Ghetto Riga

Transportliste

Für die Organisation und Durchführung der Hamburger Transporte waren unter anderem Verantwortlich: Gauleiter und Reichsstatthalter Kaufmann, Bürgermeister Carl Vincent Krogmann, Leiter der Hamburger Staatsverwaltung Rudolf Querner (SS- und Polizeiführer Nordsee), Geheime Staatspolizei, Ordnungspolizei, Finanz-, Sozial- und Bauverwaltung, Arbeitsamt, Kranken- und Rentenversicherungsanstalt, Reichsbahn und die Hamburger Transportfirma Kühne & Nagel.

Dieser Transport war der vierte größere Deportationstransport aus
Hamburg. Als Ziel wurde Riga angegeben. Wie schon bei den drei vorhergehenden Transporten, hatten die betroffenen Personen einen Evakuierungsbefehl per Einschreiben oder durch Boten erhalten, und mussten sich im Logenhaus in der Moorweidenstraße einfinden. Die Zahl der Deportierten die mit diesem Transport verschleppt wurden, schwankt zwischen 753 und 964 Personen. Hier wurden durch Gestapo und SA Personen- und Gepäckkontrollen durchgeführt.

Bericht eines Überlebenden nach 1945:
Als wir uns in der alten Loge an der Moorweidenstraße meldeten, wurden unsere Koffer zuerst von Mitgliedern des Judenrates und der Gestapo untersucht und dann in einem Lagerraum abgestellt. Dann mussten wir uns nach den Anfangsbuchstaben unserer Namen entweder rechts oder links aufreihen. Es standen vier Tische an jeder Seite und dahinter jeweils ein Mitglied des Judenrates und ein Gestapo- oder SS-Mann. Am Tisch Nr. 1 musste man seinen Namen angeben, Geburtsdatum und Adresse. Daraufhin wurde eine Karte aus der Kartei genommen, und der SS-Mann strich den Namen auf einer langen Liste durch.

Die betroffenen Personen wurden von Beamten der Oberfinanzdirektion befragt und ihre zuvor ausgefüllten Vermögensverzeichnisse geprüft. Einigen wurde jetzt langsam klar, welcher Bedrohung sie unterlagen und wählten als Ausweg den Suizid. Besonders unter den älteren, aber auch die, die durch vorhergende Inhaftierungen (Schutzhaft) die Methoden der SS und SA bereits kannten, war die Angst vor der Deportation größer, als der Freitod. Klug, denn sie hätten wahnsinnig viel gelitten, wenn sie gegangen wären. Aber es gehört viel Mut dazu. Man wusste ja auch nie ganz genau, wie schlimm es sein wird. Am Morgen wurden die zu Deportierten darunter auch 80-jährige und Säuglinge unter Aufsicht von Angehörigen des Polizeibataillons 101 auf Lastwagen und zum Bahnhof Sternschanze gebracht. Von dort aus fuhren sie über die Bahnhöfe Dammtor und Hauptbahnhof zum Hannoverschen Bahnhof.

Dies war der zweite Transport, der nicht mehr von regulären Schutzpolizisten begleitet wurde, da diese von den Zuständen geschockt waren, und daher sich vielfach (geweigert) hatten.
Es gab aber auch Zustimmung zu den Transporten in der Bevölkerung. Aussagen wie: Jetzt marschieren sie ins Getto oder Wird auch höchste Eisenbahn, dass sie verduften. Alles nur unnütze Esser. Die Mehrheit der nichtjüdischen Hamburger verhielt sich, wie im übrigen Reich eher unauffällig. Die stumme Mehrheit der Deutschen war geprägt von Verlegenheit, Gleichgültigkeit, abgestumpfter Subordination, eine volksstabile Union aus Nichtkapierern, Stillhaltern, Kopfnickern, Weghörern und Sich-Blind stellend. Dies ist bis heute nicht anders. Dieses Verhalten hat einen Namen bekommen. >Die deutsche Erbkrankheit<. Die offenen Drohungen der NS-Propaganda gegenüber Freundschafts- und Mitleidsbekundungen, der wachsende Rückzug auf die eigenen Belange im Zuge steigender Kriegsbelastungen und die nahezu vollständige gesellschaftliche Isolierung der Juden schon Jahre vor der Deportation dürften zu dieser Grundhaltung beigetragen haben.

