Abschiebe(lager) für Juden
Bentschen (Zbaszyn)
Bezeichnung: Abschiebelager für Juden und unerwünschte Elemente
Gebiet
Polen, Woiwodschaft Großpolen, Kreis Neutomischel
Eröffnung
1938
Schließung
Deportationen
Häftlinge
Juden und unerwünschte Elemente
Geschlecht
Frauen, Männer und Kinder
Einsatz der Häftlinge bei
Art der Arbeit
Bemerkungen
Bentschen (Zbaszyn) liegt ca. 100 km östlich von Frankfurt (Oder) und ca. 75 km westlich von Posen (Poznan) in der Woiwodschaft Großpolen im Kreis Neutomischel. Durchflossen wird sie von der Obra. Auch die Eisenbahnstrecke Berlin–Posen–Warschau–Moskau, die 1870 erbaut wurde, durchquert die Stadt.
Als Rache für die Erschießung des Nazi-Diplomaten durch einen jungen Emigranten aus Deutschland, wies die Regierung des Dritten Reichs 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit aus Deutschland aus. Sie machte sich dabei eine Verordnung der polnischen Regierung vom 6. Oktober 1938 über die Gültigkeitsdauer polnischer Pässe zunutze. Da diese Juden nicht nach Polen hereingelassen wurden, irrten die Ausgewiesenen lange an der polnischen Grenze in der Gegend von Bentschen (Zbaszyn) umher
Die Ausgewiesenen wurden außerhalb der Stadt Zbaszyn notdürftig in Baracken und Ställen untergebracht, bevor sie später in Zbaszyn aufgenommen wurden, und allmählich vollzog sich der Wechsel vom Provisorium zur weiterhin eigentlich unhaltbaren - Dauerlösung. Mit Hilfe polnischer jüdischer Gemeinden, des Magen David Adom (das jüdische Pendant zum Roten Kreuz) und anderer jüdischer Organisationen wurden die Lebensverhältnisse jedoch gelinde verbessert.
Die Lebensbedingungen in Zbaszyn
Reta Goldberg schreibt zu den anfänglichen Lebensumständen in Zbaszyn und zur Unterbringung
Unsere Pässe waren mit einem Abschiebungsvermerk gestempelt. Am folgenden Tag bestimmten die Polen, dass jeder Pass wiederum gestempelt werden müsse. So stellte sich mein Vater für uns in die Reihe, denn er konnte als einziger von uns Polnisch sprechen. Da waren wir in einem fremden Land eine Familie unter Tausenden, die über Nacht nach Polen abgeschoben worden waren. Wir hätten ins Landesinnere, nach Tarnow, weiterfahren können, doch reichten die fünfundsechzig Mark nicht für uns fünf. Wir wollten unsere Eltern nicht alleine lassen, und sie wollten ohne uns nicht gehen. Für ein paar Nächte, vielleicht für eine Woche, lebten wir in den Baracken. Auf Stroh schliefen wir, wir hatten außer den Kleidern, die wir am Leibe trugen, nichts gegen die Kälte. Das jüdische Rote Kreuz brachte uns Tee und Brot. In jener Woche hatten wir nichts anderes zu essen. Wir durften schließlich in die Fünftausend-Einwohner-Stadt Zbaszyn hinein, die Ställe und Baracken wurden geschlossen. Viele Leute, die über genügend Geld verfügten, mieteten für einen Zloty pro Kopf und Nacht Betten in den Wohnungen der Polen. Wir hatten ein Schlafzimmer für unsere Eltern gefunden, das sie mit einem anderen Paar und einem Bekannten teilten. Wir drei Schwestern hatten ein Zimmer außerhalb der Stadt gefunden, das wir mit drei Bekannten teilten. Wir wurden jedoch ängstlich, da wir jede Nacht von Soldaten angehalten wurden, weshalb wir in die Stadt zurückzogen. Meine ältere Schwester lebte dann mit vielen anderen in einer dreistöckigen Mühle, während meine jüngere Schwester in der geräumten Schule wohnte. Andere lebten in einer anderen leeren Schule, in einem großen, leeren Privathaus und in dem Haus des Sportvereins. Jede Person wurde registriert. Diese Aufgabe erhielten wir jüngeren Leute zugeteilt. Jeder bekam eine Karte für Lebensmittel, Bekleidung und Haushaltswaren. Leere Läden wurden zu Ausgabestellen, Küchen wurden eingerichtet, ein Postamt eröffnet. Alle jungen Leute halfen mit, denn das Leben war langweilig und öde. Es gab absolut nichts anderes zu tun. Mein Vater half vielen mit der polnischen Sprache. Es wurde sehr, sehr kalt. Vom Roten Kreuz erhielten wir warme Kleidung und Wolldecken zum Schlafen. Unsere Betten waren Strohsäcke auf dem Flur, und wir schliefen alle dicht beieinander, wie die Sardinen in der Dose, um warm zu bleiben.
