Der Ablauf der Massentötungen

Die Einzelheiten der Massentötungen (sog. Transportabfertigung) waren von Globocnik und seinen Mitarbeitern, insbesondere von Wirth, dem Inspekteur der Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor, genauestens festgelegt. Durch mehrfache Inspektionen überzeugten sich Globocnik und vor allen Dingen Wirth, dass gemäß den von ihnen ausgearbeiteten Richtlinien bei der Massentötung verfahren wurde.

Die Durchführung der Massentötungen wickelte sich nach diesen Richtlinien in Treblinka wie folgt ab:

Die zur Ermordung bestimmten Juden wurden aus den Ghettos der polnischen Städte, insbesondere aus Warschau, Czenstochau, Bialystok, Kielce, aber auch aus Deutschland und anderen Teilen Europas meistens mit der Eisenbahn nach Treblinka transportiert, wobei für die Transporte aus Polen ausnahmslos Güterzüge verwendet wurden.

Diese durchweg aus 50 bis 60 Waggons bestehenden Züge wurden, da der Bahnsteig des Lagers nur zur Aufnahme von 20 Waggons ausreichte, dergestalt geteilt, dass jeweils 20 Waggons durch eine Rangierlokomotive rückwärts über das Nebengleis an die Rampe des Lagers gedrückt wurden, während der restliche Teil des Zuges zunächst auf dem Bahnhof Treblinka stehenblieb.
Dort verblieben auch das Zugpersonal sowie die Zugbegleitmannschaften, denen aus Gründen der Geheimhaltung jeder Zutritt zum Lager strengstens untersagt war. Sobald die Lokomotive mit dem abgekoppelten Zugteil durch einen Pfiff ihre Ankunft im Lager gemeldet hatte, bezogen im Lager selbst die Wachmannschaften und die jüdischen Arbeitskommandos ihre Plätze.
Insbesondere begaben sich die Lagerleitung und möglichst alle SS-Leute zur Bahnhofsrampe, wo auch ein Teil der Ukrainer Aufstellung genommen hatte.

Nach dem Einlaufen der Waggons wurden die Wagentüren geöffnet und die Insassen lautstark aufgefordert, so schnell wie möglich mit ihrem Gepäck auszusteigen. Um bei den Angekommenen den Eindruck zu bestärken, dass es sich bei Treblinka lediglich um einen Umsteigebahnhof für den Weitertransport zur Arbeit im Osten handele, waren auf dem Bahnsteig oder in dessen unmittelbarer Nähe große Schilder in deutscher und polnischer Sprache aufgestellt, auf denen es sinngemäß hieß:

Achtung Warschauer Juden!
Ihr befindet Euch hier in einem Durchgangslager, von dem aus der Weitertransport in Arbeitslager erfolgen wird.
Zur Verhütung von Seuchen sind sowohl Kleider als auch Gepäckstücke zum Desinfizieren abzugeben. Gold, Geld, Devisen und Schmuck sind gegen Quittung der Kasse zu übergeben. Sie werden später gegen Vorlage der Quittungen wieder ausgehändigt.
Zur Körperreinigung haben sich alle Ankommenden vor dem Weitertransport zu baden.

Außerdem hielt zumindest in der ersten Zeit der Massentötungen oftmals ein Angehöriger des deutschen Lagerpersonals eine Ansprache an die auf dem Bahnhofsvorplatz versammelten Menschen, in der er sinngemäß das gleiche ausführte, was auf den Schildern stand.

Darüber hinaus forderte er alte, kranke, gebrechliche oder aus sonstigen Gründen nicht mehr gehfähige Personen auf, sich notfalls mit Hilfe von Angehörigen des jüdischen Arbeitskommandos zum Lazarett zu begeben, wo ihnen Ärztliche Hilfe zuteil werden würde. Im Vertrauen auf diese Erklärung meldeten sich nach der Ankunft jeden Transportes zahlreiche Personen für eine Behandlung im Lazarett.
Sobald diese Menschen jedoch dort angekommen waren, mussten sie sich nackt ausziehen. Sie wurden entweder nebeneinander auf den sich an der Längsseite der Grube entlang ziehenden Erdwall gesetzt oder aber an den Rand der Grube gelegt und dann durch die im Lazarett diensttuenden Wachmannschaften erschossen.

Die Tötung erfolgte zunächst durch Erschießen mit dem Karabiner oder dem Gewehr. Später gab es jedoch ausnahmslos nur den Genickschuss mit der Pistole. Das hatte Wirth selbst angeordnet.
Er machte es dem Angeklagten Mentz persönlich vor, indem er einige Juden durch Genickschuss im Lazarett tötete.
Die auf dem Erdwall nebeneinander sitzenden Opfer hatten ihr Gesicht der Grube zugewandt und mussten so noch vor ihrer Tötung mitansehen, wie die Leichen der vorangegangenen Opfer in der Grube brannten und schwelten.

Die Erschießungen im Lazarett wurden durchweg von den deutschen Unterführern vorgenommen. Doch kam es bei größerem Betrieb auch vor, dass Ukrainer zur Unterstützung herangezogen wurden.

