Operationszimmer
Tötungen wurden zumeist im sogenannten "Operationszimmer" des Blockes 20 - in Ausnahmefällen möglicherweise auch in einem Raum des Blockes 28 - vorgenommen. Die Häftlinge mussten den Raum einzeln betreten und sich dort auf einen bereitstehenden Stuhl setzen. Dann wurde ihnen durch einen SS-Sanitätsdienstgrad - wahrscheinlich unter der Mitwirkung von Häftlingen oder Häftlingsärzten - eine Phenoleinspritzung direkt in den Herzmuskel gegeben. Diese Einspritzung führte den sofortigen Tod des Opfers herbei. Vor der Verabreichung der tödlichen Injektion wurde den Opfern vorgespiegelt, dass ihnen eine Heilung bringende Einspritzung gemacht würde. Dadurch wurden die Opfer bewusst in Arglosigkeit versetzt. Dem gleichen Ziele diente es, dass der die Tötung vornehmende SS-Sanitätsdienstgrad mit einem Arztkittel bekleidet war. Die Leichen der auf diese Weise umgebrachten Häftlinge wurden sodann in einen, dem "Operationszimmer" auf der anderen Seite des Flures gegenüber liegenden früheren Waschraum gebracht.
Dann wurde das nächste, wiederum ahnungslose Opfer in das "Operationszimmer" hineingeführt. Diese Tötungen von nicht mehr arbeitsfähigen Häftlingen gehen auf einen Befehl des Inspekteurs der Konzentrationslager vom 12.11.1941 zurück. Die Aktion lief unter der Tarnbezeichnung "14 f 13". Der Tötungsbefehl bezog sich zunächst nur auf geisteskranke Häftlinge, wurde später aber auch auf solche Häftlinge ausgedehnt, deren Arbeitsfähigkeit nicht innerhalb eines Zeitraumes von 4 bis zu 6 Wochen wiederhergestellt werden konnte.
28.07.1942
Block 20 (Selektion)
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 28.07.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 86 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen (sie standen unter Verdacht, an Flecktyphus erkrankt zu sein), diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
08.08.1942
Block 20 (Selektion)
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 08.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 41 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen (sie standen unter Verdacht, an Flecktyphus erkrankt zu sein), diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
10.08.1942
Block 20 (Selektion)
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 10.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 75 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
11.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 11.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 79 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
12.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 12.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 50 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
13.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 13.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 60 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
14.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 14.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 58 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
15.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 15.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 38 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
18.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 18.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 38 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
19.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 19.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 67 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
20.08.1942
im Häftlingskrankenbau (Block 20) führt am 20.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 59 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
22.08.1942
im Block 20 führt am 22.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 92 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
24.08.1942
im Block 20 führt am 24.08.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 35 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
11.09.1942
Am 11. September 1942 erschlägt der SS-Oberscharführer Josef Klehr den am 20.06.1908 in Amsterdam geborenen Häftlling Kohen Heimann Häftlingsnummer 52425 auf dem Flur von Block 20 im KL Auschwitz I mit einem Schürhaken. Er befahl, Häftlingen den Körper in die Leichenhalle im Keller des Blocks 28 zu bringen, und ordnete an, auf die Sterbeurkunde Kohens, natürliche Todesursache einzutragen.
19.09.1942
im Block 20 führt am 19.09.1942 ein SS-Lagerarzt eine Selektion durch. Er sucht 31 Häftlinge aus, die nach seiner Meinung keine schnelle Gesundung erwarten lassen, diese werden am selben Tag durch Phenolspritzen getötet.
30.09.1942
Selektion
Der SS-Lagerarzt führt am 30.09.1942 eine Selektion im Häftlingskrankenbau durch, wobei er 84 kranke Häftlinge aussucht, die nach Birkenau gebracht und in den Gaskammern getötet werden.
11.02.1943
Dr. Ludwik Fleck
Am 11. Februar 1943 werden die Lagernummern tätowiert : Ludwik Fleck Nr. 100967, Ryszard Fleck Nr. 100966, Ernestyna Fleck Nr. 34967
Die Gruppe wird in Block 20 (Häftlingskrankenbau) in einem Raum zusammen mit dem Arbeitskommando des Hygiene Instituts der Waffen SS untergebracht. Ludwik Fleck wird geröntgt, nachdem er geschlagen wurde.
