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Geschichte
Mit Schnellbrief vom 24.10.1941 teilte der Chef der Ordnungspolizei in Berlin den Polizeibehörden die beabsichtigte Evakuierung von 50.000 Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei in die Gegend um Riga und um Minsk mit.
Die Transportzüge von je 1000 Personen werden in Berlin, Hamburg, Hannover, Dortmund, Münster, Düsseldorf zusammengestellt.
Fahrstrecke
Hannover - Stendal - Berlin - Kästrin - Kreuz -Schneidemühl - Dirschau - Marienburg - Elbing -Königsberg - Insterburg - Tilsit- Tauroggen - Schauten -Mitau - Riga
Es ist der zweite Deportationsschub von Reichsjuden in den Osten, der erste ging mit 20.000 Menschen ab Oktober in das Ghetto Lodz/Litzmannstadt im besetzten Polen.
Das Amt IV, B 4 des Reichssicherheitshauptamtes unter SS-Obersturmbannführer Eichmann legte die Auswahlkriterien und Zeiten fest, die Gestapoleitstellen sorgten für die Umsetzung, aber keineswegs allein.
Die Aufstellung der Begleitkommandos erfolgte über den Befehlshaber der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI, der am Kaiser Wilhelm Ring in Münster wenige hundert Meter vom Gertrudenhof entfernt residierte.
Gemäß einer Vereinbarung mit der Sicherheitspolizei bewachte und begleitete die Ordnungspolizei die Transportzüge bis zum Bestimmungsziel; anfallende Kosten wurden von der Sicherheitspolizei erstattet.
In der Besprechung am 19.11.1941, an der unter Leitung des stellvertretenden Gauleiter Strangier u.a. teilnahmen:
Oberregierungsrat Heising (Oberfinanzpräsidium)
Oberregierungsrat von Hoffmann (Oberpräsidium)
Dr. Busse als zuständiger Sachbearbeiter der Gestapo
Polizeipräsident Heider
NSDAP-Kreisleiter Mierig
Oberbürgermeister Hillebrand
Städtische Rechtsrat Wilhelm Sasse (Rechtsrat Sasse brachte es nach dem Krieg bis zum Stadtdirektor von Paderborn.
Er bestritt, 1941 Näheres vom Zweck der Evakuierung gewusst zu haben. Das Gegenteil konnte ihm nicht nachgewiesen werden.)
Letzterer war seitens der Stadt für die Bearbeitung sämtlicher Fragen im Zusammenhang mit der Evakuierung zuständig. Im Mittelpunkt stand die ordnungsgemäße Verwertung der frei werdenden jüdischen Wohnungen und des jüdischen Eigentums.
Das städtische Wirtschaftsamt übernahm die zurückgelassenen Gegenstände.
(der Verbleib ihrer Bettwäsche, der Teppiche, Kleiderschränke, des Küchengeschirrs oder der Klaviere wurde penibel vom Finanzamt festgehalten.
Wer schlüpfte in die Leibwäsche der Familie Katz aus Lübeck?
Wer tafelte vom Silbergeschirr des Oberrabbiners Joseph Carlebach aus Hamburg?
Wer übernahm in Bielefeld den Besitz der nach Riga
deportierten Familien Stein, Rosenthal, Oppenheimer oder Hauptmann?
An der Planung und Ausführung des Transports sowie der Ermordung waren beteiligt:
Arbeitsamt
Fürsorgeamt
Außer Finanzbeamten, denen das Reichfinanzministerium im November 1941 dafür unter der Tarnbezeichnung Aktion 3 Anweisungen erteilte, waren zahlreiche weitere Personen mit der Vermögensabwicklung beschäftigt: Banken erhielten Kopien der Transportlisten, damit Sparguthaben restlos erfasst werden konnten. Schätzer, Auktionatoren und Spediteure wurden bei der Auflösung der Haushalte tätig. Kohlenhändler erhielten Nachricht über den eingelagerten Brennvorrat. Vermieter, die später Mietausfälle für die versiegelten Wohnungen geltend machten, reichten ihre Forderungen bei der Finanzverwaltung ein. In einer regionalen Studie werden 39 Ämter, Institutionen und Personen aufgeführt, die mittelbar oder unmittelbar an der Deportation beteiligt waren und ganz wie bei formalen Verwaltungsakten für Planung und Einhaltung der Vorgaben, für exakte Kostenabrechnung und den reibungslosen Ablauf sorgten.
Reichsbahn
Am 26. Juli 1941 wurde für Massentransporte von Juden und fremdvölkischen Personen zur Aussiedlung aus dem Deutschen Reich ein Tarif vereinbart, wie er für Reisesonderzüge mit mindestens 400 Personen üblich war. Danach sollte mit 2 Reichspfennig je Kilometer der halbe Fahrpreis 3. Klasse erhoben werden. Dieser Preis sollte auch für den Verkehr außerhalb der Reichsgrenzen gelten und wurde später gleichermaßen für die Personenbeförderung mit Güterzugwagen berechnet.
Bahn-Polizei
Schutzpolizei
Befehlshaber der Ordnungspolizei Münster (Wehrkreis VI)
GenMaj.d.Pol. Dr.Heinrich Bernhard Lankenau 01.04.1939 – 00.12.1942
(zunächst Oberst, wird BdO Nordwest, Den Haag)
(Gendarmeriemeister Heinrich Jürgens aus Horn, Im Jahre 1937 wurde Jürgens nach Bad Salzuflen versetzt, stieg, auf zum Gendarmerie -Kreisführer und ab 1941 war er oberster Polizist Lippes mit Sitz in Lemgo.
Er war unter anderem verantwortlich für die Erschießung der am 5. August 1944 bei Hohenhausen abgestürzten amerikanischen Soldaten.
SA-Scharführer Schwering Hermann aus Dülmen
SA-Standartenführer Grütemeyer Friedrich aus Dülmen
Lebte bis März 1967 unerkannt im Rheinland
unter falschen Namen als Paul Goschin. Verhaftet wurde er, weil er den jüdischen Redakteur Felix Fechenbach in Scherfede bei Paderborn erschossen hatte. Er erhielt vier Jahre Zuchthaus, wegen Beihilfe zum Mord. Seine Aktivitäten gegen die Dülmener Juden spielten keine Rolle mehr, die Taten waren verjährt.
NSDAP-Ortsgruppenleiter Schmidt Anton Dr. in Dülmen
später Direktor der Coesfelder Berufsschule, rühmte sich vor seiner Schulkasse nach der Pogromnacht mit verbundener rechter Hand, dass er bei den Juden kräftig reingeschlagen habe. Erste Verurteilung 1½ Jahre, in einem Revisionsverfahren dann zu 6 Monaten Gefängnis wegen Landfriedensbruchs verurteilt.
Ortsgruppenleiter der NSDAP Krass Josef, nach Schmidt Ortsgruppenleiter der NSDAP in Dülmen, - Freispruch.
Oberstfeldmeister Bettermann Adolf
Helms Heinrich, schon 1931 in die NSDAP eingetreten, ein so genannter Alter Kämpfer, war Bürgermeister, flüchtete am 29. März 1945 mit dem Fahrrad nach Blomberg/Lippe. Verklagte die Stadt Dülmen nach 1945 auf Pension und nach einem vierjährigen Rechtsstreit musste die Stadt Dülmen ab dem 1. Juni 1953 an Helms eine Pension zahlen.
Franz Schmidt Dr. med. war ab 1935 Leiter des Kreisgesundheitsamtes. Führte Zwangssterilisationen durch. wurde später Medizinalrat des Kreises Coesfeld.
Lorenz Tewes Dipl.-Ing., NSDAP Kreisleiter aus Ahaus-Coesfeld, sorgte besonders dafür, dass Geistliche aus dem Kreis Coesfeld/Ahaus in das KZ Dachau kamen. Er erklärte nach 1945, heute in seinem Strafverfahren habe er zum ersten Mal gehört, dass Juden und andere Personen mal fortgekommen sein sollen.
