Mein Westfalen
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Es war ein
sonniger Spätherbsttag des Jahres 1844 als ein 47- jähriger Mann
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auf der Reise
von Paris nach Hamburg bei Hagen mit der Postkutsche
ins |
Westfälische
kam. |
Diesen Moment dichtete er
zwei Jahre später in seinem Werk
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Deutschland. Ein
Wintermärchen Gott Grüß Euch, Ihr lieben Westfalen ...
und |
schenk Euren Söhnen ein leichtes
Examen, Amen.
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Das war ein Düsseldorfer, der so über die Westfalen schrieb, Heinrich Heine! |
Dieses von Heinrich Heine
gegebene Bild der Westfalen hatte eine Geschichte, |
die in der politischen und
kulturellen Historie Westfalens das angeblich |
Rückständige oder
vielleicht auch zu kurz gekommene durchschimmern lässt. |
In Chiavenna nördlich
des Comer Sees, dort wo die Straßen vom Splügenund |
Majolapass
zusammenlaufen, hatte Kaiser Friedrich 1174 sein Heer und die |
großen des Reiches um sich
versammelt. |
Im 9. Jahrhundert begann
dann die Bezeichnung Westfalen, sich auch auf |
das Gebiet der Engern und Ostfalen auszudehnen. Es umfasste das
ganze |
Land zwischen Rhein und Weser. |
Dann 200
Jahre später kommt in der Spannung der Italien- Politik Friedrich I.,
|
Barbarossas, für einen
Augenblick der Name des Herzogtums Westfalen aus |
dem Unbeachtetsein in den
Horizont des geschichtlichen Interesses. Dem |
geht eine dramatische
Situation voraus, die ich für eine der Schlüsselszenen |
im
politischen Geschick Westfalens halte.
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In Chiavenna nördlich des Comer Sees, dort wo die Straßen vom
Splügenund |
Majolapass
zusammenlaufen, hatte Kaiser Friedrich 1174 sein Heer und die |
großen des Reiches um sich
versammelt. |
Darunter auch den mächtigen
Herzog von Sachsen und
Bayern, |
Heinrich den Löwen, dessen
Hilfe er unbedingt für den
beginnenden |
Feldzug gegen den Papst und
die lombardischen Städte brauchte, der
sich |
aber verweigerte. |
Da tat der romantische und
emotionale Staufer einen Kniefall
vor
seinem |
Vasallen, um ihn
umzustimmen. |
Alles schwieg betreten, bis die Kaiserin zu ihrem Mann ging und ihn ansprach:
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Lieber Herr, steh auf, Gott wird dir helfen, wenn du einst dieses Tages
und |
dieses
Hochmuts gedenken wirst.
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Heinrich der Löwe, der sich
nicht umstimmen ließ, weil der Kaiser
seiner |
Gegenforderung nicht
entsprechen konnte, ritt von dannen und |
Friedrich der II. verlor die
anschließende Schlacht von
Legnano. |
Aber schon zwei Jahre später
1180 hatte er in Deutschland
aufgeräumt |
und Heinrich der Löwe
musste sich unterwerfen. |
Dabei verlor er das
Herzogtum Westfalen an den kölnischen Kurfürsten und |
das Herzogtum Bayern ging
an die Wittelsbacher, die dort ununterbrochen |
von 1280 bis 1918
regierten. In Westfalen waren schon vorher die Bistümer |
Osnabrück und Münster zu
großer politischer Unabhängigkeit erstarkt. |
Was der Kölner Kurfürst jetzt bekam, war im wesentlichen das
südliche |
Westfalen mit den Städten Arnsberg und
Soest. |
So hat die Geschichte
Westfalen schon früh geteilt und als Stiefkind behandelt |
und ihm das Glück der
politischen Einheit versagt. Aber Stiefkinder müssen |
sich wehren
und behaupten und entwickeln deshalb oft frühzeitig
eine |
besondere Vitalität, so auch
das Westfalentum. |
Das westfälische
Selbstbewusstsein erstarkte als bleibende
Gemeinsamkeit |
in einer Fülle
regionaler, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ereignisse. |
Unabhängig von den
zerrissenen politischen Herrschaftsverhältnissen, setzte |
es sich mit überraschender
Zähigkeit immer wieder durch. In allen Quartieren |
der Hanse, ob in Brügge,
London oder Nowgorod existierten selbstbewusste |
westfälische Fraktionen,
unabhängig von der heimischen politischen |
Situation,
ob es sich um eine freie Reichsstadt wie Dortmund handelte
oder |
von den Fürsten bzw. Bischöfen abhängige Städte oder
Bistümer. |
Dieser Unterschied
störte nicht nur nicht, sondern war zusammen mit der |
schwachen
Reichsgewalt gerade der Grund, als das
Einigende |
das Westfalentum
herauszustellen. |
Ähnliches zeigt die Veme,
jenes typisch westfälische Freigericht, das |
unabhängig von der Territorialgewalt
entstand.