Zeugenaussage Ludwik Fleck
Im Krankenbau sollte ich bakteriologische Untersuchungen für die Häftlinge durchführen. Ich bekam nummerierte Monovetten und ich sollte die Untersuchungsergebnisse weitergeben. Das waren gewöhnliche Arbeiten, die man in jedem bakteriologischen Laboratorium durchführte und wenn nicht die ständige Selektion, die man im Krankenhaus durchführte, - währenddessen wurden die Menschen in Gaskammern gebracht -, hätte man der Meinung sein können, dass diese Untersuchungen des Blutes, Urins und Stuhls als Ziel die Heilung der Kranken hätten.
Klodzinski Stanislaw
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (Strafsache gegen Mulka u.a., 4 Ks 2/63)
Landgericht Frankfurt am Main
46. Verhandlungstag, 15.05.1964 und 48. Verhandlungstag, 22.05.1964
Aussage Häftlingsarzt Klodzinski Stanislaw
Ich erinnere mich, daß es Januar 1943 war, als der Rapportführer Palitzsch zum ersten Mal auf den Block 20 zwei Kinder im Alter zwischen zehn und 14 Jahren brachte. Für uns Häftlinge war das Erscheinen so kleiner Jungen im Lager ein großes Erlebnis. Die beiden Jungen wurden in den Baderaum des Blocks 20 geführt. Sie kamen in Zivilkleidung. Man befahl ihnen, sich dort zu entkleiden. Und dann gingen sie einzeln durch den Korridor in das Zimmer Nummer 1 des Blocks 20. Den Verlauf des Mordes selbst habe ich nicht gesehen. Ich habe nur die Leichen im Baderaum gesehen. Da zum ersten Mal so ein Fall beobachtet wurde, war ich der Meinung, als Mitglied der Untergrundbewegung, daß etwas Außergewöhnliches vorliegt. Ich habe dann dem Schreiber des Blocks, dem Kameraden Głowa, gesagt. Daß wir die Karten dieser beiden Kranken nach außerhalb schicken müssen. Und ich erinnere mich, daß die Namen dieser beiden waren: Rycaj und Rycyk. Diese Karten wurden nach außerhalb des Lagers nach Krakau zur Untergrundbewegung geschickt.
1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (Strafsache gegen Mulka u.a., 4 Ks 2/63)
Landgericht Frankfurt am Main
46. Verhandlungstag, 15.05.1964 und 48. Verhandlungstag, 22.05.1964
Aussage Häftlingsarzt Klodzinski Stanislaw zu den Vorgängen zum 29. August 1942
Der Lagerarzt Doktor Entress, Scherpe und Klehr haben im Block 20 700 Häftlinge zur Vergasung ausgesondert und die Räumung des Blocks und das Verladen der Häftlinge auf Lastwagen überwacht.
Diese Geschichte verlangt eine ganz genaue Beschreibung.