Die Unterbringung in Massenunterkünften (meist der jungen Menschen) oder die primitive Einmietung zu mehreren bei polnischen Bewohnern des Städtchens Zbaszyn (oft für die Eltern von den Kindern aufgebracht) gehörten von da ab zum Alltag der aus ihrer Umwelt gerissenen Abgeschobenen. Die Unterbringung war vielfach Ergebnis der Eigeninitiative der jüdischen Leute selbst.
Auch andere Bereiche gingen zusehends in die Eigenverantwortlichkeit der Deportierten über: Essensvergabe, Verteilung von Kleidungsstücken aus den Beständen der jüdischen Wohlfahrtsorganisationen und andere Aufgaben wurden von den jüdischen Neueinwohnern Zbaszyns in Selbsthilfe organisiert
Erna Wellner berichtet, dass die Deportierten auch ihre medizinische Versorgung selber organisieren mußten. Erna Wellner erkrankte und musste ins Krankenhaus:
Sie wandelten ein Bauernhaus ins Krankenhaus um. Es gab keine Schwestern, keine Ärzte, und dort traf ich die Schwester von dem, der den deutschen Botschafter die Schwester von Herschel Grynszpan. Sie war dort, weshalb, weiß ich nicht. Ich erinnere, sie war in meinem Alter. Später änderte sie ihren Namen, aus Angst, dass jemand sie umbringen wolle, dass die Nazis sie umbringen würden. Das Rote Kreuz war dort. Ich erinnere mich nicht an Medizin, an Tabletten, doch, an Schröpfköpfe erinnere ich mich, aber nicht an Ärzte, obwohl dort welche gewesen sein müssen.
Durch die zufällige Begegnung Erna Wellners mit der Schwester von Herschel Grynszpan ist bereits eine Verbindungslinie zwischen
Die Schwester Grynszpans war dort, sie war ein sehr nettes Mädchen, ich weiß aber nicht, was sie hatte, nicht einmal, woher sie kam. Sie holten die Leute nicht nur aus Hamburg, von überall her. Ich erinnere, es war ein sehr bedeutender Tag, als wir herausfanden, dass sie die Schwester Grynszpans war, erzählte sie mir fragte ich sie nach ihren Eltern.
Das Miteinander zwischen den originären polnischen Bewohnern Zbaszyn und den jüdischen Deportierten.
Erna Wellner äußert sich zu den Bedingungen zu jener Zeit:
Mein Bruder Jupp arbeitete in der Post in Zbaszyn. Das Rote Kreuz öffnete eine Küche, dort gab es Essen, und sogar Kleidung. Wir bekamen sogar Butter, keine Margarine, Butter! Die haben wir uns in Hamburg nicht leisten können. Nach und nach freundeten wir uns mit den nichtjüdischen Leuten in Zbaszyn an, mit den Polen. Wir saßen an ihren Öfen, wärmten uns, kochten bei ihnen. Ich weiß nicht, ob sie uns dennoch hassten. Ja, die jüdische Gemeinde zahlte wohl für uns.
Noch in Zbaszyn und nach den Ausschreitungen des 9. November noch, hofften einige der nach Polen Ausgelieferten auf eine Rückkehr nach Deutschland, wie Erna Wellner erinnert:
Wir dachten, wir hofften, dass wir nach Deutschland zurückgehen könnten, selbst nach dem Pogrom, selbst nach dem 9. November. Da hatten sie deutsche Juden in die KZs gebracht, aber wir dachten, das habe mit uns polnischen Juden nichts zu tun, wir würden zurückgehen. Wir gingen nicht zurück
Zum weiteren Schicksal der Deportierten
Tatsächlich kehrten Erna Wellner und ihre jüngere Schwester Peppi noch einmal im Jahre 1939 kurz nach Hamburg zurück. Es gelang ihnen noch kurz vor Kriegsbeginn, ein sicheres Exil zu finden, das sie vor dem späteren Zugriff der Nazis und ihrer Vernichtungsmaschinerie schützte. Die Umstände ihrer Auswanderung im buchstäblich letzten Moment beschreibt Erna Wellner:
Meine Schwester und ich versuchten, als Haushaltshilfen nach England zu kommen, und erhielten von dort keine Antwort. Ein Bekannter nutzte einen England-Aufenthalt um nach Bloomesburry House zu fahren, um dort unsere Akte zu suchen, und er schrieb, dass er mit Tränen in den Augen für uns vorsprach, und es waren so viele andere dort, Hunderte, Tausende, die versuchten, ihre Verwandten und Freunde rauszuholen, er war nicht der einzige, doch hatten die anderen mehr Zeit. Ich weiß nicht, wie er es schaffte, er schrieb: Mit Tränen in meinen Augen bat ich, Eure Papiere herauszusuchen, noch bevor ich England verlassen musste. Er war nicht religiös, doch schrieb er, dass sich die Papiere mit Gottes Hilfe anfanden. Sie waren verlegt