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Die Veme zeigt
zweierlei. |
Einmal die große Energie, die von den westfälischen Freigrafen und
Schöffen |
ausging, immer da, wo das
überkommene Recht und seine Durchsetzung im |
ganzen Reich
nicht ausreichte, für Recht und Ordnung zu
sorgen und zwar |
zunächst nur auf
handfester, handhafter Tat. |
Mit blinkendem
Scheine, wie es in den Quellen
heißt. |
Zum anderen fällt die
überhaupt nicht eingrenzte örtliche Zuständigkeit auf, |
möglicherweise eine Eigenart
des sächsischen Rechts. |
Denn auch in Amerika, dessen Recht
weitgehend aus dem angelsächsischen |
common law kommt,
erleben wir, dass plötzlich ein Richter – sagen wir
aus |
Cincinnatti – über einen
Schadensanspruch zu Lasten irgendeines Beklagten |
irgendwo in der Welt
urteilt. |
Die Veme bleibt ein
Ausbruch westfälischer Energie, wie sie schon in der |
Hanse und ihr vorhergehend
und gleichzeitig in der Besiedlung des |
Ostdeutschen
Raumes zu erkennen ist. |
Die Stadtrechte von Soest
und Dortmund lieferten die früheitliche Verfassung |
für die Städte am
Ostseerand. |
Im baltischen Adel wimmelte es von westfälischen Namen. So führte ein |
Heinrich von Plettenberg als Hochmeister des preußischen Ordens eine |
erfolgreiche Verteidigung Livlands gegen Russen und
Polen. |
Die Dönhoffs in Ostpreußen
sind eines der bekannten
westfälischen |
Geschlechter. |
Wenn die Frage gestellt
wird, wie hat es die Geschichte mit den Westfalen |
gemeint, ist das auch die
Frage, wie sich das Selbstbewusstsein des Landes |
in der
Literatur der Zeit widerspiegelt. Selbstlob ist nicht der Westfalen
Sache,
|
aber immer
dann, wenn ein als unberechtigt empfundener Angriff deutlich
|
wurde, gab es eine kräftige
Antwort. So auch auf die wenig glanzvolle |
Erwähnung Westfalens in den
Schriften italienischer Humanisten, vor allem |
des Aeneus Silvius,
übrigens der spätere Papst Eneo Silvio Piccolomini, der in |
einer viel gelesenen
Europabeschreibung Westfalen sehr abwertend und als |
eine regio frigido also eine ziemlich kalte Gegend
schilderte. |
Panemnigrum schwarzes Brot, äßen sie und tränken dabei noch
Bier. |
Dem späteren Papst hätte also auf einer Reinoldiveranstaltung das dunkle |
Brot auch an das
gute Bier wohl nicht
geschmeckt. |
Daraufhin stand 1474
ein wortmächtiger Mann aus Laer im Kreise Steinfurt |
auf mit seinem großartigen
achtbändigen Werk:
|
de laude antiquae Saxoniae
nunc Westfaliae
dicta
|
zum Lobe des alten
Sachsenlandes, jetzt Westfalen genannt. |
Werner
Rolevinck, dieser Bauernsohn des Münsterlandes lebte als
|
Karthäusermönch in Köln und
wollte die Ehre seines Heimatlandes retten. Um |
seinen Ruhm der Welt zu
künden, ruft er das westfälische Selbstgefühl zu |
kraftvoller Sprache auf. Er
berichtet von dem Reichtum an Bodenschätzen, |
den Erzeugnissen des
Ackerbaus, der Viehzucht und des Gewerbefleißes, die |
die Grundbelage dafür
gegeben hätten, dass sich der westfälische Ausfuhr |
handel weit über die Meere ausdehne. |
Das war eine Stimme des
versinkenden Mittelalters. |
50 Jahre später mit dem
Beginn der Neuzeit erleben wir eine weitere |
Renaissance
in der Literatur. |
Die vom römischen
Schriftsteller Tacitus genannten positiven
Eigenschaften |
der Germanen wurden jetzt
von den Humanisten den Westfalen zugeordnet. |
Ulrich von Hutten
schrieb 1520 an den sächsischen Kurfürsten
Friedrich |
den
Weisen:
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Wie es bei Tacitus heiße,
hätten die Westfalen sich schon einmal als
Sieger |
über die Weltmacht Rom mit ihrem Anführer Arminius gezeigt.
