Man wollte alle fremdvölkischen Geburten verhindern, so war nicht die Sorge um die Kinder, sondern möglichst einen Rückgang dieser Geburten herbeizuführen, Aufgabe der zuständigen Stellen.
Dabei stand die Frage der Geburtenverhinderung bei den polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiterinnen in engem Zusammenhang mit der faschistischen Bevölkerungspolitik in den besetzten Ostgebieten. Die polnische Bevölkerung sollte bis auf eindeutschungsfähige Personen und eine Schicht williger und leistungsfähiger Arbeitskräfte aus den eingegliederten Gebieten und perspektivisch aus dem gesamten ehemaligen Polen verschwinden. 1940 schlug Himmler in einer Denkschrift vor, die blutlich nichtwertvollen polnischen Kinder im Generalgouvernement sollten künftig als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen.
Produkt dieser Denkschrift und ihrer Konkretisierung im Generalplan Ost war der Befehl, wertlose polnische Kinder zu versklaven und Jugendliche durch Arbeit zu vernichten:
Am 06.01.1943 hat RF-SS befohlen, daß in den vom Chef des SS W.V. Hauptamtes vorgeschlagenen Kinder- und Halbwüchsigen- Sammellagern die rassische und politische Musterung der Jugendlichen zu erfolgen hat. Die rassisch wertlosen Halbwüchsigen männlichen und weiblichen Geschlechts sind den Wirtschaftsbetrieben der Konzentrationslager als Lehrlinge zuzuweisen. Die Kinder müssen großgezogen werden. Ihre Erziehung hat im Unterricht zu Gehorsam, Fleiß, bedingungsloser Unterordnung und zu Ehrlichkeit gegenüber den deutschen Herren zu erfolgen. Sie müssen bis 100 rechnen, die Verkehrszeichen kennenlernen und auf ihre Fachberufe als Landarbeiter, Schlosser, Steinmetze, Schreiner usw. vorbereitet werden. Die Mädchen sind als Landarbeiterinnen, Spinnerinnen, Strickerinnen und für ähnliche Arbeiten anzulernen.
Neben diese Maßnahmen zur Vernichtung und Verdrängung eines großen Teils der polnischen Bevölkerung und der systematischen Ermordung der polnischen Juden und der polnischen Intelligenz traten Maßnahmen und Überlegungen zu einer radikalen Geburtenbeschränkung.
Bereits im November 1939 hatten zwei Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP betont, daß im besetzten Polen alles, was einer Geburtenverminderung diene von Abtreibung bis zur Homosexualität zu dulden und zu fördern sei.
In einer Besprechung im Reichsinnenministerium, an der alle maßgeblichen Männer des Gesundheitswesens (Dr. Conti, Dr. Linden u.a.) teilnahmen, wurde diskutiert, ob die Erhöhung des Heiratsalters, steuerliche Maßnahmen, Abtreibungen oder / und Sterillsationen geeignete Mittel zur Geburtenverminderung in Polen seien.
Am 9. März 1942 schrieb Reichsgesundheitsführer Conti an Himmler, er halte es für begrüßenswert, wenn polnische Frauen in den besetzten Gebieten möglichst zahlreich an sich Abtreibungen vornehmen lassen oder selbst abtreiben. Himmler stimmte Contis Vorschlag, den Schwangerschaftsabbruch bei Polinnen straffrei zu lassen, zu. Zu diesem Zeitpunkt war es schon Praxis, daß Schwangerschaftsabbrüche bei Polinnen von Gerichten nicht strafrechtlich verfolgt wurden.
Bei den Plänen Contis und Himmlers ging es nicht darum, Abtreibungen zu legalisieren, sondern gezielt den unerwünschten Nachwuchs von Fremdvölkischen zu verhindern.
Dazu waren alle Mittel recht:
von dem Vorschlag Contis, für die besetzten Gebiete ein chemisches Empfängnisverhütungsmittel in Tablettenform entwickeln zu lassen, bis hin zu Plänen, die Zwangsarbeiterinnen vor dem Arbeitseinsatz im Reich heimlich zu sterilisieren.
Freilich mußten im Altreich mehr Rücksichten genommen werden als in den besetzten Gebieten. Im Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums fürchtete man Ende 1942 durch die Freigabe der Abtreibung unerwünschte Auswirkungen auf die Moral der deutschen Frauen. Auch die Frage, ob im Hinblick auf den künftigen Arbeitseinsatz auf die Kinder der Ostarbeiterinnen und Polinnen verzichtet werden könne, wurde diskutiert.
Doch unter dem Diktat der Kriegswirtschaft hatten solche Überlegungen keinen Bestand. Die von der Rüstungsindustrie benötigten Arbeitskräfte konnten nicht mehr in ausreichendem Maße beschafft werden. Die Transporte aus den Ostgebieten wurden seltener. Mit den vorhandenen Zwangsarbeitern mußte, bei intensivster Ausbeutung hausgehalten werden. Die Einrichtung einer notdürftigen Krankenversorgung hatte zum Ziel, kranke Zwangsarbeiter so schnell wie möglich dem Arbeitseinsatz wieder zuzuführen. Die Arbeitsfähigkeit Schwangerer ließ sich durch einen Abbruch am raschesten wiederherstellen, bedeutete doch die Austragung der Schwangerschaft eine Leistungsminderung und einen erheblichen Arbeitsausfall.