Für die Bielefelder Deportationen war Kriminalobersekretär Wilhelm Pützer verantwortlich, der Leiter des Judenreferats der Gestapo Bielefeld. Pützer, der 1893 in Schleiden/Eifel geboren wurde und 1933 von Köln nach Bielefeld gezogen war, entzog sich kurz nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen am 17. April 1945 in Gütersloh durch Freitod der Verantwortung. Über die Arbeit Pützers ist wenig bekannt. Sicher ist, dass spätestens im Herbst 1941 unter seiner Aufsicht die Deportationslisten, von denen keine überliefert worden sind, zusammengestellt wurden.
SA-Oberführer und Mitglied des Reichstages Bielefeld Franz, 1907-1989. Er wurde 1950 vom Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwei Jahren Gefängnis unter Anrechnung der U-Haft abgeurteilt. Die verbleibenden vier Monate Gefängnis wurden ihm auf dem Gnadenweg erlassen.
Kriminalsekretär Christian Heinrichsmeier Leiter der Judenabteilung bei der Gestapo Hannover
Eine Zeitzeugin, Elsa Graetz, berichtete 1947: Als der Ermordete Hermann Fraenkel bei einem Abtransport vom Bahnhof Linden [den Kriminalsekretär] Heinrichsmeier darauf aufmerksam machte, dass die Tür eines überfüllten Wagenabteils nicht zuging, weil die Menschen aneinandergepresst bis an die Tür standen, soll Heinrichsmeier gesagt haben: Was, die geht nicht zu? Er soll dann mit seinen schweren Gestapo-Stiefeln den an der Tür Stehenden gegen die Beine getreten und die Tür zugeworfen haben.
Polizeimeister Honrath Bernhard
Stadtlohn, Breul Nr. 8
(Vernehmungsprotokoll 1947)
Sicherheitsdienst (SD)
Gestapo (Gestapo - Staatspolizeistelle Münster)
Dr. Gerhard Bast (* 12.01.1911 in Gottschee, + 09.03.1947 beim Brennerpass) SS-Sturmbannführer und Gestapo-Chef von Linz, stellvertretender Leiter der Gestapo in Münster, Führer des Sonderkommandos 11a bei der Einsatzgruppe D und leitete dort die Ermordung von Juden. Im Januar 1943 wurde Bast nach Linz versetzt und leitete dort die Gestapo. Im November 1943 tötete Bast bei der Jagd versehentlich einen Treiberjungen. Da er sich im Osteinsatz bewähren konnte, musste Bast eine viermonatige Haftstrafe nicht antreten. Von Juni 1944 bis Oktober/November 1944 war Bast Führer des Sonderkommandos 7a bei der Einsatzgruppe B. Danach war er mit seinem Sonderkommando bei der Einsatzgruppe H unter dem BdS Pressburg zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges tauchte er unter falschem Namen ab. Als angeblicher Knecht und Holzfäller fand er schließlich bei einem Bauern in der Südtiroler Region Unterkunft und Beschäftigung. Im März 1947 wollte er zu seiner Familie nach Innsbruck zurückkehren und sich durch einen Schleuser über den bewachten Brennerpass bringen lassen. Noch vor Erreichung des Brennerpasses tötete der Schleuser Bast mit drei Schüssen und raubte ihn aus. Sein Mörder wurde wegen Raubmord 1949 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Der österreichische Schriftsteller Martin Pollack ist der uneheliche Sohn von Gerhard Bast. Pollack verfasste das Buch: Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater, das 2004 in Wien erschien.
Wohnungsamt
Täter in Riga
Favorke Rolf
1941 bis 1944 Ib-Offizier beim Befehlshaber der Ordnungspolizei Riga, anschließend SS-Polizeiregiment 4 (ehemaliges Mordbataillon 316)
nach 1945: Polizeihauptkommissar in Baden-Württemberg
Furck, Herbert
SS-Sturmbannführer (Nr. 337727) Major der Schupo, Kommandeur des III./Polizeiregiments 16, Riga, und Kommandeur des I./SS-Polizeiregiments 3, Niederlande
nach 1945: Polizeirat in Kiel
Jost Heinz
SS-Brigadeführer (Nr. 36243) und Generalmajor der Polizei, 1928 NSDAP (Nr. 75946) Leiter des Amtes VI des RSHA, Leiter der Einsatzgruppe A, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Ostland in Riga
nach 1945: 1948 von einem amerikanischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt, 1951 zu zehn Jahren begnadigt, kurze Zeit danach freigelassen, selbständiger Wirtschaftsjurist (inzwischen verstorben)
Polizeibataillon 309 (Köln): Auf sein Konto geht auch die Verbrennung von 700 Juden in der Synagoge von Bialystok am 27.06.1941
Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb,
zur Zeit der Judenerschießungen noch Chef der Heeresgruppe (H.Gr.) Nord.
Generalmajor der Pioniere, Walter Bruns,
Kommandeur des Brückenstabes Riga, (er hatte eine schriftliche Dienstmeldung über die ihm unerklärliche Schießerei und Schreierei angefertigt und diese Admiral Canaris, dem Chef der Abwehr, und dem Generalobersten Halder im Oberkommando
des Heeres noch im Dezember 1941 zugeleitet.
Das Ergebnis dieser Intervention: Der Vertreter des zivilen Gebietskommissars informierte den General Bruns diskret und heimlich über den Befehl, der den Bedürfnissen des Heeres nach Entlastung Rechnung trug: Derartige Massenerschießungen
müssen in Zukunft in unauffälliger Form erfolgen.)
Viktor Arajs, der Anführer des Erschießungskommandos, er geriet nach 1945 in britischeKriegsgefangenschaft. Die Militärregierung setzte ihn schon bald auf freien Fuß, übergab ihre Akten der deutschen Justiz und stellte Arajs als Fahrer an. Sie ließ ihn sogar nach London fahren, wo er von der lettischen Exilregierung einen falschen Paß erhielt. Arajs wurde erst 1975 in Frankfurt verhaftet und vom Landgericht Hamburg wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 13.000 Menschen zu lebenslanger Haftverurteilt.
Herbert Cukurs (Henker von Riga)
Dr. Walter Stahlecker
Leiter des Einsatzkommandos 2 und Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS)
Friedrich Jeckeln,
SS und Polizeiführer (HSSPf) Nordost wurde von einem sowjetischen Militärgericht
verurteilt und am 3. Februar 1946 hingerichtet
SS-Hauptsturmführer und Kommandant des Rigaer Ghettos, Eduard Roschmann zog nach 1945 nach Argentinien und bewegte sich dort offen.
Hauptmann Oberwinder Heinrich
Leiter der lettischen und deutschen Polizei in Rumbula
Lieutenant Jahnke Friedrich
Er war ein tatkräftiger Organisator und Verwalter der lettischen Schutzmannschaften.
Er war an der ersten Rumbula Aktion beteiligt, und beaufsichtigte Dezember 1941 die Räumung des zweiten Ghettos und begleitete die Juden zu den Rumbula Gruben
Gerhard Maywald
Arno Besekow.
Erhard Grauel
Bei der Deportation nach Riga hatte die begleitende Mannschaft gleich nach der Ankunft miterlebt, wie Juden erschossen wurden. Überdies waren hannoversche Gestapo-Angehörige zeitweise abgeordnet zum Judenmord hinter der Ostfront, kamen dann wieder. Nach dem Krieg wurde in der Regel selbst das Wissen darüber abgestritten.
