Sobibor

Bericht Willy Rink aus Wiesbaden
„Die zur Deportation bestimmten 371 Wiesbadener Juden wurden am Vormittag des 10. Juni 1942 mit Lastautos in ihren Wohnungen abgeholt, zum Hauptbahnhof Wiesbaden gebracht und in den bereitgestellten Zug verladen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt, bei dem weitere Waggons mit 618 Frankfurter Juden und 264 Juden aus Landkreisen im Regierungsbezirk Wiesbaden angekoppelt wurden, fuhr der Zug nicht, wie viele der 1253 Deportierten geglaubt hatten, nach Theresienstadt, sondern nach Lublin in Polen. Dort wurden die Deportierten, soweit sie den tagelangen Transport überlebt hatten, an einer Eisenbahnrampe neben dem “Alten Flugplatz” in Lublin einer Selektion unterworfen. Rund 200 Männer im Alter zwischen 15 und 50 Jahren, die als arbeitsfähig galten, wurden ausgesondert und beim Aufbau des nahegelegenen Konzentrationslagers Majdanek eingesetzt. Alle Frauen, Kinder und die übrigen Männer wurden in die Waggons zurückgetrieben, und der Zug ‚DA 18’ fuhr die Opfer in das Vernichtungslager Sobibór in der Nähe von Lublin

Möglicherweise blieben die älteren Männer, die Frauen und Kinder für wenige Tage im Ghetto von Izbica, bevor sie nach Sobibor weitertransportiert wurden.

Merkblatt

Merkblatt für die bei der Evakuierung am 11. Juni 1942 eingesetzten Beamten.
Aus dem Stapobezirk Frankfurt a. M. werden Juden nach dem Osten evakuiert. Sie sind für die Durchführung dieser Aktion abgestellt und haben sich entsprechend den Anweisungen dieses Merkblattes und der mündlich erteilten Instruktionen zu verhalten. Ich erwarte, daß Sie mit der notwendigen Härte, Korrektheit und Sorgfalt diesen Befehl ausführen.

Ausgewiesen werden nur Volljuden. Staatenlose Juden werden grundsätzlich wie deutsche Staatsangehörige behandelt. Die Juden werden versuchen, Sie durch Bitten oder Drohungen oder sonst etwas weich zu stimmen, oder sich widerspenstig zeigen. Sie dürfen sich dadurch in keiner Weise beeinflussen und in der Ausführung Ihrer Pflichten hindern lassen.

Diese Anweisungen können natürlich nur allgemein sein. Im Einzelfall werden Sie deshalb zu entscheiden haben, was erforderlich ist, um eine ordnungsgemäße Abwicklung zu gewährleisten. Soweit ein Fernsprechapparat in der Nähe ist, können Sie auch bei der Staatspolizeistelle Frankfurt a. M. Rückfrage halten.

Ein Verzeichnis mit den erforderlichen Fernsprechnummern ist beigefügt.
Sie verfahren folgendermaßen:
1. Sie begeben sich zu der festgelegten Zeit in die Ihnen zugewiesenen Judenwohnungen. Falls die Juden Ihnen den Eintritt verweigern und nicht öffnen, bleibt einer von Ihnen an der Wohnung, während der andere sofort das nächste Polizeirevier benachrichtigt. In der Judenwohnung rufen Sie sämtliche Familienangehörige zusammen und verlesen Ihnen die „staatspolizeiliche Verfügung", die Ihnen ebenfalls mit dem Merkblatt ausgehändigt worden ist. Die Juden haben nunmehr in einem Raum zu bleiben, den Sie ihnen anweisen. Ein zweiter Beamter bleibt während der ganzen Ze it mit den Familienangehörigen der Juden zusammen. Sie selbst wenden sich an den Haushatungsvorstand der Judenfamilie.

2. Mit dem Haushaltungsvorstand gehen Sie durch die Wohnung. Soweit geheizte Öfen vorhanden sind, ist nicht mehr nachzulegen. Handelt es sich um Dauerbrandöfen (Kachelöfen oder ähnliches), so ist die Ofentür aufzuschrauben, damit das Feuer noch in der Zeit, die Sie in der Judenwohnung sind, ausgeht. Wenn Sie die Wohnung verlassen, muß das Feuer gelöscht sein.

3. Alsdann machen Sie sich mit dem Haushaltungsvorstand daran, den Koffer oder den Rucksack zu packen. Sie müssen dabei beachten, daß nur das in der „ Staatspolizeilichen Verfügung Vorgesehene mitgenommen wird. Sie sind dafür verantwortlich, daß Wertgegenstände usw., die nach der Verfügung nicht mitgenommen werden dürfen, auch nicht in den Koffer gepackt werden. Der
Koffer ist alsdann von Ihnen mit einem Siegelstreifen zu sichern. Soweit Rückfragen bei anderen Familienmitgliedern erforderlich sind, gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand wieder in den Raum, in dem sich alle Juden aufhalten, zurück und lassen sich sagen, was sonst gepackt werden soll. Notfalls lassen Sie den Haushaltungsvorstand da und gehen mit der Jüdin oder einem anderen Familienmitglied packen. Es muß jedoch auf jeden Fall dafür gesorgt sein, daß die übrigen Familienmitglieder auch unter Aufsicht stehen und nicht einen Augenblick allein sind.

4. Die Wolldecken, die mitgenommen werden dürfen, müssen eingerollt oder doch so gelegt sein, daß sie ohne Schwierigkeiten transportiert werden können.

5. Gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand durch die Wohnung (auch Keller- und Bodenräume) und stellen fest, was an Lebensmitteln (leicht verderblich) und lebendem Inventar in der Wohnung ist. Diese Sachen tragen Sie, wenn sich das möglich machen läßt, mit dem Haushaltungsvorstand auf den Flur zusammen. Sie benachrichtigen die NSV und lassen die Sachen abtransportieren.

6. Wertgegenstände, Sparbücher, Wertpapiere, Schmuckgegenstände und Bargeldbeträge, die über die Freigrenze hinausgehen, hat der Jude zusammenzutragen. Diese Gegenstände oder Werte sind von den Beamten entgegenzunehmen, in ein Verzeichnis einzutragen und in einem Säckchen oder Umschlag zu verpacken. Dieses Behältnis ist zu verschließen und auf der Vorderseite mit Vor- und Zunamen, Wohnort und der Wohnung des Eigentümers zu versehen. Das Verzeichnis ist von dem Beamten und Juden auf seine Vollständigkeit zu prüfen und unterschriftlich anzuerkennen. Das, was mitgenommen wird, ist in dem Verhandlungsformular ebenfalls ersichtlich zu machen.

Für jeden Haushaltungsvorstand oder selbständigen Juden ist die beigefügte Verhandlung auszufüllen und von dem Juden und Beamten mit seiner Unterschrift zu versehen.