Sekretärin im Referat IV B 4 (Judenreferat)
* 28.04.1919 in Berlin-Altglienicke
† 2010 in Garmisch-Partenkirchen
bis 1927
evangl.
Ausbildung zur Sekretärin u. Stenografin
Anschließend arbeitete sie zunächst beim Generalbauinspekteur Berlin und für kurze Zeit bei der Militärärztlichen Akademie als Schreibkraft.
ab 1934
Mitglied im Bund Deutscher Mädel (BDM)
Mitglied in der Deutschen Arbeitsfront
Mitglied in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt
ab 00.09.1938
Mitglied der NSDAP (Mitglieds Nu. 6 941 822)
ab Anfang März 1940 begann Werlemann im Umfeld von Adolf Eichmann zu arbeiten, als sie in der von ihm geführten Reichszentrale für die jüdische Auswanderung im RSHA tätig wurde und als sogenannte Kanzleiangestellte für einen leitenden Sachbearbeiter arbeitete.
ab Ende 1940
wurde Werlemann direkt Eichmann zugeordnet. Bis zum Frühjahr 1945 blieb sie im Vorzimmer des Referatsleiters und seines Stellvertreters Rolf Günther in der Berliner Kurfürstenstraße 116. Mit ihr zusammen arbeitete dort auch der Geschäftsführer Rudolf Jänisch.
20.01.1942
Teilnahme an einer Besprechung im Gästehaus am Wannsee (Wannsee-Konferenz)
25. 05. 1944
im Zuge der Bearbeitung des Heiratsantrags durch das Rasse- u. Siedlungshauptamt ausgestellten »Dienstleistungszeugnis (Eichmann Stellvertreter Rolf Günther)
»Frl. Werlemann wurde im März 1940 vom Reichssicherheitshauptamt als Kanzleiangestellte eingestellt. Seit Ende 1940 ist sie aufgrund ihrer einwandfreien dienstlichen Leistungen und ihrer guten Allgemeinbildung im Vorzimmer des Referenten tätig.
Frl. Werlemann ist ein flotte und zuverlässige Mitarbeiterin, die ihren vielseitigen Arbeiten sauber und zur vollsten Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten erledigt. Besonders hervorzuheben ist neben ihrer guten und selbstständigen Arbeitsleistung ihre klare politische Haltung sowie ihre anständige Führung in und außer Dienst. Frl. Werlemann ist mit ihrem ausgeglichenen Wesen und ruhigen Charakter eine der bewährtesten Mitarbeiterinnen der Dienststelle.
Im Auftrage: [handschriftlich:] Günther
00.06.1944
Werlemann heiratet den Wehrmachtsoffizier Heinz Wagner und nimmt dessen Namen an.
bis 00.05.1945
im Dienst des Referats IV B 4, dessen Reste im Februar dieses Jahres nach Prag verlegt wurden.
00.05.1945
zunächst verhaftet, dann jedoch zusammen mit ihrer Mutter über die tschechische Grenze abgeschoben und kehrte über Dresden nach Berlin zurück.
01.09.1945
Nach einer kurzen Inhaftierung in Berlin durch die Sowjetische Militäradministration, Freilassung und erneuter Inhaftierung durch eine Operativgruppe des sowjetischen NKWD am 1. September 1945 wurde Frau Werlemann/Wagner unter anderen im Speziallager 3 in Berlin-Hohenschönhausen und letztlich im Speziallager 7 auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen interniert.
Im Speziallager lernte Wagner Käte Werth kennen und ging mir ihr eine Beziehung ein, die bis zu ihrem Tod andauerte. Käthe Werth war als Mitarbeiterin des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht, der „Abwehr“, interniert und bei der Berliner Firma Telefunken als Fotografin beschäftigt gewesen.