So einigten sich die maßgeblichen Stellen darauf, daß rassisch minderwertiger Nachwuchs von Ostarbeiterinnen und Polinnen möglichst unterbunden werden soll.
In der entsprechenden Anordnung des Reichsgesundheitsführers vom 11. März 1943 war freilich nur davon die Rede, daß die Schwangerschaft bei Ostarbeiterinnen auf Wunsch unterbrochen werden könne.
Zum Verfahren bestimmte die Anordnung Contis folgendes:
Der Antrag ist an die Gutachterstelle für Schwangerschaftsunterbrechung der zuständigen Ärztekammer zu leiten. Diese setzt sich mit dem Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums in Verbindung. Bei Zustimmung dieser Dienststelle zu dem Antrag auf Unterbrechung entscheidet die Gutachterstelle und beauftragt einen Arzt mit der Durchführung. Als geeignete Einrichtungen zur Durchführung kommen auch die für die Ostarbeiter eingerichteten Krankenbaracken, insbesondere diejenigen, in denen die Entbindungen von Ostarbeiterinnen stattfinden, in Betracht.
In einem ebenfalls vertraulichen Schreiben wies der Reichsjustizminister Thierack die Generalstaatsanwälte bei den Oberlandesgerichten an, Abtreibungen bei Ostarbeiterinnen nicht strafrechtlich zu verfolgen.
Entsprechende Anordnungen folgten ab August 1943 auch für Polinnen. Am 9. Juni 1943 bestimmte der Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums daß die Zustimmung seiner Dienststelle zur Abtreibung als von vornherein erteilt in Fällen gelte, in denen es sich bei dem Erzeuger um einen fremdvölkischen (nicht germanischen) Mann„ handelte. In diesen Fällen hatten die ärztlichen Gutachterstellen die Vollmacht, die Schwangerschaftsabbrüche selbst anzuordnen. Bei Polinnen allerdings sollte die Zustimmung der SS-Stellen eingeholt werden, wenn die Schwangere einen rassisch guten Eindruck mache.
Doch dieses Vorgehen gestaltete sich offensichtlich zu langwierig, so daß die Reichsärztekammer in einem Rundschreiben die Ärztekammern anwies, für eine Beschleunigung der Verfahren zu sorgen. Einzelne Ärzte konnten nun im Namen der Gutachterstelle entscheiden. Die Unterbrechungen, deren Kosten von den Arbeitsämtern getragen wurden, sollten möglichst innerhalb der Lager durch russische oder polnische Ärzte ausgeführt werden.
Während die Zwangsabtreibungen an ausländischen Frauen forciert wurden, um den Geburtenstrom der Fremdvölkischen einzudämmen, wurde der Schwangerschaftsabbruch bei deutschen erbgesunden Frauen unter schwerste Zuchthausstrafen gestellt, ab 1943 war sogar die Todesstrafe möglich.
Als der Kardinal Bertram im September 1943 gegen Abtreibungen, die an Ukrainerinnen vorgenommen wurden, protestierte, antwortete das Reichskirchenministerium mit nicht zu überbietendem Zynismus: Der Schutz des keimenden Lebens sei noch nie so vollkommen wie seit März 1943 gewesen, nachdem die Todesstrafe für Abtreibungen eingeführt worden sei. Es bestehe aber kein Grund, Angehörigen anderer Völker die deutschen Anschauungen über den Wert keimenden Lebens aufzudrängen.
Neben dem verhaltenen kirchlichen Protest muß es immer wieder Stimmen gegeben haben, die die Abtreibungen aus Gründen des Arbeitseinsatzes ablehnten. Gegen diese wandte sich Conti in scharfer Form.
Im Hinblick auf die Schwangerschaftsunterbrechungen bei Ostarbeiterinnen taucht immer wieder die Ansicht auf, daß ein Interesse an dem Geborenwerden zukünftiger Ostarbeiterhilfskräfte bestehe. Hierzu muß betont werden, daß diese Ansicht völlig abwegig ist. Es besteht ein dringendes Kriegsinteresse daran, daß die Ostarbeiterinnen jetzt in der Rüstungsproduktion arbeiten. Sich um die Zahl zukünftiger Ostarbeiter oder -arbeiterinnen Gedanken zu machen, besteht angesichts der bevölkerungspolitischen Lage nicht die mindeste Veranlassung. Eine solche Meinung läßt eine völlige Unkenntnis der Sachlage und mangelndes Verständnis für die bevölkerungspolitischen Fragen erkennen.
München, 26.2.1944 Dr. L. Conti.