Durchgangslager des Gauarbeitsamtes

Die Stadt liegt an der Südseite des Mains und westlich des Frankfurter Stadtwalds. Der allgemein als Unterdorf bezeichnete ursprüngliche Ortskern grenzt sich scharf von dem wesentlich größeren, allgemein Oberdorf genannten Siedlungsbereich ab, der erst mit dem Bau der Bahnlinie und der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts oberhalb der etwa 17 Meter hohen Kelsterbacher Terrasse entstand, die sich vom Frankfurter Stadtwald 8 Kilometer nach Westen zieht. Der Ort ist Teil der Stadtregion Frankfurt sowie der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main.

Das Durchgangslager für ausländische Zwangsarbeiter offizielle Bezeichnung (Durchgangslager des Gauarbeitsamtes für ausländische Zwangsarbeiter) befand sich am Mörfelder Weg in der Nähe der Autobahn beim heutigen Umspannwerk.
Das Lager wurde noch vor dem 2. Weltkrieg für Arbeiter an der Reichsautobahn errichtet, daher dürfte auch die Beziehung zum Reichsbahnlager Pfaffenwald (dieses Lager befand sich in einem Waldstück zwischen Asbach und Beiershausen, nahe der Autobahnbrücke der heutigen Bundesautobahn A 4, zwischen Kirchheim und Bad Hersfeld) stammen. (Beide Lager unterstanden dem gleichen Träger).
Das Durchgangslager unterstand dem Landesarbeitsamt Hessen (später Gauarbeitsamt Rhein-Main), es hatte die Funktion, die gerade deportierten ZwangsarbeiterInnen auf die einzelnen Arbeitsamtsbezirke oder direkt auf umliegende Großbetriebe zu verteilen. Einige dieser Betriebe in der Nähe waren die Opel-Werke in Rüsselsheim, die IG Farben (heute Hoechst bzw. Aventis) in Frankfurt-Hoechst, sowie die Glanzstoffwerke in Kelsterbach (am Bahnhof, nach dem Krieg ENKA-Werke).

Das Lager bestand von 1941 bis 1945, mit Häftlingen aus allen Nationen, wobei der Anteil aus Osteuropa überwog. Das Lager wurde von den Einheimischen auch Russenlager genannt.
Die ZwangsarbeiterInnen kamen nach meist wochenlangen Transporten in überfüllten Güterwägen meist aus dem besetzten Polen oder der Sowjetunion am Bahnhof in Kelsterbach an. Von dort aus mussten sie die ca. zwei Kilometer bis zum Lagergelände quer durch den Ort laufen, was der Lokalbevölkerung nicht entgangen sein dürfte.

Das Landesarbeitsamt Hessen, das auch für Mainz zuständig war, stellte für die Entbindung osteuropäischer Arbeiterinnen (
geändertes Mutterschutzgesetz) unter anderem die Lager in Pfaffenwald bei Bad Hersfeld und das Ostarbeiter-Durchgangslager in Kelsterbach zur Verfügung. In beiden Lagern wurden gleichzeitig auch Abtreibungen vorgenommen.
Einige wenige Dokumente und mündliche Hinweise lassen nur vermuten, unter welch schrecklichen Umständen die Geburten (
verhungern lassen oder aufziehen) in diesen Unterkünften verliefen.
In besonderen Gesetzen darunter die Anordnung:
Verhinderung fremdvölkischer Geburten wurde alles unternommen die Vernichtungsspolitik der Nazis zu Rechtfertigen.
Zwischen den Lagern Kelsterbach und Pfaffenwald hat es zumindest zeitweise einen Austausch von Gefangenen gegebn.
Als Gebärstation fungierte im Lager Pfaffenwald eine abgetrennte Holzbaracke, die ganz in der Nähe der Unterkünfte für die im Lager dahinsiechenden Tbc-Kranken aufgebaut war. Eine ausreichende Versorgung der Ausländerinnen auf hygienischem und
medizinischem Gebiet scheint nicht ansatzweise gewährleistet gewesen zu sein. Nach Aussage eines Zeitzeugen mussten die behandelnden Ostärzte bei Operationen mit einem Taschenmesser vorlieb nehmen. Der Tod zahlreicher Kleinkinder, die angeblich an Magen- und Darmkrankheiten, Lungenentzündung oder Flecktyphus starben, lässt indirekt Rückschlüsse auf die dortigen Verhältnisse zu. Für das Durchgangslager Kelsterbach liegen Zeugenaussagen vor, daß Säuglinge zu Tode gespritzt beziehungsweise nach medizinischen Experimenten gestorben waren.
So wird von mehreren Fällen berichtet, in denen Ärzte eine Injektion in der Nähe der Wirbelsäule vornahmen, an deren Folge die vorher gesunden Kinder innerhalb kürzester Zeit starben.