|
Sogar bis nach England trug
der berühmte Erasmus von Rotterdam in |
mehreren
Briefen an Thomas Morus 1521 das Lob der
Westfalen,
|
das
viele Männer vom höchsten Geist und keineswegs
alltäglicher |
Gelehrsamkeit hervorgebracht habe, durch
seine Treue und Sittenreinheit, |
durch seine schlichte Klugheit und
wohlbedachte Einfachheit
hervorsteche.
|
Das war für 150 Jahre das
letzte Lob aus berufenem Munde.
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Mit dem Untergang
der Hanse gingen auch die Blüte des
Landes und der |
Wohlstand der westfälischenStädte dahin. |
Der Handel stockte,
der Verkehr erlahmte und auf allen Gebieten
des |
materiellen und geistigen
Lebens trat ein Stillstand ein. |
Reisende durch das Land
schilderten Westfalen als das Boötien |
Deutschlands.
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Das war bei den alten
Griechen die rückständigste Provinz. |
Noch Voltaire teilte
dieses Westfalenbild. Der große französische Philosoph |
folgte 1744 einer
Einladung des Preußen- Königs Friedrich II. und reiste
von |
Compiégne nach
Potsdam. Wie es das Unglück wollte, saß er in
Brackwede |
bei Bielefeld fest. Ob die
Kutsche umgefallen oder ähnliches passiert war, ist |
nicht bekannt,
jedenfalls zogen ihn die westfälischen Bauern aus dem
Dreck |
und konnten sich
vor Lachen nicht halten, als sie den überaus
eleganten |
Franzosen mit
Spitzenjabos an den Ärmeln und seidenen Pluderhosen
über |
den Knien, mit
verrutschter Perücke auf seinen Schnallenschuhen schimpfend |
herum springen sahen. |
Das hat ihnen der eitle
Voltaire nie vergessen. Sein Bericht bei
seinem |
Gönner Friedrich II. und vor
allem sein in Europa viel gelesener Roman mit dem |
Titel Candide zeigt in der Hauptfigur einen Westfalen, der
zwar eine Fülle |
fantastischer Abenteuer in
der ganzen Welt zu bestehen hat, der sich
aber |
durch großes
Ungeschick und Tölpelhaftigkeit auszeichnet und nur
durch |
unvorstellbares Glück immer
wieder weiter kommt. |
Dazu kam dann noch Voltaires Reiseschilderung, dass die Menschen
in |
Westfalen mit den Tieren unter einem Dach lebten und wie er
schreibt:
|
Schwarz glänzende
Steine als Nahrung zu sich
nähmen.