Namensliste Transport am 13.12.1941 ab Münster - Osnabrück - Bielefeld – Ghetto Riga
Namensliste Opfer Ghetto Riga
Namensliste der Täter
Evakuierung
Als Auffanglager, in dem sich die zur Evakuierung bestimmten Juden am Vortag der Abreise einzufinden hatten, dienten jüdische Gemeindehäuser, angemietete Säle oder Hallen, in denen manchmal Doppelstockbetten, manchmal nur Liegestühle oder Strohschütten für die Übernachtung bereit standen. Finanzbeamte sammelten und überprüften die achtseitige Vermögenserklärung. Gemäß der eigens dazu geschaffenen 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verlor jedermann mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland die deutsche Staatsangehörigkeit, zugleich fiel das Vermögen beim Überschreiten der Grenze an den deutschen Staat. Auch Auschwitz im okkupierten Oberschlesien wurde wenig später eingestuft als Ausland im Sinne der Elften Verordnung. Bei Deportierungen nach Theresienstadt, das als Protektorat dem Deutschen Reich eingegliedert war, konnte wie auch bei Deportationen vor diesem Datum nicht auf diese Bestimmung zurückgegriffen werden. Um den Schein einer Legalität zu wahren, wurden für Deportationen nach Theresienstadt Gerichtsvollzieher hinzugezogen, die den im Sammellager Wartenden eine förmliche Verfügung zustellten, die auf gesetzliche Bestimmungen von 1933 über Einziehung des volks- und staatsfeindliches Vermögens zurückgriff.
Die vorgesehenen Personen wurden ab dem 18. November von der Gestapo über ihre Evakuierung am 13. Dezember benachrichtigt.
Detailliert wurde vorgeschrieben, was pro Person mitgenommen werden musste:
Zahlungsmittel bis 50 RM in Reichskreditkassenscheinen (für den Fahrpreis)
ein Koffer,
Bettzeug mit Decken,
Verpflegung für 3. Tage
Essgeschirr mit Löffel
was nicht mitgenommen werden durfte
Wertsachen jeder Art außer Ehering
Wertpapiere
Urkunden
Verträge
Messer
Gabel
Rasierzeug
was anheim gestellt war
z.B. Kanonenofen
Handwerkszeug
insgesamt maximal 50 kg Großgepäck und Handgepäck
Die Fahrkosten hatten die Deportierten selbst zu tragen.
Ab dem 11. Dezember wurden die jüdischen Mitbürger verhaftet und unter anderem im Saal des Lokals Gertrudenhof an der Warendorfer Straße in Münster eingesperrt
Im Spritzenhaus Leopoldstaler Straße in Horn
Am 11.12.1941 brachten Polizeibeamte die Menschen in den Saal der Gaststätte Kyffhäuser am Kesselbrink in Bielefeld einem belebten Platz mitten in der Stadt. Auch wenn die Presse weder über das Sammellager noch über die bevorstehende Deportation berichtete, wusste die Bevölkerung von der Aktion. Am helllichten Tage wurden die Menschen per Autobus zum Bahnhof transportiert und mussten dort in einen aus Münster kommenden Zug einsteigen. Dieser erreichte vier Tage später das Ghetto im lettischen Riga. Nur 48 Menschen überlebten diese Deportation, unter ihnen 6 Juden aus Bielefeld.
Judenhaus Coesfelder Straße 39 Dülmen
Sie kamen aus
Ahaus i.Westf.
Ahlem 14
Altenbeken 4
Altenberge 1
Alverdissen 3
Bergkirchen 1
Berlin 9
Beverungen 9
Bielefeld 61
Billerbeck 7
Bocholt 21
Bohmte 2
Borgholz 4
Borghorst 9
Borken 2
Bösingfeld 1
Brakel 3
Bückeburg 8
Buer 1
Bünde 5
Burgsteinfurt 11
Coesfeld 16
Detmold 8
Dorsten 3
Dortmund 3
Drensteinfurt 9
Dülmen 8
Epe 6
Essen 2
Essentho 2
Freckenhorst 4
Freren 4
Frille 2
Fürstenau 18
Gescher 20
Gildehaus 5
Gladbeck 1
Gronau i. Westf. 2
Güstrow 1
Gütersloh 4
Haaren5
Hagenburg 1
Hamburg 2
Hamm i. Westf. 6
Harsewinkel 1
Haselünne 17
Hausberge a. d. Porta 15
Havixbeck 1
Herbern 1
Herford 21
Herzlake 2
Heuerßen 1
Hopsten 4
Horn 4
Höxter 17
Husen 4
Hüsten 1
Kostedt 4
Laer 11
Lathen 1
Leer 4
Legden 2
Lemgo 1
Lengerich 14
Lingen 5
Lindhorst 1
Lippspringe, Bad 1
Lübeck 1
Lüdinghausen 3
Mannheim 4
Meppen 8
Minden 15
Münster i.Westf.
Neuenhaus 4
Neuhaus 5
Nieheim 4
Nienborg 1
Nordhorn 6
Oelde 9
Oerlinghausen 2
Osnabrück 32
Ossendorf 8
Ottenhausen 1
Paderborn 14
Papenburg 6
Petershagen 6
Quetzen 6
Raesfeld 2
Recklinghausen 1
Rhede 1
Rheine 13
Rimbeck 8
Rösehöfe 3
Rüthen 1
Salzkotten 4
Schötmar 10
Schüttorf 3
Soest 5
Sögel 32
Stadthagen 6
Stadtlohn 9
Südlohn 12
Telgte 1
Unna 1
Velen 2
Vinsebeck 2
Vlotho 4
Volmerdingsen 4
Vörden 5
Vreden 6
Wadersloh 1
Warburg 13
Warendorf 8
Werne a. d. Lippe 2
Weseke 10
Wiedenbrück 1
Witten 2
Wolbeck 14
Wulfen 1
Berichte
Drensteinfurt
Die Fahrtroute für den Abtransport der Juden war so festgelegt worden, dass die Drensteinfurter zuletzt abgeholt werden sollten. In dem Fahrplan waren als Stationen in dieser Reihenfolge vorgesehen: Lüdinghausen, Bork, Werne, Herbern, Drensteinfurt, Münster. Die Fahrt sollte 7.30 Uhr in Lüdinghausen beginnen und mit der Ankunft in Münster 11.45 Uhr beendet sein. Für die Evakuierungsaktion in jedem der genannten Orte waren nur 15 Minuten vorgesehen. Als Transportmittel für die 25 Juden des Kreises, davon allein 10 aus Drensteinfurt, waren ein Omnibus und ein Lastwagen vorgesehen. Nach Augenzeugenberichten wurden die Drensteinfurter Juden gegen Mittag auf einem offenen Lastwagen abgeholt. Eine nichtjüdische Wohnungsnachbarin der Johanna Salomon versuchte, der Familie beim Tragen des Gepäcks zu helfen. Sie wurde jedoch von einem den Abtransport überwachenden Polizisten daran gehindert. Die 10 Personen mussten sich mit ihrem Gepäck zunächst in einer Reihe an der Straße aufstellen. Emma Terhoch hatte ihre Nähmaschine mitgenommen, da sie glaubte, sich im Arbeitslager durch Schneiderarbeiten ernähren zu können. Nach den vorliegenden Quittungen, die von einem Nordkirchener Polizeimeister ausgestellt wurden, nahm man den Drensteinfurter Juden insgesamt 248,05 RM ab. Der größte Teil der Summe, nämlich 225 RM, stammte aus dem Besitz der Schwestern Terhoch. Nach einer Aufstellung über die für jede Person mitzuführende Summe von 50 RM belief sich der Gesamtbetrag für die Drensteinfurter Juden auf 500 RM. Dieses Geld wurde dem Transportführer in Münster ausgehändigt. Die Fahrt von Lüdinghausen nach Münster führte die Verkehrsgesellschaft für den Kreis Lüdinghausen und eine Firma aus Senden durch. Die Verkehrsgesellschaft forderte 84 RM für die Sonderfahrt. Die Sendener Firma berechnete 56,41 RM für den Transport mit ihrem LKW. Die anteiligen Kosten für Drensteinfurt beliefen sich auf 28,11 RM.
