Kampf um Breslau

Breslau liegt mitten in der fruchtbaren niederschlesischen Tiefebene an der Mündung der Ohle, beiderseits der Oder, die sich hier in mehrere Arme teilt. 80 Brücken verbinden die Stadt. Breslau ist das kulturelle, wissenschaftliche und geistige Zentrum Schlesiens. 1242 wurde die deutsche Stadt gegründet, die 1261 Magdeburger Recht erhielt und seit dem 14. Jahrhundert der Hanse gehört. 1742 fiel die Stadt durch den Breslauer Präliminarfrieden mit Schlesien an Preußen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert trieb die Bevölkerungszahlen nach oben. Von 62.000 im Jahre 1811 bis auf 400.000 im Jahre 1890.

Als der Krieg ausbricht, ist von diesem für viele Jahre nichts zu spüren. Breslau lebt wie im tiefsten Frieden, da die Reichweite der alliierten Bomberverbände nicht bis nach Schlesien reicht. Daher nennt man die Stadt auch den Luftschutzkeller Deutschlands. Das ändert sich mit dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte 1944. Die Front kommt rasend schnell näher. Hitler verschlimmert noch die Situation, als er die letzten wertvollen Panzerdivisionen für einen letzten großen Schlag in Ungarn aus der Front herauszieht. Die Überlegenheit der Roten Armee war erdrückend. Elffach bei der Infanterie, siebenfach bei den Panzern und sogar zwanzigfach bei der Artillerie. Die Russen gingen sogar soweit
anzukündigen, dass sie bei der nächsten Offensive 250 Artillerie Rohre pro Kilometer aufstellen würden. Das war keine Prahlerei, sondern bittere Tatsache.
Die große Offensive begann am 12. Januar 1945. Acht Tage später überquerten die Russen die schlesische Grenze. Breslau war auf den Tag X nicht vorbereitet. Die Stadt ist keine und hat keine Festung. Die Werke gehen auf die Zeit Napoleons zurück und die Anlage war zwischen 1808 und dem Beginn des 1. Weltkrieges keine Festung mehr gewesen. Zu Beginn des Weltkrieges hatte man zwar einige Befestigungen errichtet, aber das waren nicht mehr als schwacher Stahlbeton mit Erdwällen.
Bereits im September 1944 wurde die Stadt zur Festung erklärt. Der erste General Krause, übernahm den Posten am 25. September, um festzustellen, dass absolut gar nichts für die Verteidigung der Stadt bislang bereitgestellt worden war.
Es gab keinen Führungsstab, nur unzureichende Bewaffnung und Munitionsbevorratung, keinerlei Vorkehrungen für Luftversorgung, keine Vorbereitungen pioniertechnischer Art.
Für den Verteidigungskampf hatte man fünf Divisionen vorgesehen, von denen niemand wusste, ob sie je auftauchen würden.

Als sich die Russen nähern, wird die Aufstellung von Festungstruppen durch Alarmierung sämtlicher Breslauer Ersatztruppenteile am 17. Januar in Gang gesetzt, sowie durch Einrichtung von Auffangstellen auf Bahnhöfen und Straßenknotenpunkten, um Durchreisende aller Art und gleichgültig welchen Dienstgrades einer großen Sammelstelle zuzuführen und zu sichten. Dazu kommt die Verlegung der Unteroffiziersschule Frankenstein, aus der vier Regimenter werden. Diesen Regimentern werden Volkssturmbataillone zugeführt. Zum Glück für die Verteidiger wird die 269. Infanteriedivision mit ihrem Generalleutnant Wagner aus dem Elsass verlegt. Durch sie kann man den Vormarsch beiderseits der Hauptstraße Groß Wartenberg - Breslau der Russen verlangsamen, aber nicht stoppen. Am 28. Januar gehen russische Panzer über die zugefrorene Oder.

Auf Gut Weidenbrück, das Teil der Nordfront geworden war, lebt seit seinem Zugang zur Führerreserve Generalfeldmarschall von Kleist. Nur mit Mühe gelingt es ihn davon zu überzeugen, Haus und Hof zu verlassen. Sein Sohn, Rittmeister von Kleist ist auf Genesungsurlaub und übernimmt ein Bataillon, um seine Heimat zu verteidigen. Von Kleist war drei Jahre, von 1935 bis 1938 kommandierender General des schlesischen VIII. Armeekorps gewesen. Seinem Schicksal entgeht er nicht, als er von den Engländern 1946 an Jugoslawien ausgeliefert wird, an Russland 1948 überstellt wird und 1954 im Lager Wladimir stirbt.

