht nur tapfer sein, sondern auch willensstark und taktvoll.

Eine Sache noch – wenn wir Leute formierten und aufnahmen, dann bezog man oft jene ein, die hier eine Stellung hatten. Wenn wir etwa einen Saal-Kommandanten vereidigt hatten, ging er uns zur Hand und gab jenen unserer Mitglieder, die wir zum ihm schickten und die noch zusätzliches Essen nötig hatten, einen Nachschlag, erhielt ihre Kräfte und schonte einige in seinem Saal. Aber wenn sich einer in den Posten des Stubendienstes hocharbeitete und sich nicht zu benehmen wusste, keinen Takt und keinen starken Willen hatte und dem Reflex nachgab, sich den Nachschlag selbst anzueignen, dann wurde hier unser Arbeit sabotiert.

Etwas anderes war es, wenn die Initiative vom Stubendienst ausging, gewöhnlich nach ein paar Gesprächen mit dem Stubendienst, bei denen der zu ihm Kommende willensstark war und sich nicht zum Thema Essen äußerte, obwohl es ihm die Gedärme zerriss. In diesem Fall konnte das Essen, das er erhielt, dem Aufbau des Organisationsnetzes nicht schaden. Leider gab es einige, die zu Organisationszwecken zu eben erst angeheuerten Stubendiensten kamen, aber das Geschirr für den Nachschlag vor allem für sich selbst hinhielten. In so einem Fall konnte die Arbeit nicht gut vorankommen. Der Stubendienst organisierte solchen Besuchern einen Teller Suppe, und damit war die Sache erledigt.

Massaker an sowjetischen Kriegsgefangenen

erster Einsatz von Gas

Die lang ersehnte Nachricht vom Ausbruch des deutsch-bolschewistischen Krieges wurde von uns mit großer Freude aufgenommen, brachte vorläufig im Lager aber keine großen Änderungen. Einige SS-Männer fuhren an die Front. Man ersetzte sie durch andere, ältere.

Erst im August 1941 spiegelte sich dieser neue Krieg bei uns wieder, wie alles andere als makabres Echo. Man schaffte die ersten bolschewistischen Kriegsgefangenen her, vorerst nur Offiziere, und nachdem man sie in einen Saal des Blocks 13 (Block 11 nach der neuen Nummerierung) gesperrt hatte, standen diese über 700 so eng gedrängt, dass sich keiner von ihnen hinsetzen konnte. Der Saal wurde abgedichtet (Gas Kammern gab es zu jenem Zeitpunkt noch keine).

Gegen Abend jenes Tages erschien eine Gruppe deutscher Soldaten mit Offizieren an der Spitze. Die deutsche Kommission betrat den Saal, ihre Mitglieder legten sich Gasmasken an, streuten ein paar Kannen mit Gas und beobachteten, wie es wirkte. Pfleger-Kameraden, die am nächsten Tag die Leichen beseitigten, sagten, dass es ein makabrer Anblick gewesen sei – sogar für sie. Die Menschen waren so zusammengepresst, dass sie im Augenblick des Todes nicht umfallen konnten. Sie lehnten aneinander und hatten die Arme so ineinander verschlungen, dass es schwer war, ihre Körper auseinanderzureißen. Den Uniformen nach zu urteilen, in denen man sie vergast hatte, waren alles hohe bolschewistische Dienstgrade aus verschiedenen Formationen.

Das war der erste Gastest bei uns (Blausäure).

Nummer 19 [Tadeusz Słowiaczek] kam sofort mit dieser Neuigkeit zu mir. Er war davon sehr verstört; sein Verstand sagte ihm, dass nach einem ersten Test dieser Art weitere kämen – vielleicht an Häftlingen. Zu diesem Zeitpunkt erschien das noch unwahrscheinlich

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