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Sein Bericht von den
Pumpernickelessern hat bei Friedrich II.
einen |
verheerenden Einfluss
auf dessen und auch der
nachfolgenden |
preußischen Könige
Vorstellung von den Westfalen gehabt. Da half es
auch |
nicht, dass in
Osnabrück mit Justus Möser ein glänzender Staatsmann
und |
Historiker aufstand
und Westfalen verteidigte. Das Stift Osnabrück, das er als |
Kern Westfalens ansah, habe
mehr Einwohner pro qm als Frankreich und |
nütze sein Ackerland viel
ertragreicher und er schildert die Lebensweise der |
Westfalen als
arbeitsam, wahrhaftig, gesund, unverdorben und
vernünftig. |
So gut wie gar keine
Beiträge lieferte der westfälische Adel. Er blieb |
traditions- und
standesgemäß am Liebsten unter sich und die Bewahrung |
seiner Privilegien war sein
Hauptanliegen. Annette von Droste- Hülshoff war |
die leuchtende Ausnahme und
gleichzeitig vermitteln ihre hinterlassenen |
Briefe bleibende Eindrücke
vom geringen literarischen Bildungsstand des |
Adels. |
Die eigene Familie nahm
kritischen Einfluss auf ihr Schaffen und ihr Bruder |
als Familienhaupt entschied
mit darüber, ob und wo die Droste publizieren |
durfte. |
Wie Annette selbst
berichtet, erklärte ihr eigener Vetter Ferdinand
von Galen |
ihre erste
Gedichtsausgabe für reinen Plunder, für Unverständlich und konfus |
und er könne nicht
begreifen, wie eine scheinbar Vernünftige
Person, solches |
Zeug habe schreiben
können. |
Allgemein blieb so das
schöngeistige Leben in der westfälischen Metropole |
Münster hinter dem anderen
deutschen Städte zurück. Die einzige bedeutende |
Zeitung in Westfalen war
der Westfälische Merkur, der 1821 von den |
Buchhändlern Coppenrath in
Münster gegründet worden war. Aber während |
es die Kölnische Zeitung
1837 auf eine Auflage von 9.000 Exemplaren brachte, |
kam der Westfälische Merkur
gerade auf 1.600 Exemplare. Die mangelnde |
Einheit des Landes und die
Zerrissenheit in Konfessionsfragen verhinderte bis |
zum Ausgang des 18.
Jahrhunderts das Entstehen einer kräftigen |
Publizitätswelt, die das ganze Land umfasst
hätte.
|
Um die Wende vom 18. zum
19. Jahrhundert erschütterten dann die |
Französischen
Revolutionsheere und Napoleon die bestehende Ordnung in |
Europa und in Deutschland und darin auch
Westfalen. |
Der
Reichsdeputationshauptschluss von 1803 löste Westfalen noch weiter |
auseinanderstrebend
auf. Das säkularisierte Bistum Münster kam an |
Preußen, Osnabrück nach
Hannover, Dortmund verlor die
Reichsfreiheit |
und wanderte zu
Hessen- Nassau und der Rest des Herzogtums Westfalen, |
das Sauerland kam an die
Herzöge von Hessen-
Darmstadt. |
Wie ein historisches
Irrlicht erschien dann plötzlich von 1807 bis 1814 ein |
Königreich Westfalen auf
der Landkarte, das der Bruder Napoleons, Jerome |
Bonaparte, von Kassel aus
regierte, nur dass dieses Königreich mit Westfalen |
kaum etwas zu tun hatte. Es
bestand zu 90 % aus hessischen, hannoverschen |
und braunschweigischen
Gebieten. Nur eins zeigte das Auftauchen dieses |
merkwürdigen
Königreichs. Der Begriff Westfalen hatte im Bewusstsein der
|
Zeitgenossen so viel
Gewicht, dass er als Grundlage und Name für ein |
Königreich
tragfähig
erschien. |
Der Untergang Napoleons und
der Wiener- Kongress brachte den Preußen |
dann die beiden
Westprovinzen Rheinland und Westfalen. Hier haben wir zum |
ersten Mal die
Zusammenfassung des größten Teils des alten westfälischen |
Stammesraums, aber ohne
Osnabrück dessen führende Männer sich doch |
stets als Westfalen
artikuliert hatten und auch ohne das immer als westfälisch |
angesehene Niederstift Münster
mit den Ämtern Vechta und Cloppenburg. |
Essen wurde der
Rheinprovinz zugesprochen, obwohl es auch zum |
westfälischen Stammesgebiet
gehörte. |
Die Essener sprachen
ein westfälisches Platt und erst westlich von
Essen |
halbwegs nach
Mühlheim schwingt das Westfälische in den
rheinischen |
Dialekt
über.