Ingeburg Wagner ließ sich kurz nach ihrer Entlassung einvernehmlich von ihrem Mann scheiden. In dem Scheidungsurteil heißt es, „dass seit Ende 1944 jede eheliche Gemeinschaft der Parteien aufgehoben gewesen sei“. Kinder waren nicht aus der Ehe hervorgegangen.
00.08.1948
Ihre Entlassung im August 1948 stand im Zusammenhang mit dem offiziellen Ende der Entnazifizierung in der sowjetischen Zone. Sie selbst gab an, mehrmals verhört worden zu sein.
Nach ihrer Entlassung wohnte sie wieder bei ihrer Mutter im Hessenwinkel in Berlin-Wilhelmshagen, im Ostberliner Bezirk Köpenick.
1951
Flucht in die Bundesrepublik Deutschland
(ab April gemeldet in Bonn)
Hier betrieb ihre Partnerin Käte Werth als ausgebildete Fotografenmeisterin ein florierendes Unternehmen, die Werth-Color-Kopieranstalt, in das Ingeburg Wagner einstieg und im kaufmännischen Bereich arbeitete. Käte Werth war auch als Fotografin überaus erfolgreich und arbeitete beispielsweise für die Regierung Brandt.
nach 1945
Nachkriegsaussagen von Sachbearbeitern des Referats bestätigen Werlemann/Wagners besondere Stellung im Vorzimmer des Referats, das ab Frühjahr 1942 die europaweiten Deportationen von Jüdinnen und Juden zu den Mordstätten in Osteuropa organisierte, und sprechen ausdrücklich von „Eichmanns Sekretärin“.
1962
erste Vernehmung durch die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M.
1967
zweite Vernehmung durch die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M.
1967
Im Zuge der RSHA-Ermittlungen sagte 1967 die 1943/44 zum Referat IV B 4 gekommene Sekretärin, Erika Albrecht, geb. Miethling aus:
»Näheren Kontakt hatte ich eigentlich nur mit Frau Wagner/früher Werlemann, mit der ich mich gelegentlich unterhielt. Frau Wagner war zwar eine ganz überzeugte Nationalsozialistin, hörte sich jedoch meine kritischen Bemerkungen ruhig an. Nach meiner Überzeugung muß Frau Wagner erheblich mehr als ich gewußt haben. Sie hat aber bis Kriegsende nie mit mir über ihre Kenntnisse vom wirklichen Schicksal der Juden gesprochen. Auch nach dem Kriege, als wir zusammen im Lager Sachsenhausen waren, sagte sie mir nur, daß alles schrecklich gewesen sei, gab aber nie zu erkennen, wie weit ihr Wissen über das wirkliche Schicksal der Juden gegangen war. Nach meiner Meinung hat Frau Wagner mit Sicherheit gewußt, was wirklich mit den Juden geschah. Sie hielt sich aber streng an die Geheimhaltungsvorschriften. Ich kann deshalb keine konkreten Anhaltspunkte dafür geben, daß sie ihr Wissen in irgendeiner Form auch einmal äußerte.«
Ingeburg Wagner wurde im Rahmen von Ermittlungsverfahren und Prozessen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen nach heutigem Kenntnisstand insgesamt sieben Mal zu ihrer Tätigkeit im RSHA, insbesondere ihrer Funktion bei Adolf Eichmann befragt. So kam es auch zu Aussagen zu ihrer Anwesenheit als Schreibkraft bei der Besprechung am Wannsee.
