Bergen-Belsen

der 86. Transport von Westerbork aus, ging am 15. März 1944 nicht wie in der angesprochenen Veröffentlichung angegeben nach Auschwitz, sondern mit 210 Menschen ins „Aufenthaltslager“ Bergen-Belsen.
Transportleiter war der am 02.08.1902 in Heidenheim an der Brenz geborene Oberleutnant der Schutzpolizei der Reserve
Degeler Friedrich
Der Transport, der am 15. März 1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen fuhr, beförderte 210 Juden, darunter 14 kranke Personen und 44 Kinder.

Einzelheiten

Am 31. März 1944 teilte Slottke dem Referat IV F 4 des RSHA mit, dass 47 Juden von diesem Transport für einen deutsch-palästinensischen Austausch vorgesehen waren und diese Juden, wenn sie Pässe hatten, in die Lagerhauptverwaltung von Bergen-Belsen gebracht wurden. Es gab Juden, denen schriftlich bestätigt wurde, dass sie „Zertifikate“ (zur Einreise nach Palästina) erhalten hatten, ohne dass ihr Pass gestempelt worden war.

In einem Brief Slottkes an Otto Hunsche, den Rechtsbevollmächtigten im Eichmannreferat (IV B 4b), vom 27. Juli 1944 wurden die Namen der 286 „Austauschjuden“ aufgeführt, darunter auch die der zuvor erwähnten 47 Deportierten. Ebenso geht aus dem Brief hervor, dass 20 von ihnen niederländische Staatsbürger und die übrigen auf der Liste zu jener Zeit staatenlos waren. Slottke bemerkte allerdings, dass 13 von ihnen einst die deutsche, 12 die polnische und zwei die rumänische Staatsbürgerschaft besessen hatten. Zeugenaussagen von Überlebenden dieses Transports zeigen, dass die Deportierten hofften, in ein vom Roten Kreuz kontrolliertes Lager verlegt und gegen deutsche Kriegsgefangene eingetauscht zu werden.

Zu den „Zertifikat“-Inhabern gehörten die Birnbaums, die in Westerbork ein Waisenhaus betrieben hatten. Kinder aus dieser Einrichtung waren ebenfalls auf dem Transport deportiert worden, und sieben von ihnen zählten offensichtlich zur Gruppe der „Zertifikat“-Inhaber. Der Journalist Philip Mechanicus, der mit diesem Zug deportiert wurde, führte während seiner Inhaftierung in Westerbork ein Tagebuch. Seine letzten erhaltenen Aufzeichnungen sind vom 28. Februar 1944. Er ist voraussichtlich im Oktober 1944 in Auschwitz erschossen worden.

Der Zug, der am 15. März 1944 in Westerbork abfuhr, wich von der gewöhnlichen Route der Züge nach Bergen-Belsen ab. Statt nordöstlich in Richtung der deutschen Grenze bei Nieuweschans zu fahren, fuhr er scheinbar erst südwärts und erreichte die Grenze via Winterswijk. Der Grund für diese Abweichung ist nicht bekannt.

Eine der Überlebenden dieses Transports war Renata Laqueur, Tochter des bekannten Arztes Ernst Laqueur (der, von anderen Errungenschaften abgesehen, das Testosteron entdeckt hatte). Renata führte in Bergen-Belsen ein Tagebuch und verfasste am 19. März eine detaillierte Beschreibung des Transports:

Am 15. März 1944, morgens um 8 Uhr bestiegen wir einen Personenzug. Die Reise von Westerbork nach Bergen-Belsen dauerte von 8 Uhr in der Frühe bis zum Mittag des folgenden Tages 2 Uhr, und das für eine Strecke von ungefähr 350 km! Wir saßen zusammengepfercht zwischen Gepäck und Kleidungsstücken. Die Fahrt war ein endloses Rangieren, An- und Abkoppeln, und war der Zug gerade angefahren, hielt er bereits wieder. In Bentheim (deutsche Grenzstation) verteilte die Transportbegleitung, SS-Leute in ihren grünen Uniformen, Brot am Zug. Man empfing sie mit Freude, aber auch mit Verbitterung, weil gerade sie es waren, die Brot brachten, statt uns gemäß ihrer "Ausrottungsmethoden" verhungern zu lassen. Wir hatten alle mit großer Spannung die deutsche Grenze erwartet, denn dort müsse alles "anders", schlimmer, werden. Aber nichts! Auf dem letzten kleinen Bahnhof hatte ich Karten und Briefe aus dem Fenster geworfen. Einige flatterten auf die Schienen, ein paar andere fing ein Bahnbeamter, der durch ein Handzeichen zu verstehen gab, "daß die Sache in Ordnung gehen würde". Es waren die letzten Nachrichten für meine Familie in Amsterdam, und als ich sie schrieb, war ich überzeugt, es sei überhaupt das letzte Lebenzeichen gewesen. Ich sah die leeren Straßen ausgestorben wirkender Städte hinter der Grenze. Keine Kinder, fast keine Frauen. Ich erschrak beim Anblick einiger, kleiner Arbeiterbaracken, auf die in weißen Buchstaben "Holland" geschrieben war. Langsam dämmerte uns, wie wir als "Juden", wenn auch als "Austauschware" wohnen würden, wenn die "Arier" schon so zu hausen gezwungen waren.

