1943
Aufgrund der Erlaubnis, den Häftlingen Lebensmittelpakete zu schicken, wurden immer mehr Pakete mit Autos in das Lager gefahren. Die Lagerführer bekamen allmählich Probleme damit. Man konnte ein Paket wöchentlich von bis zu fünf Kilogramm erhalten. Da man der Meinung war, dass man die Anzahl der Pakete nicht senken könne, verbot man große Pakete zu schicken – aber man erlaubte, kleine Pakete bis 250 Gramm ohne Mengenbeschränkung zu senden. Es zeigte sich aber, dass die Lagerleitung sich getäuscht hatte. Täglich wurden unzählige kleine Päckchen herbeigefahren. Die Familien waren erfreut, dass sie den ihnen nahe stehenden Häftlingen helfen konnten und beeilten sich, anstatt des einen wöchentlichen größeren Pakets, jeden Tag kleine Päckchen zu schicken. Die Folge dieser Bestimmung war für die Machthaber genau das Gegenteil. Die Arbeitsflut erforderte einen ganzen Apparat, ein ganzes Kommando, um die ungeheure Anzahl von Sendungen zu registrieren und sie an die Häftlinge zu verteilen.
Im dritten Block wurden den Häftlingen drei kleine Säle zur Verfügung gestellt. Ein Saal war ganz mit Paketen gefüllt. Alle Kommandos im Lager arbeiteten effektiv, daher musste auch hier eine Anstrengung unternommen werden, einen Rückstand möglichst schnell aufzuholen, was ebenfalls zum Vorteil der Häftlinge war, da ihnen die Päckchen schnell zugestellt würden. Hier arbeitete das Kommando in zwei Schichten, 20 Häftlinge in jedem. Die Packstation war 24 Stunden am Tag tätig.
Da die Päckchen rund um die Uhr sortiert wurden, musste parallel zu den Häftlingen auch die Hauptschreibstube Tag und Nacht arbeiten. Für jedes Päckchen wurde ein Zettel ausgestellt, und jede halbe Stunde wurden einige hundert Zettel in die Schreibstube geschickt, wo auf ihnen vermerkt wurde, in welchem Block sich gegenwärtig die betreffende Nummer (der Häftling) befand, eventuell machte man ein Kreuz, wenn er nicht mehr lebte. Nachdem die Zettel zurückgekommen waren, wurden die Päckchen sortiert und für jeden Block auf separat eingerichtete Regale geworfen – die Päckchen, die zu den Kärtchen mit einem Kreuz gehörten, wurden auf die andere Seite des Saals auf einen großen Haufen geworfen. Es waren sehr viele Päckchen, die gestorbenen Kameraden gehörten. Außer jenen, die den Häftlingen aus den jüdischen, französischen, tschechischen Transporten geschickt wurden und die schon meistens alle tot waren, schickten auch viele polnische Familien Päckchen und wussten nicht, dass der Häftling schon tot war, da nicht immer eine Benachrichtigung über seinen Tod geschickt wurde oder die politische Abteilung das Abschicken einige Monate hinauszögerte.
Die besseren Päckchen gestorbener Häftlinge, vor allem jener aus Frankreich und aus Böhmen und Mähren, die Wein und Obst enthielten, fuhren die SS-Männer körbeweise in ihr Kasino. Die schlechteren Pakete kamen vor allem in die Häftlingsküche, in die man auch verschiedene Nahrungsmittel (durch die SS-Männer vorsortiert) aus „Kanada“ brachte. Alles wurde in die Kessel geworfen.
In dieser Zeit aßen viele Häftlinge süße Suppen, die wie nach Parfüm rochen und fanden in ihnen Reste von Kuchen und Torten. Manchmal entdeckten sie in der Suppe ein nicht ganz aufgelöstes Stück einer Toilettenseife. Manchmal fanden die Köche am Kesselgrund einen Gegenstand aus Gold oder einfach nur Münzen, die ihr bereits nicht mehr lebender Besitzer in einem Stück Brot, einem Brötchen oder einem Kuchen heimlich versteckt hatte.