Mit diesem barbarischen Tötungsverfahren wurde zweierlei bezweckt.
Einmal sollten die Opfer durch die Vortäuschung der Ärztlichen Behandlung weiter in ihrem Irrtum bestärkt werden, es handele sich in der Tat um eine Umsiedlungsaktion. Zum anderen sollte durch die Aussonderung der Kranken und Gebrechlichen der reibungslose Ablauf der Massenvernichtung im Übrigen sichergestellt sein.

Diejenigen Opfer, die nicht für eine Sonderbehandlung im Lazarett in Betracht kamen, wurden nach dem Verlassen der Waggons in den Umschlagplatz genannten Raum zwischen der Frauenauskleidebaracke und der kleineren Sortierbaracke gebracht.

Durch entsprechende Befehle der in diesem Bereich diensttuenden Wachmannschaften, die ihre Anweisungen durch Schreien, Schlagen und häufig auch durch Abgabe von Schüssen den notwendigen Nachdruck verliehen, wurden die Frauen und kleinen Kinder von den Männern und Jugendlichen getrennt.

Die ersten wurden in die Auskleidebaracke getrieben, während die letzteren zunächst auf dem Umschlagplatz verblieben.
Anschließend mussten sich alle Ankömmlinge entkleiden, ihre Kleidungsstücke zu kleinen Bündeln zusammenlegen, die Strümpfe in die Schuhe stecken und die Schuhe mit einem ihnen durch einen Arbeitshäftling ausgehändigten Bindfaden zusammenbinden.
Gleichzeitig begann die Werterfassung, bei der alle Barmittel, Gold und Schmucksachen sowie alle Dinge von besonderem Wert, wie Füllhalter, Brillen, Uhren und dergleichen an die sogenannten Goldjuden abgeliefert werden mussten, die für die restlose Erfassung aller dieser Sachwerte zuständig waren.
Nach dem Entkleiden und der Ablieferung der Wertsachen mussten die Frauen am Kopfende der Baracke die sogenannte Friseurstube passieren, wo ihnen durch die Angehörigen des Friseurkommandos die Köpfe geschoren wurden.
Die Haare wurden gesammelt und nach entsprechender Behandlung ebenso wie alle übrigen im Lager anfallenden Sachwerte dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS zur weiteren Verwertung zur Verfügung gestellt.

Nach dem Passieren der Friseurstube gelangten die Frauen, die man häufig mit dem Hinweis, das Wasser werde schon kalt, zur größten Eile antrieb, in den schon früher beschriebenen Schlauch und traten damit den Weg zur endgültigen Vernichtung an.

In der Zwischenzeit erfolgte bei den auf dem Umschlagplatz verbliebenen Männern eine weitere Selektion.
Die kräftigsten und stärksten Männer wurden ausgesucht und den verschiedenen Arbeitskommandos in den einzelnen Lagerteilen, sei es als Ersatz für andere Häftlinge, sei es als zusätzliche Arbeitskräfte, zugewiesen.
In der ersten Zeit verschafften diese Selektionen den ausgesuchten Menschen nur eine ganz geringe Überlebenschance, da sie nach Erledigung der ihnen aufgetragenen Arbeiten häufig alsbald doch der Vernichtung zugeführt wurden.
Erst in der späteren Zeit, als die Lagerleitung erkannte, dass gut eingearbeitete Kommandos für den reibungslosen Ablauf der Vernichtungsmaschinerie von Vorteil waren und den Bewachungsmannschaften ihre Aufgaben erleichterten, stieg auch die Aussicht der Arbeitsjuden, doch wenigstens noch eine gewisse längere Zeit am Leben zu bleiben.
Die nach den Selektionen für die Vernichtung übrig gebliebenen Männer und Jugendlichen wurden alsdann ebenfalls in den Schlauch geschickt, den sie durch einen besonderen Zugang am Kopfende der Frauenauskleidebaracke betreten mussten.

Von nun an war die Behandlung der Opfer immer die gleiche, ohne Rücksicht darauf ob es sich um Frauen oder um Männer handelte.
Um den Menschen keine Zeit zur Überlegung und zu einem eventuellen Widerstand zu lassen, wurden sie jetzt von den im Schlauch postierten Bewachungsmannschaften mit Stock- und Peitschenschlägen, mit Kolbenhieben und Faustschlägen durch den Schlauch gejagt, den sie in Vierer- und Fünferreihen völlig nackt und mit erhobenen Händen durchlaufen mussten, um anschließend in die Gaskammern getrieben zu werden.
Das Fassungsvermögen der einzelnen Gaskammern wurde dabei bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt.
Unter ständigen Schlägen und Misshandlungen wurden so viele Menschen hineingepresst, dass für sie überhaupt keine Bewegungsfreiheit mehr blieb.
Säuglinge und kleine Kinder wurden dabei häufig über die Köpfe der in den Kammern stehenden Erwachsenen hinweg einfach in die Rume hineingeworfen.
Wenn schließlich überhaupt niemand mehr hineinging, wurden die Türen der Kammern geschlossen und der deutsche Kommandoführer gab, zum Beispiel mit dem Zuruf Iwan, Wasser!, dem Ukrainer im Motorenraum den Befehl, den Motor anzuwerfen, dessen Abgase dann in die Kammern geleitet wurden.