Die Nacht dauerte eine Ewigkeit.

Wir rangierten holpernd und poltern, standen stundenlang zwischen Wald und Wiese, fuhren dann wieder weiter. Alles ist dunkel, nachtschwarz. Nur ab und zu, wenn die Wolkendecke aufreißt und der Mond ein fades Licht spendet, sehen wir die Umrisse einer schwerbeschädigten Stadt, geborstene Mauern, verkohlte Trümmer, abgeknickte Bäume. Meine Beine schlafen, der Rücken schmerzt, ich habe Durst und denke an kühle, saftige Apfelsinen und Birnen.

Ich sehne mich nach einem Bett, einem Bett in einem ruhigen, gemütlichen Zimmer. Wünsche mir das Ende dieses Wahnsinns, das Ende dieser Fahrt, an dem ein weiteres unbekanntes Kapitel dieses Krieges auf uns wartet. Mir kommen frühere Bahnreisen in den Sinn. Ich rieche Kohle, Eisen, als ich mich aus dem Abteilfenster beuge und der Fahrtwind meine Wangen kühlt. Es ist diese Zug- und Kohlenluft, die die Erinnerungen an Fahrten durch die Schweiz, über Viadukte und durch Tunnels, an den Duft grüner Bergwiesen und dunkler Wälder zur "Wirklichkeit" werden läßt.

Inzwischen ist es Tag geworden, und noch immer fahren wir durch Busch- und Heidelandschaften, sandige Hügelketten. Mittags fahren wir noch immer. Jetzt erreichen wir schnell einen leeren Bahnsteig unter freiem Himmel – und sehen einen SS-Mann mit Schäferhund. "Wir sind da!" Schäferhunde hatten sie in Vught auch!. Die Behandlung auf dem Bahnsteig durch unsere Bewacher ist korrekt. Sie helfen, die Gepäckstücke auf die bereitstehenden Lkw zu verladen.

auf dem Weg zum Lager
Es nieselt, und der Asphalt beginnt zu glänzen. An den Büschen warten pralle Knospen auf die wärmende Sonne. Der Wind ist wie zu Hause, und er trägt den Duft vom Frühling.

Ankunft im Lager
ich rieche Desinfektionsmittel und Kohlsuppe und weiß: "Das alles hast du schon einmal erlebt, es ist nicht neu – aber grausig!".

Jetzt regnet es wirklich, und unser Gepäck, das vor der "Quarantänebaracke für Neuankömmlinge" abgeladen worden ist, weicht durch. Die Decke, die ich am Abend auf mein "Bett" legen wollte, ist klitschnaß. Das fängt gut an!

Auch Louis Tas (geb. 1920), ein anderer Deportierter von diesem Transport, führte während seiner Gefangenschaft in Bergen-Belsen ein Tagebuch. Auf der Deportationsliste als Hilfslehrer verzeichnet, wurde Tas später Psychoanalytiker und veröffentlichte sein Tagebuch unter dem Pseudonym Loden Vogel. Über seine Ankunft im Lager schrieb er Folgendes:

Ein grauer Nieselregen machte den Anblick der graugrünen Baracken mit ihren kleinen Fensteröffnungen, davor die mit Hilfe von Stöcken offen oder geschlossen gehaltenen Läden, die Baracken umgeben mit Stacheldraht und den von überall sichtbaren Wachttürmen, sehr beängstigend.

Susanne Birnbaum sagte aus, dass sie sich in der Nacht ihrer Ankunft in Bergen-Belsen mit Polio angesteckt habe, ebenso ihre Schwester Regina und ihr Bruder Zwi. Diese Geschichte war unter den Deportierten verbreitet, da die Deutschen aus Angst vor eigener Ansteckung alle Neuankömmlinge in Bergen-Belsen unter Quarantäne stellten.