In der Paketstelle aßen die Arbeiter mit gutem Gewissen die Lebensmittel der bereits gestorbenen Kameraden und gaben meistens das Brot und die Suppe, die sie im Block bekamen, den hungrigeren Kameraden. Man musste jedoch aufpassen, wenn man Lebensmittel aus den Päckchen der Gestorbenen aß. Nur die „Übermenschen“ durften sie essen, den Häftlingen war das bei Todesstrafe verboten. Einmal wurden die von der Arbeit Kommenden kontrolliert, und in den Taschen von sieben Häftlingen fand man aus den Päckchen Gestorbener herausgenommenes Weißbrot, Butter und Zucker. Alle wurden noch am gleichen Tag erschossen.
Der Chef der Paketstelle war ein SS-Mann, ein Österreicher – dafür, dass er ein SS-Mann war, konnte man es mit ihm aushalten.
Nachdem man wieder zu den anfänglichen 5kg-Paketnorm einmal in der Woche zurückgekehrt war, kamen Pakete in unterschiedlicher Form, manchmal ganze Koffer. Der Chef der Paketstelle stellte das nicht in Frage, er gab sie alle ihren Besitzern. Kontrollen führte er nur oberflächlich durch, aus Zeitmangel schnitt er manchmal nur die Schnüre durch. Aber als der Blockälteste, ein deutscher Schuft, der die Pakete in den Blocks verteilte, aus einem Paket eines lebenden Häftlings eine Handvoll Bonbons herausnahm, machte der Chef der Paketstelle eine Meldung, und der Blockälteste wurde noch am gleichen Tag erschossen, obwohl er Deutscher war. In dieser Hinsicht herrschte Gerechtigkeit…
Der im Kommando tätige Häftling Pilecki Witold fand einen anderen Weg, um seinen Kameraden zusätzliches Essen zu verschaffen. Er arbeitete nachts in der Paketstelle. Vor ihm neben dem heißen Ofen saß der wachhabende SS-Mann, der immer gegen zwei Uhr nachts einschlief. Hinter ihm lag ein großer Haufen Pakete gestorbener Kameraden. Ein Stapel der besseren Pakete lag abgetrennt für einen eventuellen Transport in das Kasino der SS-Männer bereit. Er trug die Pakete, registrierte sie und schichtete sie um und nahm dabei unbemerkt ein Paket von dem abgetrennten Stapel, und in der Zeit während der SS-Mann genüsslich schnarchte, wickelte er das Papier ab, riss die Adresse weg, drehte das Papier auf die andere Seite, wickelte das Paket wieder ein, schnürte es zu und schrieb die Adresse einer der Freunde im Lager darauf. Er hatte offiziell das Recht, schlecht eingepackte Pakete neu zu verpacken. Die Verpackung einiger Pakete war vollkommen zerstört, umso besser eigneten sie sich. Einige packte er wegen der Stempel nicht neu ein, sondern klebte eine neue Adresse darauf, die er auf ein anderes Stück Papier schrieb. So ein Paket ging dann seinen normalen Weg weiter und gelangte auf das zugehörige Regal.
Der SS-Mann hatte eine angenehme Arbeit: In der Nacht schlief er, tagsüber hatte er frei und fuhr mit dem Fahrrad zu seiner Frau, die irgendwo 20 Kilometer von hier entfernt wohnte. So waren alle mit der Situation zufrieden. In einer Nacht versuchte Pilecki Witold, acht Pakete „abzuschicken“, manchmal schaffte er weniger, manchmal sogar mehr.
Am Morgen tauchte er bei den Freunden auf, an die er die „gestorbenen“ Pakete adressiert hatte und sagte ihnen, dass sie keine überraschte Miene machen sollten, wenn sie ein fremdes Paket bekämen.