|
Doch das Herz der
preußischen Könige schlug nicht für die neu erworbene |
Provinz. Schon 100 Jahre
früher hatte der Vorgänger Friedrichs des Großen, |
Friedrich Wilhelm der I.,
in seinem politischen Testament dem westfälischen |
Adel jegliche Begabung
abgesprochen. Er schreibt:
|
Was Kleve und Grafschaft
Mark ist, sein die Vasallen dumme Ochsen
und |
malliceus wie der Teufel. Die Nation
(damit meint er die Westfalen) ist sehr |
intrigrant und sehr falsch dabei und
saufen wie die Bester, mehr wissen
sie |
nicht.
|
Ähnliches finden wir bei
Friedrich dem Großen. Das von seiner aufgeklärten |
und zynischen Geisteswelt
keine Brücke zu den schwerblütigen, frommen |
Westfalen bestehen konnte,
möchte ich Ihnen an zwei Positionen deutlich |
machen: Einmal die wie immer mit einem Hauch von Melancholie
dichtende |
Westfälin Annette mit ihrem
|
Schaurig ist es über das Moor zu gehen, wenn das Röhricht knistert im
Rauche
|
oder:
|
Kennst du die Blassen
im Heideland, mit blonden flächsenen Haaren, mit |
Augen so hell wie am
Weiersrand, die Blitze der Wellen
fahren.
|
Und dagegen Friedrich II.
mit seinem Zynismus der in seinen Marginalien auf |
dem Rand der Akten landete.
Als ihm sein Wiener Gesandter nach der Teilung |
Polens zwischen Russland, Preußen und Österreich vom
schlechten |
Gewissen der frommen Maria Theresia berichtete,
schrieb er auf den Rand:
|
sie
weint aber sie
nimmt |
Als ihm eine
protestantische Gemeinde schrieb, sie möchte einen anderen |
Pfarrer haben, denn der
jetzige glaube nicht an die Auferstehung des |
Fleisches am jüngsten
Tage, schrieb der König nur an den Rand:
|
1) Der
Pfarrer bleibt.
|
2) Wenn er am jüngsten Tage
nicht aufstehen will, kann er ruhig liegen bleiben.
|
Als ihm ein Westfale zu
einer Ratsstelle empfohlen wurde, schrieb er nur an |
den
Rand:
|
dieser kann es nicht werden,
denn die Westfalen haben kein Genie.
|
Dieses negative Image
änderte sich erst, als der Freiherr Ludwig Vincke, der |
zurückgezogen auf seinem
Gut in Ickern bei Hamm lebte, zunächst zum |
Generalkommissar für die
gesamten neuen Westgebiete und später zum |
Oberpräsidenten für die
neue Provinz Westfalen bestellt wurde. Er hatte eine |
Riesenaufgabe, hier eine
geordnete Verwaltung aufzuziehen und tat dies mit |
größtem Erfolg.
Dabei waren die regionalen Vorstellungen für eine
einheitliche |
Provinz Westfalen bei Ludwig Vincke wesentlich umfassender. Zwar
gewann |
er 1817 das Siegener Gebiet, das vorher nassauisch-oranisch war, hinzu,
aber |
um das große reiche Osnabrück kämpfte er vergebens. Die Stadt
ging |
endgültig an Hannover. |
Hier haben wir es wieder
einmal mit einer historischen Weggabelung zu
tun, |
in dem das
Westfalentum den Kürzeren zog. Mit Osnabrück und dem |
Niederstift Münster, mit Vechta und Cloppenburg, wäre Westfalen
Kraft |
seiner schieren Größe
sicher ein selbständiges Land geblieben und nicht wie |
heute in
Nordrhein Westfalen hinter dem Bindestrich gelandet. Dasselbe gilt
|
für das eigentlich
westfälische Essen. Die Einstellung Preußens zur neuen |
Provinz gibt eine Verordnung
zur Personalpolitik von 1815 zu
erkennen. |
Darin heißt es,
|
Das neben kundigen
Offizianten– also alten preußischen Beamten –
vorzüglich |
auch
Eingeborene
|
angestellt werden sollten,
welche geeignet seien, die preußische Regierung |
beliebt zu machen. Das Wort
Eingeborene hatte damals durchaus den gleichen |
kolonial- verfremdenden
Akzent wie heute und man bedenke, bei aller |
Integration der Provinz in
den preußischen Staat waren von den neun |
Oberpräsidenten der Provinz
von 1815 bis 1919 nur zwei aus Westfalen |
stammend.
