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Übersicht
Frankreich, Region Grand Est, Departement (Nr.) Bas-Rhin (67), Arrondissement Molsheim, Kanton Mutzig, Gemeindeverband Vallee de la Bruche
Lieber Herrgot, mach 'mich stumm,
Dass ich nicht nach Schirmeck kumm!
Lieber Herrgot, mach 'mich blind,
Dass ich alles sehr schön finde!
Lieber Herrgot, mach 'mich taub
Dass ich alle Lügen glaub'! "
Wegen seiner Nähe zum vier Kilometer südöstlich gelegenen KL Natzweiler-Struthof wird das Lager oft fälschlich für ein Außenlager dieses Stammlagers gehalten.
Das Sicherungslager wurde auf Befehl von Gauleiter Wagner nach Rücksprache mit dem lokalen Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) Gustav Scheel in einem vorhandenen Barackenkomplex errichtet.
eröffnet 02.08.1940
(Das Gelände befand sich am Ortsrand der Gemeinde La Broque (Vorbruck), die unter deutscher Verwaltung mit Schirmeck zu einer Großgemeinde zusammengeschlossen war.
Bereiche:
In das Vorlager beziehungsweise den Vorhof gelangte man durch das Haupttor; hier befanden sich die Kantine, die Verhörräume der Gestapo, Hundezwinger, Werkstätten, Garagen, die Lagerkommandantur und die Unterkünfte der Wachmannschaften.
Im Hauptlager befanden sich elf hölzerne Baracken für männliche Häftlinge, der Appellplatz sowie mehrere Nebengebäude wie die Küche, Sanitärräume und die Krankenbaracke.
Das Oberlager bestand ab Juli 1941 aus drei Steinbaracken, in der die weiblichen Häftlinge untergebracht waren. 1943 entstand im Oberlager ein „Festsaal“ genanntes Gebäude mit einem Saal für 2000 Personen, in dem der Lagerkommandant am Sonntagmorgen „Ansprachen“ an die Gefangenen hielt. Im Erdgeschoss des „Festsaals“ dienten 26 Einzelzellen der verschärften Isolationshaft.
24.11.1944
Am 24. November 1944 befreiten Soldaten der US-Armee das Lager, das zuvor von der örtlichen Bevölkerung geplündert worden war. Die ins Deutsche Reich deportierten Häftlinge blieben zumeist bis April 1945 gefangen.
Vom dem ehemaligen Lager das nach Kriegsende, zwischen 1954 und 1960, völlig abgebaut wurde ist heute wenig erhalten. Das 1943 errichtete Gebäude der „Kommandatur“ in der Rue du Souvenir ist heutzutage in Privatbesitz. Auf der Vorderfront des Gebäudes, erinnert eine Gedenktafel an die Ereignisse die dort stattfanden.
Hintergrund
Im Herbst 1939 ließ die französische Regierung am Rande der Gemeinde La Broque (dt.: Vorbruck) im elsässischen Breuschtal mehrere Holzbaracken errichten. Sie sollten als Unterbringungsort für einige der Zivilisten dienen, die nach der Kriegserklärung Frankreichs an das Deutsche Reich am 3. September 1939 evakuiert wurden. Da der Großteil der insgesamt etwa 600.000 Menschen jedoch in den Südwesten Frankreichs gebracht werden konnte, standen die Baracken sehr bald für andere Zwecke zur Verfügung. Die französische Armee übernahm den Komplex und richtete dort eine Unfallstation und eine Krankenabteilung ein. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich im Juni 1940 und der anschließenden Annektierung Elsass-Lothringen wurde der bestehende Barackenkomplexes am 2. August 1940 in ein Sicherungs- bzw. Erziehungslager umgewandelt, um oppositionelle Elsässer im Sinne des Nationalsozialismus „erziehen“ bzw. „umerziehen“ zu können. Im Lager Schirmeck sollten vornehmlich Elsässer für einen begrenzten Zeitraum inhaftiert werden, die sich der von den Nationalsozialisten angestrebten „Germanisierung“ Elsass-Mosels entgegenstellten. Dabei konnten z.B. das Sprechen der französischen Sprache, das Tragen der Baskenmütze, ein Protest gegen die Eindeutschung des Namens oder die Kritik an einem Nationalsozialisten Einlieferungsgründe sein. Innerhalb kurzer Zeit befanden sich unter den Häftlingen auch Menschen zahlreicher anderer Nationen, u.a. Amerikaner, Belgier, Deutsche, Engländer, Franzosen, Polen, Rumänen, Russen und Skandinavier. Insgesamt durchliefen das Lager Schirmeck schätzungsweise rund 25.000 Häftlinge, wobei durchschnittlich vermutlich rund 1.000 Männer und 250 Frauen im Lager inhaftiert waren. Die Männer mussten beim Unterhalt des Lagers oder beim Straßenbau arbeiten. Die Frauen arbeiteten vornehmlich in der Wäscherei sowie bei Stopf- und Flickarbeiten. Außerhalb des Lagers bestanden verschiedene Arbeitskommandos in mehreren Steinbrüchen, im Wald sowie bei verschiedenen Betrieben, an die die Häftlinge als Zwangsarbeiter „vermietet“ wurden. Der Lageralltag der Häftlinge war neben der Arbeit durch Gewalt und Terror der Aufseher geprägt. Für den Zeitraum vom 26. August 1940 bis zum 10. November 1944 hielt die Lagerleitung offiziell 76 Todesfälle fest. Die wirkliche Zahl dürfte jedoch wesentlich höher liegen. Schätzungen gehen von etwa 500 Gefangenen aus, die im Lager ermordet wurden oder an den Folgen von Krankheiten und Misshandlungen starben. Ende August 1944 begann die Auflösung des Lagers. In mehreren Transporten wurden die meisten Gefangenen nach Deutschland verschleppt, u.a. nach Rotenfels, Haslach und Sulz am Neckar. Nachdem die Alliierten im November 1944 strategisch wichtige Punkte im Breuschtal bombardiert hatten, verließ der letzte Gefangenentransport am Abend des 22. November 1944 das Lager. Etwa 300 weibliche Häftlinge blieben zurück und fanden am darauffolgenden Tag zum Teil Zuflucht bei Einwohnern in der Umgebung Schirmeck. Das Lager wurde am 24. November 1944 von amerikanischen Soldaten befreit.