(Bericht der Herta Herschcowitsch über ihren Weg durch die Vernichtungslager)
Bericht Jacob Therese geb. Block * 15.01.1889 in Petershagen
Bielefeld
Die SD-Hauptaußenstelle Bielefeld berichtet am 16.12.1941 über diesen Transport: Abtransport von 400 Juden aus dem Regierungsbezirk Minden. Am Donnerstag, den 11.12.1941 begann im hiesigen Bereich die Aktion zur Verschickung der ersten jüdischen Familien nach Riga. Gegen zehn Uhr trafen die ersten jüdischen Familien in Bielefeld ein und wurden im Kyffhäusersaal am Kesselbrink untergebracht. Nach zweitägigem Aufenthalt, der zu Durchsuchungen, Gepäckkontrolle u. dgl. benutzt wurde, ging der Transport am Samstag um 15 Uhr ab.
Obwohl diese Aktion von seiten der Staatspolizei geheim gehalten wurde, hatte sich die Tatsache der Verschickung von Juden doch in allen Bevölkerungskreisen herumgesprochen. Dementsprechend war auch eine Vielzahl von stimmungsmäßigen Äußerungen zu erfassen. Es muß festgestellt werden, daß die Aktion von dem weitaus größten Teil der Bevölkerung begrüßt wurde. Einzeläußerungen war zu entnehmen, daß man dem Führer Dank wisse, daß er uns von der Pest des jüdischen Blutes befreie. Erstaunen zeigte man vielfach in der Bevölkerung, daß man den Juden zum Transport nach dem Bahnhof die gut eingerichteten städtischen Verkehrsautobusse zur Verfügung stellte.
Berichte aus Bocholt
Am 30. Oktober 1941 forderte die Staatspolizeileitstelle Münster von den Kreisen und kreisfreien Städten ihres Bezirks eine Aufstellung der im dortigen Bereich noch ansässigen Juden an.
Dieses Schreiben ging auch an den Oberbürgermeister in Bocholt.
Anhand der Eintragung in der Stadtchronik vom 11. Dezember 1941 muß darauf geschlossen werden, daß diese Liste 24 Namen umfaßte.
Am 18. November 1941 erließ die Staatspolizeistelle Münster Anordnungen für die Evakuierung der Juden. Nach diesen war ihr Vermögen, das ab dem 15. Oktober 1941 durch die Geheime Staatspolizei beschlagnahmt worden war, in Erklärungen zu erfassen, die in doppelter Ausfertigung auszufüllen waren.
Ebenso wurde aufgeführt, was sie mitzunehmen hatten:
Zahlungsmittel bis zu 50,- RM in Reichskassenscheinen.
Ein Koffer mit Ausrüstungsstücken (kein Sperrendes Gut).
Vollständige Kleidung (ordentliches Schuhwerk).
Bettzeug mit Decke. Verpflegung für 3 Wochen (Brot, Mehl, Graupen, Bohnen) (handschriftlicher Zusatz: 10 - 12 Tage reichen. Eßgeschirr (Teller oder Topf) mit Löffel.
Das an die Landräte und den Oberbürgermeister in Bocholt gerichtete Sehreiben endete mit dem Satz
Die Juden sind am 11. (handschriftlich geändert in 10.) 12. 1941 im Laufe des Vormittags in Münster, Warendorferstr. Lokal Gertrudenhof, zu übergeben.
Die Stadtchronik berichtet von der Deportation:
Auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei wurden 26 Juden aus Bocholt nach Riga deportiert. Der Abtransport erfolgte am heutigen Tage, vormittags, durch einen von der Polizeiverwaltung in Bocholt zur Verfügung gestellten Omnibus. Das Gepäck wurde durch einen Anhänger eines Lastkraftwagens nach Münster transportiert. Die Kosten übernahm die Geheime Staatspolizei.
Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbucher usw., Wertsachen jeder Art (Gold, Silber, Platin, mit Ausnahme des Eheringes) durften nicht mitgenommen werden.
Es war den deportierten Juden ferner anheim gestellt, Handwerkszeug (Spaten, Hacken, Schuppen usw.) mitzunehmen. Die Mehrzahl der Juden hat diese Werkzeuge auch mitgenommen. Fahrräder, Ferngläser, Schreibmaschinen, Fotoapparate usw., über die sich die Geh. Staatspolizei das Verfugungsrecht vorbehalten hat, wurden bei der Ortspolizeibehörde vorläufig sichergestellt.
Zwischen 7 00 Uhr und etwa 8.30 Uhr fuhr der von der Ortspolizeibehörde zur Verfugung gestellte Bus an den Häusern vor, in denen die 24 Juden wohnten
Dies waren die Häuser Bahnhofstraße 16 wo Martha und Berthold Löwenstein, Annemarie und Paul Löwenstein sowie Leopold Markus den Bus besteigen mußten.
Königstraße 9 hier wurden Rahel und Adolf Blumenthal mit den Stiefkindern Edith und Manfred Zytnik sowie Simon Blumenthal aus dem Haus geholt
Niederbruch 20 oder 20 b (Hilde, Meta, Selma und Isidor Metzger)
Haus Stiftstraße 32, wo Henny, Paul und Max Hochheimen Cilli-Lila, Ernst, Leo und Otto Landau sowie Max Marcus in den Bus steigen mußten.
Aussage von Luzia Sundermann
Ich fuhr, wie an fast jedem Morgen, durch den Niederbruch zur Liebfrauenkirche. Dabei fiel mir an diesem kalten Dezembermorgen sofort eine Gruppe Männer auf, die vor dem Haus der Familie Metzger stand. Die Männer hatten Abzeichen am Arm. Als ich näher kam sah ich, daß sie Metzgers aus dem Haus holten. Dabei wurden sie geschlagen; die Frauen weinten. In den Gesichtern der Juden stand Angst, sie sträubten sich. Doch die Männer schrieen sie an. Sie schlugen noch die Scheiben ein. Die Juden mußten in den Bus einsteigen."
Die im Haus Schwartzstraße 14 wohnenden Ehepaare Speyer und Steinberg wurden wahrscheinlich zur Polizeidirektion Münsterstraße 76 befohlen. Denn an diesem Tag sah eine Verkäuferin aus dem gegenüberliegenden Lebensmittelgeschäft, wie mehrere Personen zur Polizeidirektion kamen. Eine Kundin erwähnte, daß die Personen, die in einen auf dem Königsmühlenweg stehenden Bus einstiegen, Juden seien.
Bernard Steinberg unternahm wie die Stadtchronik vermerkt wenige Minuten vor der Abfahrt des Busses einen verzweifelten Versuch, seine Frau, seine Schwiegereltern und sich selbst vor der Deportation zu retten, da er im kriegswichtigen Interesse tätig wäre. Er setzte sich deshalb mit einem Berliner Bekannten, der Verbindung zum Reichssicherheitshauptamt in Berlin hatte, durch ein Blitzferngespräch in Verbindung, das 184,-- RM kostet. Die Geheime Staatspolizeileitstelle in Münster teilte auf fernmündliche Anfrage mit, daß von einer Nicht-Evakuierung der Juden Speyer und Steinberg nichts bekannt sei, ist als Ergebnis dieses Telefongesprächs in der Stadtchronik verzeichnet.
Zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr verließ der Bus Bocholt und war um etwa 11.00 Uhr am Sammellager im ehemaligen Restaurant Gertrudenhof an der Kreuzung Warendorfer Straße/Kaiser-Wilhelm-Ring in Münster. Hier trafen in den nächsten Tagen bis zum 12. Dezember 1941 insgesamt 403 Menschen aus dem ganzen Regierungsbezirk Münster ein.