So sehr die in der Industrialisierung aufblühende Provinz
zum |
Steueraufkommen
Gesamt- Preußens beitrug, so wenig wurde davon
die |
Kultuspolitik
Preußens beeinflusst. Die katholischen Universitäten in
Münster |
und Paderborn und die protestantische hohe Schule in Burgsteinfurt
wurden |
von den Preußen aufgehoben. Der Kaiser Wilhelm
zugeschriebene Satz: |
Im Ruhrgebiet - und das war
ja zum erheblichen Teil westfälisch –
keine |
Kasernen und keine Universitäten, ist zwar historisch nie
nachgewiesen
|
worden. |
Er spiegelt aber die
kulturelle Vernachlässigung Westfalens wieder. Die
1898 |
einsetzenden und in den
20er Jahren noch einmal wiederholten
Bemühungen |
der Industrie- und
Handelskammer zu Dortmund, um eine
technische |
Hochschule, wurde
auch 1922 noch einmal im Hinblick auf Aachen |
abgelehnt, weil nach dem
verlorenen Krieg der Aachener Raum als
Grenzraum |
anzusehen und zu
schützen sei. Ähnliches galt für die
Verkehrspolitik. Beim |
Aufkommen der Eisenbahnen in
Westfalen kamen die Anregungen und
auch |
die Finanzierungen
für die Köln Mindener und für die
Märkische Eisenbahn |
aus dem Raum selbst.
Preußens Hauptstadt Berlin,
gleichzeitig |
Reichshauptstadt, hatte schon vor dem 1. Weltkrieg ein
hochmodernes |
S- und
U- Bahn- Netz, während im Ruhrgebiet, eigentlich ein
ähnlich
|
geballtes
Siedlungsgebiet wie Berlin, und wo das Geld verdient wurde,
nichts |
ähnliches geschah.
Wenig im Sinn mit den Westfalen hatte der letzte
preußische |
König und
Kaiser Wilhelm II. Die Hast mit der er den Besuch 1899 bei der |
Hafeneröffnung
in Dortmund absolvierte war fast eine Beleidigung für die |
Honorationen und die Bürger der Stadt, die ihm einen solch
begeisterten |
Empfang geboten hatten. Schroff und nicht mit einem Hauch von
fürsorglichem |
Empfinden, so auch 1899 der Empfang der Delegation der
westfälischen
|
streikenden Bergleute
durch den Kaiser, der ihre Anliegen ungeduldig
anhörte |
und denen er
mit Armee und Polizei drohte, wenn sie ihre Arbeit nicht
wieder |
aufnähmen.
Da war es ein Balsam für die Seelen der 3.000 zu
Bismarcks |
85. Geburtstag erschienenen gratulierenden Westfalen, als ihnen der alte |
Kanzler ein großes
Kompliment machte.
|
Er sei überzeugt davon, dass
Hermann der Cherusker, der Retter
Germaniens, |
den Dialekt
Ihrer Heimat gesprochen hätte.
|
Nun, Arminius im westfälischen Platt seinen Angriff kommandierend, ist
zwar |
ein nettes Kompliment, aber bei den vielen Stammesverschiebungen in
den |
folgenden
Jahrhunderten doch etwas zweifelhaft. Bis zum
Untergang |
Preußens 1932 blieb
die Provinz gut verwaltet aber weiterhin vernachlässigt |
durch die fehlende
Ansiedlung von wissenschaftlichen Instituten oder
gar |
Universitäten.