Im Juli 1942 verbreitete sich der Flecktyphus außergewöhnlich unter den Kranken des ganzen Lagers. Also nicht nur im Krankenbau, sondern auch im ganzen Lager. Einschließlich der Bewachungsmannschaft. Damals wurde immer öfter gemeldet, daß die SS-Mannschaft an Typhus erkrankt war. Der Krankenbau war überfüllt. Man hat aus diesem Grunde eine besondere Baracke, Baracke Nummer 13, gebaut. Zwischen dem Block 28 und der Bekleidungskammer. Diese Baracke wurde ebenfalls für die an Fleckfieber Erkrankten bestimmt. Die Selektionen, die damals sehr häufig auf den Krankensälen vorgenommen wurden, halfen nicht mehr. Und es halfen auch nicht die großen Mengen von Menschen, die täglich durch Phenolspritzen getötet wurden. Man beschloß dann, eine allgemeine Aktion durchzuführen. Anfang August 1942 wurden die Frauen, die in dem gleichen Lager nur mit einer Mauer von uns getrennt waren, nach Birkenau geschickt. Dadurch entstanden leere Blocks, und in diese Blocks kamen der Reihe nach die Häftlinge aus dem Lager. Und es wurde eine Desinfektion mit Gas auf den Arbeitsblocks eingehend durchgeführt. Seit zwei Tagen durfte man vom Block 20 und auch von den anderen Krankenblocks keinen Kranken entlassen. Von den aufgenommenen Kranken kam nur ein Teil in den Krankenbau. Und damals wurden fast täglich 30 bis 40 Kranke mit Phenol getötet. Das ganze Lager lebte in einem Schrecken. Die Typhuskranken meldeten sich nicht mehr im Krankenbau. Sie meinten, daß im Krankenbau auf sie der sichere Tod wartet. Sie versteckten sich in einzelnen Kommandos, auf den Böden, in den Kellern. Mit hohem Fieber versuchten sie zu arbeiten und auf diese Weise die Krankheit zu überstehen. Bei den Appellen wurden diese Kranken von den Kameraden gehalten und gestützt. Dann kam eine inoffizielle Nachricht auf den Block 20, daß sowohl die Kranken als auch das Personal liquidiert wird. Wir lebten in ständiger Angst, daß eines Tages die Kranken und die Gesunden, die Rekonvaleszenten, daß alle nach Birkenau gebracht werden. Als der 29. August dann kam, wurde bereits von Doktor Entress entschieden, daß die Ärzte und das Personal des Blocks 20, weil sie fast alle Typhus überstanden haben, am Leben bleiben. Man brauchte die Hilfe der Häftlinge bei dieser Selektion. Der Schreiber bekam einen Befehl, eine besonders genaue Liste aufzustellen von den Kranken und von dem Personal. Dann morgens am 29. August kamen zuerst die Rekonvaleszenten, also die sogenannten Schonungsfälle. Sie waren gezwungen, die Treppe zwischen dem Block 20 und 21 heruntergehen und auf dem Hof sich aufzustellen. An der Tür standen der Lagerarzt Doktor Entress und die Angeklagten Klehr und Scherpe. Die Kranken, die einzeln aus dem Block kamen, hatten die Nummern auf die Brust geschrieben. Der Blockschreiber machte dann einen Vermerk bei jeder Nummer auf seiner Liste. Und Entress entschied dann, wer ins Gas gehen soll und wer auf dem Hof bleiben soll. Etliche Rekonvaleszenten lagen auf dem Block bereits ein bis anderthalb Monate. Sie waren fast gesund. Und trotzdem wurden sie direkt zu den Wagen geschickt, die zwischen Birkenau und Auschwitz I hin- und herfuhren. Wir haben versucht, die einzelnen Kranken zu retten indem wir sie unter den Strohsäcken versteckten. Unter der Abdeckung des Kanals, dessen Ausgang zwischen den Blocks sich befand. Man erleichterte ihnen in Einzelfällen, durchs Fenster zu entkommen und in Richtung Lager zu flüchten. Unter diesen, die uns dabei hinderten, diese Hilfsaktionen durchzuführen, war vor allem Klehr. Nur einige Kranke wurden gerettet. Unter den Kranken gingen in den Tod ebenfalls die kranken Ärzte. Unter anderem der polnische Vizeminister für das Gesundheitswesen, der ebenfalls in die Gaskammer ging. Ich erinnere mich heute an die Gestalten der Kranken und der Rekonvaleszenten, die sich Mühe gegeben haben, so gerade wie möglich zu stehen und ihren Augen einen gesunden Blick zu geben, damit sie ja nicht in den Tod zu gehen brauchen. Nach der Vergasung dieser Kranken blieb der Block 20 einige Zeit leer. Man hat ebenfalls einzelne Kranke aus dem Block 21 und 28 ausgesucht. Einzelne Reichsdeutsche, die nicht zur Vergasung bestimmt wurden, kamen auf den Block 28. Und im Lager selbst wurde ebenfalls eine Selektion in den einzelnen Blocks durchgeführt. Das war nach dem Appell bei der Küche.