Ein Glücksfall für die Verteidiger ist die Lieferung der letzten 100 leichten Feldhaubitzen, Modell 1918, aus dem Borsig Werk in Markstädt. Wenige Tage später kommt ein neuer Oberbefehlshaber nach Breslau. Generalmajor von Ahlfen ist vom Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Schörner, für diese Aufgabe ausgewählt worden. Die erste Entscheidung, die v. Ahlfen trifft, ist die Ernennung von Major Hameister als Chef der Pioniertruppen. Dazu gesellt sich ein weiterer technischer Verband unter der Führung von Leutnant Ing. Schulz. Dieses Technische Bataillon 6 sollte eine wichtige Rolle im Abwehrkampf spielen.

Mitte Februar waren die vorderen deutschen Linien noch 9 – 10 km von der Stadtmitte entfernt. Bei den Abwehrkämpfen waren auch Teile der 269. und 17. Infanteriedivisionen nach Breslau abgedrängt worden. Darunter sechs Sturmgeschütze der Sturmgeschützbrigade 311 und drei Batterien schwerer Feldhaubitzen (15 cm). Diese waren eine willkommene Unterstützung, die das Überleben der Festung Breslau sichern sollte. Unterdessen wurden alle Betriebe nach Waffen und Gerät durchkämmt. Dabei fand man 100 Ofenrohre mit 6.000 Schuss, sowie einige Panzer, die bei den
FAMO Werken zur Reparatur abgestellt worden waren.
Am 28. Februar befiehlt v. Ahlfen den Bau eines Panzerzuges. Er glaubt darin ein Instrument zu sehen, mit dem man das gut ausgebaute Eisenbahn-Ringnetz der Stadt nutzen kann, um bei Gefahr durch schnellen Stellungswechsel Feuerwehr spielen zu können. Die Firma FAMO wird mit dem Bau beauftragt. Zur gleichen Zeit weist ein Führerbefehl den Kommandeur an, eine Landebahn mitten in der Stadt zu bauen, da der Verlust des Platzes Gandau die Luftversorgung gefährde. V. Ahlfen wehrt sich gegen den Plan, die Kaiserstrasse zu einer 1,3 km langen Landebahn auszubauen. Doch die Reaktion Hitlers ist gnadenlos: Der Führer beauftragt den Gauleiter mit dem Bau des stadtinneren Flugplatzes. Der Festungskommandant stellt ihm die nötigen Fachkräfte und Sprengmittel zur Verfügung.
In der Zwischenzeit hat man die relativ ruhige Kampfphase zum Absperren der Kanalisation genutzt. Man befürchtet ein Einsickern des Feindes und trifft Gegenmaßnahmen. Daneben wird die Ohle Niederung überflutet und die Rieselfelder in einen Sumpf verwandelt. Damit sind Panzerangriffe aus dieser Richtung ausgeschlossen.

In der Zwischenzeit hatte das ständige Nörgeln und Einmischen des Gauleiters Hanke Wirkung gezeigt. Schörner entsendet Adjutanten nach Breslau, die aber nicht den Kommandanten befragen, sondern Hanke. Das Resultat ist die Entlassung v. Ahlfen und die Berufung von General Niehoff an seiner Stelle zum 9. März.