Der Transport traf am 09.12.1941 an der Bahnstation Skirotava bei Riga ein.
Bericht eines Überlebenden
Als der Zug hielt, und ich aus dem Fenster sah, wußte ich was uns erwartete, denn der Zug war umringt von SS mit Peitschen und großen Schäferhunden sowie lettische SS. Und dann ging’s los, Raus, Frauen hier, Männer dort. Da wußte ich, was uns erwartete, das kannte ich, von
Sachsenhausen. Als ob ich gehofft hatte, dass wir wirklich irgendwie übersiedelt oder angesiedelt werden. Einem Deutschen zu glauben und zu vertrauen ist Selbstmord.

Die Hamburger Juden wurden zunächst auf Befehl des SS-Brigadeführers und Befehlshabers der Einsatzgruppe A
Walter Stahlecker nicht im Ghetto von Riga (in und um Riga gab es mehr als 60 Lager und Aussenkommandos) sondern auf dem einige Kilometer von Riga entfernten, ehemaligen verwahrlosten Gut Jungfernhof, dessen Gebäude nicht ansatzweise für die Aufnahme von mehreren Tausend Menschen geeignet waren. Die Arbeitsfähigen wurden später, sofern sie noch am Leben waren auf andere Lager verteilt. Die mit dem Vermerk Kv (Keine Verwendung) wurden ermordet.

Anmerkungen zum Verhalten der Hamburger Bevölkerung nach 1945
"Wir haben nichts gewußt!"

So sah die Wirklichkeit aus
In Hamburg fuhren die S-Bahnen an dem gut sichtbaren Platz vor dem Logenhaus fast im Minutentakt vorbei. (In der Bahn reckten die Leute die Hälse, vorm Logenhaus wurde offenbar
ein neuer Transport zu verschickender Nichtarier zusammengestellt).

So begleitete ein Teil der Hamburger Bevölkerung die Deportationen mit demonstrativer öffentlicher Zustimmung.
Beim Abtransport aus einem jüdischen Wohnstift gab es einen regelrechten Massenauflauf.
Viele Neugierige, die eben des Weges kamen, blieben stehen und umgaben bald in einem großen Kreise das Tor des Gartens, immer wieder versuchten sie es zu öffnen, wurden aber von zwei dort Posten stehenden Schupobeamten zurückgestoßen. Sobald die Schutzleute den Rücken kehrten, schlüpften Zuschauer durchs Tor und drängten und schoben sich dicht an den Wagen heran.
Von hier ließen sie sich nicht mehr fortjagen, denn sie trachteten danach, aus nächster Nähe gierig das ungewohnte Schauspiel zu genießen das ihnen ratlos erstarrte und hilflos verängstigte Menschen boten. Da schob sich ein großer, breit gebauter, gut gekleideter Herr in den Vordergrund. Das, sagte er, sind Juden, die außer Landes verwiesen werden. Und das ist gut so.

Oberst Ernst Ebeling, der Generalstabschef des stellv. Generalkommandos beim 10. Armeekorps in Hamburg. Am 22. März 1942 schrieb er in sein Tagebuch:
Das Töten der Menschen, selbst sadistisches Quälen ist toleriert, wenn es sich um Juden, Polen, Serben oder Russen handelt. Was hat man z. B. mit den evakuierten Hamburger Juden gemacht, die im Osten in ein Ghetto sollten. 8 km von Smolensk sind sie von lettischen Soldaten en masse niedergeknallt.

Das Verhalten der >Arier< gegenüber den Überlebenden war Scham, Gleichgültigkeit, Angst, Hilflosigkeit.
Politiker, Juristen, Bürokraten aber versteckten sich hinter Ihren Gesetzen und Verordnungen.

Diese Taten schreien zum Himmel, und das deutsche Volk, daß sich
diese Untaten lüstern erzählt und Erschrecken heuchelt, ist das unschuldig an
unsern Massengreueln? Nein, das ist es nicht, nur bei einem Volke mit einer solchen
kritiklosen Gesinnung können solche Roheitsverbrechen vorkommen

Dies Verhalten wird unter dem Begriff "Deutsche Erbkrankheit" geführt.

Opfer

Lewie James
* 03. August 1884 in Hamburg
wohnhaft in Hamburg
Inhaftierung:
1938, Konzentrationslager Fuhlsbüttel bis 15. Dezember 1938, KonzentrationslagerSachsenhausen
15. Februar 1939-15. August 1940 Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel
15. August 1940-1941 Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel
† 1941 im KL Riga-Jungfernhof
James Lewié war seit 1924 Mitglied im Hamburger SV und ein großer Förderer des Vereins. Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde er das erste Mal verhaftet. Die geplante Flucht zusammen mit seiner Tochter nach China scheiterte 1941. Am 6. Dezember 1942 wurde Lewié in das KZ Riga-Jungfernhof deportiert und dort ermordet.