Zeitzeugenberichte
Über die Ereignisse im Sicherungslager Schirmeck berichtet der ehemalige Inhaftierte Pierre Seel. Als 17-jähriger wurde er aufgrund seiner Homosexualität in Schirmeck interniert.
Mir blieb keiner der Schrecken von Schirmeck erspart. Unter dem Gebrüll der SS-Männer musste ich alle Arten von gefährlichen oder einfach dummen Befehlen und ermüdenden Aufgaben ausführen und wurde schnell ihr willenloses Spielzeug. Man riss uns um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf. Wir verschlangen hastig ein undefinierbares Gebräu und eine kleine Scheibe Kommissbrot, kaum mehr als ein vertrocknetes oder verschimmeltes Stück Schwarzbrot. Nach dem Appell zogen die meisten von uns in die Steinbrüche der Umgebung, wo wir Steine aus dem Fels brachen und auf Kipploren luden. Die SS-Männer waren stets von deutschen Schäferhunden begleitet, um uns davon abzuhalten, im dichten Wald zu verschwinden. (…) Um die Mittagszeit servierte man uns eine dünne Suppe mit einem Stückchen Wurst. Dann ging die Arbeit bis achtzehn Uhr weiter. Bei unserer Rückkehr ins Lager durchsuchte man uns gründlich. Danach zogen wir uns in unsere Baracken zurück. Mit zwei Schöpflöffeln Kohlsuppe klang unser Tag aus. Es gab einen letzten Appell, und dann drehte sich der Schlüssel zweimal im Türschloss unserer Baracken. Die nächtlichen Patrouillen begannen, obwohl der Tag hinter den Bergen noch nicht zu Ende gegangen war. Erschöpft und verstört bemühte ich mich, den einen oder anderen Blick aufzufangen, mit einem dieser Gespenster, die genauso ausgelaugt waren wie ich, ein paar Worte zu wechseln. Aber sehr bald verzichtete ich darauf. Ich begriff, dass jeder Kontakt unmöglich, ja gefährlich war: Das Lager glich einem Ameisenhaufen, in dem jeder nur seine eigene Aufgabe wahrnahm. Eines Tages forderte man uns über die Lautsprecher auf, uns auf dem Exerzierplatz einzufinden. Tatsächlich erwartete uns diesmal aber eine ganz andere, eine schmerzlichere Prüfung, nämlich eine Hinrichtung. Man führte einen jungen Mann, zu jeder Seite von einem SS-Mann gehalten, in die Mitte des Quadrats. Voller Schrecken erkannte ich Jo, meinen zärtlichen Freund. Bis dahin war ich ihm im Lager nie begegnet. War er vor oder nach mir eingetroffen? In den paar Tagen vor meiner Vorladung bei der Gestapo konnten wir uns nicht sehen. Ich erstarrte vor Schreck. Ich hatte darum gebetet, er möge ihren Razzien, ihren Listen und ihren Demütigungen entkommen. Aber da war er, vor meinem ohnmächtigen Blick, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Im Gegensatz zu mir hatte er keine gefährlichen Kuverts verteilt, keine Anschläge abgerissen und auch keinen Aufruf unterzeichnet. Und dennoch hatte man ihn verhaftet, und gleich würde er sterben. So vollständig waren die Listen also. Was würde sich ereignen? Was warfen diese Ungeheuer ihm vor? In meinem Schmerz habe ich vollständig vergessen, wie der Akt der Urteilsverkündung selbst vor sich ging. Dann tönte laute Musik aus den Lautsprechern, während SS-Männern ihn nackt auszogen. Danach stülpten Sie ihm heftig einen Blecheimer über den Kopf. Sie hetzten die reißenden Wachhunde des Lagers, die deutschen Schäferhunde, auf ihn. Zuerst bissen sie ihn in den Unterleib und in die Schenkel, bevor sie ihn vor unseren Blicken verschlangen. Seine Schmerzensschreie wurden durch den Eimer, der die ganze Zeit über seinen Kopf bedeckte, verstärkt und verzerrt. Starr und schwankend, die Augen weit aufgerissen, angesichts so viel Schreckens, mit tränenüberströmten Wangen, betete ich inbrünstig darum, dass er ganz schnell das Bewusstsein verlieren möge. Seither schrecke ich bis heute oft nachts schreiend aus dem Schlaf.