Die Verteidiger, die einem ständig wachsenden Druck seitens der Russen ausgesetzt waren, mussten mit immer neuen Ideen diesem begegnen. So machte man aus dem guten Bestand an 8,8 cm Geschützen und Munition eine Tugend, indem man sie in Barrikaden einbauten, die frontal auf den anrückenden Feind schießen konnten. Das bekam auch die feindliche Pak zu spüren, die schlimmste Geißel der deutschen Verteidiger. In konzentriertem Zusammenarbeiten von Granatwerfern, 2 cm Flak und Ofenrohren entwickelte man eine Taktik, die die russische Pak-Bedienung zunächst mit Granatwerferbeschuss und
unmittelbar einsetzendem Flak-Feuer zum Verlassen der Geschütze und in volle Deckung naher gelegenen Häuser zwang. Anschließend schossen Ofenrohr Trupps die Geschütze zusammen. Auf diese Weise hat zum Beispiel das Regiment Mohr in nur 14 Tagen über 100 Pak vernichtet.
Der ununterbrochene Artillerie Beschuss und Bombardierung hatte ganze Stadtviertel in Ruinen verwandelt, die nun wie ein Damoklesschwert über den Verteidigern hingen und sie zu zermalmen drohte. So begann man solche Ruinen einzuebnen. Andere, die dem Feind in die Hände fallen zu drohten oder fallen sollten, wurden so präpariert, dass sie um so gefährlicher für die neuen Besitzer zu werden drohten. Natürlich nutzte man jeden Keller und Kellergang zum Ausbau des eigenen Stellungssystems. Breslau war die voll entwickelte hohe Kunst des Häuserkampfes. Mit allen Mitteln wurde dem Russen die Einsicht in eigene Stellungen oder Verbindungswege genommen. So spannte man Teppiche hintereinander über eine Strasse, um hinter deren Schutz die Kämpfer mit Nachschub zu versorgen.
Und die ließen nicht locker. Es gibt ein Beispiel von der Fanatisierung des Kampfes. Der Kompanieführer Budka des SS Regiments Besslein stand im Zentrum des Abwehrkampfes an der Augusta Strasse gegenüber der feindbesetzten Landesversicherung. Budka stand schießend und mit bloßem Oberkörper in diesem Keller, dessen obere Stockwerke in hellen Flammen standen. Budka ließ sich ständig von Helfern mit Wasser übergießen, um die unerträgliche Hitze ertragen zu können.
Im März und April ging der Häuserkamp verbissen weiter. Im Gebiet der 609. Infanteriedivision steigerte sich das Inferno um die Heiliggeistkirche und Hancke-Krankenhaus ins unerträgliche. Nördlich der Steinstrasse lag eine moderne Schule, in Zweckbeton errichtet. Diese wurde verbissen verteidigt und von russischen Paks im Laufe der Zeit regelrecht zersägt. Diese Kämpfe gingen auch die Nacht weiter und es kam häufig vor, dass Russen und Deutsche in der Schule nur durch eine dünne Wand getrennt waren.
Die Pioniere glänzten mit immer neuen Ideen. So erfand man die Ziegelmine, die wie ein Ziegel aussah und auf drei Meter nicht vom Original unterschieden werden konnten. Verlegt wurden sie nachts mit Hilfe von Angelruten. Den Mangel an Werfermunition beseitigten sie auf ihre Weise. So fanden sie im Zeughausdepot der Frankfurter Strasse 40 Stück schwere 12,5 cm Granatwerfer. Leider ohne Munition und Richtaufsätze. So wurden schließlich aus Kartuschen der 8,8 cm Flakgranaten, die dasselbe Kaliber wie die Werfer hatten, Werfergranaten hergestellt, die mit Sprengmunition aus Blindgängern und Eisensplitter gefüllt wurden. Selbst die Treibladungen wurden aus improvisierten Mitteln hergestellt. So wurden täglich 200 – 300 Granaten hergestellt.
Man fand beim durchkämmen sämtlicher Fabriken nach Munition rund 100.000 Rohlinge und dazugehörendes Pulver für leichte Feldhaubitzengranaten. Durch besondere Fachleute und Zünder, die eingeflogen wurden, wurden diese Granaten fertig gemacht. Den dazugehörigen Sprengstoff fand man wieder in Bombenblindgängern, deren entnommener Sprengstoff in einem Bonbon Kocher gekocht wurde.


Am 20. März bestand der Panzerzug seine Jungfernfahrt. Man hatte ihn mit vier 8,8 cm Flak, einem 3,7 cm Flak, vier 2 cm Flak-Geschützen und zwei MG 42 ausgerüstet. Die Besatzung samt eigener Funkstellung betrug 108 Mann, darunter sechs Lokführer. Besonders im Südwesten leistete der Zug trotz seiner Größe sehr gute Dienste im Abwehrkampf und schoss bis Anfang April sieben Panzer und drei Flugzeuge ab. 30 % seiner Bedienung fand im Laufe der nächsten Wochen den Tod.

Am 27. März ordnete der zuständige NSDAP-Gauleiter Hanke, der auch Reichverteidigungskommissar war, die Räumung aller verlassenen Wohnungen der Stadt an, bis zum ersten Stock herab: Wegen Brandgefahr! Arbeitstrupps wurden zusammengestellt, die Möbel, Bilder, Teppiche und Bücher, überhaupt das gesamte leicht entzündliche Inventar der Wohnungen durch die Fenster auf die Straße werfen mussten, von wo es abtransportiert und auf freien Plätzen verbrannt werden sollte. Frei von jedem Ballast, so hatte Hanke an Hitler gemeldet, sollten Breslaus Einwohner ihre Stadt verteidigen.