Die Arbeitsunfähigen fielen dem Bereich des Reichsinnenministeriums zu. Gefährliche Arbeitsunfähige (TBC- und Geisteskranke) wurden in die Vernichtungsanstalten gebracht. Die ungefährlichen Arbeitsunfähigen, zu denen auch die Kinder zählten, wurden entweder bei ihren Angehörigen belassen oder in Sondereinrichtungen, das heißt in Sterbelager, überwiesen – entscheidend hierfür waren die Gesichtspunkte des Arbeitseinsatzes.

Medizinische Versorgung

Für die medizinische Versorgung der Ausländerlager wurde in der Regel unzureichend qualifiziertes Personal zwangsverpflichtet. Während Reichsgesundheitsführer Conti im November 1942 noch russische Ärzte für die Betreuung der Gefangenen- und Zwangsarbeiterlager abgelehnt hatte, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschten, bestanden ab 1943 keine Bedenken mehr. Auf die Vorlage von Ausbildungsnachweisen wurde verzichtet, die Reichsärztekammer sprach keine Gastapprobationen mehr aus. Auch Studenten, Feldschere, medizinische Laien wurden als Ostärzte rekrutiert. Unter ihnen befanden sich viele, die alles taten, was ihnen unter den katastrophalen Verhältnissen und nach ihren Kenntnissen möglich war, um das Leben der Zwangsarbeiter und Häftlinge zu retten. Andere aber beteiligten sich an den faschistischen Vernichtungsaktionen.

Anweisung des Präsidenten des Gauarbeitsamtes vom 24. Mai 1944 an die Arbeitsämter
im Bezirk des Gauarbeitsamts Rhein-Main u. Kurhessen
Schwangerschaftsunterbrechungen in den Lagern Pfaffenwald und Kelsterbach

Die Behandlung schwangerer Frauen, Mütter und Kinder

Zeitzeuge Gatsko Iwan

Freiwillig ist Gatsko nicht ins Deutsche Reich gekommen. Er wird inmitten der Rückzuggefechte der deutschen Truppen im Jahr 1944 an der Ostfront als 14jähriger zur Zwangsarbeit verschleppt. Ein Kommandant und drei Bewaffnete kamen in unser Dorf, sie haben die älteren Kinder aus den Häusern geholt und verschleppt, sagt Gatsko mit fester Stimme über das Ereignis vor rund 61 Jahren. Dann wurden alle zur nächstgelegenen Eisenbahnstation gebracht, in Güterwaggons gepfercht, und nach etwa zwölf Tagen kamen sie im Reich am. Sie kommen in Kelsterbach an, und unzähligen, vielleicht zehntausenden Zwangsarbeitern gräbt sich der Name des Durchgangslagers für immer ins Gedächtnis ein. Kelsterbach, das ist die erste Station in ihrer Gefangenschaft mit ungewissem Ausgang.