In der Hauptverhandlung gegen einen der leitenden Mitarbeiter von Adolf Eichmann, Otto Hunsche, sagte sie 1962 zum ersten Mal in dieser Sache aus. Sie habe auf einer Konferenz im Gästehaus am Wannsee stenographiert:
StA [Staatsanwalt].: »Haben Sie im RSA. [RSHA] Befehle zu Gesicht bekommen, welche die sogenannte Endlösung betrafen?«
Zeugin: »Nein. Es ist richtig, daß ich Geheimsachen für Eichmann geschrieben habe.«
Nebenkläger: »Am 20.1.1942 fand die Konferenz am Großen Wannsee statt. Diese wurde von IV B 4 vorbereitet. Sie ging in die Geschichte ein. Haben Sie dort im Feber [fälschlicherweise Februar] Protokoll geführt?«
Vertr.[eter des Angeklagten]: »Ich spreche mich dagegen aus.«
StA.: Ich schließe mich der Frage des Herrn Dr. Ormond an und frage gleich, ob der Angekl. am 27.10. Protokoll geführt hat?«
Angekl.: »Ich? Zu dieser Zeit war Suhr noch da!«
Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück. Nach Beratung beschlossen und verkündet: Die beiden Fragen werden zugelassen.
Zeugin: »Ich war einmal am Wannsee. Ob das diese Konferenz war, daß weiß ich nicht mehr. Einmal habe ich ein Protokoll geführt im Gästehaus am Wannsee. Ich weiß nicht, ob der Angekl. [Hunsche] Protokoll geführt hat. Der StA. hat mir aus einem Buch ein Protokoll vorgelegt. Er glaubte, ich hätte das geschrieben. Meiner Erinnerung nach kann ich das nicht getan haben.«
Wichtig an dieser Befragung ist, dass die Frage nach der Wannsee-Konferenz für sie völlig überraschend gestellt wird. In der zweitägigen Zeugenvernehmung durch die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt a.M. einen Monat zuvor war sie daraufhin nicht angesprochen worden. Ebenso bezeichnend wie die Tatsache, dass sie darauf hinweist, »Geheimsachen« für Eichmann geschrieben zu haben, aber keine, welche die so genannte Endlösung betrafen, ist, dass sie die Frage nach dem Protokoll der Wannsee-Konferenz nicht einfach mit dem in ihrer kurzen Befragung insgesamt sieben Mal benutzten »Das weiß ich nicht.« beantwortet oder schlicht verneint. Auch differenziert sie hier bereits zwischen dem Mitstenografieren der Besprechung und der Anfertigung des Protokolls. Damit sind ihre Aussagen in dieser Vernehmung im Hinblick auf die Wannsee-Konferenz stimmig, da das Protokoll, wie hinlänglich bekannt, von Adolf Eichmann in Absprache mit Reinhard Heydrich verfasst wurde.
Fünf Jahre später wird sie in einer Vernehmung im Rahmen der Komplexermittlungen der Berliner Generalstaatsanwaltschaft gegen ehemalige Angehörige des RSHA zum zweiten Mal zur Wannsee-Konferenz befragt.
»Auf Vorhalt, daß ich vor dem Schwurgericht am 25. 6. 1962 ausgesagt habe, daß ich einmal in Wannsee gewesen sei und Protokoll geführt habe, bestätige ich diese Angabe. Mir ist in Erinnerung, daß bei der fraglichen Besprechung u.a. Heydrich zugegen gewesen ist. Über die Besprechungen war ein stenographisches Protokoll zu fertigen, welches ich und – wie ich mich zu erinnern glaube – auch Frau Behrendt aufgenommen hat. Ob unsere stenographischen Aufzeichnungen die Grundlage für das reinschriftliche Besprechungsprotokoll in dem Vorgang IV B 4 1456/41 gRs (1344) gewesen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich vermag aus der Erinnerung heraus auch nicht mehr zu sagen, ob die mir vorgelegte Reinschrift des Besprechungsprotokolls vom 20.1.1942, also über die sog. »Wannsee-Konferenz«, von mir stammt. Ich möchte in diesem Zusammenhang sogar meine Unkenntnis darüber zum Ausdruck bringen, ob wir, d.h. Frau Behrendt und ich, gerade an dem besagten 20. 