Bericht von Siegfried Weinberg aus Münster
Siegfried Weinberg, ein damals 22jähriger Automechaniker aus Münster und unter den Deportierten, schrieb in seinem 1944 nach der Befreiung Rigas durch die Rote Armee verfaßten Bericht:
Am 11. Dezember 1941 wurden meine Schwester und ich wie auch alle anderen Juden von Beamten der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Sodann wurden wir in dem großen Restaurant Gertrudenhof (in Münster i. W.) unter Bewachung konzentriert. Hier findet nun eine große Gepäck- und Leibesvisitation statt. Messer, Scheren, Rasierklingen, Toilettenartikel, Lebensmittel und Wäsche wurde bis auf etwas Wäsche und Lebensmittel abgenommen.
Am 12. Dezember 1941 abends um 11 Uhr begann der Abtransport zum Güterbahnhof.
Ca. 35 - 40 Personen wurden in kleine Omnibusse mit Handgepäck hineingezwängt und zum Bahnhof befördert. Der Sadismus und die teuflische Lust der Gestapo am Quälen zeigte sich hier.
Lassen Sie mich die Nacht kurz schildern:
Stockfinster liegt die Nacht. Es regnet. Zwei schwere Tage liegen hinter uns. Denn ich bin ein junger, gesunder Bursch, und ich hielt es für meine Pflicht, einzuspringen und zu helfen, den vielen Familien mit Kindern und alten, kränklichen Menschen. Auch so waren meine Gedanken an die letzten, vergangenen Stunden, währenddessen ich eingezwängt im Omnibus stand. Da knirschten die Bremsen, doch noch hielt der Wagen (noch) nicht richtig, da wurden schon die Türen aufgerissen. Die Gestapo-Banditen fingen an zu rasen. Verfluchte Hunde, seid ihr noch nicht raus, aber schnell. sonst hagelt es usw. Die älteren Leute wurden natürlich aufgeregt und wir Jungen warfen unser Gepäck beiseite und halfen, was nur zu helfen war, doch die Schläge hagelten auf uns nieder.
Aber willenlos mußten wir alles über uns ergehen lassen. Bis zum Morgengrauen waren dann 400 Juden aus dem Bezirk Monster i./Westf. in Personenwagen 3. Klasse zu je 8 - 10 Personen pro Abteil untergebracht. Die Türen des Waggons wurden daraufhin verschlossen. Um 10 Uhr morgens am 13. Dezember setzte sich der Zug in Bewegung. Die Fahrt ging dann nach Bielefeld (Westf.), wo auch ein Zug von ebenfalls 400 Juden angehängt wurde, sodann weiter nach Osnabrück, wo ein Transport von 200 Juden angehängt wurde.
Dülmen
Die männlichen Juden aus Dülmen sollten mit dem Sonderzug am 17. November 1938, der laut Fahrplan um 20.29 in Dülmen halten sollte, in das Konzentrationslager Sachsenhausen überführt werden.
Eine Überstellung der Dülmener Juden in das KZ Sachenhausen fand aufgrund der dortigen Überfüllung nicht statt.
Am 11. Dezember 1941 wurde der jüdische Metzgermeister Josef Salomon mit sieben weiteren jüdischen Mitbürgern bei Nacht und Nebel aus Dülmen von der Gestapo abgeholt.
Ahlem
Vor dem Transport waren sie 3 Tage in drangvoller Enge in der Turnhalle
der Schule untergebracht. Alle Wertsachen wurden ihnen gleich am ersten Tag abgenommen, so dass sienichts mehr besaßen außer ihren Kleidern, die sie am Leib trugen. Der Abtransport erfolgte dann vom Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden
Münster
Am 12. Dezember gegen 23.00 Uhr begann in Münster der Abtransport zum Güterbahnhof, geleitet von Dr. Bast von der Gestapo.
Augenzeugen berichten:
Ca. 35-40 Personen wurden in kleine Omnibusse mit Handgepäck hineingezwängt und zum Güterbahnhof befördert.
Noch hielt der Wagen nicht richtig, da wurden schon die Türen aufgerissen. Die Gestapo-Banditen fingern an zu rasen. Verfluchte Hunde, seid ihr noch nicht raus, aber schneller, sonst hagelt es usw. Die älteren Leute wurden natürlich aufgeregt, und wir Jungen warfen unser Gepäck beiseite und halfen, was nur zu helfen war, doch die Schläge hagelten auf uns nieder. Aber willenlos mußten wir alles über uns ergehen lassen.
Um 10 Uhr morgens am 13. Dezember 1941 setzte sich der Zug aus Münster in Bewegung.
In Osnabrück kamen ca. 200 Menschen hinzu, in Bielefeld 400 aus dem Regierungsbezirk Minden. Um 15 Uhr verließ der Zug Bielefeld, bewacht von einem Begleitkommando der Ordnungspolizei in der Stärke ein Führer, 12 Mann. Dieser ersten Deportation aus Münster folgten noch drei weitere: am 27.01.1942 über Dortmund nach Riga, am 31.03.1942 nach Warschau, am 31.07.1942 nach Theresienstadt. Nur Henriette Hertz, ehemalige Schülerin des Annette-Gymnasiums und Tochter des Rechtsanwalts Dr. Albert Hertz aus Münster, konnte 1942 noch untertauchen. Sie überlebte in der Illegalität.
Ein Transportzug aus Berlin traf vorzeitig am 30. November 1941 bei Riga ein alle 1.053 Insassen wurden im Wald von Rumbula erschossen.
Am 15. Dezember gegen 23 Uhr traf der Zug aus Westfalen im Rangierbahnhof Skirotawa südöstlich von Riga ein. Die weiterhin in ihren Abteilen eingeschlossenen Menschen mußten den Zug am 16. Dezember 1941 um 9.00 Uhr verlassen.
Es lag tiefer Schnee. Shirotava war kein Bahnhof sondern eine Station für Frachtgut; die Ankunft fand auf einer Rampe statt. Erschießungen und Prügel, verbunden mit Kommandos, erzeugten unter den physisch und psychisch erschöpften Juden, die den letzten Rest ihrer Habe zurücklassen mußten, die von der SS gewünschte Ohnmacht und Panik. Ein großer Teil der Ankommenden wurde direkt von Shirotava in den Bikernieki-Wald an die Erschießungsgruben getrieben oder transportiert. Schon auf dem Weg dorthin fanden Erschießungen statt.
Das Ghetto von Riga war kein Konzentrationslager nach dem Muster der KZs, wie sie in Deutschland errichtet worden waren. Es gab keine Baracken, keine Kapos, keine Häftlingskleidung und keine eintätowierten Nummern. Die Familien durften zunächst beisammen bleiben.
Aber es fanden wiederholt Selektionen statt, bei denen die Ghettoverwaltung auswählte, wer zu jung, zu krank, zu schwach oder zu alt war, um eine produktive Arbeitskraft im Sinne der deutschen Arbeitseinsatzverwaltung zu sein.
Das für Lettland zuständige, 170 Mann umfassende Einsatzkommando 2 stützte sich dabei auf das Kommando Arajs, die lettische Hilfspolizei, deutsche Ordnungspolizei, die Ortskommandanturen der Wehrmacht und die deutsche Zivilverwaltung. Die Menschen, die bei diesen Kontrollen ausgewählt wurden, erschoss man im Wald von Bikernieki oder man vergaste sie auf dem Weg dorthin in speziell konstruierten Gaswagen, die das Reichssicherheitshauptamt stellte.
Zwischen dem 12. Januar und dem 10. Februar 1942 trafen mehr als 10.000 weitere Juden aus dem Großdeutschen Reich in Riga ein.