Mirjam Bolle wurde am 11. Januar 1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen deportiert. Am 18. März schrieb sie in ihr Tagebuch:

"Transport W'bork angekommen. Um Viertel nach zwölf erfuhren wir, daß er um halb eins da sein würde. (Letzten Donnerstag.) Waren 36 Stunden unterwegs, etwas zweihundert Personen. Izak de Vries, Elie Dasberg, Frau van Tijn. Auch die Kinder von Karel und Gien Hartog, völlig unterernährt und verwahrlost, ohne Kleider. Alle haben die Ruhr. Sehr einseitige Ernährung. Obsessives Verlangen nach richtigem Essen. Hungrige Gesichter, vor allem bei den Männern, wie in einem Film. Soldaten mit langen Mänteln und Gewähren. Assoziationen an Filme aus Sibirien."

Auch die am 15. März 1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen verfrachteten Deportierten wurden ins Sternlager gesteckt, die einzige Sektion in Bergen-Belsen, wo die Häftlinge arbeiten mussten. Die Zahl der Juden stieg dort von 379 am 1. Januar 1944 auf 4000 am 31. Juli desselben Jahres. Sie wurden in 18 Baracken unterbracht, deren Zahl jedoch mit dem nahenden Kriegsende geringer wurde.

Von den 44 Kindern auf diesem Transport wurden mindestens vier ermordet.

Mayer Helene geb. Freudenberg

* 02.10.1895 in Berlin
1934 Flucht nach Holland
Interniert im Judendurchgangslager Westerbork
deportiert am 15.03.1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen
am 10.04.1945 überstellt von Bergen-Belsen nach Theresienstadt mit dem
verlorenen Transport
† 21.05.1945 in Riesa
Helene Freudenbergs Schicksal ist ein ganz besonderes:
Der geplante Transport aus Theresienstadt nach Bergen-Belsen irrt mehrere Tage durch Rest-Deutschland, da die Front immer näher rückte. Er wird auch als der "verlorene Transport" bezeichnet.
Helene und ihre Leidensgenossinnen werden noch von der Roten Armee befreit. Sie wird in ein Lazarett gebracht und verstirbt dort an den Folgen von Unterernährung und Misshandlungen am 21.05.1945.


Im sächsischen Riesa befinden sich die Gräber von 15 Überlebenden, welche nach der Befreiung des Zuges in das dortige Krankenhaus verbracht wurden und verstarben.

Mayer Hermann

* 20.10.1894 in Euskirchen
Heirat am 20.07.1920 in Berlin-Zehlendorf
Emigration in die Niederlande
deportiert am 15.03.1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen
am 20.03.1945 in Bergen-Belsen für tot erklärt4

Frankenthal Max

* 01.12.1886 in Schwanfeld
Straße: Schönleinstraße 6
Stadtteil: Altstadt
† 13.04.1945 bei Uelzen im Raum Lüneburg

Am 09.10.1943 interniert im Sammellager Westerbork (NL), von dort am 15.03.1944 nach Bergen-Belsen und am 10.04.1945 mit dem Ziel Theresienstadt weiter deportiert. Unweit von Uelzen im Raum Lüneburg, am km-Stein 115,4, erlag Max Frankenthal am 13.04.1945 den unmenschlichen Lebensbedingungen und wurde in einem Massengrab entlang der Bahngleise beigesetzt.

Max kam am 1. Dezember 1886 als Sohn von Josef Frankenthal und Clothilde, geborene Veilchenblau, in Schwanfeld zur Welt. Er hatte sechs Brüder und eine Schwester.
Von 1908-1910 leistete er seinen Militärdienst in Metz/Lothringen und kämpfte ab 1914 für Deutschland im Ersten Weltkrieg. Dabei wurde er 1915 verwundet.
Noch vor Kriegsbeginn war Max Frankenthal im Jahr 1913 von Schwanfeld nach Würzburg gezogen. Dort gründete er zusammen mit seinem Bruder Gustav (Jg. 1888) die Weinhandlung Gebrüder Frankenthal. Seit den 1920er Jahren leitete er das Geschäft gemeinsam mit seinem 12 Jahre jüngeren Bruder Moritz nachdem Gustav die Firma verlassen hatte.

Das Haus in der Schönleinstrasse 8 in Würzburg diente der Familie als Geschäfts- und Wohnhaus. Dort lebten seit den 1920er Jahren die Eltern Josef und Clothilde bis zu ihrem Tod 1934. Auch der Bruder Karl wohnte von 1916 bis 1920 und von 1932 bis 1934 in diesem Haus. Die Schwester Nanni Mendle lebte nach ihrer Scheidung von 1929 bis 1935 ebenfalls bei ihren Eltern in der Schönleinstraße 8. Die Weingroßhandlung befand sich im Rückgebäude des Anwesens. Max Frankenthal bewohnte mit seiner Familie das Haus in der Schönleinstraße 6, das nach 1930 ebenfalls in seinen Besitz kam.