Am 8. April unternahm die Rote Armee einen weiteren ihrer ungezählten Angriffe, ausgehend vom Bahnhof Nikolaitor in Richtung Posener Eisenbahnbrücke. Im Bereich Pöpelwitz/Eichenpark wurden sie von den Verteidigern mit ein paar Sturmgeschützen und einem Sturmpanzer IV mit Pantherkanone gestoppt. 25 Panzer verlor die Rote Armee allein bei diesem Vorstoß. Unterdessen war die Einflugschneise Kaiserstrasse unter großen Opfern der Bevölkerung fertig gestellt worden. Doch Flugzeuge landeten hier nicht. Nur einem einsamen Lastensegler gelang dies. Die Versorgung mit Munition kam dadurch praktisch zum erliegen. Anfang April musste man genau abwägen, ob an einem Tag 20 oder 30 Schuss abgefeuert werden durften. Zur Unterstützung bat man die Luftwaffe um mehrere Tiefflieger Einsätze, die auch stattgefunden haben. Jedes Mal wenn die deutschen Jabos und Schlachtflieger über Breslau erschienen, war der Himmel von roten Maschinen wie leergefegt.
Eine der großen Stützen im Kampf um die Versorgung war die Firma FAMO-Fahrzeug- und Motorenwerk e Breslau GmbH. Noch im Dezember 1944 waren hier 8.000 Mann beschäftigt. Da die Evakuierung zu spät eingeleitet wurde, verließ zwar die Belegschaft bis auf 680 Mitarbeiter Breslau, aber der Maschinenpark, verstaut in 150 Güterwagen blieb auf dem Freiburger Bahnhof zurück. Nachdem der Russe sich im Westen bedrohlich dem Werk genähert hatte, wurden die größten Teile in die Stadt in die AVIATIK Zigarettenfabrik umgesiedelt. Dort wurden immer noch ungezählte Zigaretten für den täglichen
Bedarf gefertigt. In diesen Räumen wurden die Verwaltung, Werksküche und sogar einige Maschinen eingerichtet.
Maschinen wurden auch im Keller der Erlöserkirche am Benderplatz und im Altertumsmuseum in der Graupenstrasse aufgestellt. Im Eisenbahnausbesserungswerk an der Mathiasstrasse entstand die Reparaturabteilung für Panzer und den Panzerzug. Hier baute man eingeflogene Kanonenrohre in drei Panzer ein, reparierte die bereits im Kampf stehenden Fahrzeuge und konstruierte aus Panzerstahlplatten kleine Beobachtungshäuschen, die auf der dem Feind zugewandten Böschung des Bahndamms aufgestellt wurden. Um den Mangel an Maschinenwaffen zu beheben baute man die Trommeln der erbeuteten MPs und Sturmgewehre auf deutsche Munition um. In Breslau lagerten auch noch Tausende moderner Maschinengewehre, denen jedoch im Schloss ein kleiner Hebel fehlte, dessen Form- und Materialqualität unbekannt war. Es gelang mit Hilfe eines bebilderten Ersatzteilkataloges dieses Teil nachzubauen. Es kamen jedoch zu wenige zum Einsatz. Es war schlicht zu spät.
Als die Technische Kompanie am 1. Februar nach Breslau versetzt wurde, konnte man nicht erahnen, wie viel diese Männer zum langen Ausharren in der Festung Breslau beitrugen. Sie sicherte die Gasversorgung bis zum 14. Februar und konnte Teile der Stadt sogar noch 14 Tage länger mit Gas versorgen. Die Wasserversorgung wurde durch sechs Bohrtrupps sichergestellt, die im Laufe der Monate 700 Brunnen bohrten. Selbst riesige Rohrbrüche, die durch die pausenlose Bombardierung nicht zu verhindern waren, wurden nachts unter Beschuss wieder repariert. Auch die Kaiserbrücke, ein Wahrzeichen Breslaus, wurde durch die Männer vor der Zerstörung gerettet. Man setzte zwei Oderkähne unter die durch Artillerietreffer geschwächte Brücke, versenkte sie, und nutzte diese als Hilfspfeiler.
Dem Kanalnetz von mehr als 500 km Länge, davon 75 km gemauert, wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Man baute Staudämme ein, um durch extreme Wasserhöhe die Begehung unmöglich zu machen. Kleinere Kanäle wurden verkeilt,
anderen wiederum der Hauptschieber zugeschweißt. Drei große Überflutungsflächen, die unter Beschuss angelegt wurden, halfen die Stadt zu verteidigen, da an diesen Stellen Soldaten eingespart werden konnten.

