Die Geschichte der Familie
Elias und Henriette Birnbaum lebten zunächst in Hannover, wo Max Birnbaum geboren wurde. 1900 zog die Familie nach Hameln in die Große Hofstraße 17. Max machte eine Schlosserlehre, meldete sich bei Ausbruch des 1. WK freiwillig und erhielt das E.K. II und das Ehrenkreuz für Frontkämpfer. Mit der Eheschließung mit Margarete Goldstein im Juni 1921 heiratet Max Birnbaum in eine wohlhabende Familie ein. Sie zogen in der Deisterstraße 45, einem Haus der Eltern Margaretes, die als Geschäftsführerin des gemeinsam betriebenen Eisenwarengeschäfts firmierte, das am 01.04.1925 angemeldet wurde.
Schon vor 1933 waren die Birnbaums antisemitischen Übergriffen und Anfeindungen ausgesetzt. 1930 mussten sie ihren Lagerplatz verlegen, da der bisherige am Güterbahnhof von der Reichsbahn gekündigt wurde. Im Stürmer erschien daraufhin die Meldung, dass der Saujude Max Birnbaum seinen Schrotthaufen in den bekannten Garten gegenüber der Bahnhofstraße verlegt habe und dadurch die Einfahrt zur Stadt verunziert.
Die nach 1933 anhaltenden Boykottaktionen, vor allem aber die gezielten Übergriffe setzten dem Geschäft stark zu. Der LKW wurde von der SA gestohlen und einem Geschäftskonkurrenten übergeben, später wurden ihnen verboten, Rohmaterial für den Handel zu kaufen. Fensterscheiben wurden eingeworfen, Inventar gestohlen. Infolgedessen mussten die Birnbaums 1937 die Eisenwarenhandlung aufgeben, nachdem sie bereits 1936 wegen der geringen Einnahmen von der Steuer befreit worden waren.
Zuvor, am 11.10.1935, hatte Max Birnbaum einen Antrag auf Genehmigung zur Ausfuhr von Devisen im Wert von 1000,- RM zwecks Auswanderung nach Palästina gestellt, den er am 13.07.1937 verlängern ließ. Möglicherweise dachten die Birnbaums dabei zunächst nur an die Sicherheit ihrer Kinder, denn im selben Jahr schickten sie zunächst ihre Tochter Grete nach Holland. Die Birnbaums fühlten sich zu dieser Zeit noch zu sehr als Deutsche, um den Gedanken an Auswanderung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Noch 1938 soll Max Birnbaum bei einem Besuch in Holland die Bitte seiner Tochter, in Holland zu bleiben, mit den Worten, er mache keine illegalen Sachen und habe vier Jahre für Deutschland gekämpft, abgelehnt haben. Er erneuerte aber Anfang Juni 1938 seinen Antrag auf Genehmigung zur Devisenausfuhr. Unklar ist, ob dies der Vorbereitung der eigenen Auswanderung diente oder der Tochter bei ihrer Ankunft in Palästina zukommen sollte.
Nach den Pogrom des 09.11.1938 wurde Max Birnbaum in Schutzhaft genommen im KZ Buchenwald interniert. Dort wurde ihm mit einer dauerhaften Aufnahme gedroht, sollte er nicht schnellstens auswandern. Um seine Entlassung zu erwirken, musste er sich zum Verkauf seines Hauses und zur Auswanderung verpflichten. Der Verkauf erfolgte am 26.11.1938.
In der Folge betrieben Max und Margarete Birnbaum verstärkt ihre Auswanderung. Als problematisch erwies sich dabei, dass sie nicht mehr über ihre finanziellen Mittel verfügen konnten, da der OFP Hannover Ende 1938 eine Sicherungsanordnung verfügt hatte und sich das gesamte Vermögen der Birnbaums auf einem Sperrkonto befand. Schon der erste Versuch Max Birnbaums, im Palästinabüro Berlin die Ausreise zu erwirken, scheiterte am Geld.
Im Februar 1939 bat Max Birnbaum den OFP um die Erlaubnis, sich neue Schlosserwerkzeuge kaufen zu dürfen und diese bei seiner beabsichtigen Auswanderung von der da nach 1933 angeschafft zu entrichtenden Ausgleichsabgabe an die Golddiskontbank Berlin zu befreien. Grund war, dass sein bisheriges Arbeitsgerät während der Novemberaktionen gestohlen worden war. Da er dies belegen konnte, befreite der OFP Birnbaum von der Abgabe.
Die Birnbaums beabsichtigten laut Mitteilung an die Auswanderer-Beratungsstelle Bremen am 07.03.1939 auszureisen. Max Birnbaum gab an, er habe bereits einen Reisepass. Die dafür notwendige steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erhielt er problemlos vom Finanzamt Hameln. Aufgrund ihres geringen Vermögens brauchten die Birnbaums weder Reichsfluchtsteuer noch Judenvermögensabgabe zahlen.