Was den Bestand des Westfalentums heute innerhalb des 1946 |
geschaffenen Landes Nordrhein- Westfalen angeht, haben wir für
ein |
endgültiges Urteil noch keine historische Distanz, aber wir haben
einige Signale, |
die unsere Aufmerksamkeit verlangen. Obwohl es nach
Einwohnerzahl und |
Fläche größer ist als
zwei Drittel unserer Bundesländer hat es die Geschichte |
nicht gewollt, dass
wir ein selbständiges Land haben. Wir haben in der
früheren |
Provinzialhauptstadt Münster
nur noch Reste der alten Provinzverwaltung,
aber |
an deren Spitze haben gerade
aus Dortmund kommende Persönlichkeiten,
wie |
der erste Landeshauptmann
Salzmann oder die Landesdirektoren Manfred |
Scholle und Wolfgang
Schäfer, die eigenständige Kultur unseres Landes mit |
den zur Verfügung bleibenden
Mitteln zäh verteidigt. Dazu kommt die
sehr |
aktive von großzügiger privater Hand eingerichtete Westfalenstiftung. |
Gleichwohl hat sich in der
Benachteiligung Westfalens gegenüber dem |
Rheinland mit seiner Medienkonzentration wenig geändert. Eine von der IHK |
Dortmund erbetene
Untersuchung der letzten 20 Ausgaben des NRW Teils in |
der Welt am Sonntag hat ergeben, dass
darin Berichte über Ereignisse |
in
Westfalen nur halb so oft vorkommen, wie über die des Rheinlandes. Für die
|
Städte Düsseldorf und Dortmund liegt das
Verhältnis der Berichte und |
Erwähnungen bei 115 :
21. |
Eine bei dem
Marketing-Papst Prof. Meffert in Münster vorgelegte
Dissertation |
über Westfalen als
Marke arbeitet heraus, wie positiv die
Begriffe: westfälisch |
und Westfalen
besetzt sind, und zwar außerhalb Westfalens noch mehr als im |
eigenen Lande. Das ist ein Zeichen für die übertriebene
westfälische |
Bescheidenheit.
|
Ist Ihnen schon einmal
aufgefallen, wie das Westfalenlied beginnt? Es beginnt: |
Ihr mögt den Rhein
den stolzen preisen, der in dem Schoß der Reben liegt, und |
kommt dann erst später
umständlich und fas entschuldigend auf Westfalen
zu |
sprechen. |
So geht es nicht! Mit
dem zweiten Platz kann man keine Werbung machen. Weil |
er eine Anregung geben
wollte, hat auch Wolfgang Clement noch vor einigen |
Jahren erklärt: Westfalen
habe im Gegensatz zum Rheinland keine Leuchttürme. |
Nun Leuchttürme: Der
Prinzipalmarkt in Münster bringt die dichteste |
Atmosphäre
mittelalterlicher Stadtschönheit, wie man sie sich
nur vorstellen |
kann. Das Bochumer Schauspielhaus hat internationalen Rang,
das |
Dortmunder Musiktheater war immer mehr als eine
Provinzbühne und mit dem
|
Konzerthaus
haben wir einen weitstrahlenden und einladenden
Leuchtturm, |
von dem wir hoffen, dass es durch den unglücklichen Abgang seines
Schöpfers |
nichts einbüßt. |
Mit unserer IT- Szene,
insbesondere mit dem Technologie- Zentrum und dem |
Technologie-Park, haben wir
eine in Deutschland nicht erreichte Erfolgsstory, |
mehr als wir je zu
hoffen wagten als wir uns mit ihrer Gründung befassten. Die |
Westfalenhalle hat ihren großen,
überregionalen Ruf behalten und da in |
Dortmund alles – so auch
ich – mit Borussia endet, auch dieser Leuchtturm |
wird wieder ins Land
strahlen, insbesondere nachdem wir die Leuchtturmwärter |
ausgewechselt haben.
Das Requiem aus Kohle und Stahl haben
wir |
ausgesungen. Wobei wir
wissen, dass die Dirigenten für die Stahlseite
dieser |
Trauermesse im
Rheinland, in Düsseldorf und Essen
saßen.
|