Zudem hatte er eigene Weinberge und unterhielt Geschäftsbeziehungen nach Holland und Belgien. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Weinhandlung und Hausbesitz „arisiert“ – spätestens seit Juli 1942 ist das Deutsche Reich als alleiniger Besitzer im Grundbuch eingetragen.
Am 2. September 1938 emigrierte Max Frankenthal mit seiner Ehefrau Klara (Jg. 1899), den Söhnen Hans (Jg. 1930) und Werner (Jg.1923) und seinem Bruder Moritz nach Holland. Dort lebten sie zunächst in Den Haag, dann ab 1943 in Amsterdam - vermutlich im dortigen Ghetto. Holländische Freunde und Geschäftspartner halfen der Familie und unterstützten sie auch finanziell.

Ab dem 9. Oktober 1943 wurde Max Frankenthal zusammen mit seiner Ehefrau Klara, den Brüdern Moritz und Eugen sowie seinem Sohn Hans im Sammel- und Durchgangslager Westerbork interniert. Sein Sohn Werner ist auf keiner Transportliste der Gestapo vermerkt und emigrierte vermutlich von Holland aus rechtzeitig in die USA, wo er später unter dem Namen Warren Franklin lebte.
In Westerbork riss man die Familie Frankenthal einige Monate später erneut auseinander: Max Bruder Moritz Frankenthal wurde ebenso wie Max Ehefrau Klara am 25. Januar 1944 nach Auschwitz deportiert. Max Frankenthal selbst blieb mit seinem Sohn Hans und seinem anderen Bruder Eugen im Lager Westerbork zurück. Moritz Frankenthal wurde am 31. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.

Max Ehefrau Klara Frankenthal überlebte nach Auschwitz noch weitere Konzentrationslager. Im Zuge der vorrückenden sowjetischen Armee, der systematischen Auflösung des Konzentrationslagers Auschwitz und der Todesmärsche nach Westen, kam Klara Frankenthal am 18. Januar 1945 in Ravensbrück an. Von dort aus brachte man sie Ende Februar 1945 ins Konzentrationslager Malchow. Am 3. Mai 1945 wurde Klara Frankenthal in Neustadt / Gleve befreit und wanderte nach einigen Jahren in Holland 1948 in die USA aus.
Max Frankenthal hingegen wurde zusammen mit seinem Bruder Eugen und seinem Sohn Hans am 15. März 1944 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Eugen erlag im Januar 1945 in Bergen-Belsen den unmenschlichen Lebensbedingungen vor Ort.

Max und Hans Frankenthal sollten am 10. April 1945 mit 2.500 anderen Häftlingen mit einem der letzten Transportzüge von Bergen-Belsen nach Theresienstadt deportiert werden. Diese „
lost transport“ genannte, qualvolle Irrfahrt durch das zum Teil noch unbesetzte Deutschland endete am 23. April 1945 unweit von Tröbitz (Brandenburg). Als sowjetische Truppen auf diesen Zug stießen, befreiten sie völlig ausgehungerte, entkräftete und kranke Häftlinge.
200 Menschen erlagen auf diesem „lost transport“ den unmenschlichen Lebensbedingungen: einer davon war Max Frankenthal. Er starb bereits am 13. April 1945 bei Uelzen im Raum Lüneburg und wurde vermutlich in einem Massengrab entlang der Bahngleise beigesetzt.
Sein damals 14-jähriger Sohn Hans überlebte den Transport, kehrte in die Niederlande zurück und wanderte 1948 zusammen mit seiner Mutter in die USA aus. Dort nahm er den Namen John Franklin an.

Laqueur Renata u. Goldschmidt Paul

Am 3. November 1943, ihrem 24. Geburtstag, wurde Laqueur Renata und ihrem Ehemann Goldschmidt Paul von der deutschen Besatzungsmacht befohlen, im ehemaligen "Niederländischen Theater" in Amsterdam aufzutreten. Sie wurden zuerst nach Westerbork und dann am 15. März 1944 nach Bergen-Belsen transportiert. Zu dieser Zeit galt Bergen-Belsen als "bevorzugtes Lager", in dem Gefangene gut behandelt wurden. Bei der Ankunft im Camp erfuhren sie jedoch, wie Bergen-Belsen wirklich war.