Nicht alle Juden lebten ständig im Ghetto. Den Charakter einer Außenstelle hatte von vornherein das Lager Jungfernhof. Jungfernhof sollte ein Mustergut für die deutsche Ostkolonisation werden: ein großes Gut mit deutschen Besitzern und Sklavenarbeitern als Arbeitskräften.
Von 2.000 im Winter deportierten lebten im Sommer noch 450 Jüdinnen und Juden, die das Land bestellten die anderen waren auf Grund der unvorstellbaren Lebensverhältnisse oder bei Selektionen ums Leben gekommen. Weitere Außenlager gab es bei Fabriken.
Temporäre Lager wurden bei Großbaustellen oder zum Torfstechen eingerichtet.
Allerdings machten SS-Stellen der Zivilverwaltung immer wieder deutlich, dass die wirtschaftliche Ausbeutung der Juden nicht im Vordergrund stehen könne.
Vorsitzender des Ältestenrat der Reichsjuden im Ghetto zu Riga war Max Leiser aus Köln.
Der Ertrag der Zwangsarbeit war für die überzeugten Judenmörder eher so etwas wie eine Zugabe zur Vernichtung.
Deswegen änderte sich nichts wesentliches, als das Ghetto aufgelöst wurde und die mehr oder weniger systematische Ausnutzung jüdischer Arbeitskraft mit der Errichtung des Konzentrationslagers Kaiserwald und seiner Außenlager vollends Sache der SS wurde.
Himmler ließ das Ghetto Riga zunächst, möglicherweise von Jeckeln initiiert, am 2. April
1943 rückwirkend zum 13. März in das Konzentrationslager Riga umwandeln, was einen Vorteil gegenüber der Zivilverwaltung und einen Machtzuwachs des HSPFF bedeutete. Am 21. Juni ordnete er an, dass Juden im Reichkommissariat Ostland ausschließlich in Konzentrationslagern zusammenzufassen seien. Vermutlich im März 1943 begannen die Bauarbeiten im Rigaer Villenvorort Mezaparks (Kaiserwald).
Im Juni 1943 bestand das KL Kaiserwald aus höchstens je vier Baracken für Männer und Frauen, wesentlich erweitert wurde das Lager danach nicht mehr.
Trotz der bisherigen Erfahrungen verschlimmerte sich die Situation der hier eingelieferten Häftlinge aus deren Sicht noch. Die Einweisung der ersten Häftlinge im Juli 1943 leitete die Auflösung des Ghettos ein, zahlreiche weitere Juden wurden bei ihren Arbeitsstätten kaserniert. Auch in den kleineren Lagern herrschte Willkür.
Im Gesamtgeschehen dominieren die Einzelmorde aus Tötungslust, zur Bestrafung oder zur Abschreckung. Am 2.
November 1943 trieb die Sicherheitspolizei, während die Arbeitskräfte das Ghetto verlassen hatten, alle
Kinder und Kranken zusammen und deportierten sie nach Auschwitz, im März 1944 kam es zu einer
Kinderaktion in Kaiserwald. Dort und in Salaspils fand das Morden kein Ende.
Ende September wurden die Lager evakuiert, der letzte Transport stach am 10. Oktober 1944 in See, Zielhafen
war Danzig, die Häftlinge wurden ins Konzentrationslager Stutthof gebracht; manche von ihnen wurden hier noch zum Opfer der letzten Vergasungen. Andere mussten während der Evakuierung des Lagers noch weiterziehen.
Zeitzeugen berichten aus dem Lager
Nachdem die Deportierten des ersten Zuges aus Berlin am Morgen des 30. November in Rumbula erschossen worden waren, nachdem die Insassen der vier nächsten Züge in das wenige Kilometer entfernte mörderische Lager Jungfernhof gekommen waren, war nun Platz geschaffen für die weiteren aus dem Reich anrollenden Züge.
SS-Männer mit Hunden, Peitschen, Eisenstangen trieben am Morgen des 16. Dezember die Menschen aus dem Bielefelder Zug durch den Schnee zum 5 km entfernten Ghetto.
Dort waren schon Transporte aus Köln, Kassel und Düsseldorf angekommen. Bis Anfang Februar folgten je drei Transporte aus Berlin und Wien, zwei aus Theresienstadt, je einer aus Hannover, Leipzig und Dortmund.
Weil die meisten der aus Westfalen Verschleppten in der Straße gegenüber dem alten jüdischen Friedhof einquartiert wurden, hieß diese Straße dann Bielefelder Straße bzw. Bezirk; um die Ecke lag dann die Dortmunder, Kölner, Düsseldorfer Straße (hierhin kam Familie Goldenberg aus Münster), die Prager, Leipziger, Berliner Straße.
Die Wohnbezirke bildeten 10 Gruppen, mit jeweils einem Ältestenrat, Proviantmeister und Leiter des Arbeitseinsatzes. Max Leiser aus Köln war Ghettoältester, Vorsitzender des Ghettorates, dem einige Zentralämter (Arbeitseinsatz, Kleiderkammer) zugeordnet waren.
Umgeben von einem ca. 3 m hohen, doppelt gezogenen Stacheldrahtzaun, bewacht durch deutsche Schutzpolizei und lettische Hilfspolizei entstand hier für 22 Monate das größte Reichsjudenghetto im ganzen Osten.
Die damals 14jährige Irmgard Heimbach wurde mit sieben anderen Osnabrückern in Raum 14 des Gebäudes B (Bielefelder) 7 einquartiert. Ihre ersten Eindrücke: Es waren eingerichtete Wohnungen, aber in einem wüsten Durcheinander. Die Möbel und Kleidungsstücke waren durcheinander geschmissen, die Töpfe standen auf dem Herd, das Essen auf dem Tisch. Allerdings waren die Speisen zu Eis gefroren.
Spuren des Rigaer Blutsonntags.
Die meisten Häuser befanden sich in einem äußerst baufälligen. Zustand, die Wohnungen waren verwahrlost, die hygienischen und sanitären Verhältnisse katastrophal. In einem Bericht der deutschen Gesundheitsbehörde vom 03 02.1942 wurden sämtliche Wohnungen als so völlig verlaust und verwanzt bezeichnet, daß eine akute Seuchengefahr für ganz Riga zu befürchten sei.
Die Essensrationen reichten kaum zum Überleben: 100, maximal 200 g Brot pro Tag, zum Teil verschimmelt; gefrorene Kartoffeln, Kartoffelschalen, Fischköpfe, Bücklingsabfälle, Rhabarber- und Roten-Rüben-Blätter, Spinat- und Kohlabfälle, manchmal schon stinkend und verdorben.
Besonders die älteren Menschen starben an Hunger, Kälte und Krankheit.
Arbeitsfähige wurden auf die verschiedenen Arbeitskommandos verteilt: Frauen zum Schneeschaufeln in den Straßen Rigas, zu Aufräumungsarbeiten (Wilhelmine Süßkind, damals Cohen aus Coesfeld), zur Reichsbahn (Mutter Heimbach), später zur AEG und in andere Fabriken, Männer in den Exporthafen, zur SS, besonders viele bei der Wehrmacht. Schiffe entladen bei bis zu 40 Grad C ohne entsprechende Kleidung, bei einer Wassersuppe mit einem Kartoffelstückchen und vielleicht zwei Möhrenscheiben als tägliche Essensration das war mörderisch.
Zugleich waren Arbeitskommandos die erste Voraussetzung, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben: Vielleicht begegnete den Häftlingen ein Mensch, der ihnen was zusteckte, leichtere Arbeit gab: vielleicht ergab sich eine Tauschmöglichkeit.