in die Sparte Ehepaare, sie dachten, dass meine Schwester Peppi ein Mann sei, und hielten mich für ihre Frau deshalb hatten wir nie Antwort erhalten. Wenn er nicht dorthin gegangen wäre, sie beschworen hätte, gebeten und gebettelt vielleicht hat er sie auch bestochen ich glaube nicht, dass wir es geschafft hätten. Der Beamte versprach, dass wir rauskommen würden, als Mädchen, nicht als Ehepaar, denn Paare nahmen sie nicht. Sie suchten Mädchen. Kurze Zeit später erhielten wir Antwort, dass wir nach Bornmouth vermittelt würden. Wir fuhren nach Deutschland. Meine Eltern und Brüder brachten Peppi und mich zum Zug, in Zbaszyn, und wir fuhren über Deutschland, weil wir hofften, noch Sachen aus Hamburg holen zu können. Mein Bruder hatte eine Freundin. Sie oder ihre Mutter öffnete die Tür unserer Wohnung, ich weiß nicht, was wir rausholten. Viele Dinge fehlten, aber ich weiß nicht, ob diese Leute sie genommen hatten, oder die Nazis, denn die hatten den Schlüssel auch. Wir blieben dort vielleicht zwei Tage. Wir hatten unserer Mutter versprochen, dass wir nicht länger bleiben würden, als unbedingt notwendig. Das Schiff fuhr an einem bestimmten Tag wir fuhren mit dem Schiff vom Hamburger Hafen aus
Auch Reta und Henny Goldberg konnten noch kurz vor Kriegsbeginn nach England entkommen. Reta Goldberg schreibt:
Der frühere Chef meiner älteren Schwester war nach England ausgewandert. Er schickte Geld für meine Eltern und bot uns an, als Hausmädchen nach England zu kommen. Durch die Quäker bekam ich mein Visum im Mai 1939 und fuhr nach England. Meine jüngere Schwester Henny erhielt ihr Visum einige Wochen später. Meine ältere Schwester bekam ihres am Tag, als der Krieg ausbrach. Für sie war es zu spät.
Ein Ziel der britischen Politik war es, den Zuzug von arbeitsfähigen Erwachsenen zu begrenzen, wohl aber eine überschaubare Zahl von Kindern und jungen Frauen, die in Haushalten untergebracht werden konnten und den Arbeitsmarkt nicht belasteten, aufzunehmen.
Die Entkommenen dachten schweren Herzens an die Zurückgebliebenen. Die Schwestern Henny und Reta Goldberg versuchten, ihren Eltern aus der englischen Zuflucht noch zu helfen, so, wie auch Erna und Peppi Wellner das ihre versuchten.
Erna Wellners Bericht sei hier stellvertretend herausgegriffen:
Ende Juni 1939 kamen wir an. Im August erhielten wir unseren ersten Lohn, wir schickten das Geld nach Zbaszyn, und im September brach der Krieg aus. Wir schickten das Geld nach Zbaszyn, und aus Spaß schickten wir es an meine Mutter. Sie hatte nie über Geld verfügt. Mein Vater und meine Brüder verdienten das Geld. Es waren fünf Pfund, unser erstes in England verdientes Geld. Wir erhielten einen Brief, den wahrscheinlich mein Vater geschrieben hatte, in dem stand, dass sie das Geld erhalten hatten. Später konnten wir nichts mehr schicken, weil der Krieg ausgebrochen war. Ich weiß nicht einmal, wann sie von Zbaszyn weggingen, wann sie die Erlaubnis erhielten. Ich wollte es nicht herausfinden, oder ich hatte die Kraft nicht. Vielleicht dachte ich nicht daran. Das war die letzte Nachricht. Dass sie das Geld erhalten hatten, und dass sie froh waren, dass meine Schwester und ich zusammenbleiben konnten. Das war das wichtigere: Passt auf Euch auf! Passt auf Euch auf! denn ich bin sechs Jahre älter als Peppi.
Für die meisten war es mit dem Einmarsch der deutschen Truppen wirklich zu spät, noch ein rettendes Asyl zu finden. Einer derer, die auch nach der Besetzung Polens Schutz fanden, ist Jakob Findling, dem noch am 7. November 1939 die Flucht aus dem von den Deutschen in den von den Sowjets besetzten Teil Polens gelang. So entkam er der nationalsozialistischen Judenverfolgung, musste jedoch in der UdSSR Zwangsarbeit leisten und Inhaftierung erdulden.
Wohl die Mehrzahl der am 28. Oktober 1938 nach Polen Ausgewiesenen, die die Deutschen bei ihrem Einmarsch noch in Polen antrafen, gelangte später in die Gettos und KZs der deutschen Besatzungsmacht.
Name der Opfer
Wajnryk Rosa Ahaus (Preußen, Provinz Westfalen, Regierungsbezirk Münster Landkreis Ahaus)
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