Vogel Loden (Tas Louis)

Vogel Loden (Tas Louis) war der Sohn eines Amsterdamer Arztes und Psychiaters; Er wurde am 29. September 1943 in Amsterdam zusammen mit seinen Eltern verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Er wurde am 25. Dezember 1920 geboren, also war er zu der Zeit 23 Jahre alt. Jeder in seiner Familie hatte südamerikanische Pässe, und so wurden sie am 15. April 1944 als "Austauschjuden" nach Bergen-Belsen geschickt. Loden war einer der Überlebenden; Er hatte genau ein Jahr im Sternenlager verbracht. Sein Vater arbeitete als Arzt im Lager und aus diesem Grund bekam Loden eine Anstellung als Krankenschwester. 1946 veröffentlichte er das Tagebuch, das er in Bergen Belsen unter dem Titel "Dagboek uit een kamp" führte.

Der folgende Auszug aus seinem Tagebuch, übersetzt von Eberhard Kolb, wurde am 12. Februar 1945 geschrieben, als die Typhus-Epidemie an Fahrt gewann. Typhus ist eine tödliche Krankheit, die von Läusen übertragen wird. In Bergen Belsen gab es sowohl Typhus- als auch Typhus-Epidemien.

Aus dem Tagebuch von Loden Vogel:
12. Februar 1945 Als Krankenschwester habe ich jetzt einen offiziellen Anspruch auf ein Bett für mich im Arztzimmer, aber dieser Ort ist permanent bedroht. Dafür verliere ich das zusätzliche Essen, das meine ehemaligen Kollegen durch ein wenig Arbeit im Lager verdienen

Es gibt keine Alternative mehr für uns. Ich sehe jeden Tag, was noch auf uns zukommt. An allen Patienten im Krankenhaus ist nichts auszusetzen - außer an mangelnder Nahrung. Alle Rationen sind nur 3/4 von dem, was sie noch vor ein paar Tagen waren. Ein Laib Armeebrot muss jetzt eine ganze Woche lang reichen, bis jetzt waren es sechs Tage, noch früher nur fünf. Außerdem ist es kleiner geworden. So spüren wir alle den Mangel an Brot. In der Krankenstation liegen schmutzige Skelette voller Ungeziefer in Lumpen, die sie nicht einmal mehr erwärmen. Was soll ich mit der schmutzigen Unterwäsche voller Läuse machen, die ich einem Patienten ausziehe? Da unter den Betten kein Gepäck erlaubt ist, nehme ich das Zeug vorsichtig auf und werfe es weg. Diese Person wird sowieso sterben. Ich könnte sie alle mit einem ruhigen Bewusstsein töten, wenn ich nicht durch die Tatsache gehemmt würde, dass a) meine Eltern fast im gleichen Zustand sind, b) der Krieg theoretisch schnell enden könnte und c) völlig erschöpfte Menschen sich sogar am austauschen allerletzter Moment. Wenn es bald keinen Transport mehr gibt, weiß ich nicht, wie viele gerettet werden können.

15. Februar 1945 Die Hütten sind voller Kandidaten für das Krematorium, Skelette, die nur aus dem Bett kommen, um ihre Lebensmittel zu sammeln. Auf den Dächern befindet sich kein Teerpapier mehr. Wenn es regnet, wird alles nass, Betten, Decken, Gepäck. In meiner eigenen Hütte (in der ich zurzeit nicht schlafe) gibt es nicht einmal Licht. Excreta liegt überall auf der Lagerstraße.

Ich habe eines Nachts in dieser Hütte geschlafen und mein Bett mit einer kranken Person geteilt. Den ganzen Tag hatte er brütend auf meiner und seiner Decke gelegen. Als ich mich wie immer nackt in die Decke einwickelte, spürte ich, wie mich Läuse in großer Zahl angriffen. Ich musste sie ständig mit meinen Zähnen fangen und töten, da es keine andere Möglichkeit gab, sie loszuwerden. Am nächsten Morgen ging ich in das Ärztezimmer, weil es beleuchtet war, und durchsuchte systematisch jeden Zentimeter der Decke. Dann räumte ich ein Bett ab, das als Gepäckablage diente, stellte mich dort auf und wartete darauf, dass mein Vater aufwachte, um ihm zu sagen, dass ich dort bleiben würde. Seitdem habe ich keine Läuse mehr. Was ich tagsüber fange, finde ich abends an den Lieblingsorten: Nacken, Achselhöhlen. Ich habe alle Körperhaare rasiert.

Zirker Theodor

* 03.06.1890 in Trzciel/Wroclaw
deportiert am 15.03.1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen
† 27.11.1944 KZ Bergen-Belsen