Phenol
Phenol (nach IUPAC: Benzenol, veraltet: Karbolsäure oder kurz Karbol) ist eine aromatische, organische Verbindung und besteht aus einer Phenylgruppe (–C6H5), an die eine Hydroxygruppe (–OH) gebunden ist. Der farblose, kristalline Feststoff ist eine wichtige Industriechemikalie und dient als Zwischenprodukt besonders zur Herstellung diverser Kunststoffe. Phenol ist der einfachste Vertreter der Phenole. Mit Basen bildet Phenol Salze, die Phenolate.
Physikalische Eigenschaften
Reines Phenol bildet bei Zimmertemperatur farblose Kristallnadeln, jedoch ist das kommerziell erhältliche Produkt i. d. R. durch geringe, aber intensiv gefärbte Verunreinigungen rosa bis rötlich-braun gefärbt. Der Schmelzpunkt liegt bei 41 °C und der Siedepunkt bei 182 °C. Es besitzt einen charakteristischen, aromatischen Geruch. Wegen der hydrophilen OH-Gruppe ist Phenol hygroskopisch. In Phenol löst sich begrenzt viel Wasser. Bei etwa 6 % Wasser ist das Gemisch bei 20 °C flüssig. Phenol löst sich nur mäßig in Wasser. Zwischen den Lösungen mit hohem und niedrigem Phenolanteil besteht eine Mischungslücke. Mit Wasser verflüssigtes Phenol wurde im medizinischen Bereich als Phenolum liquefactum bezeichnet.
Phenoleinspritzungen in Auschwitz
„Der Lagerarzt, SS-Obersturmführer Dr. Endreß, erfand eine neue Methode, das Lager von arbeitsuntauglichen Häftlingen zu befreien, und zwar durch Einspritzung von Phenol. Anfangs spritzte man den Opfern 10 bis 12 ccm eines 30prozentigen Phenolpräparates in die Adern. Nach einiger Zeit wurde diese ursprüngliche Methode dadurch ,verbessert’, dass man den Opfern direkt ins Herz Einspritzungen machte.
Die Zahl der durch Endreß zu Phenoleinspritzungen ausgesonderten Häftlinge betrug an manchen Tagen bis 300 Personen. Die Einspritzungen führten zum großen Teil zwei Sanitäter, SS-Oberscharführer Joseph Klehr und SS-Oberscharführer Herbert Scherpe, aus. Ihr Helfer war in der ersten Zeit Stessel und später Panszczyk. Stessel prahlte vor den Häftlingen, dass er ,10.000 Kranke durch Phenoleinspritzungen erledigt’ habe. Panszczyk ,beförderte mehr als 12.000 kranke Häftlinge auf die gleiche Weise ins Jenseits’.
Diese Eingriffe – die sogenannten Abspritzungen –wurden im Ambulatorium des Blocks 20 oder im Block 28 des Stammlagers durchgeführt. Der Todeskandidat wurde auf einen Stuhl, der einem zahnärztlichen Sessel ähnlich war, gesetzt und von zwei Häftlingen an den Händen festgehalten, während ein dritter ihn mit einem Handtuch die Augen verband und ihm am Kopf festhielt. Dann stieß ihm der eigentliche Henker eine lange Nadel in den Brustkorb, unmittelbar in die Herzkammer, und spritzte ihm das Phenol ein. Der Häftling starb nicht gleich nach der Einspritzung, sondern verlor nur das Bewusstsein. Das Opfer wurde dann von den bei der Einspritzung assistierenden Häftlingen in einen nebenan liegenden Raum gebracht und dort auf den Fußboden hingeworfen, wo es nach einigen Sekunden das Leben beendete.“
Häufig wurden „Abspritzungen“ – ganz unabhängig davon, ob die Häftlinge krank oder gesund waren – einfach nur in der Absicht durchgeführt, die Lagerbelegschaft zu reduzieren.
„Abspritzen“ in Auschwitz durch Klehr
Der Warschauer Arzt Dr. Czeslaw Glowacki, damals Medizinstudent und als Leichenträger im Stammlager eingesetzt, wurde regelmäßig Zeuge solcher Injektionen in den Herzmuskel. Oft hätten die Todeskandidaten laut geschrien, doch Klehr befahl ihnen, die linke Hand auf den Mund zu legen und den Arm angewinkelt hochzuheben. So lag das Herz frei und Klehr „konnte ungehindert spritzen.“ Der Standortarzt habe ihn eigenmächtig gewähren lassen. Diese Allmacht kostete Klehr, der sich gerne im weißen Kittel zeigte, auch Weihnachten 1942 in Abwesenheit des Arztes aus. Die Hoffnung der Häftlinge auf Festtage ohne Selektion war damit zunichte. Mit den Worten „Heute bin ich Lagerarzt“ suchte Klehr die Opfer im Häftlingskrankenbau aus. Reineck, dort Schreiber und Blockältester, hatte die Namen zu notieren und die Todesmeldungen zu fertigen.
Paczula, Rapportschreiber in diesem Bau, nahm die Meldungen „paketweise“ entgegen und schätzt die Zahl der Getöteten allein bei dieser Aktion auf etwa zweihundert, die er in das Totenbuch eintragen musste. Jan Weiß, dem Kommando Leichenträger zugeteilt, das die Opfer in Klehrs Zimmer bringen und die Toten anschließend im benachbarten Waschraum stapeln musste, wurde eines Tages mit der tödlichen Spritze für seinen Vater konfrontiert. Auschwitz lässt ihm bis heute keine Ruhe, unter Tränen berichtete er. Viele Erschießungen an der „Schwarzen Wand“, wo die Leichenträger im Laufschritt hätten arbeiten müssen, und viele „Abspritzungen“ habe er gesehen. Gelegentlich, „wenn Klehr Eile hatte, wegzukommen“, seien zwei Opfer gleichzeitig ins Zimmer ihres Mörders geführt worden: „Er hatte nämlich eine Kaninchenzucht im Hof. Wenn er zu den Kaninchen gehen wollte, wurde schneller gespritzt“, so Weiß.