Der Vernichtungsvorgang selbst dauerte etwa 30 bis 40 Minuten. Dann wurde der Motor abgestellt und durch Abhorchen an den Türen festgestellt, ob sich im Innern der Kammern noch Leben regte. War dies nicht der Fall, wurde der Befehl zum öffnen der an den Außenwänden angebrachten Klapptüren gegeben und mit dem Transport der Leichen begonnen.
Zeigte sich, was hin und wieder vorkam, noch nach Beendigung der Vergasung gleichwohl bei dem einen oder anderen Opfer Leben, so wurde es entweder noch auf der Rampe oder auf dem weiteren Wege zur Grube bzw. später zum Verbrennungsrost von dem deutschen Kommandoführer oder einem Angehörigen der ukrainischen Wachmannschaften erschossen. Ferner wurden auch solche Ankömmlinge direkt an den Leichengruben erschossen, die wegen Überfüllung der Gaskammern übriggeblieben waren und für die, weil es sich nur noch um eine geringe Anzahl von Opfern handelte, eine neue Vergasung zu aufwendig gewesen wäre.

Während der Ausräumung der Gaskammern und deren Reinigung durch die Angehörigen des sogenannten Säuberungskommandos mussten die nachfolgenden Opfer in einer Entfernung von etwa 50 bis 60 Metern vor den Gaskammern darauf warten, dass auch sie an die Reihe kamen.


Die Einsicht in das Gebäude selbst war ihnen im alten Gashaus durch eine Tür, bei den neuen Gaskammern durch den schon beschriebenen dunklen Vorhang verwehrt, der während des Vergasungsvorgangs vor den Eingang gezogen wurde.

Dieses Warten auf die nächste Füllung der Kammern war besonders qualvoll, da die nachfolgenden die Schreckensschreie und das Jammern der in den Kammern befindlichen Personen hörten und über ihr eigenes ihnen unmittelbar bevorstehendes Schicksal nun auch nicht mehr den geringsten Zweifel haben konnten.
Diese Qual erreichte ihren Höhepunkt, wenn, wie es zumindest im Anfang häufiger vorkam, der Motor versagte und es geraume Zeit bis zur Wiederinbetriebnahme dauerte.

Wieviele Personen jeweils durch eine Vergasungsaktion erfasst wurden, hat sich in der Hauptverhandlung nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Die Angaben sowohl der einzelnen Angeklagten als auch der gehörten jüdischen Zeugen darüber, wieviele Menschen jeweils in eine Kammer gepresst wurden, gehen ebenso auseinander wie darüber, wieviele Kammern jeweils auf einmal in Betrieb genommen wurden.
Wägt man die einzelnen Angaben gegeneinander ab, so dürfte nur soviel eindeutig feststehen, dass einmal nicht alle 6 bzw. 10 Kammern des neuen Gashauses auf einmal in Betrieb waren, und dass zum anderen das Fassungsvermögen der einzelnen benutzten Kammern bis zum alleräußersten ausgenutzt wurde.
Ein angenommenes Fassungsvermögen von etwa 200 bis 350 Menschen je Gaskammer im alten Haus und etwa 400 bis 700 Menschen je Gaskammer im neuen Haus durfte nach allem am wahrscheinlichsten sein.

Die Zeit zwischen der Ankunft eines Transportes auf der Bahnhofsrampe und der völligen Vernichtung der mit ihm ins Lager gekommenen Menschen betrug im Regelfalle nicht mehr als etwa 1 1/2 Stunden.
Das ergibt sich auch aus den erhalten gebliebenen Fahrplänen der Generaldirektion der Ostbahn, wonach in vielen Fällen zwischen dem Zeitpunkt des Eintreffens und der Abfahrt des bereits wieder völlig ausgeladenen und gesäuberten Zuges nicht mehr als 2 1/2 bis 3 1/2 Stunden vorgesehen waren mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese Planzeiten unbedingt einzuhalten seien.

Dass diese Planzeiten nicht nur auf dem Papier standen, sondern auch tatsächlich eingehalten worden sind, wird klar, wenn man überlegt, dass jedenfalls in den Zeiten des Hochbetriebes täglich drei, ja mitunter auch vier und fünf Transportzüge mit ihrer schaurigen Fracht ankamen und abgefertigt werden mussten.
Da die einzelnen Transporte durchschnittlich 6000 Personen heranbrachten, ist klar, dass die planmäßige Abfertigung, mit anderen Worten also die reibungslose und pünktliche Durchführung der Massenvernichtung ein Hauptanliegen der Lagerleitung wie des gesamten deutschen Lagerpersonals sein musste und in der Tat auch war.