Der Soldat Josef R. aus Dülmen traf 1942 in Riga den Dülmener Metzgermeister Jupp Salomon beim Schneeschippen, mit Lumpen an den Füßen und kaum noch wieder zu erkennen. Sprechen durften sie nicht miteinander. Der Soldat besorgte Butterbrote und ließ sie in Jupps Nähe fallen. Das wiederholte sich am nächsten Tag. Danach sah Josef R. den Dülmener nie mehr wieder.
Wehe, jemand wurde mit Getauschtem ertappt!
Julie Salomons aus Münster, 46 Jahre, arbeitete bei der Heeresbekleidung und hatte von dort Socken mitgebracht. Bei der abendlichen Kontrolle am Ghettotor wurden die Socken bei ihr entdeckt, sie kam ins Ghettogefängnis. Kommandant Krause, der offenbar einen guten Tag hatte, entließ sie. Auf Befehl des Kommandeurs der Sicherheitspolizei Dr. Lange wurde sie wieder verhaftet. Irmgard Heimbach sah aus ihrem Zimmer in B 7, wie Frau Salomons von Krause, seinem Adjutanten Gymnich und Ghettopolizisten über die Bielefelder Straße zum alten jüdischen Friedhof geführt wurde. Kurz darauf hörte sie die Schüsse. Die Tochter Selma lief schreiend aus B 7 hinter ihrer Mutter her, wurde bald aber wieder zurückgebracht.
Frau Salomons starb an dem Ort, wo Kommandant Krause fast täglich 1-3 Menschen per Genickschuss ermordete. Lilo Stern aus Münster: Wie ein Lauffeuer verbreitete sich immer, wenn Krause nahte. Alle verschwanden dann sofort von der Straße
Verboten war bei Todesstrafe:
Verlassen des Ghettos, Kontaktaufnahme durch den Zaun, Besitz von Wertgegenständen, Tauschhandel, Kinder gebären. Ein Großteil der Opfer im Ghetto wurde erhängt. Abends mußten die Arbeitskommandos am Galgen, der auf dem Blechplatz stand, vorbeiziehen der Abschreckung wegen. Wer nicht hochsah, bekam Prügel.
Sondeaktionen im Wald von Rumbula
Nach Aussagen von Tatzeugen wimmelte es auf dem Erschießungsgelände regelrecht von Uniformierten: Den 10-15 Schützen sahen viele hundert zu, auch Wehrmachts- und Polizeioffiziere sowie Angehörige der Zivilverwaltung.
Da stand diese Kiste, in die wir die Schmucksachen werfen mußten. Da waren diese Berge von Schuhen, Mänteln, Hosen und Kleidern. Alles schön getrennt, nach deutscher Ordnung. Wir wurden verhöhnt und geschlagen. Wir weinten, und die waren alle besoffen. Cukurs (lettischer Kriegsverbrecher, der vom israelischen Geheimdienst Mossad 1965 in Uruguay umgebracht wurde ) schrie: Das sind alles Saujuden, heute muß das Blut der Juden fließen.
Noch abends meldeten der sowjetische und der britische Rundfunk das Massaker, das auch in Riga tagelang Stadtgespräch war.
Um die Spuren der Verbrechen zu tilgen, grub nämlich 1944 ein SS-Sonderkommando die Massengräber aus und verbrannte die Überreste der Opfer. Und noch die dabei übrigbleibenden Knochen wurden mit Knochenmühlen zermahlen. Wir hatten Angst vor dem Kommando Stützpunkt. Das bedeutete, die Ermordeten von Rumbula auszugraben und zu verbrennen. Anschließend wurde das Arbeitskommando jeweils selbst verbrannt. Wir hatten Angst vor den SS-Führern Jeckeln und Krause, die uns auf der Straße abknallten, wenn ihnen danach zu Mute war. Wir hatten Angst vor der Bunker-Haft. 90 Prozent von denen, die hineingeschickt wurden, kamen tot heraus. So lebten wir im Ghetto. 1942 und 1943, anderthalb Jahre. Sein Leidensweg danach dauert noch einmal solang. Abram Kit wird das KZ Kaiserwald und Strassenhof überleben. Er wird ins KZ Stutthof geschafft und im letzten Kriegswinter auf den Todesmarsch getrieben. Er sieht, wie viele Häftlinge nicht mehr gehen können und am Straßenrand erschossen werden.
Arbeitserziehungslager Salaspils:
Schon am 22. Dezember 1941 waren 500 Männer aus den Transporten Münster/Osnabrück/Bielefeld und Hannover, unter ihnen Siegfried Weinberg und Vater Heimbach, zum Arbeitserziehungslager Salaspils 18 km südöstlich von Riga getrieben worden. Zunächst waren die Männer beim Barackenbau eingesetzt.
Bericht von Siegfried Weinberg
Eine Baracke für 500 Männer war ca. 12 m breit und ca. 20 m lang. Die Kojen waren in fünf Stockwerken übereinander gebaut. Jede Koje war ca. 75 cm hoch. In diesen Kojen wurde nun geschlafen, gegessen und während der Freizeit sich aufgehalten. Die hygienischen Verhältnisse waren menschenunwürdig. Ohne Mantel und Handschuhe in der Baracke sich aufzuhalten, war unmöglich, da in der Baracke eine Temperatur von 1-3 Grad war. Die Eiszapfen hingen von der Decke herab
Im Lager war nur eine Pumpe vorhanden, die aber nur soviel Wasser pumpte, als die Küche zum Kochen benötigte. Wer sich waschen wollte, mußte dies mit Schnee machen. Das ganze Lager war durch Ungeziefer verseucht, Ruhr und Hungertyphus rasten durch das Lager und forderten viele Opfer. Wie lebende Leichen, nur noch ein menschenähnliches Knochengestell, wanderten die Männer durch das Lager. Kauen sich selbst schleppend, mußten Balken und Bretter geschleppt werden ohne Erholungspause. Wagte es jedoch einer, sich wenige Minuten zu erholen und zu verschnaufen, so fuhr (um so) unbarmherziger der Knüppel des Kommandanten oder eines Postens auf ihn nieder. Wer krankgeschrieben wurde, bekam nur 50 % der Ration zugeteilt. Am 2. Januar 1942 wurden die ersten zwei Jungen im Alter von 17 Jahren durch Genickschuss erschossen.
Unter Schlägen und ständigen Todesdrohungen leisteten die Juden in Salaspils härteste Zwangsarbeit. Sie mußten Holz in den Wäldern schlagen, arbeiteten im Sägewerk, Steinbruch, in einer Ziegelei, beim Torfstechen. Salaspils war ein gefürchtetes Todeskommando. Nur wenige Häftlinge überlebten und kehrten krank, zum Skelett abgemagert und völlig verlaust im Sommer ins Ghetto zurück, unter ihnen Achim Laumann/ Oelde, den seine Frau Ellen zunächst nicht wieder erkannte.
Danach blieb Salaspils ein Lagerkomplex für lettische und russische Zivil- und Kriegsgefangene. Ca. 100.000 Menschen sollen hier in deutscher Zeit umgebracht worden sein, darunter 7000 Kinder.
Aktion Dünamünde
Im Ghetto waren inzwischen viele Alte, Frauen und Kinder verschwunden. Was war geschehen?
Anfang Februar bekamen die Ghettokommandantur und die jüdische Verwaltung den Auftrag, für die einzelnen Gruppen Listen der nicht mehr arbeitsfähigen Häftlinge aufzustellen. Offizielle Begründung: in Dünamünde gebe es in einer Fischkonservenfabrik leichte Arbeit und gute Verpflegung.