Geldmangel stand der weiteren Umsetzung der Auswanderungspläne entgegen, so dass sie im Januar und Februar 1939 versuchten, die nötigen Geldmittel auf dem Schwarzmarkt zu bekommen und außer Landes zu bringen. Im April 1939 wurden sie wegen Vergehens gegen das Devisengesetz in vier Fällen festgenommen. Wie es dazu kam, ist nicht aktenkundig. Laut Anklageschrift bekamen die Birnbaums durch Vermittlung Kontakt zu einem Niederländer, der als Kurier zwischen jüdischen Gemeinden in Deutschland und den Niederlanden tätig war. In Berlin erwarben sie ausländische Zahlungsmittel in Gold im Wert von 900,- RM und übergaben diese sowie einige persönliche Schmuckstücke dem Niederländer zur Verbringung und Aufbewahrung in das Ausland. Später sollen sie dem Kurier nochmals 1800,- RM, mit dem Auftrag, davon ausländische Währung zu kaufen, und ein Paket mit Kleidung übergeben haben. Margarete Birnbaum hielt dem Druck in der U-Haft nicht stand und nahm sich am 21.05.1939 das Leben. Der Prozess gegen Max Birnbaum fand am 23.05.1939 in Hameln vor einem Schöffengericht statt.
Am 10.06.1939 wurde die Vormerkung zur Bereitstellung von 1000,- RM für Max Birnbaum auf dessen Wunsch hin gestrichen, da dieser die Absicht, nach Palästina auszuwandern, aufgegeben habe. Am 13.06. konnte Birnbaum seinen Sohn Alfred mit einem Kindertransport nach England schicken.
Das Urteil erging am 20.6.1939. Birnbaum wurde zu insgesamt acht Monaten Gefängnis und 1600,- RM Geldstrafe verurteilt. Als Strafmildernd erkannte das Gericht, dass Birnbaum im 1. WK seinen Mann gestanden und mehrfach ausgezeichnet worden war, sowie als Jude sich in einer gewissen Zwangslage befand und unter dem Druck seiner verstorbenen Frau gehandelt habe. Die U-Haft von bislang drei Monaten wurde angerechnet.
Nach seiner Entlassung am 28.10.1939 musste Max Birnbaum zu seinem Vater Elias in die Große Hofstraße ziehen. Am 16.11.1939 beantragte er erneut die Ausstellung eines Passes zwecks Ausreise nach Palästina und bat am 01.02.1940 um Zusendung der erforderlichen Bestimmungen und Formulare für den Umzug, die er Anfang März zusammen mit seiner Umzugsliste einreichte. Zu diesem Zeitpunkt verfügte er lediglich über ein Sparvermögen von 250,- RM auf dem Sperrkonto. Da er gänzlich mittellos war, wollte seine Schwägerin Bertha Goldstein die Kosten von 1200,- RM für den Umzug übernehmen.
Da der OFP dem Antrag auf Freigabe der 1200,- RM vom Sperrkonto Bertha Goldsteins nicht stattgab, sah sich Max Birnbaum am 12.04.1940 gezwungen den Antrag auf Prüfung des Umzugsguts vorerst zurückzunehmen, um von anderer Seite das zum Transport notwendige Geld zu erhalten. Mit der Rücksendung der Umzugsliste an den OFP am 20.04.1940 endet die Steuerakte Birnbaum.
Nach dem Tod Elias Birnbaums am 14.07.1941 wurden seine Witwe Henriette und sein Sohn Max in das Judenhaus Neue Marktstraße 13 eingewiesen, wo sie gemeinsam ein Zimmer bewohnten. Max Birnbaum musste in der Papierwarenfabrik Schröder & Wagner in Rinteln als Zwangsarbeiter arbeiten. Für die tägliche Fahrt dorthin erhielt er gegen Zahlung einer Gebühr die Erlaubnis für die Benutzung der Bahn. Dort war er bis Anfang März 1942 beschäftigt.
Max Birnbaum wurde am 31.03.1942 von Hannover-Ahlem in das Ghetto Warschau deportiert. Zwei Briefe an seine Tochter Grete in Palästina vom Februar 1942 sind seine letzten Lebenszeichen. Der Abtransport der Warschauer Gettobewohner zur Vernichtung nach Treblinka begann im Juli 1942. Aus diesem Jahr stammt die auf Max Birnbaum ausgestellte Sterbeurkunde. Der zurückgelassene Hausrat der Birnbaums im Wert von umgerechnet 5243,- DM wurde beschlagnahmt und öffentlich versteigert.
Im Frühjahr 1942 beschlagnahmte die Gestapo die Möbel von Henrietta Birnbaum. Sie wurde am 23.07.1942 von Hannover in das Alters-KZ Theresienstadt verschleppt und gehörte zu den wenigen (1210) Überlebenden dort. Sie wurde am 05.02.1945 in die Schweiz gebracht, wo sie im Juli 1946 starb.
Alfred und Grete Birnbaum - heute Ruth Kereth, Israel - stellten 1959/60 Anträge auf Entschädigung für die erlittene Verfolgung ihrer Großeltern und Eltern, die Deportation Henrietta Birnbaums und für Freiheitsentzug, Verschleppung und Tod Max Birnbaums sowie seiner Frau Margarete.
Alle Anträge wurden als unbegründet abgewiesen. Die Verfahren schleppten sich insgesamt bis 1968 hin. Die Kläger erhielten 1960 7350,- DM Entschädigung für die Zeit, die Max Birnbaum im KZ verbrachte, sowie 1964 6000,- DM für die Deportation ihrer Großmutter zugesprochen. Ein Schaden am Leben Max Birnbaums war hingegen nicht nachweisbar und auch der Tod Margarete Birnbaums infolge nationalsozialistischer Judenpolitik war nicht gegeben. Für den versteigerten Hausrat der Eltern erhielten sie lediglich 500,- DM.
Quelle: Landesarchiv Niedersachsen