Die Lage der Stadt hatte sich nach dem tiefen Einbruch der Russen in den Südteil der Stadt stabilisiert. Zwar waren die Spitzen der Roten Armee bis auf zwei bis drei Kilometer an das Zentrum herangekommen, dann aber im konzentrischen Feuer liegen geblieben. Nun sollte Ostern den Russen den ersehnten Sieg bringen. Ostersonntag wurde nicht mit
Glockengeläut sondern mit Wirkungsschiessen der russischen Artillerie begrüßt. Selbst 28 cm Geschütze nahmen an diesem Schiessen teil. Anschließend greift die Rote Armee mit vielen Panzern und unter Nebelschutz über den Flugplatz Gandau an.
Die Fallschirmjägerbataillone haben viele Verluste, die 2 cm Flak fällt wegen Staubbehinderung aus, mehrere 8,8 cm Geschütze durch Volltreffer vernichtet. Nach zwei Stunden stehen Russenpanzer vor der Blindenanstalt. Doch sie machen einen entscheidenden taktischen Fehler. Anstatt in einem Rechtsschwenk die schwache westliche Flanke der Deutschen aufzurollen, bleiben sie bei ihrem Vorstoß nach Nordosten. Es bleibt nun genug Zeit die schwache Westfront zu verstärken und den russischen Angriffsschwung zu stoppen. Dennoch gelingt den Russen ein entscheidender Schlag, die Wegnahme des Flugplatzes und die dadurch unmöglich gewordene Versorgung durch die Luftwaffe.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Breslau aufgeben muss. Die Russen lassen sich nach den Osterangriffen mit weiteren Aktionen Zeit. Wer will auch noch so kurz vor Ende des Krieges sterben? Anstelle von Waffen übernehmen nun Lautsprecher die Initiative. Propaganda im üblichen Sinne, aber auch reale Lageberichte von allen Fronten, die dem Verteidiger die Sinnlosigkeit der Kampffortführung vor Augen führen sollten. General Niehoff telefonierte Anfang Mai mit seinem Vorgesetzten, Feldmarschall Schörner, um die nächsten Schritte abzustimmen. Schörner, der Niehoff bei dessen Amtseinführung im März großspurig den Entsatz binnen zwei Monaten versprach, bestand auf Fortführung des Kampfes bis zur letzten Patrone und von Niehoff erwartete er dass er auch dem toten Führer die Treue halten werde.
Die letzten Besucher bei General Niehoff, für den die Kapitulation bereits beschlossene Sache war, waren die geistlichen Würdenträger der evangelischen Kirche, Pfarrer Hornig und Stadtdekan Dr. Konrad, von katholischer Seite Weihbischof Ferche und Kanonikus Kramer. Sie baten um Prüfung der Lage auch in menschlicher Hinsicht. Niehoff, der den beiden nicht offen sagen konnte, dass er plante am 6. Mai zu kapitulieren, gab genügend Hinweise, dass das große Sterben bald zu Ende sei. Der allerletzte Besucher im Hauptquartier General Niehoffs war Gauleiter Hanke, der um persönliche Unterstützung bei der Flucht aus Breslau bat. Da Niehoff zu keinen Zugeständnissen bereit war, nahm Hanke die Dinge selbst in die Hand, stahl den auf dem Messegelände versteckten Fieseler Storch des Kommandierenden und suchte das Weite.

Am 5. Mai gab Niehoff seinen Entschluss zur Kapitulation seinen Kommandeuren bekannt. Am gleichen Tag lief auch das letzte pathetische Schreiben des Armeeoberkommandos (AOK) 17 ein: Deutschlands Fahnen senken sich in stolzer Trauer vor der Standhaftigkeit der Besatzung und dem Opfermut der Bevölkerung Breslaus. Am 6. Mai stellten die Parteien um 14.00 das Feuer ein. Der Kampf war beendet.

Den Verteidigern erwarteten nun die Gefangenschaft und der Tod. Der Chef der 609. Division, General Ruff wurde wegen einer seiner früheren Einsätze als Kommandant von
Riga zum Tode verurteilt. Niehoff ging für mehr als 10 Jahre in Gefangenschaft, von denen er fünf in Gefängnissen absaß.