Er erinnert sich noch an den Marsch vom Kelsterbacher Bahnhof zum Lager, bewundert haben sie damals die netten und adretten Häuschen mit ihren Vorgärten. Doch das war nicht das Ziel der Kolonne. Hinter uns krachte das schwere Eisentor des Lagers zu, wir waren gefangen, erzählt Gatsko über seine Gefühle, die er damals empfand und die er nicht vergessen wird.
Rein da, Kleider ausziehen! Iwan Gatsko, 14 Jahre alt, kommt dem Befehl wie alle Mitgefangenen nach. Es gibt keine Wahl. In einer Baracke müssen sie unbekleidet eine Runde drehen, werden von Männern in gelben Kitteln kritisch begutachtet, dann dürfen sie sich nach der unwürdigen Übung wieder anziehen.
Hiernach bekamen wir in Kelsterbach unser erstes Frühstück, erinnert sich Gatsko. Gemeinsam mit seiner Schwester, die ebenso wie er verschleppt wurde, übersteht er die schrecklichen Monate.
Nach einigen Tagen im Durchgangslager Kelsterbach wird der weißrussische Jugendliche zur Zwangsarbeit nach Kassel gebracht, in den Werken der Focke-Wulf werden Flugzeuge der Marke Fieseler für den Endsieg hergestellt. Von Mai 1944 bis zum 18. April 1945 muss Gatsko als Zwangsarbeiter in der entwürdigenden Sträflingskleidung mit dem Aufnäher Ost schuften, er überlebt das Kriegsende, wird von den Amerikanern im Lager Lohfelden befreit. Am 8. August 1945 ist er dann wieder zu Hause im Dorf Teluscha, Gebiet Mogiljow, wo er am 04.02.1930 in der damaligen Sowjetunion geboren wurde mit seiner Familie bis heute lebt.

Täter

Zu den Tätern können nicht nur die gerechnet werden, die direkt mit dem Lager zu tun gehabt haben, sondern auch diejenigen, die die Voraussetzungen für das Massensterben schufen. Das waren einerseits die bekannten Nazigrößen, Sauckel, Himmler und andere zum anderen diejenigen, die in den Ministerien und Verwaltungen die entsprechenden Verordnungen und Erlasse ausarbeiteten. Die Aufzählung der Beteiligten ist unvollständig.

In Himmlers Innenministerium war der Staatssekretär und SS-Obergruppenführer Stuckart einer der einflußreichsten Männer. In der Organisation von Vernichtungsprogrammen besaß er Erfahrung. Zusammen mit Globke hatte er einen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen geschrieben; sein Name stand auch unter dem Erlaß des Reichsministeriums des Inneren vom 18. August 1939 über die Meldepflicht für missgestaltete Neugeborene mit dem die Voraussetzungen zur Kinder-Euthanasie geschaffen wurden.

Verantwortlich für die Deportationen nach Hadamar war der Leiter des Hilfskrankenhauses im Durchgangslager, Dr. Gustav Kohl, seines Zeichens Facharzt für Gemüts- und Nervenkrankheiten und leitender Arzt beim Arbeitsamt Frankfurt.

aus dem Reichsinnenministerium
Dr. Hans Muthesius
nach seinen Entwürfen wurden die Todeslager für Kinder organisiert
nach 1945 Beigeordneter des Deutschen Städtetages

aus dem Reichsinnenministerium
Dr. Wilhelm Loschelder
nach 1945 Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Innenministerium, ausgezeichnet mit dem großen Bundesverdienstkreuz

Dr. Karl Gossel
regelte die Finanzierung der Sterbelager
nach 1945 Oberkreisdirektor und Bundestagsabgeordneter der CDU


stellvertretender Leiter des Arbeitsamtes Kassel
Dr. Weber

Nachtrag

Es liegt nahe davon auszugehen, daß Kelstebach in die Reihe der Lager einzureihen ist, in denen die systematische Ausrottung des sogenannten unerwünschten Volkstums während des deutschen Faschismus betrieben wurde.

Quellen:
Akten des Ermittlungsverfahrens über die Ermordung der Kinder von Kelsterbach.
Landgericht Darmstadt 2 U Js 11269/ 77

Susanne Hohlmann Nationalsozialismus in Nordhessen