1. 1942 an einer Konferenz in Wannsee als Protokollführerinnen beteiligt waren. Ich kann nicht ausschließen, daß dies möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt geschehen sein könnte. Ich möchte meinen, daß an der Besprechung, an der ich teilgenommen habe und die mir in Erinnerung ist, auch Novak zugegen gewesen ist. An Eichmann als Besprechungsteilnehmer vermag ich mich nicht zu erinnern; dagegen halte ich die Anwesenheit Günthers für wahrscheinlich und die von Jänisch für sicher.«[10]
Anstatt hier ihre Aussage von 1962 zu widerrufen, ergänzt sie die Information, dass die fragliche Besprechung im Gästehaus stattgefunden habe, noch durch den Hinweis der Anwesenheit Heydrichs. Gerade dadurch wird aus der Teilnahme an einer Besprechung im Gästehaus am Wannsee die an der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Denn eine andere hat es, wie wir heute wissen, bis zum Tod des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Anfang Juni 1942 dort nicht gegeben. Gleichzeitig beginnt sie hier bereits geschickt die »Verwirrspielchen« mit Personen, die an der Besprechung teilgenommen haben könnten, um ihre vermeintliche »Unkenntnis«, ob sie »gerade an dem besagten 20. Januar 1942« Protokoll geführt habe angesichts der Bedeutung des Ereignisses zu stützen. Dass sie eine vermeintliche Anwesenheit einer weiteren Schreibkraft, Margot Behrendt, mit dem Einschub – »wie ich mich zu erinnern glaube« – abschwächt, verdeutlicht ebenfalls ihre Ablenkungsversuche und ein dabei möglicherweise vorhandenes Unwohlsein. In ihren weiteren Aussagen blieben das Gästehaus am Wannsee und die Teilnahme Heydrichs Konstanten – auch die Teilnahme Eichmanns stellte sie später nicht mehr in Frage, was ohnehin nur schwer vorstellbar gewesen wäre.
Befragung 1970
»Die Tatsache, daß ich als Protokollführerin zu einer Besprechung abgeordnet wurde, die in Anwesenheit des Herrn Heydrich im Gästehaus am Wannsee in einem Kreis von etwa 12 bis 20 Personen stattfand hat mir in Bezug auf die gegen die Juden geplanten Maßnahmen, wenigstens meiner heutigen Erinnerung nach, keine Erkenntnisse vermittelt. Ich erinnere mich an das, was dort besprochen worden ist, nicht mehr. Weiß sogar nicht einmal mehr, ob Judenangelegenheiten besprochen wurden. Wenn mir gesagt wird, daß danach noch weitere Besprechungen auch in der Kurfürstenstraße stattgefunden haben, habe ich an diese keine Erinnerung. Die Besprechung, an der ich teilgenommen habe, war im übrigen am Wannsee. Von der Besprechung weiß ich selbst nur noch, daß mein Versuch stenographische Aufzeichnungen zu machen, mißglückte, weil viel durcheinander gesprochen wurde. Ob dann doch ein Protokoll durch ein zusammenfassendes Diktat gefertigt worden ist, kann ich nicht mehr sagen. Mit mir war noch Frau Behrend[t] dort. Wer von der Dienststelle anwesend gewesen ist, ist mir ebenfalls nicht mehr in Erinnerung. Dunkel erinnere ich mich daran, daß möglicherweise Günther und Novak dort gewesen sind. Vielleicht war auch Eichmann anwesend.«
Ende der 1980er Jahre zogen sie nach Garmisch-Partenkirchen um. Sie verpartnerten sich, gaben in ihrem Umfeld jedoch an, dies nur aus steuerlichen Gründen zu tun. 2009 starb Käte Werth, im darauffolgenden Jahr Ingeburg Wagner.
Ihr Nachlass wurde von Nachfahren einer entfernteren Verwandten von Frau Werth verwaltet. Deren Auskunft nach fanden sich dort »Unmengen« Literatur, u.a. von und über Leni Riefenstahl.
Quellen:
Gedenkstättenrundbrief 195 S. 30-40
Marcus Gryglewski