Nur wenige meldeten sich daraufhin. Am 5. Februar 1942 wurde das Ghetto frühmorgens hermetisch abgeriegelt. Einzelne Gruppen mußten in ihren Wohnstraßen zum Appell antreten. Der jüdische Ordnungsdienst durchsuchte unter Leitung der deutschen und lettischen Ghettowache die Wohnungen und trieb alle Bewohner, auch Schwerkranke, auf die Straße. Als erste wurden die per Liste erfaßten Juden selektiert, dann auch andere Ältere sowie Frauen mit kleineren Kindern. um die Opfer zu täuschen, wurden auch jüdische Sanitäter und Krankenschwestern für den Abtransport bestimmt. Wer sich sträubte oder nicht schnell genug war, wurde brutal mißhandelt, zum Teil wie Vieh auf die Ladefläche geworfen.
Die LKWs und Busse kamen relativ schnell zurück und nahmen neue Opfer auf. Offensichtlich waren sie nicht nach Dünamünde gefahren sondern in den Hochwald, den Wald von Bikernieki, der schon seit dem Juli 1941 als Erschießungsgelände diente. Unter Leitung von Offizieren der Sicherheitspolizei führten ca. 10 Mann des Kommando Arajs die Erschießungen durch. Die Kleidung der Erschossenen wurde teilweise blutbefleckt und mit Einschusslöchern ins Ghetto zurückgebracht. Viele in der Kleiderkammer eingesetzte Juden erkannten die Kleidung ihrer Verwandten und Freunde wieder.
Dieser ersten Dünamünde-Aktion fielen ca. 2000 Menschen zum Opfer, einer zweiten Ende März nochmal mindestens 2000 Menschen. Unter ihnen waren viele Menschen aus Münster.
Hochwald (Wald von Bikernieki)
Die Hausfrau Malwine Stabulnik wohnte direkt am Wald von Bikernieki, dem Hochwald: Karfreitag und Karsamstag 1942 zählte sie 41 Omnibusse, die Menschen in den Wald brachten. Etwa 20 bis 30 Minuten später kamen sie leer aus dem Wald zurück. Tag und Nacht hörten ich und andere Einwohner die Schüsse.
Am Ostersonntag war alles still. Es war schönes und sonniges Wetter. Wie viele andere, so ging auch ich mit meiner Familie in den Wald, uni die Gräber der erst am Tage zuvor erschossenen und völlig unschuldigen Menschen zu sehen. Unter den vielen Gräbern erblickten wir ein offenes Grab, das mit den Leichen Erschossener gefüllt war. Die Leichen lagen unordentlich durcheinander, sie waren nur leicht oder mit Unterwäsche bekleidet. Es waren Frauen und Kinder. Den Leichen war anzusehen, daß die Menschen vor der Erschießung noch brutal misshandelt und gequält worden waren.
Erschossen worden waren auch Juden aus dem Ausland. Das konnte man an den verschiedenen zurückgebliebenen Gegenständen erkennen.
Schon im Januar 1942 hatte ein Forstwärter in Bikernieki viele verstreute persönliche Papiere von Ausländern gefunden zum Beispiel von einem Bochumer Arzt, einem Kölner Lehrer, einer Kinderkrankenschwester und einer Buchhalterin aus Hannover. Woche für Woche verschwanden in diesem Wald die im Ghetto und im Zentralgefängnis Aussortierten, abertausende Deportierte, die direkt vom Zug hierhin transportiert wurden.
46.500 Menschen wurden hier ermordet.
Konzentrationslager Kaiserwald (Frauen bzw. Männerlager, Stutthof (Außenlager)
nicht zu verwechseln mit dem Konzentrationslager Riga-Kaiserwald (Strafvollzugslager der SS und Polizei)
Am 2. November 1943 wurde das Rigaer Ghetto aufgelöst. Sämtliche Kinder mit ihren Müttern sowie Kranke und Alte kamen in einen Zug. Sie wurden nie wieder gesehen.
7874 Ghetto-Häftlinge wurden in das neu errichtete KZ Kaiserwald im Rigaer Norden mit seinen 26 Nebenlagern verlegt, Irmgard Heimbach als Sträfling Nr. 1121 mit ihrer Mutter und vielen anderen Frauen zur AEG. Ruth Weinberg mußte mit ca. 500 Frauen und Männern in den SD-Werkstätten in der ehemaligen Textilfabrik Lenta arbeiten. Nach einem Fluchtversuch wurden im Juli 1944 allen Frauen die Köpfe kahl geschoren, den Männern ein Mittelstreifen auf dem Kopf rasiert. Siegfried Weinberg, der als Auto- und Elektromechaniker zusammen mit sechs lettischen Juden ein Arbeitskommando in der Stadt hatte, tauchte daraufhin mit seinen Kameraden unter. Sie fanden in einer Möbelfabrik Unterschlupf bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Im Krankenrevier des KZ Kaiserwald war Mord an der Tagesordnung: Wer länger als zwei, drei Wochen lag, bekam eine Todesspritze. Ewald Aul, der schwerstkrank ins Revier geraten war, berichtete, täglich seien dort ca. fünf Kranke gestorben.
Der Ort heute
55 Massengräber eingefaßt durch normale Bordsteine sind heute in dem hügeligen Waldgelände zu zählen. Sie liegen innerhalb der damaligen Gruben, die als kleine Lichtungen mit schwächerer Vegetation erkennbar sind. Einzelne Bäume haben Einschußlöcher, andere Brandnarben von den Leichenverbrennungen, die vor dem deutschen Rückzug 1944 durchgeführt wurden, um Spuren zu verwischen. Auf dem Boden immer wieder Verbrennungsrückstände, Knochensplitter, Zähne
Aus Münster wurden 121 Juden nach Riga verschleppt. 114 von ihnen kamen um: gestorben an Entkräftung, Kälte, Quälerei; erschossen auf dem alten jüdischen Friedhof, im Wald von Bikernieki, in Salaspils, in Stutthof, auf den Hungermärschen. (Von insgesamt 299 aus Münster Deportierten überlebten 24).
Das Ehepaar Goldenberg und Verona Goldschmidt kehrten nach Münster zurück, Siegfried Weinberg erst im Jahre 1948. Denn seine Befreiung in Riga im Oktober 1944 war nur von kurzer Dauer gewesen. Im Januar 1945 wurde er verhaftet und ohne jede Verhandlung im März für dreieinhalb Jahre in ein Lager hei Swerdlowsk am Ural gesperrt. Nach stalinistischer Denkart standen überlebende KZ-Häftlinge generell im Verdacht der Kollaboration, und wer verdächtig war, war schnell schuldig.
Im Münsteraner Wohnungsamt traf S. Weinberg auf dieselben Beamten wie 1940/41. 1949 wanderte er, wie Ruth vorher, in die USA aus. Wilhelmine Süßkind, geborene David, kehrte als einzige der Coesfelder Juden dorthin zurück. Ihr Bruder Paul starb in Kaiserwald, ihr Mann Gustav in Libau. Aus ihrer engeren Verwandtschaft fielen allein 17 Menschen den Nazis zum Opfer.
Am Tag der Auflösung des Rigaer Ghettos lebten von den insgesamt 28 Bocholterinnen und Bocholtern, die am 13. Dezember 1941 bzw. 24. Januar 1942 deportiert worden waren, einzig vier Frauen (nämlich Henny Hochheimer, Meta Metzger, Käthe Speyer und Edith Steinberg) sowie Max und Paul Hochheimer. Doch nur zwei von ihnen - Henny Hochheimer und Meta Metzger - gelang es, zu überleben. Sie kehrten im Sommer 1945 aus dem KZ Stutthof bzw. dessen Außenlager Lauenburg (Pommern) in das kriegszerstörte Bocholt zurück.
Eigentlich hätte man nicht zurückkommen dürfen.
Riga heute
Aussage im Treblinka Prozeß 1964/65 Erschiessung eines SS-Mannes in der Nähe von Riga
Aussage im Treblinka Prozeß 1964/65 Der Fall zweier KriminalsekretäreAussage im Treblinka Prozeß 1964/65 Fall Die.
Täter und Einheiten in Riga